Betrachtungen über das fünfte Buch Mose

Der Segen Moses

Betrachtungen über das fünfte Buch Mose

Ein Vergleich mit dem Segen Jakobs

„Und dies ist der Segen, womit Mose, der Mann Gottes, die Kinder Israel vor seinem Tod gesegnet hat“ (V. 1). Es ist tröstlich, dass die letzten Worte des Gesetzgebers Worte unvermischten Segens sind. Wir haben uns bei seinen verschiedenen Reden aufgehalten, den ernsten und ergreifenden Worten, die er an die Gemeinde Israels in den Ebenen Moabs richtete. Wir haben sein wunderbares Lied, gemischt aus Gedanken der Gnade und der Regierung, betrachtet. Aber jetzt werden wir angehalten, auf Segensworte zu lauschen, die voll Trostes, gleichsam aus dem Herzen des Gottes Israels hervorströmen, seine Gedanken der Liebe über sein Volk wiedergeben und uns einen Blick in die herrliche Zukunft Israels gewähren.

Es besteht ein Unterschied zwischen diesen letzten Worten Moses und den Segnungen des Patriarchen Jakob in 1. Mose 49. Jakob berichtet uns die Taten seiner Söhne, und ihr Tun war teilweise sehr traurig und demütigend. Mose dagegen stellt uns die Handlungen der göttlichen Gnade – sei es für oder gegen das Volk – vor. Die bösen Taten Rubens, Simeons und Levis werden von Jakob erwähnt, von Mose verschwiegen. Ist das ein Widerspruch? Nein, sondern göttliche Harmonie. Jakob betrachtete seine Söhne in ihrer persönlichen Geschichte, Mose sieht sie in ihrem Bundesverhältnis mit dem HERRN. Jakob erzählt uns von menschlicher Schwachheit und Sünde, Mose berichtet uns von göttlicher Treue, Güte und Freundlichkeit. Jakob teilt uns menschliche Handlungen und das Gericht über sie mit, Mose führt uns in göttliche Pläne ein und beschreibt den Segen, der aus ihnen hervorkommt. Dank und Preis sei unserem Gott! Seine Pläne, seine Segnungen und seine Herrlichkeiten stehen weit über allen menschlichen Fehlern, Sünden und Torheiten. Er wird schließlich alles nach seinen Gedanken ausführen, und zwar für ewig. Dann werden Israel und die Nationen völlig gesegnet werden und sich miteinander an der Güte Gottes erfreuen und seinen Ruhm von Meer zu Meer, von Küste zu Küste und „von dem Strom bis an die Enden der Erde“ verkünden.

Die Segnungen der Stämme

Die verschiedenen Segnungen der Stämme sind voll von wertvollsten Lehren, ohne dass sie besonderer Erklärung bedürfen.

„Ruben lebe und sterbe nicht, und seiner Männer sei eine Zahl!“ (V. 6).

Hier findet sich nichts von Rubens Unbeständigkeit, nichts von seiner Sünde. Die Gnade steht im Vordergrund, und Segnungen fließen in reicher Fülle aus dem Herzen dessen, der seine Freude daran findet, zu segnen und Herzen um sich zu haben, die bis zum Überströmen mit dem Wissen um seine Güte erfüllt sind.

„Und dieses von Juda; und er sprach: Höre, HERR, die Stimme Judas und bring ihn zu seinem Volk; seine Hände seien mächtig für ihn, und hilf ihm vor seinen Bedrängern!“ (V. 7). Juda ist die königliche Linie. „Unser Herr ist aus Juda entsprossen“ (Heb 7,14). In bewundernswerter Weise zeigt das, wie die göttliche Gnade sich in ihrer Majestät über die Sünde des Menschen erhebt und über Umstände triumphiert, die die äußerste menschliche Schwachheit offenbaren! „Juda aber zeugte Phares und Serach von der Tamar“ (Mt 1,3). Wer anders als der Heilige Geist hätte solche Worte aufschreiben können! Wie klar zeigen sie, dass Gottes Gedanken nicht wie unsere Gedanken sind! Welche menschliche Hand würde Tamar in das Geschlechtsregister unseres Herrn und Heilandes eingefügt haben? Matthäus 1,3 trägt, wie jeder Satz des heiligen Buches, den Stempel göttlicher Inspiration (vgl. auch 1. Mo 49,8–12; Off 5,1–6).

Der Stamm Juda ist hoch bevorrechtigt. Es ist eine hohe Ehre, dem Stamm anzugehören, aus dem unser Herr entsprossen ist, und doch wissen wir aus dem Mund des Herrn selbst, dass es weit höher und gesegneter ist, das Wort Gottes zu hören und zu bewahren. Den Willen Gottes zu tun, in unseren Herzen seine Gebote zu bewahren, bringt uns Christus weit näher als sogar die Tatsache, menschlich mit ihm verwandt zu sein (Mt 12,46–50).

„Und von Levi sprach er: Deine Tummim und deine Urim (Lichter und Vollkommenheiten) sind für deinen Frommen, den du versucht hast bei Massa, mit dem du hadertest beim Wasser von Meriba; der von seinem Vater und von seiner Mutter sprach: Ich sehe ihn nicht; und der seine Brüder nicht kannte und von seinen Söhnen nichts wusste. Denn sie haben dein Wort gehalten, und deinen Bund bewahrten sie“ (V. 8.9).

Simeon wird hier ausgelassen, obgleich er in 1. Mose 49,5–7 so eng mit Levi verbunden ist. Wir lesen dort: „Simeon und Levi sind Brüder, Werkzeuge der Gewalttat ihre Waffen. Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung! Denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erschlagen, und in ihrem Mutwillen den Stier gelähmt. Verflucht sei ihr Zorn, denn er war gewalttätig, und ihr Grimm, denn er war grausam! Ich werde sie verteilen in Jakob und sie zerstreuen in Israel.“

Hier tritt der oben erwähnte Unterschied zwischen den beiden Kapiteln wieder zutage. In dem einen begegnen wir der Natur und ihren Handlungen, in dem anderen der Gnade und ihren Früchten. Jakob betrachtete Simeon und Levi als ihrer Natur nach verbunden. Beide zeigen die Leidenschaften und Wege der Natur, und deshalb verdienen beide gleicherweise den Fluch. Aber in Levi sehen wir dann die herrlichen Triumphe unumschränkter Gnade, die ihn fähig machte, in den Tagen des goldenen Kalbes sein Schwert umzugürten und für die Herrlichkeit des Gottes Israels einzutreten (2. Mo 32,26–29).

Wo war Simeon bei dieser Gelegenheit? Er war bei Levi in den Tagen des Eigenwillens, des Zorns und Grimms. Warum nicht in den Tagen der Entschiedenheit für den HERRN? Er war bereit, mit seinem Bruder zu gehen, als es galt, eine Beleidigung seiner Familie zu rächen. Warum trat er nicht hervor, als die Ehre Gottes durch die götzendienerische Handlung der ganzen Gemeinde beleidigt war? War er nicht ebenso verantwortlich wie Levi? Erging der Ruf Moses nicht an die ganze Gemeinde? Gewiss, aber nur Levi antwortete ihm, und nur er empfing den Segen. Er stand an einem finsteren und bösen Tag aufseiten Gottes, und deshalb wurde er mit dem Priestertum geehrt, mit der höchsten Würde, die ihm übertragen werden konnte. Simeon antwortete nicht auf den Ruf, und deshalb ging er des Segens verlustig. 1

„Von Benjamin sprach er: Der Liebling des HERRN! In Sicherheit wird er bei ihm wohnen; er beschirmt ihn den ganzen Tag, und zwischen seinen Schultern wohnt er“ (V. 12).

Gesegneter Platz für Benjamin und jedes geliebte Kind Gottes! Wie kostbar ist der Gedanke, sicher in der Gegenwart Gottes wohnen zu dürfen, in der Nähe des treuen Hirten und Aufsehers unserer Seelen zu leben, und Tag und Nacht unter seinem Schutz zu stehen! Möchten wir die Wirklichkeit und Segnung des Platzes und Teils Benjamins mehr und mehr verstehen! Seien wir nicht mit etwas Geringerem zufrieden als mit der Gegenwart Christi und dem bleibenden Wissen um eine innige Verbindung mit ihm! Es ist unser wunderbares Vorrecht. Lassen wir es uns durch nichts rauben! Mögen wir stets an der Seite des guten Hirten bleiben, in seiner Liebe ruhen und auf den grünen Weiden und an den stillen Wassern lagern, zu denen Er uns führt.

„Und von Joseph sprach er: Gesegnet von dem HERRN sei sein Land – vom Köstlichsten des Himmels, vom Tau, und von der Tiefe, die unten lagert, und vom Köstlichsten der Erträge der Sonne und vom Köstlichsten der Triebe der Monde, und vom Vorzüglichsten der Berge der Urzeit und vom Köstlichsten der ewigen Hügel; und vom Köstlichsten der Erde und ihrer Fülle; und das Wohlgefallen dessen, der im Dornbusch wohnte: Es komme auf das Haupt Josephs und auf den Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern! Sein ist die Majestät des Erstgeborenen seines Stieres; und Hörner des Wildochsen sind seine Hörner. Mit ihnen wird er die Völker insgesamt niederstoßen bis an die Enden der Erde. Und das sind die Zehntausende Ephraims, und das die Tausende Manasses“ (V. 13–17).

Joseph ist ein bemerkenswertes Vorbild von Christus. Wir haben uns in unseren Betrachtungen über das erste Buch Mose bei seiner Geschichte länger aufgehalten. Nachdrücklich spricht Mose von der Tatsache, dass er abgesondert war von seinen Brüdern. Er wurde verachtet und in eine Grube geworfen. Er ging bildlich gesprochen durch die Wasser des Todes und gelangte auf diesem Weg zu Ehren und Würden. Er wurde aus dem Gefängnis geholt, um Herr über ganz Ägypten zu werden und um seine Brüder am Leben zu erhalten. Er kam in das Eisen, und er musste die Bitterkeit des Todes schmecken, ehe er in den Bereich der Herrlichkeit versetzt wurde. Ein treffendes Bild von dem, der einst am Kreuz hing, im Grab lag und jetzt für immer auf dem Thron der Majestät in den Himmeln erhöht ist!

Eine überraschende Segensfülle wird sowohl hier als auch in 1. Mose 49 über das Haupt Josephs ausgeschüttet. Herrlich sind die Segnungen. Einst werden sie alle in den Erfahrungen Israels ihre Erfüllung finden. Die Leiden des wahren Joseph werden die unerschütterliche Grundlage der zukünftigen Segnungen seiner Brüder im Land Kanaan bilden, und der Strom des Segens wird von diesem bevorzugten Land in erfrischender Kraft ausfließen und sich über die ganze Erde ausbreiten. „Und es wird geschehen an jenem Tag, da werden lebendige Wasser aus Jerusalem fließen, zur Hälfte zum östlichen Meer und zur Hälfte zum hinteren Meer; im Sommer und im Winter wird es geschehen“ (Sach 14,8). Welch eine Aussicht für das Land Israel und für die ganze Erde!

„Und von Sebulon sprach er: Freue dich, Sebulon, deines Auszugs, und du, Issaschar, deiner Zelte! Sie werden Völker zum Berg laden; dort werden sie Opfer der Gerechtigkeit opfern; denn sie werden saugen die Fülle der Meere und die verborgenen Schätze des Sandes“ (V. 18.19). Sebulon soll sich seines Auszugs und Issaschar seiner Zelte erfreuen. Es soll Freude sein daheim und in der Ferne, und zugleich Kraft, um auf andere einzuwirken: Sie laden Völker ein zu dem Berg, um Opfer der Gerechtigkeit zu opfern. Alles gründet sich auf die Tatsache, dass sie selbst den Überfluss der Meere und die verborgenen Schätze des Sandes saugen werden. So ist es dem Grundsatz nach immer. Es ist unser Vorrecht, uns allezeit am Herrn zu erfreuen und aus den ewigen Quellen und verborgenen Schätzen zu schöpfen, die in ihm gefunden werden. Dann werden wir aus einem passenden Herzenszustand heraus auch andere auffordern können, zu schmecken und zu sehen, dass der Herr gütig ist, und Opfer der Gerechtigkeit darbringen, die ihm so wohlgefällig sind.

Eine Erklärung der Verse 20–29 ist unnötig. Nichts kann die Gnade übertreffen, die die letzten Verse unseres Buches durchweht. Die Segnungen des 33. Kapitels beginnen und enden, wie das Lied Moses in Kapitel 32, mit Gott und seinen wunderbaren Wegen mit Israel. Es ist belebend und tröstend, am Schluss aller Ermahnungen, Warnungen, Prophezeiungen und Drohungen solche Worte zu finden, wie diese. Gnade und Herrlichkeit strahlen mit ungewöhnlichem Glanz aus diesen Schlussversen des fünften Buches Mose hervor. Gott wird noch verherrlicht werden in Israel, und Israel wird für ewig gesegnet werden in Gott. Die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar. Er wird jedes Jota, jedes Strichlein seines Wortes erfüllen. Die letzten Aussprüche des Gesetzgebers legen noch einmal ein klares Zeugnis von dieser Tatsache ab. Besäßen wir nur die letzten vier Verse dieses Kapitels, würden sie völlig genügen, um die zukünftige Wiederherstellung, Segnung und Herrlichkeit der zwölf Stämme Israels in ihrem Land zu beweisen.

Fußnoten

  • 1 Wegen weiterer Einzelheiten über den Stamm Levi und seine Geschichte verweisen wir den Leser auf 2. Mose 32 und auf 4. Mose 3.4.8.
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