Botschafter des Heils in Christo 1878

Gehorsam und Abhängigkeit

Es ist eine sehr wichtige Tatsache, dass unser Gott in seiner unendlichen Gnade sein Volk in dieser finsteren und bösen Welt sowohl mit einer Autorität als auch mit einer Macht versehen hat – mit der Autorität seines Wortes und der Macht seines Geistes – um den Pfad zu wandeln und das Werk zu vollbringen, wozu es berufen ist. Wir haben einen sicheren Führer in dem Wort Gottes, und in all den Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten, denen wir auf unserer Heimreise ins Vaterhaus droben begegnen, können wir auf die Macht Gottes rechnen. Wir besitzen also sowohl eine Autorität als auch eine Macht in allen Lagen und Umständen.

Doch vergessen wir nicht, dass wir, wenn Gott uns mit einer Autorität versehen hat, auch gehorsam sein müssen, und dass, wenn Er eine Macht verliehen hat, auch eine völlige Abhängigkeit unser Teil ist. Was nützt uns eine Autorität, wenn wir ihr nicht gehorchen? Ich kann meinem Diener die vollständigsten und bestimmtesten Anweisungen geben, wohin er gehen, was er sagen und was er tun soll; aber wenn er, anstatt einfach nach meinen Anweisungen zu handeln, anfängt, zu überlegen, zu denken, Schlüsse zu ziehen, sein eigenes Urteil zu befragen und nach seinem eigenen Willen zu handeln, was nützen dann meine Anweisungen? Gar nichts, außer dass sie zeigen, wie gänzlich er von ihnen abgewichen ist. Es liegt klar auf der Hand, dass es einem Dient geziemt, zu gehorchen und zu handeln nach den Anweisungen seines Herrn, und nicht nach seinem eigenen Willen und nach seinem Urteil. Wenn er nur genau das tut, was sein Herr ihm befiehlt, so ist er für die Folgen nicht verantwortlich.

Der völlige Gehorsam ist die moralische Vollkommenheit eines Dieners. Doch ach! wie selten wird er gefunden! In der ganzen Geschichte der Welt hat es nur einen vollkommen gehorsamen und abhängigen Diener gegeben, und das war der Mensch Christus Jesus. Es war seine Speise, zu gehorchen. Er fand seine Freude im Gehorsam. „An Schlacht– und Speisopfern hattest du kein Gefallen; die Ohren hast du mir bereitet: Brand und Sündopfer hast du nicht gefordert. Da sprach ich: „Siehe, ich komme, in der Rolle des Buches ist von mir geschrieben. Dein Wohlgefallen zu tun, Jehova, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens!“ (Ps 40,7-9)

Unser gesegneter Herr fand seinen einzigen Beweggrund zum Handeln in dem Willen Gottes. In Ihm gab es nichts, das durch die Autorität Gottes hätte in Schranken gehalten werden müssen. Sein Wille war vollkommen, und alles, was Er tat, war notwendigerweise – in Folge seiner vollkommenen Natur – in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen. „Dein Gesetz ist im Innern meines Herzens.“ „Dein Wohlgefallen zu tun ist meine Lust.“ „Ich bin vom Himmel herniedergekommen, nicht auf dass ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,38).

Was konnte Satan mit einem solchen Menschen anfangen? Durchaus gar nichts. Er versuchte, Ihn von dem Pfad des Gehorsams und von dem Platz der Abhängigkeit abzubringen, aber vergebens. „Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Sicher wollte Gott seinem Sohn Brot geben, darüber war kein Zweifel: aber der vollkommene Mensch weigert sich, für sich selbst Brot zu machen. Er hatte keinen Befehl erhalten und deshalb auch keinen Beweggrund zum Handeln. Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jeglichem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht“ (Mt 4,3–4). Nichts konnte den Gesegneten von dem Pfad des einfachen Gehorsams abbringen. „Es steht geschrieben“, war seine einzige und unveränderliche Antwort während der ganzen Versuchung. Er wollte und konnte nicht ohne einen Beweggrund handeln, und sein einziger Beweggrund war der Wille Gottes. „Dein Wohlgefallen zu tun, Jehova, ist meine Lust, und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens.“

Das war der Gehorsam Jesu Christi – ein vollkommener Gehorsam von Anfang bis zu Ende. Doch Er war nicht nur vollkommen gehorsam, sondern auch vollkommen abhängig. Obgleich „Gott über alles, gepriesen in die Zeitalter“, lebte Er doch, nachdem Er seinen Platz als ein Mensch in dieser Welt eingenommen hatte, ein Leben der vollkommensten Abhängigkeit von Gott. Er konnte sagen: „Ich kleide die Himmel in Schwarz und mache einen Sack zu ihrer Decke. Der Herr, Jehova, hat mir gegeben eine Zunge der Gelehrten, dass ich wisse, mit dem Müden ein Wort zu reden zu rechter Zeit. Er erweckt alle Morgen, Er erweckt mir das Ohr, dass ich höre gleich Lehrlingen. Der Herr, Jehova, hat mir das Ohr geöffnet, und ich bin nicht widerspenstig gewesen, ich wich nicht zurück. Ich gab meinen Rücken hin den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber der Herr, Jehova, wird mir helfen; darum werde ich nicht zu Schanden, darum habe ich gemacht mein Angesicht wie einen Kieselstein, und ich weiß, dass ich nicht werde beschämt werden“ (Jes 50,3–7). Und wiederum: „Bewahre mich, Gott, denn ich traue auf dich“ (Ps 16,1). Und wiederum: „Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an“ (Ps 22,10). Er war gänzlich und fortwährend auf Gott geworfen, von der Krippe zu Bethlehem an bis zum Kreuz auf Golgatha; und als Er alles vollbracht hatte, übergab Er seinen Geist in die Hände des Vaters, und sein Fleisch ruhte in Hoffnung. Sein Gehorsam und seine Abhängigkeit waren durchaus göttlich vollkommen.

Doch ich möchte jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers für einen Augenblick auf zwei Beispiele lenken, die gerade das Gegenteil von dem bisher Gesagten enthalten – auf zwei Fälle, in welchen durch den Mangel an Gehorsam und Abhängigkeit die traurigsten Resultate ans Licht traten.

Lasst uns zuerst das 13. Kapitel des ersten Buches der Könige lesen und es in Verbindung mit unserem gegenwärtigen Thema betrachten. Die Geschichte, die uns in diesem Kapitel erzählt wird, ist uns ohne Zweifel allen bekannt.

„Und siehe, da kam ein Mann Gottes von Juda durch das Wort Jehovas nach Bethel, und Jerobeam stand bei dem Altar, um zu räuchern. Und er rief wider den Altar durch das Wort Jehovas“ (V 1–2). Soweit war alles in Ordnung. Er sprach durch das Wort Jehovas, und die Macht Jehovas begleitete das Zeugnis – der Geist des Königs wurde für den Augenblick gedemütigt und unterwürfig gemacht. Doch mehr als das. Der Mann Gottes war fähig, die Einladung des Königs, mit ihm ins Haus zu kommen, sich zu laben und ein Geschenk anzunehmen, entschieden zurückzuweisen. „Der Mann Gottes sprach zum König: Wenn du mir die Hälfte deines Hauses gäbest, so würde ich nicht mit dir hineingehen, und ich werde kein Brot essen und kein Wasser trinken an diesem Ort. Denn also ist mir geboten durch das Wort Jehovas und gesagt: Du sollst kein Brot essen und sollst kein Wasser trinken und nicht zurückkehren auf dem Weg, den du gegangen bist“ (V 8–9).

Dies war ein treues Zeugnis, und Jehova konnte mit Wohlgefallen auf seinen Diener blicken. Seine Füße standen fest auf dem hellen und gesegneten Pfade des Gehorsams, und er errang einen herrlichen Sieg. Die Ehrerbietungen des Königs schlägt er, ohne einen Augenblick zu zögern, aus. Die Hälfte des königlichen Hauses kann den Mann Gottes nicht bewegen, den schmalen, heiligen und glücklichen Pfad des Gehorsams zu verlassen. Da gibt es weder ein Überlegen, noch ein Fragen, noch ein Zögern. Das Wort Gottes hat alles geordnet, und er verfolgt genau den Pfad, den dieses Wort ihm vorgezeichnet hat. Er hat nur zu gehorchen, unbekümmert um die Folgen. Und solange er dies tut, ist alles in der schönsten Ordnung.

Doch lesen wir weiter. „Ein alter Prophet aber wohnte zu Bethel“ – mein lieber Leser, hüte dich vor solchen alten Propheten! – und dieser alte Prophet folgte dem Mann Gottes und sagte zu ihm: „Komm mit mir ins Haus und iss Brot“ (V 11–15). Dies war der Teufel in einer neuen Gestalt. Was das Wort des Königs nicht zu tun vermocht hatte, das konnte vielleicht das Wort eines Propheten zu Stand bringen. Es war eine List Satans, auf welche der Mann Gottes durchaus nicht vorbereitet war. Der Anblick eines Propheten täuschte ihn und warf ihn völlig aus seiner sicheren Stellung hinaus. Wir können dies sofort an seiner veränderten Sprache wahrnehmen. Wenn er dem König antwortet, so spricht er in lebhafter, mutiger und entschiedener Weise: „Wenn du mir die Hälfte deines Hauses gäbest, so würde ich nicht mit dir hineingehen“; und wenn er den Grund seiner Weigerung angibt, so finden wir dieselbe kräftige Sprache: „Denn also ist mir geboten durch das Wort Jehovas.“ Doch in seiner Antwort auf die Einladung des alten Propheten entdecken wir ein offenbares Abweichen von dem Weg der Energie und der völligen Entschiedenheit. Er sagt: „Ich kann nicht mit dir umkehren und mit dir hineinkommen“, und wenn er von der Ursache seiner Weigerung spricht, so gebraucht er nicht, wie vorher, das Wort: „es ist mir geboten“, sondern er sagt: „ein Wort ist zu mir geschehen.“

Kurz, der ganze Ton seiner Sprache ist niedriger; sie hat die frühere Kraft fast gänzlich eingebüßt. Das Wort Jehovas hatte begonnen, seinen wahren Platz und seine Kraft in der Seele dieses Mannes zu verlieren. Das Wort selbst hatte sich durchaus nicht verändert. „In Ewigkeit, Jehova, steht fest dein Wort in den Himmeln“ (Ps 119,89); wäre dieses Wort in dem Herzen des Mannes Gottes verborgen gewesen, hätte es in seiner Seele reichlich gewohnt, seine Antwort auf die Einladung des Propheten würde ebenso bestimmt und entschieden gelautet haben, wie vor dem Altar des Königs. „Durch das Wort deiner Lippen habe ich mich bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen“ (Ps 17,4). Der Geist des Gehorsams ist das große moralische Bewahrungsmittel vor jeder List und Bosheit des Feindes. Der Feind mag seinen Standpunkt wechseln und seine Angriffsweise verändern, er mag plötzlich von einer ganz anderen Seite her seine Pfeile auf die Seele richten, der Gehorsam gegen das einfache und klare Wort Gottes bewahrt sie vor all seinen bösen Anschlägen und seinen listigen Kunstgriffen. Der Teufel kann mit einem Menschen, der ausschließlich durch das Wort Gottes geleitet wird und sich ohne einen göttlichen Befehl nicht um eines Haares Breite vor– oder rückwärts bewegt, nichts anfangen.

Doch beachten wir, mit welch einer Schlauheit der Feind hier zu Werke geht. Wir lesen im 18. Vers: „Und er sprach zu ihm: Auch ich bin ein Prophet wie du, und ein Engel hat zu mir geredet durch das Wort Jehovas und gesagt: Bringe ihn zurück mit dir in dein Haus, dass er Brot esse und Wasser trinke.“ Welch eine Antwort hätte der Mann Gottes auf diese trügerischen Worte geben müssen? Wenn das Wort des Herrn unverrückt in seinem Herzen geblieben wäre, so würde er ohne Zögern geantwortet haben: „Und wenn Zehntausend Propheten und zehntausend Engel sagen würden: Bringe ihn zurück, so würde ich sie alle für Lügner und Boten des Teufels erklären, die abgesandt wären, um mich von dem heiligen und glücklichen Pfad des Gehorsams abzuziehen.“ Das wäre eine erhabene Antwort gewesen und hätte denselben göttlichen Stempel der Wahrheit getragen, wie die Worte des Apostels: „Aber wenn auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium verkündigte, außer dem, was wir euch verkündigt haben, der sei verflucht“ (Gal 1,8).

Aber ach! Ach! Der Mann Gottes verließ den Pfad des Gehorsams; und derselbe Mann, den Satan gebraucht hatte, um ihn zu verführen, wurde der Mund Jehovas, um ihm die schrecklichen Folgen seines Ungehorsams anzukündigen. Er log, als Satan ihn gebrauchte, aber er sprach die Wahrheit, als Gott sich seiner bediente. Der irre geleitete Mann Gottes wurde durch einen Löwen getötet, weil er dem Wort des Herrn ungehorsam gewesen war. Ja, er verließ den schmalen Pfad des Gehorsams und verirrte sich in das weite Feld seines eigenen Willens und dort fand er ein trauriges Ende.

Möchten wir doch alle auf unserer Hut sein, wenn solche alte Propheten und solche Engel des Lichts unseren Weg kreuzen! Möchten wir uns in dem wahren Geist des Gehorsams nahe, sehr nahe an dem Wort unseres Gottes halten! Wir werden den Pfad des Gehorsams sowohl sicher, als auch heilig und glücklich finden.

Das zweite Beispiel, für das ich die Aufmerksamkeit des Lesers in Anspruch nehmen wollte, finden wir im 9. Kapitel des Buches Josua. Wir lesen dort, dass selbst Josua durch den Mangel an einfacher Abhängigkeit von Gott verführt wurde. Ich will jedoch nicht näher in die Einzelheiten des Kapitels eingehen, sondern bitte den Leser, mit Aufmerksamkeit den Abschnitt zu lesen.

Warum wurde Israel durch die List der Gibeoniter betrogen? Weil sie auf ihren eigenen Verstand vertrauten und nach dem urteilten, was sie sahen, anstatt auf Gott zu harren, damit Er sie leiten und beraten möchte. Er wusste alles in Betreff der Gibeoniter. Sie konnten Ihn durch ihre alten Kleider und durch ihr schimmeliges Brot nicht täuschen; und ebenso wenig würden die Israeliten getäuscht worden sein, wenn sie nur auf Ihn geblickt hatten. Aber hierin fehlten sie. Sie harrten nicht auf Gott. Er würde sie geleitet und ihnen gesagt haben, wer diese listigen Fremden seien. Hätten sie im Gefühl ihrer eigenen Unwissenheit und Schwachheit einfach auf Ihn gewartet, Er würde sicher alles vor ihnen offenbar gemacht haben. Aber nein; sie wollten für sich selbst sorgen, sie wollten urteilen nach dem, was vor ihren Augen war, und daraus ihre Schlüsse ziehen. Alles das wollten sie tun, und daher brachten die zerrissenen Kleider der Gibeoniter das zu Wege, was die gewaltigen Bollwerke Jerichos nicht zu tun vermocht hatten.

Sicher hatte Israel nicht daran gedacht, mit irgendjemandem von den Kanaanitern einen Bund zu machen. Nein, das Volk war sogar sehr erzürnt und murrte wider die Fürsten, als man entdeckte, was geschehen war. Allein der Bund war gemacht und konnte nicht wieder gebrochen werden. Es ist leichter, einen Fehler zu begehen, als ihn wieder gut zu machen. Die Gibeoniter blieben im Land als eine fortwährende Erinnerung an das Böse, das sie begangen hatten, indem sie nicht auf die Leitung und auf die Unterweisung Gottes warteten.

Möchte der Heilige Geist das, was wir betrachtet haben, dazu benutzen, die große Wichtigkeit „des Gehorsams und der Abhängigkeit“ unseren Herzen tief einzuprägen!

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