Botschafter des Heils in Christo 1878

Das Zusammentreffen mit Christus

„Noomi hatte einen Verwandten ihres Mannes, einen vermögenden Mann ... und sein Name war Boas“ (V 1). Boas ist ein treffendes Vorbild von Christus, als Verwandter, jedoch nicht, wie etliche meinen, in Folge der Menschwerdung Christi, sondern nur durch seinen Tod und seine Auferstehung. Er bekleidet jetzt durch seinen Tod die Stelle eines Seligmachers, völlig bereit, das Werk eines solchen zu tun. Ich habe in Ihm einen Verwandten aus dem Samen des Weibes, einen Menschen, welcher starb und wieder auferstand. Er ist ein vermögender Mann.

Zwei Dinge stehen in Bezug auf Christus, als den Seligmacher, im Vordergrund. Er ist die vollkommene Offenbarung Gottes, und Er ist ein vollkommener Mensch. Er ist ein Mensch, der uns vom kommenden Zorn Gottes befreien und uns in Gerechtigkeit zu Gott bringen kann; Er ist ein vermögender Mann, und sein unvergleichlicher Name ist: Jesus. Er war reich; Er besaß alles Er war der ewige Sohn, die Freude und Wonne seines Vaters. In der Gnade, die sein Herz erfüllte, ging Er an den Engeln vorüber, kam in diese Welt, und – o welch ein Wunder! – Er, der Gott war, wurde Mensch, um uns erlösen zu können. Der erste Mensch strebte in seinem Hochmut danach, wie Gott zu sein und ward ein Sünder, während Er, welcher Gott war, Mensch wurde, um für uns zu sterben und uns von der Macht Satans und der Sünde befreien und uns in Gerechtigkeit zu Gott bringen zu können. „Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, dass Er, da Er reich war, um euertwillen arm wurde, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor 8,9). Jetzt aber ist Er reich – ein vermögender Mann. Möchtest du nicht gern sein Eigentum sein? Möchtest du nicht gern mit diesem „vermögenden Mann“ verbunden sein? Alles, was Gott ist, zeigt Er in seinem Leben als Mensch auf der Erde. Er nahm als der Stellvertreter des gefallenen Menschen seinen Platz auf dem Kreuz, trug dessen Schuld und Sünde, indem Er in den Tod ging, verließ dann das Grab und stieg als Mensch in den Himmel. Er ist Gott und Mensch Zugleich. Er offenbarte Gott hienieden vollkommen als Mensch; und jetzt repräsentiert Er droben in vollkommener Weise den Menschen vor Gott.

Rut geht aufs Feld, um Ähren aufzulesen, und trifft, wie man sagt, zufällig das Feldstück, welches Boas zugehörte (V 3). Es ist beachtenswert, dass Boas nicht der Pächter dieses Feldes war, sondern dass er es als sein Eigentum besaß; es war ein Platz, welcher von Rechts wegen ihm angehörte. Freilich gab es auch jemanden, der über die Schnitter bestellt war (V 5), und derselbe ist ein Vorbild dessen, welcher jetzt hienieden das Werk ausführt, nämlich des Heiligen Geistes. Aber das Feld gehörte Boas; und Rut befand sich unter seinen Schnittern. Eine herrliche Sache, unter den Schnittern Christi zu sein! Es ist jetzt nicht die Zeit der Aussaat, es ist die Zeit der Ernte; und der Tag wird anbrechen, „wo beide, der da sät und der da erntet, Zugleich sich freuen“ (Joh 4,36). Ihm zu dienen, ist das herrlichste unter der Sonne; nur eins ist noch herrlicher, und das ist Christus selbst. Fragst du, ob es eine beschwerliche Sache sei, Christus zu dienen? Im Gegenteil, es gibt keine größere Freude, es sei denn der Genuss seiner Person selbst.

Welche Vertraulichkeit besteht zwischen dem Herrn und seinen Knechten! Boas begrüßt seine Schnitter mit den Worten: „Jehova mit euch!“ Und sie rufen ihm zu: „Jehova segne dich!“ (V 4) Wie schön! Es besteht eine völlige Gemeinschaft zwischen dem Herrn und den Schnittern; und es ist eine Freude zu sehen, wie er bei ihnen ein und ausgeht.

„Wessen ist diese Dirne?“ fragt Boas. Er richtet sein Auge auf die Fremde, er merkt auf sie und forscht nach ihr; und der Knecht kann ihm alles, was sie betrifft, ausführlich mitteilen. Auch Christus setzt seine Knechte oft in Kenntnis über das, was in einer Seele vorgeht, um den Bedürfnissen dieser Seele durch sein Wort und zwar mittelst des Knechtes entgegen zu kommen. Auch finden wir hier ein schönes Gemälde von der Art und Weise, in welcher sich der Herr selbst mit einer Seele befasst. Mit welcher Sanftmut und Güte beschäftigt sich Boas mit der Rut! „Hörst du, meine Tochter?“ sagt er. Und ist das nicht die Art und Weise des Herrn Jesus? Sobald du das Feld betrittst, welches das seinige ist, sobald du auf seinem Acker Ähren fuchst, nennt Er dich „Sohn“ oder „Tochter.“

Du sagst vielleicht, dass wir hier eine alttestamentliche Darstellung haben. Nun, dann will ich dir eine neutestamentliche Szene vorführen. Es gab ehemals, als der Herr Jesus auf Erden war, ein armes, krankes und schwaches Weib, die von Jesu hörte und zu Ihm zu gehen begehrte; „denn“ – sagte sie – „wenn ich nur den Saum seines Kleides anrühre, werde ich geheilt werden.“ Die Ihn umringende Schar drängte und drückte Ihn. Das Weib aber folgte Ihm mit der Menge in der Absicht, sich Ihm zu nähern. Aber obwohl die Schar Ihn wie eine Mauer umschließt, so presst sie sich doch hindurch, gelangt bis zu der Person Jesu, berührt den Saum seines Kleides und – ist von ihrer Plage geheilt. Doch bevor sie sich zu entfernen vermag, steht Jesus vor ihr und sagt: „Wer hat meine Kleider angerührt?“ Würde sie ohne dieses hinweggegangen sein, so würde ihr der Teufel zugeflüstert haben: „Ja, du bist jetzt für den Augenblick wohl von deiner Plage los: aber morgen wird sie wiederkehren und zwar schlimmer als je.“ Der Herr wusste dieses; und darum suchte Er sie auf, wie sie Ihn gesucht hatte; und bevor sie sich entfernte, bestätigte Er sein Werk in der lieblichsten Weise. Sie hört von Jesu, kommt zu Ihm, berührt sein Kleid und ist geheilt; dann bestätigt Er ihren Glauben durch sein Wort und sendet sie hinweg, indem Er sagt: „Tochter, dein Glaube hat dich – geheilt; gehe hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage“ (Mk 5,25–34). Welch herrliche Worte! – Worte, die sie nie vergessen haben wird, und die auch, wie ich hoffe, für das Ohr jedes Lesers süß und lieblich klingen werden. Er gibt ihr die Versicherung, dass sie nicht nur geheilt ist, sondern dass sie von ihrer Plage gesund sein wird für immer. Das Köstlichste von allem aber ist, dass Er ihren Glauben anerkennt. Vertraust auch du Ihm, mein Leser? Dann erkennt Er auch dich an. Er erkennt dich in demselben Augenblicke an, in welchem du Ihn anerkennst und Ihm vertraust.

Wiederum wird uns in Markus 2 von einem Gichtbrüchigen erzählt, der zu Jesu gebracht wurde. Da man sich Ihm wegen der Volksmenge nicht nähern konnte, so deckten die Träger des Kranken das Dach ab und liehen ihn hinab zu den Füßen Jesu. „Als Jesus aber ihren Glauben sah, spricht Er zu dem Gichtbrüchigen: Kind, deine Sünden sind dir vergeben!“ Und danach: „Stehe auf, nimm dein Ruhebett und gehe nach deinem Haus!“ Und sogleich stand er auf, nahm das Ruhebett und ging hinaus vor den Augen derer, die ihn, auf dem Bett liegend, durchs Dach hatten kommen sehen.

„Und Boas sprach zu Rut: Hörst du, meine Tochter? Gehe nicht, aufzulesen auf einem anderen Felde, gehe auch nicht weg von hinnen, sondern halte dich hier zu meinen Dirnen. Deine Augen sollen auf dem Feld sein, wo sie schneiden, und du sollst hinter ihnen hergehen; siehe, ich habe den Knaben geboten, dass man dich nicht antaste. Und wenn dich dürstet, so gehe hin zu den Gefäßen und trinke von dem, was die Knaben schöpfen“ (V 8–9). Diese unverhoffte Güte überwältigt sie. Sie fällt auf ihr Angesicht und bückt sich zur Erde. Boas stellt alles zu ihrer Verfügung. Dasselbe tut Christus. Sobald eine Seele sich Ihm anvertraut, steht alles zu ihrem Dienst bereit. Ja, mein Freund, von dem Augenblick an, wo du dich dem Herrn übergibst, stehen alle in der Schrift angekündigten Segnungen zu deiner Verfügung; und du hast nur zu trinken aus den Strömen dieser Quelle lebendigen Wassers, die durch seinen Tod und durch seine Auferstehung für deine dürstende Seele geöffnet worden ist.

„Und sie sprach: Lass mich Gunst finden in deinen Augen, mein Herr! Denn du hast mich getröstet und zum Herzen deiner Magd geredet, so ich doch nicht bin, wie eine deiner Mägde“ (V 13). Siehst du, mein Freund? Wenn Jesus spricht, dann spricht Er zum Herzen; denn in seinen Worten liegt solch eine Gnade, solch eine Liebe, solch ein Mitgefühl und solch eine Heilung für die Wunden der Seele, dass dieselbe sich zu Boden gedrückt fühlt; und während seine Gnade also entdeckt und genossen wird, wird Zugleich das eigene Ich erkannt und verurteilt. Das ist wahre Bekehrung, eine unausbleibliche Wirksamkeit der Seele, die stets die Folge der Erkenntnis der Gnade Gottes ist. Auch bei Rut zeigt sich in einem gewissen Gerade diese Wirksamkeit, indem sie sagt: „So ich doch nicht bin, wie eine deiner Mägde.“ Sie fühlt gleich jeder neugeborenen Seele, dass sie einer solchen Gnade nicht würdig ist und eine solche Liebe nicht verdient. Sie verurteilt sich selbst, und das ist Selbstgericht, Bekehrung.

„Und Boas sprach zu ihr zurzeit des Essens: Komm hierher!“ Du siehst, lieber Leser, deine Seele soll genährt werden; und wo soll dieses geschehen? In der Nähe Christi und durch Christus selbst. „Iss von dem Brot!“ sagte Boas. Wer wird hier nicht erinnert an die Worte Jesu, welcher sagte: „Wer zu mir kommt, wird nie hungern?“ Und was für Brot ist dieses? Das „Brot des Lebens“, jene „Speise, die da bleibt ins ewige Leben.“ Und dieses Brot ist Christus selbst. „Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herniedergekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, so wird er leben in Ewigkeit. Und das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben“ (Joh 6,51.54).

„Tunke deinen Bissen in den Essig“, fügt Boas hinzu. Was will das heißen? Ein herrliches Vorbild! Jede Seele, die Jesus kennt, hat völlig Teil mit Ihm in allen Dingen. „Und er reichte ihr geröstete Ähren.“ – Ja, mein Freund, dieselbe Hand, die für uns durchnagelt wurde, nährt uns jetzt und leitet und schirmt uns Zugleich. Der Herr Jesus wünscht, uns an seiner Seite zu haben. In der Welt werden wir finden, dass wir den Menschen bald lästig werden; aber bei dem Herrn sind wir stets willkommene Gäste. Er hat alles, was Er besitzt, zu unserer Verfügung gestellt, und zwar von dem Augenblick an, wo wir unser ganzes Vertrauen Ihm schenken. Er will, dass wir alles, in Gemeinschaft mit Ihm selbst, aus seiner Hand annehmen; und es ist seine Freude, wenn wir in seiner gesegneten Gegenwart von den herrlichen Früchten seines Werkes genießen, welche nur durch eine Liebe, gleich der Seinen, zu unserem Eigentum gemacht werden konnten.

„Und sie aß und wurde satt und hielt übrig“ (V 14). Welch liebliches Bild einer Seele, welche sich still zur Seite des Herrn niederlässt und in seiner Gegenwart Gnade um Gnade empfängt! Was habe ich zu tun, wenn Er in seiner unendlichen Gnade sich mir als das lebendige Brot darbietet? – Ich esse. Und was wird die Folge sein? Ich werde satt. Das Gewissen ist vollkommen gereinigt, das Herz mit Freude erfüllt, die Seele in Ruhe. Alle Bedürfnisse werden durch Christus und sein Werk befriedigt und gestillt; und danach, als einfache Folge, halten wir noch übrig, um auch für andere eine Erquickung zu haben. Bevor Christus gekannt wird, fühlt sich das Herz matt und leer, denn die Welt ist zu klein, um es auszufüllen; aber wenn Christus gekannt wird, sind die verborgensten Winkel des Herzens bis zum Überlaufen angefüllt, und es ist noch ein Überfluss vorhanden, um noch andere damit zu erfüllen.

Doch wir müssen die Rut noch weiterverfolgen, um das liebende Herz des Herrn der Ernte noch besser kennen zu lernen. Sobald sie aufgestanden ist, um Ähren zu lesen, hören wir das Wort: „Auch zwischen den Garben soll sie auflesen; und ihr sollt sie nicht beschämen; und auch sollt ihr zuweilen für sie aus den Bündeln herausziehen und liegen lassen, dass sie es auflese“ (V 15–16). Welch eine herrliche Gnade! Hier ist Speise die Fülle. Die Arbeit ist nicht vergeblich; denn „sie schlug aus, was sie aufgelesen, und es war bei einem Efa Gerste“ (V 17). Alles, was sie gefunden, konnte sie mit nach Haus nehmen und es zu ihrem Vorteil verwenden. Welch ein Glück für eine Seele, welche das, was Christus ihr darbietet, einzusammeln versteht. Sie sammelt kein leeres Stroh, sondern volle Ähren. Ach, es gibt viele Sammler; aber sie lesen nicht das auf, was Christus durch die Schnitter vor ihre Füße legen lässt. Man könnte sie Strohsammler nennen. Sie sind erfüllt mit Zweifeln und Befürchtungen, sie sind unsicher und doppelherzig; sie sammeln sich nichts Wesentliches. Sie können nie sagen: „Ich weiß.“ Vielleicht sind sie sehr eifrige Leser und Hörer; aber nimmer vermögen sie „auszuschlagen“, was sie aufgelesen haben. Gehörst du zu ihrer Zahl, mein Leser? Nun, dann lass dir raten, nicht länger ins Ungewisse zu laufen, sondern wenn du Christus als deinen Heiland gefunden hast, seinen Schritten zu folgen und die Speise, die seine Hand dir spendet, anzunehmen und zu genießen.

Rut schlug auf dem Feld die Ähren aus, ließ das Stroh zurück und brachte nur die Gerste nach Haus. Ach, möchten doch alle meine Leser ihr gleichen! Mancher liest irgendeine religiöse Abhandlung oder hört einen Vortrag dieser Art; er bewundert den schönen Stiel des Schreibers oder das glänzende Talent des Redners und geht nach Haus. Wenn aber dieses die einzige Wirkung dessen ist, was er gehört oder gelesen hat, so hat er nur Stroh eingesammelt. Ein weiser Sammler hingegen würde sich weniger um den schönen Stiel und um die wohlklingenden Worte kümmern, sondern würde das goldgelbe Korn des Wortes Gottes aus dem Stroh zu scheiden verstehen und dann mit einem wahrhaft glücklichen Herzen heimwärts kehren. So machte es Rut. Sie kehrte mit der Gerste in die Stadt zurück; „und ihre Schwiegermutter sah, was sie aufgelesen hatte; und sie zog hervor und gab ihr, was sie übriggelassen von ihrer Sättigung“ (V 18). d. h. von den gerösteten Ähren, die ihr Boas dargereicht hatte. Sie war satt geworden, hatte Überfluss gehabt, und diesen brachte sie nach Haus, um damit den Hunger der Schwiegermutter zu stillen.

Das ist die Frucht des Zusammentreffens einer Seele mit Jesu. Sie findet alles, was sie bedarf: Vergebung, Versöhnung, Rechtfertigung, Gerechtigkeit, ewiges Leben; und wenn sie mit Ihm Gemeinschaft pflegt, so wird sie völlig gesättigt und hält genug übrig, um damit andere zu erquicken. Welch herrliche Folgen hat ein solches zusammentreffen!

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