Botschafter des Heils in Christo 1878

Reinigung und Gemeinschaft

Ein jeder, der den Zustand des Volkes Gottes in unseren Tagen aufmerksam beobachtet, wird ohne Zweifel bemerken, dass die wahre Ruhe der Seele nur selten bei den Gläubigen gefunden wird. Man kann ernst, eifrig, erfahren und wohl unterwiesen sein und dennoch diese Ruhe wenig genießen. Woher kommt dieses? Ich hoffe, in der vorliegenden Betrachtung die Antwort auf diese Frage zu liefern.

Es wirken gewöhnlich zwei Grundsätze unter denen, die den Namen Christi tragen, durch welche die Seelen zur Ruhe zu kommen suchen: 1. Die Werktätigkeit, ein ernstes, unaufhörliches Beschäftigtsein, wobei das Herz von Dingen eingenommen ist, welche in sich selbst oft gut und recht sind, die aber weder Ruhe geben, noch geben können. Im Gegenteil werden wir oft finden, dass sich diese Tätigkeit in dem Maß steigert, wie der Mangel an Ruhe der Seele sich fühlbar macht, da jene, die unruhig sind, sich oft eifrig zeigen, um vor allem nicht mit sich selbst beschäftigt zu sein. 2. Die Verbesserung des natürlichen Menschen, eine Lehre, die durch Christen, durch wahre Kinder Gottes verkündigt und nur allzu viel angenommen wird, und wodurch sie zu verstehen geben, dass die Unterwerfung unseres eignen Willens durch diesen Willen uns die wahre Ruhe schenken muss. Die Ungereimtheit einer solchen Behauptung ist in die Augen springend; und dennoch hält man daran fest, dass man die Ruhe in dem Augenblick erhalte, in welchem der Wille sich übergebe oder, mit anderen Worten, sich selbst töte. Ich wünsche daher an der Hand der Schrift zu zeigen, was die Seele verhindert, um die vollkommene Ruhe zu genießen, von der uns Johannes in dem 13. Kapitel seines Evangeliums ein Vorbild gibt, und dann darauf aufmerksam zu machen, worin die Ruhe besteht und welches ihre Folgen sind.

Ich glaube, dass die Ruhe bei vielen Gläubigen deshalb nicht vorhanden ist, weil ihre Füße nicht gewaschen sind; denn, beachten wir es wohl, diese große Wahrheit ist es, die uns in Johannes 13 vor Augen gestellt wird: ohne die Fußwaschung sind wir nicht passend, um Teil zu haben mit Jesu dort, wo Er ist. Der Herr reinigt uns nicht allein von den Flecken, die uns in unserem täglichen Wandel beschmutzen, sondern das Herz wird passend gemacht, um bei Christus zu sein, dort, wo Er ist; es wird gereinigt, um Gemeinschaft und Teil mit Ihm zu haben in der Herrlichkeit.

„Während des Abendessens“ hebt der Herr die Gemeinschaft auf, in der Er bisher mit den Seinen auf dieser Erde gewesen war, indem Er aus ihrer Mitte aufsteht und ihnen zeigt, wie Er sie passend machen kann, um in eine andere und viel bessere Beziehung zu Ihm zu treten. Es ist, als wollte Er hierdurch sagen: Bis hierher stellte ich mich auf euren Standpunkt, um Gemeinschaft mit euch zu haben; jetzt aber will ich euch zeigen, wie ich euch passend machen kann, um mit mir auf meinem Standpunkt, in der Umgebung und dem Platz, wohin ich jetzt gehe, Gemeinschaft zu haben. Hierauf nimmt Er das Becken, das Wasser und ein leinenes Tuch; und in dem vollen Bewusstsein, „dass Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe“, erniedrigt Er sich, um diesen Dienst an denen zu verrichten, die Er liebte.

Und was ist die Quelle und die Triebfeder von dem, was Er an ihnen tat? „Da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende.“ Welch eine anbetungswürdige Liebe! Welch eine wunderbare Gnade! Mochten sich die Zeiten und Umstände auch anderen, seine Liebe und Sorgfalt für die Seinen änderten sich nicht. Ach, wie wenig verstehen wir noch, dass der Beweggrund seines Handelns in Ihm selbst liegt. Das, was seine Gnade in Bewegung setzt, findet seinen Ursprung nur in seinem eignen Herzen. Seine Liebe zu den Seinen ist der Beweggrund, sie passend zu machen für seine Gegenwart und für die Gemeinschaft mit Ihm an jenem Platz, wohin Er gegangen ist. Das allein konnte das Herz Christi befriedigen. Es war das Begehren seines Herzens, arme, elende Geschöpfe, wie wir von Natur sind, fähig zu machen, um Gemeinschaft mit Ihm zu haben an dem neuen Platz, den Er eingenommen hat. Es sind nicht allem unsere Bedürfnisse und unser Elend, die Ihn dazu bewegen, uns für sich passend zu machen, nein, es ist das Bea gehren seines eigenen Herzens. Deshalb nimmt Er das Becken und das Wasser, wäscht die Füße seiner Jünger und trocknet sie mit dem leinenen Tuch, womit Er sich umgürtet hatte.

Wissen wir, was Christus bezweckt, wenn Er in dieser Weise mit uns beschäftigt ist? Ich spreche über ganz einfache Dinge, die wohl vielen von uns sehr gut bekannt sind; aber das Alte muss in unseren Herzen oft von neuem aufgefrischt werden; denn es verliert häufig gerade dadurch seine Kraft, dass es bereits seit langer Zeit bekannt ist, und zwar umso mehr, je größer der Einfluss ist, den unsere Umgebung auf uns ausübt. Wissen und fühlen wir in diesem Augenblick, dass der Herr Jesus um uns beschäftigt ist? Wissen wir, was es heißt, Gegenstände seiner Tätigkeit zu sein – einer Tätigkeit, die jedes Fleckchen zu entfernen vermag, das uns unpassend machen könnte, um Gemeinschaft mit Ihm zu haben? Haben wir es verstanden, dass sein Herz eine größere Freude in der Gemeinschaft mit uns genießt, als unser Herz in der Gemeinschaft mit Ihm? Sind wir damit einverstanden, dass Er sich umgürtet und dadurch, dass Er unsere Füße wäscht, alles entfernt, was uns unpassend macht sowohl für Ihn selbst als auch für seine Gemeinschaft? Ich stelle diese Fragen, weil Christus in diesem Liebesdienst nichts übersieht. Dies ist sehr ernst. Ich glaube nicht (ich bekenne es offen), dass wir im Allgemeinen der durchdringenden und heiligenden Kraft des Wortes Gottes, wodurch selbst das Geringste in uns, das nicht mit Christus übereinstimmt, verurteilt und entfernt wird, unterworfen sind. Wir kennen alle eine Stelle der Schrift, die deutlich lehrt, was in dieser Hinsicht in das Herz eines jeden von uns eingegraben sein sollte: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer denn jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Zerteilung der Seele und des Geistes, der Gelenke und des Markes, und ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir zu tun haben“ (Heb 4,12–13).

Hier finden wir die göttliche Erklärung von der Art und Weise, in welcher der Herr alles wegnimmt, was für uns ein Hindernis ist, um Gemeinschaft mit Ihm zu haben. Er benutzt dazu Gottes Wort. Das Wort Gottes ist das Wasser; dieses Bild finden wir fast überall in der Schrift. Das Wort ist die reinigende Kraft, die alles wegnimmt, was für die Gegenwart des Herrn nicht passt. Wenn das lebendige Wort das Gewissen und die Seele erreicht und durchdringt, so bringt es uns in die Gegenwart Gottes; und durch dasselbe wird das Urteil Gottes auf alles in Anwendung gebracht, was sich in unserem Innern befindet. Auch sehen wir in dieser Stelle des Briefes an die Hebräer, wie völlig das fleischgewordene und das geschriebene Wort mit einander eins sind. „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam usw. ... und kein Geschöpf ist vor Ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir zu tun haben.“ Vor wessen Augen? Vor den Augen Gottes. Das, was von Gott wahr ist, ist auch wahr von seinem Wort, und die Vollkommenheiten Gottes, die durchdringende und lebendige Kraft des gesegneten Gottes, der die Herzen und die Neigungen des Herzens prüft, werden auch seinem Wort zuerkannt. Ich weise mit umso mehr Nachdruck darauf hin, da ich fürchte, dass wir nicht genügsam von dem so großen Gewicht des Wortes überzeugt sind, noch von der Weise, in welcher es auf unser Gewissen wirken würde, wenn wir uns mehr seiner Wirksamkeit überließen. Nimmt das Wort Gottes in Wirklichkeit den Platz in unseren Seelen ein, den es bei den Heiligen früherer Zeiten besaß? Ich erkenne an, dass man gegenwärtig eine Vermehrung der Erkenntnis, selbst bis zu einer merkwürdigen Höhe, bei den Christen antrifft, aber ich frage, ob die Macht, die Gottes Wort vor etwa zwanzig Jahren auf die Seelen ausübte, noch in demselben Maße auf diejenigen wirkt, welche ernten, was andere gesät haben. Ich zweifle sehr daran, dass wir alle fühlen, wie herrlich es ist, jeden Gedanken, jeden Beweggrund, jede Tat der durchdringenden Kraft des lebendigen Wortes zu unterwerfen.

Wenn dieses nun also ist, kann es uns dann noch befremden, dass so viele Seelen keine Ruhe genießen? Es ist wohl zu begreifen, dass die Ruhe da fehlt, wo das Wasser nicht von allem reinigt, was mit der Gegenwart des Herrn unvereinbar ist; und es ist nur die Güte Gottes, dass Er uns keine Ruhe finden lässt, solange wir nicht im Stande sind, die Ruhe in seiner Gegenwart zu genießen.

Da ich hier von der Fußwaschung spreche, so will ich noch bemerken, dass wir die tiefe Bedeutung dieser Handlung nicht völlig verstehen, wenn wir den Herrn nur mit den Dingen beschäftigt sehen, welche geradezu mit seiner Gegenwart unvereinbar sind; denn unser teurer Heiland kommt vielen Dingen zuvor, die, wenn sie fortwirken und geduldet würden, die Gemeinschaft vernichteten. Wir nehmen die Tatsache an, dass der Herr in Gnade aufrichtet, dass Er die Füße wäscht, die verunreinigt sind; allein es gibt in unserem täglichen Leben Vorkommnisse, die wir aus einem anderen Gesichtspunkt betrachten würden, wenn unsere Herzen unter dem Eindruck wären, dass der Herr auch der Wirkung von Grundsätzen zuvorkommt, die ohne seine Dazwischenkunft eine Entfernung zwischen Ihm und uns hervorrufen würden.

Er kommt sowohl zuvor, als Er wegnimmt. Sagt Paulus uns nicht in 2. Korinther 12,7: „Und auf dass ich mich nicht durch die Überschwänglichkeit der Offenbarungen überhebe, ward mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel des Satans, dass er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe?“ Nichts hatte zu einer Entfernung zwischen Paulus und Christus Anlass gegeben. Das Fleisch hatte in Paulus nicht gewirkt, aber es war in ihm und bereit zu handeln. Die Quelle, woraus eine Scheidung zwischen Christus und ihm entstehen konnte, war vorhanden. Für den Menschen gibt es, selbst wenn er bis zum dritten Himmel entrückt worden ist, allezeit Veranlassungen, dass das Fleisch wirksam werde. Deshalb sagt der Apostel: „Auf dass ich mich nicht überhebe, ward mir ein Dorn für das Fleisch gegeben.“

Ich fürchte, dass dieser Gedanke nicht mit aller der Kraft auf unsere Herzen wirkt, die er ausüben sollte. Wir beschränken uns auf das Verlangen, dass die Trennung, nachdem sie bereits durch die Wirksamkeit des Fleisches hervorgebracht ist, wieder weggetan werde; und wir begehren so wenig, dass der Herr Mittel und Wege gebrauche, um der Scheidung zuvorzukommen. Wenn wir mehr davon erfüllt wären, welch ein Licht würde uns aufgehen über so viele Umstände unseres Lebens, über so viele Wege, die wir gegangen sind, über so viele Schwierigkeiten, Nöte, Verdrießlichkeiten, Betrübnisse und traurige Ereignisse, die wir so gerne anders gesehen hätten! Wir würden viel Heller sehen, wenn wir mehr von dem göttlichen Gefühl durchdrungen wären, dass Er, der zum Himmel hinaufgefahren ist, uns mit einer ewigen Liebe liebt, dass Er an uns denkt, dass Er weiß, dass in uns eine Natur ist, die in Versuchung kommen und in Tätigkeit gesetzt werden kann, um uns von Ihm zu entfernen, und dass Er genau den richtigen Augenblick kennt, wann Er dazwischentreten muss. Wie viel Licht würde uns das über so manchen dunklen Tag geben! Welch eine Liebe, die nicht allein herabsteigt, um uns von jedem schon vorhandenen Flecken zu reinigen, sondern die auch der Wirksamkeit der bösen Natur in uns zuvorkommt, welche uns von Ihm entfernen würde! Er verhindert dieses und schenkt uns das Vorrecht, in der Gemeinschaft Gottes zu lernen, was das Fleisch ist, so dass wir nicht genötigt sind, in der Gemeinschaft des Teufels diese Kenntnis zu erlangen; denn auf einem dieser beiden Wege müssen wir das Fleisch kennen lernen. Wenn du nicht, wie Paulus, mit Gott erfährst, was du bist, so wirst du es, wie Petrus, mit dem Teufel lernen. Wie ernst ist das! Doch für Paulus war es die vorsorgende Liebe des Herrn: „Ein Dorn für das Fleisch ist mir gegeben.“

Weißt du jetzt, was es heißt, passend zu sein für die Gemeinschaft mit dem Herrn? Wenn jemand sagt: „Ich bin allezeit glücklich“, so kann dies wahr sein; aber das ist es nicht, was Johannes 13 uns zeigt; denn hier handelt es sich um die Waschung der Füße, um passend zu sein für die Gegenwart Gottes, so dass alles, was nicht in diese Gegenwart gehört und uns beunruhigen könnte, völlig entfernt wird. Sobald meine Füße gewaschen sind, gibt es kein Hindernis mehr, um in völliger Gemeinschaft mit Ihm zu sein, dort wo Er jetzt ist, und um die Ruhe zu genießen, welche die Folge davon ist. Ich glaube, dass der Mangel an Ruhe bei den Gläubigen daherkommt, dass ihre Füße nicht gewaschen sind, um mit Christus Teil haben zu können. Es ist ein Abstand, eine Entfernung zwischen ihnen und Christus vorhanden. Ist dies auch mit dir der Fall? Es ist nur sehr wenig nötig, um eine Entfernung hervorzurufen. Auch können wir – und das ist eine sehr ernste Sache – unsere Füße aus den gesegneten Händen des Herrn zurückziehen und Ihn eine Zeitlang verhindern, sie zu waschen und das Wort auf uns in Anwendung zu bringen; wir können der Wirksamkeit seiner Liebe widerstreben, so dass der Abstand zwischen uns und Ihm bestehen bleibt. Dann muss Er uns auf andere Weise belehren. Doch welch eine wunderbare Tätigkeit zu Gunsten solch armer Geschöpfe! Welch eine Gnade, die sich herablässt, unsere Füße von allem, selbst von den kleinsten Flecken, zu reinigen! Seine vollkommene Liebe zeigt sich auch darin, dass Er nichts vorbeischlüpfen lässt. Unsere Eigenliebe offenbart sich oft darin, dass wir vieles gar nicht beachten. Aber seine Liebe hält nichts für zu gering. Die Eigenliebe bewegt sich um sich selbst; die Liebe beschäftigt sich mit einem Gegenstand außer sich und opfert sich für denselben auf. Sie sinnt auf das Beste desselben und erlaubt nicht, dass das Geringste an ihm hafte, das nicht ihrer Zuneigung entspricht. Und warum? Um die Freude zu genießen, den Gegenstand so zu besitzen, wie sie ihn wünscht. Wer kann über die Freude des Herzens Jesu reden? Wer kennt auch nur in geringem Maß diese Freude – seine Freude, uns dort bei sich zu haben, und zwar so, dass wir mit Ihm in Gemeinschaft sein können? Haben wir verstanden, dass die Freude des Herrn, uns dorthin versetzen zu können, wo Er mit uns Gemeinschaft zu haben vermag, größer und inniger ist, als die unsrige sein kann, dort bei Ihm zu weilen? Das ist die tiefe Bedeutung der so einfachen Handlung in Johannes 13.

Ich komme mit Nachdruck hierauf zurück, weil man in unseren Tagen der äußerlichen Tätigkeit Gefahr läuft, das zu vergessen, was wir dem Herrn Jesus schuldig sind. Ich halte mich für überzeugt, dass das, was Christus in diesen Tagen von den Seinen wünscht, nicht ist, sich durch große Dinge zu unterscheiden und Heldentaten zu verrichten, sondern Zeugnis abzulegen von seiner Allgenügsamkeit und Kraft, alles für sie zu tun, und auch andere ermüdete und beladene Seelen zu ermuntern, auf diese Gnade und Kraft in Christus völlig zu vertrauen. Ja, Er allein vermag unsere Herzen ganz zu erfüllen und passend zu machen, um von Ihm zu genießen an dem Platz der Herrlichkeit, wo Er ihre ewige Freude und Ruhe ist. Möchten wir uns stets vor Ihm befinden mit seinem teuren Wort, um durch dasselbe die geheimen Triebfedern unserer Herzen zu untersuchen und so die vollkommene Ruhe zu genießen, welche die Folge davon ist! Fürchten wir uns nicht, jeden Gedanken unseres Herzens, jede Bewegung unserer Seele dem Wort zu unterwerfen; fürchten wir uns aber vor allem, was uns von demselben entfernt halt und im Stande ist, uns seiner reinigenden Kraft zu entziehen! Fürchten wir uns nimmer vor der Liebe, die sich mit dem beschäftigt, was für uns das Beste ist! Und das tut die Liebe Jesu. Der Wunsch seines Herzens ist, uns zu segnen. Wir sind die Gegenstände seiner Liebe, und Er wünscht uns so zu bilden, dass seine Freude in uns bleiben kann, auf dass unsere Freude völlig sei. Wir werden erfahren, dass wir auf diesem Weg Ruhe finden werden; denn alles, was diese Ruhe verhinderte, wird entfernt sein. Johannes lag an der Brust Jesu. Haben wir unser Haupt jemals an seine Brust gelegt, um dort zu ruhen? Haben wir das Bewusstsein, dass Er unsere Füße gewaschen hat, um dazu fähig zu sein? Das Eine muss dem Anderen notwendig vorangehen. Welch ein gesegneter Platz für eine ermüdete Seele!

Ohne Zweifel sind diese Dinge bildlich; allein, wenn ich mich an der einfachen Erzählung der Schrift halte, dann verstehe ich unter dem Legen unseres Hauptes an die Brust Jesu unsere Gemeinschaft und unsere Vertraulichkeit mit Ihm, in der Weise, dass Er die vollkommene Ruhe unseres Herzens ist. Nicht das, was wir von Ihm empfangen, sondern Er selbst ist unsere Ruhe. Befindet sich etwas zwischen uns und Christus, so können wir, solange dieses nicht hinweggeräumt ist, keine Ruhe haben; denn in einem solchen Zustand fürchtet unser Herz die Gegenwart des Herrn, durch welche das, was uns von. Ihm trennt, ans Licht gebracht wird. Darum sehen wir leider nur so wenige, die im Stande sind, mit Jesu und mit Gott allein zu sein. Um nicht das Alleinsein mit Gott zu fürchten, muss alles zwischen uns und Ihm in Ordnung sein. Als Jakob allein gelassen wurde, rang ein Mann mit ihm bis zum Anbruch des Tages. Als Josephe nachdem er alle hatte hinausgehen heißen, mit seinen Brüdern allein zurückgeblieben war, gab er sich ihnen zu erkennen; niemand war gegenwärtig. Ich kenne den Grund, warum so viele Seelen in allem, was sie umringt, Ableitung suchen, sehr wohl: sie wollen vermeiden, mit Christus oder mit Gott allein zu sein. Wenn nichts zwischen uns und Christus ist, so können wir allein mit Ihm sein uni in seiner Gemeinschaft Ruhe finden. Seine Gegenwart ist dann die Ruhe unseres Herzens.

In Lukas 7 finden wir zwei Dinge, an denen wir eine aufrichtige Seele erkennen können: 1. Ich muss Ihn finden und nahe bei Ihm sein, und 2. Er muss mein alles sein. Wenn ich von unserem Nahesein bei Christus spreche so meine ich damit, dort bei Ihm zu sein, wo Er ist. Wenn unser Herz den Segen der Gemeinschaft mit Christus dort, wo Er ist, genießt, dann können wir den Blick rückwärtsrichten und sagen: „Ich bin unabhängig von den Dingen der Erde.“ Wenn wir besitzen, was droben ist, so wenden wir uns von allem ab, was uns umringt und nur ein Schatten der bleibenden Güter ist. Die Menschen beschäftigen sich mit irdischen Gütern, weil sie das wahre Gut nicht besitzen. Wenn sie es besäßen, so würden sie auch wissen, was mit demselben im Widerspruch steht, und jene Dinge nicht begehren.

Wenn Christi Teil das unsrige ist, so bleiben wir in seiner Nähe; dann ist seine Gegenwart die Ruhe unserer Seele, dann kennt unser Herz die Ruhe, die dort herrscht. Von dieser Ruhe spricht der 23. Psalm. Er meint nicht die irdischen Triften, denn hienieden gibt es keine „grünen Auen.“ Diese finden wir nur im Himmel, und auch „die Wasser der Ruhe“ fließen hienieden nicht. Nein, inmitten der Wirbel und Stürme der irdischen Dinge gibt es keine Ruhe. Aber von dem Augenblick an, dass mein Herz die Gemeinschaft mit Jesu kennt und nichts mich verhindert, dieselbe zu genießen, kann ich mich von allen Dingen der Erde, selbst von den besten, abwenden und sehe Zugleich die Listen und Fallstricke des Teufels vor mir bloßgelegt. Und weshalb? Weil ich das beste Gut besitze, welches mein Herz gegen alles stärkt, was nicht in Übereinstimmung mit demselben ist, und nur dies allein kann mir genügen.

Und überdies befinden wir uns, wenn wir nahe bei Christus sind und seine Gemeinschaft genießen, an dem rechten Platze, um seine Gedanken zu kennen. Wir lesen in Vers 21–25: „Als Jesus dies gesagt hatte, wurde er im Geist erschüttert und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass einer von euch mich überliefern wird. Da blickten die Jünger sich einander an, zweifelnd, von wem er rede. Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch in dem Schoß Jesu. Diesem nun winkt Simon Petrus, damit er forschen möchte, wer es wohl wäre, von welchem er rede. Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu ihm: ‚Herr, wer ist es?‘“ Dort war Vertrauen und Ruhe, um die vertrauliche Antwort zu empfangen. Was kann einfacher, was glücklicher sein? Demjenigen, der sich am nächsten bei Jesu befindet, erkennen die Übrigen das Recht zu, die innige Vertraulichkeit eines Freundes zu besitzen. Petrus bedient sich aus einiger Entfernung der Nähe, in der sich Johannes befindet, um nicht allein die Zweifel seines Herzens und die der übrigen Jünger zu beschwichtigen, sondern auch um die Geheimnisse des Herzens Jesu kennen zu lernen. Petrus wusste, dass derjenige, welcher in dem Schoß Jesu lag, im Stande war, die Geheimnisse jenes Herzens kennen zu lernen und die Mitteilung derselben zu empfangen. Geliebte Freunde! Dies ist von der höchsten Wichtigkeit. Der Herr gibt uns keine Mitteilungen aus einer gewissen Entfernung. Wenn wir von Christus entfernt sind, so können wir weder seine Geheimnisse, noch seine Wünsche kennen. Ich sage nicht, dass Er uns nicht liebhat; allein was sein Herz in Bezug auf uns beschäftigt, wenn wir von Ihm uns entfernt haben, ist, uns wirklich so nahe zu sich zu bringen, dass Er die Freude genießen kann, uns Mitteilungen zu machen; denn darin hat Er seine Wonne. Die übrigen Jünger waren nicht nahe genug bei Christus, um seine Geheimnisse kennen zu lernen. Johannes aber war es, und er hatte außerdem Vertrauen genug, um zu fragen: „Herr, wer ist es?“ Er war ruhig genug, um die Antwort Jesu hören zu können. Da war Nähe, Vertrauen und Ruhe. Kennen wir diese auch? Ich weiß durch mein eigenes Herz, dass wir dem Herrn oft etwas mitzuteilen haben; aber sehr selten genießen wir genügenden Frieden und befinden uns so nahe bei Ihm, dass Er uns Mitteilungen machen kann. Ja, wie selten ist das der Fall, und ach, wie wenig scheinen wir zu wissen, dass Er danach verlangt, uns nahe bei sich zu haben, damit sein Herz die Freude genieße, uns zu zeigen, welch eine Liebe es für uns fühlt und wie es nichts von derselben zurückhält. Möchte der Herr uns diesen Frieden der Seele, diese Ruhe des Herzens und dieses geöffnete Ohr schenken, um die Mitteilungen empfangen zu können, welche sein Herz allen, die in seiner Nähe sind, zu machen wünscht!

Ich möchte zum Schluss die Aufmerksamkeit des Lesers noch kurz auf eine Stelle im 21. Kapitel desselben Evangeliums richten. Wir lesen dort im 7. Verse: „Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: ‚Es ist der Herr.‘“ Wir sehen daraus, dass das Nahesein bei dem Herrn noch eine andere Folge hat: man kann seine Handlungen verstehen, da man die Person kennt, welche handelt; die Kenntnis von Ihm, der die Handlung ausführt, verbindet dieselbe mit seiner Person.

Der Zweck, weshalb wir die Gemeinschaft mit Jesu suchen, sollte jedoch nicht sein, um Mitteilungen von Ihm zu empfangen, noch um sagen zu können: „Es ist der Herr.“ Es sollte uns um seine Person zu tun sein, ohne jeden anderen Beweggrund; wir sollten unser Haupt an die Brust dessen legen, der uns dort zu sehen wünscht, und zwar nur aus Liebe zu seiner Person. Geben wir auch nicht dem Gedanken Raum, dass unter Gottes Hausgenossen ein Kind dem Anderen vorgezogen wird, dass es dort Bevorrechtete gibt. Der Platz der Vertraulichkeit ist für alle offen, und für alle ist Raum vorhanden. Das Herz und die Zuneigungen Christi sind für alle die Seinen; alle werden eingeladen, dort zu ruhen. Möge der Herr in diesen Tagen des fieberhaften Jagens und Treibens, worin der Geist des Menschen sich mehr mit der Vielheit als mit der Beschaffenheit beschäftigt, uns tief fühlen lassen, was dem Herzen Christi, was seiner Liebe entspricht. Möge Er uns verstehen lassen, was mit der Höhe unserer Berufung übereinstimmt! Möge Er uns auf unserem vielleicht einsamen und unscheinbaren Pfad immer mehr zubereiten für die Zuneigungen, das Mitgefühl und das Begehren des Herzens dessen, der sich selbst für uns dahingegeben hat!

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