Der Brief an die Römer

Kapitel 2

Der Brief an die Römer

In der ersten Hälfte dieses Kapitels wendet sich der Apostel, ohne Rücksicht auf die nationale Stellung, an alle, die durch ihr natürliches Gewissen fähig sind, den vorhin erwähnten Zustand der Dinge zu unterscheiden. Und hierzu haben alle Menschen die Fähigkeit, weil sie alle durch die Sünde Adams die Erkenntnis, Gutes und Böses zu unterscheiden, erlangt haben und jeder Mensch also befähigt ist, über diesen Unterschied zu urteilen. Wir haben hier also weder den Heiden besonders dargestellt, wie er unter den Folgen seines Verhaltens gegen Gott öffentlich in schmutzigen Wegen umherläuft, noch den Juden mit seinen speziellen Vorrechten inmitten der Nationen; der Apostel wendet sich an diese Klasse mit einem ganz allgemeinen Titel: „O Mensch“ (Vers 1)- ob Jude oder Heide oder Philosoph oder Pharisäer (oder auch jetzt bekennender Christ) – du bist ohne Entschuldigung. Der Mensch ist jemand, der das Böse an anderen richtet, aber nicht an sich selbst. Wenn er aber das Böse an anderen richtet, so verdammt er sich selbst; ja, durch dieses Richten verdammt er sich doppelt, weil er dadurch beweist, dass er das Böse und das Urteil Gottes darüber kennt und es dennoch tut.

Das Gericht Gottes nach der Wahrheit ist über die, die so etwas tun“ (Vers 2). Mag auch jemand durch Erkenntnis des Bösen und durch das Richten darüber Ansehen bei den Menschen erlangen, Gott aber lässt sich durch solchen betrügerischen Schein nicht täuschen. Durch diesen äußeren Schein der Weisheit und Erkenntnis kann niemand dem Gericht Gottes entrinnen (Vers 3); denn sein Gericht ist nach der Wahrheit.

Weiter erinnert nun der Apostel in Vers 4 an den Reichtum der Güte und Langmut Gottes. So unermesslich groß der Reichtum dieser Güte und Langmut aber auch ist, so wird er doch niemals das Gericht Gottes gegen das Böse abschwächen oder gar aufheben. Gottes Güte lädt zur Buße ein. Wer aber im Bösen verharrt, sich mit der Güte und Langmut Gottes tröstet und so das sichere Gericht Gottes zu vergessen sucht, der betrügt sich selbst und verachtet in Wirklichkeit diese Güte Gottes. Anstatt sie zur Buße zu benutzen, benutzt er sie zur Beruhigung in seinem Sündenleben. Die schreckliche Folge aber wird sein, dass er für sich selbst den Zorn häuft, der am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes über ihn hereinbrechen wird (Vers 5). Denn ebenso sicher und gewiss der Ausgang eines göttlichen Lebens ist, das Herrlichkeit und Ehre finden wird, ebenso sicher und gewiss ist auch der Ausgang eines Gott und seiner Wahrheit entgegenstehenden Lebens, das Zorn und Grimm, Drangsal und Angst zur Folge haben wird (Verse 6–10).

Es handelt sich hier nicht allein um Gutes tun, sondern um das Ausharren in guten Werken. Im vorigen Kapitel hat der Apostel bewiesen, dass die Heiden nicht darin ausgeharrt haben, und jetzt beweist er, dass das auch bei den Juden der Fall war, und dass also in dieser Beziehung alle vor Gott gleichstanden. Auch richtet Gott alle ohne Ansehen der Person und ohne Rücksicht auf Juden und Heiden nach seinem wahren, moralischen Charakter und nach den Vorzügen, die jeder empfangen hat. Die Juden hatten das Gesetz, und bei den Heiden bezeugte das Gewissen, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben war. Sie urteilten über Recht und Unrecht, zwischen Gut und Böse. Ihre wechselnden Gedanken darüber, indem sie sich untereinander anklagten oder entschuldigten, bezeugten, dass sie wussten, was moralisch gut und böse war, und auch ihre Schriften gaben Zeugnis davon. Darum wird Gott den Heiden durch das Gewissen und den Juden durch das Gesetz richten, und zwar an dem Tag, an dem Er nach dem Evangelium des Paulus die Geheimnisse des Herzens durch Jesus Christus richten wird (Verse 12–16). Es findet dann nicht ein äußerliches und irdisches Gericht statt, wie die Juden es sich vorstellen, sondern das Gericht über einen jeden besonders, und zwar nach der Erkenntnis, die Gott von dem Herzen hat.

Jetzt wendet sich der Apostel persönlich an die Juden und beweist die Verwerflichkeit ihres Zustandes unter dem Gesetz. Wenn jemand sich Jude nannte (Vers 17) und sich mit seinen Vorzügen brüstete (Vers 18) und sich aufgrund seiner äußerlichen Gesetzes-Erkenntnis für einen Führer und Lehrer anderer hielt (Verse 19 und 20) und doch – selbst blind und ohne wahre Erkenntnis Gottes – nach allen Seiten hin ein Übertreter des Gesetzes war (Verse 21–23), so verunehrte er nur Gott und verursachte sogar, dass sein Name unter den Nationen gelästert wurde (Vers 24). Und die Juden sündigten nicht allein gegen die Gebote Gottes, sondern verunreinigten auch den Kultus, weil sie Tempelraub begingen, indem sie Gott seine Opfer und den Ihm gebührenden Dienst vorenthielten und das Heilige des Tempels zu ihrem eigenen Gebrauch benutzten (Vers 22).

Weiter zeigt nun der Apostel, dass Gott ohne Erfüllung des Gesetzes auf die Beschneidung keine Rücksicht nimmt. Die Beschneidung von jemand, der das Gesetz übertrat, wurde zur Vorhaut (Vers 25). Gott fordert Echtheit. Ein Heide, der tat, was das Gesetz verlangte, war mehr wert, als ein Jude, der es brach. Darum sollte auch die Gerechtigkeit in einem unbeschnittenen Zustand für Beschneidung gerechnet werden und die damit verbundenen Segnungen empfangen (Vers 26). Durch diese hier aufgestellten Grundsätze will der Apostel nur einfach beweisen, dass Gott, wie schon gesagt, Echtheit fordert.

In den beiden letzten Versen bezeugt er schließlich, dass nur der ein wirklicher Jude sei, der das Gesetz in seinem Herzen habe und also im Geist beschnitten sei, und nicht der, der nur die äußerliche Beschneidung besitze. Hatte jener Zustand auch nicht das Lob des Menschen, so hatte er doch das Lob Gottes (Verse 28 und 29), und darauf kam es an.

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