Botschafter des Heils in Christo 1878

Das Buch der Erfahrung - Teil 2/5

„Nach meiner sehnlichen Erwartung und Hoffnung, dass ich in nichts werde zu Schanden werden, sondern mit aller Freimütigkeit wie allezeit, so auch jetzt, Christus werde hoch erhoben werden an meinem Leib, sei es durch Leben oder durch Tod.“ Wir sehen hieraus, dass der Gedanke an eine Vollkommenheit im Fleisch nur Torheit ist, denn Paulus erwartete, Christus in der Herrlichkeit ähnlich zu sein. Das Herz ist immer auf seinem rechten Platz, wenn es sagen kann: „Das Leben ist für mich Christus.“ Paulus hatte keinen anderen Gegenstand als Christus. Tag für Tag war Christus der Beweggrund seines Wandels; Er war der Gegenstand und der Charakter desselben. Auf seinem ganzen Weg war Christus durch die Macht des Geistes Gottes sein Leben, so dass der Hass der Menschen und des Satans keine Macht über ihn hatte. Das Ich war praktischerweise verschwunden. Dachte er an sich selbst, so wusste er nicht, was er wählen sollte, ob hingehen und bei Christus ruhen, oder bleiben und dienen. Bei Christus zu sein, war weit besser; aber dann konnte er nicht länger für Ihn tätig sein. So war das Ich als Triebfeder verschwunden, und Paulus rechnete hinsichtlich der Versammlung auf Christus; doch sobald er erkennt, dass das Bleiben im Fleisch nötiger ist um ihretwillen, so sagt er: „Und in dieser Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei und mit euch allen bleiben werde zu eurer Förderung und Freude im Glauben.“ Er selbst entscheidet sein Unheil vor Nero. Wenn er an sich dachte, so wusste er nicht, was er wählen sollte; wenn er aber an diejenigen dachte, die Christus teuer waren und seiner Anwesenheit bedurften, so sagte er: „Ich weiß, dass ich bleiben werde.“

Der Herr gebe, geliebte Brüder, dass Er unser einziger Gegenstand sei, und wir uns nie von demselben abwenden lassen, damit wir sagen können: „Eins tue ich.“ Er schenke uns Gnade, die wahren Briefe Christi zu sein, bis Er kommt. Welch ein glänzendes und gesegnetes Zeugnis würde alsdann die Versammlung Gottes sein! Wenn wir weniger Kampf und Furcht haben als Paulus, so hat dies seinen Grund darin, dass wir weniger Energie besitzen. Kapitel 2

Bevor ich in das 2. Kapitel naher eingehe, möchte ich zuerst noch einige Worte über die letzten Verse des ersten Kapitels sagen. „Und in nichts euch erschrecken lasst von den Widersachern, was für sie ist ein Beweis des Verderbens, aber eures Heils, und das von Gott; denn euch ist es in Bezug auf Christus gegeben, nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden.“

Der Apostel will die Philipper nicht nur vor dem Erschrecken im Blick auf die Widersacher schützen, sondern er zeigt ihnen auch, dass der Kampf der naturgemäße Zustand des Christen sei: „da ihr denselben Kampf habt, den ihr an mir gesehen und jetzt von mir hört.“ Die Philipper befanden sich in einer bestimmten Prüfung; allein das ganze christliche Leben ist ein Leben des Kampfes mit Satan. Nicht als ob dies stets ein Gegenstand unserer Gedanken sein müsse, wenn wir anders mit der ganzen Waffenrüstung Gottes bekleidet sind; wenn wir aber nicht in dem Bewusstsein des Sieges Christi stehen, so laufen wir Gefahr, erschreckt zu werden. Obwohl wir diesen Kampf nicht wie Paulus und die Philipper kennen, so kennen wir doch ein wenig davon. Wenn dem Satan widerstanden wird, so ist Christus im Kampfs; und wir wissen, dass Er ihn gebunden und vollständig überwunden hat. Daher sagt Jakobus: „Widersteht dem Teufel, und er wird von euch fliehen“ (Jak 4,7). Wenn wir mit Christus wandeln, so ist anscheinend die Macht von Seiten Satans und der Welt viel größer, als auf der unsrigen; doch alle diese Macht ist nichts: wir lassen uns täuschen, wenn wir durch sie erschreckt werden.

Wenn auch die Mauern einer Stadt bis an den Himmel reichen, was hat es zu bedeuten, wenn sie zusammenstürzen und man auf ihren Trümmern hineingehen kann? Beachten wir, geliebte Freunde, dass die Schwierigkeiten nicht in Betracht kommen, wie wir dies bei Petrus sehen, als er auf dem See wandelte. Er wandelte auf dem Wasser, um zu Jesu zu gelangen, als er aber den starken Wind sah, erschrak er. Doch wenn selbst der See so ruhig gewesen wäre wie ein Mühlteich, so hätte er doch nicht darauf wandeln können; man hat nie von einem Menschen gehört, der fähig gewesen wäre, auf irgendwelchem Wasser zu wandeln. Petrus irrte sich gänzlich in Betreff des Gegenstandes, auf den er blickte. Woran wir zu denken haben, ist, dass Christus den Satan gebunden hat und ihn nun seiner Güter berauben kann. Vielleicht erlaubt Er dem Satan, etliche ins Gefängnis zu werfen, auf dass sie geprüft werden; allein Satan gewinnt nichts dadurch; wenn er einem Menschen begegnet, der mit Christus wandelt, so hat er durchaus keine Gewalt über ihn. Wir mögen zu leiden haben; allein das ist es eben, was Gott „gegeben“ hat, wie wir bei Mose sehen, welcher – der Apostel sagt nicht „die Schmach“, sondern – „die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt, als die Schätze Ägyptens“ (Heb 11,24–26). Es ist ganz dasselbe, ob der See stürmisch oder ruhig ist: wir sinken, wenn Christus nicht bei uns ist, und wir wandeln auf dem Wasser, wenn Er es ist.

Doch wenden wir uns jetzt zum zweiten Kapitel. Die Gnade, welche uns mit Christus verbindet, ist bewundernswürdig; wir sind berufen, dieselbe Gesinnung zu haben, die in Ihm war. In diesem Kapitel wird uns die Niedriggesinntheit des christlichen Lebens vorgestellt und im Folgenden die Energie desselben. Hier handelt es sich darum, dem Vorbild Christi nachzufolgen, es handelt sich um eine Niedriggesinntheit, die sich kundgibt in der Achtung und völligen Rücksicht gegen andere, sowie in dem liebevollen und sanftmütigen Verhalten in Bezug auf die Dinge des täglichen Lebens. Deshalb sagt der Apostel zu den Philippern, dass er den Timotheus noch bei sich behalten, ihn aber sofort zu ihnen senden wolle, wenn er wisse, wie sich seine Umstände gestalten würden; denn in allem, was ihn betraf, rechnete er auf ihr völliges Interesse. Jedoch wollte er Epaphroditus nicht zurückbehalten, sondern ihn zu ihnen senden; denn er war krank gewesen, und die Philipper hatten es gehört und waren seinetwegen sehr besorgt. Er hatte die Gefühle eines Kindes, das in der Fremde ist und denkt: Wie wird sich meine Mutter ängstigen, wenn sie hört, dass ich so krank bin! Paulus wollte Epaphroditus hinsenden, damit die Philipper ihn sehen und sich freuen möchten. Welch eine zarte Rücksicht und Aufmerksamkeit, welch eine völlige Sorgfalt für andere gewahrt man bei Paulus sogar in den kleinsten Dingen! Selbst die Welt kann die Schönheit einer solchen Handlungsweise erkennen; ihre Selbstsucht erfreut sich dann.

Die Philipper hatten durch ihre Sorge für Paulus das, wovon er im ersten Verse spricht, an den Tag gelegt; doch waren sie nicht völlig in Christus vereinigt. Allein der Apostel will, angesichts all ihrer Liebe zu ihm, nicht mit einem Vorwurf kommen. Er sagt: Ich sehe, wie besorgt ihr für mich seid; wenn ihr mich aber ganz glücklich machen wollt, so seid einerlei gesinnt – „erfüllt meine Freude.“ Er tadelt sie auf die zarteste Weise, er gibt ihnen einen leisen Wink; denn sie bedurften der Ermahnung. Dann zeigt er ferner, auf welcher Grundlage diese Einheit der Gesinnung beruht: „in der Demut einer den anderen höher achtend, als sich selbst.“ In einem gewissen Sinne scheint dieses unmöglich zu sein. Denn wenn jemand besser ist als ich, so ist es augenscheinlich, dass ich nicht besser sein kann, als er. Ist aber das Herz wirklich demütig, wandle ich mit Christus und finde, meine Wonne an Ihm, so betrachte ich mich als ein armes schwaches Geschöpf, das sich mit nichts anderem als mit der Gnade Christi zu beschäftigen hat und in sich selbst nur Fehler erblickt; die ganze Fülle der Gnade sehe ich in Christus und indem ich sie sehe und sogar von ihr Gebrauch mache, fühle ich, welch elendes Werkzeug ich bin, indem das Fleisch das Gefäß hindert, schwächt und das Licht nicht ausstrahlen lässt. Blicke ich aber auf meinen Bruder, so sehe ich alle die Gnade, die Christus über ihn ausgegossen hat. Der Christ sieht Christus und alle guten Eigenschaften in seinem Bruder. Sogar zu den Korinthern, deren Wandel so anstößig war, konnte Paulus sagen: „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus“ (1. Kor 1,4). Er erkennt zuerst all das Gute unter ihnen an, die Liebe erwähnte es; und auf diese Weise gewann Paulus ihre Herzen, um auf die Zurechtweisungen zu horchen. Ich erblicke die Gnade in meinem Bruder und nicht das Böse, das in seinem Herzen vorgeht, aber ich sehe es in meinem eignen Herzen. Als Mose vom Berg herniederkam, wusste er nicht, dass sein Angesicht glänzte. Was demselben seinen Glanz verlieh, war nicht, dass Mose sein eigenes Angesicht sah, (wir wissen wohl, dass er dieses nicht vermochte) sondern dass er die Herrlichkeit Gottes anschaute; diese strahlt in dem Maß von uns aus, als wir sie unverrückt betrachten. Bei meinem Bruder sehe ich alle Güte, alle Gnade, allen Mut, alle Treue, und bei mir alle Fehler. Wie schon vorhin bemerkt, kann ich selbstredend nicht besser sein als er, wenn er besser ist als ich; allein es handelt sich hier um den Geist, in welchem ein Christ wandelt. Keine Parteisucht, keine eitle Ehre ist vorhanden, und es kann nicht anders sein, wenn das Herz auf Christus gerichtet ist. Auf diese Weise werde ich vor einer falschen Wertschätzung meiner selbst bewahrt, denn wenn ich auf die Gnade blicke, so sehe ich Christus. Ohne Zweifel muss ich zuweilen auf mich selbst blicken und mich richten; am besten aber ist es, wenn ich dieses gar nicht nötig habe. „In der Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst; ein jeder nicht auf das seinige sehend.“

Jetzt wendet sich der Apostel zu dem Grundsatz, auf dem dieses beruht. „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war.“ Hier wird uns der Pfad Christi von der Herrlichkeit der Gottheit bis zum Kreuz vorgestellt: Christus tat gerade das Gegenteil von dem, was der erste Adam tat: Er stieg fortwährend hinab. „Da Er in Gestalt Gottes war, achtete Er es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“; und nicht nur hat Er alles geduldig ertragen, sondern Er machte sich auch zu nichts. Er verließ die Gestalt Gottes „und ward in seiner Stellung wie ein Mensch erfunden“, und als Mensch erniedrigte Er sich selbst und nahm die Gestalt eines Knechtes an. Wiewohl Er in Gestalt eines Menschen kam, so strahlte doch die ganze moralische Herrlichkeit von Ihm aus: im Wort, im Werk, in der Gesinnung und in allen seinen Wegen; aber, nachdem Er sich der Herrlichkeit entäußert hatte, stieg Er in Niedriggesinntheit immer tiefer hinab, bis es keinen niedrigeren Platz mehr gab. „Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass Er, da Er reich war, um euretwillen arm wurde, auf dass ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor 8,9).

In der Erniedrigung des Herrn gibt es zwei Stufen. Erstens, Er entäußerte sich der Gestalt Gottes; zweitens, da Er in Gleichheit eines Menschen erfunden wurde, erniedrigte Er sich selbst und ward gehorsam. Nichts zeigt mehr Demut, wie der Gehorsam; denn wenn wir gehorsam sind, so haben wir durchaus keinen eigenen Willen; und Er war nicht nur gehorsam, sondern gehorsam bis zum Tod; Er hat nicht nur den Willen, sondern sich selbst völlig aufgegeben, und nicht nur bis zum Tod, sondern bis zum Tod des Kreuzes – eine Art der Hinrichtung, welche zu jener Zeit nur bei Sklaven und Missetätern angewandt wurde. Christus ging geraden Laufs von der Gestalt Gottes hinab bis zum Tod; der ganze Weg war Gehorsam und Erniedrigung – in allem im Gegensatz zu dem ersten Adam. Dieser war nicht in der Gestalt Gottes, aber er erhob sich, um Göttern gleich zu sein, und war ungehorsam bis zum Tod – genau das Gegenteil von Christus in dem Geist und dem Charakter seiner Wege. Und wie Gott gesagt hat: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“, so ward Adam erniedrigt, weil er sich erhöht hatte. Christus aber wartete, bis Gott Ihn erhöhte; Er erniedrigte sich selbst, und darum hat Ihn Gott auch hoch erhoben. Er hat Ihn als Mensch über alle Werke seiner Hände gesetzt; daher lesen wir: „Ein Gott, der Vater ... und ein Herr, Jesus Christus“ (1. Kor 8,6). Es handelt sich hier nicht um die Natur des Herrn, sondern um den Platz, zu dem Er erhoben wurde. Gott hat alles unter seine Füße als Mensch gestellt. Alle Dinge sind durch Ihn und für Ihn erschaffen worden, aber Er wird sie alle als Mensch besitzen und als solcher sich Miterben zugesellen. Als Mensch ist Er Erbe aller Dinge, und alle Gläubigen sind seine Miterben. Der Brief an die Kolosser zeigt Ihn uns als Schöpfer, als Sohn Gottes, als Sohn des Menschen und als Erlöser; dieser letztere Titel gibt Ihm ein Recht über alles. Alle Dinge werden durch Ihn versöhnt werden; ich sage nicht gerechtfertigt, weil sie nicht gesündigt haben; aber sie sind alle verunreinigt, und wenn Er sie alle versöhnt haben wird, setzt Er uns als seine Miterben ein. Wir sind gleich Eva, die nicht eins der verschiedenen Tiere war, denen Adam Namen gab, noch Herr wie Adam, noch dasjenige, worüber er Herr war, sondern eine Gehilfin oder eine Gefährtin, um mit ihm über die Dinge zu herrschen. Unter seinem vierten Titel, dem des Erlösers, wird Christus, wiewohl alle diese Titel in seiner Person vereinigt bleiben, die Schöpfung zu einem ungetrübten Glücke führen. Dies wird unfehlbar in Erfüllung gehen; wir aber kennen die Erlösung schon. „Er hat euch versöhnt“ (Kol 1,21). Die Erlösung ist vollbracht, obwohl deren Ergebnisse noch nicht in die Erscheinung getreten sind, wie gesagt ist: „Auf dass wir eine gewisse Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe seien“ (Jak 1,18).

Dann teilt uns der Apostel mit, dass in uns dieselbe Gesinnung sein soll, die in Christus war. Gott hatte Ihm einen Leib zubereitet (Heb 10,5), oder wie es an einer anderen Stelle heißt, „die Ohren bereitet“ (buchstäblich: „gegraben“) (Ps 40,6). Als Mensch nahm Er den Platz eines Dieners ein. Er, die Fülle der Gottheit, kam in diesem Leib und offenbarte in demselben den vollkommenen Gehorsam; und jetzt hat Ihn Gott hoch erhoben zu seiner Rechten. Er ist zuerst dort eingegangen; wir sind noch nicht dort, wir sind auf der Erde zurückgelassen, um hienieden so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Es ist gesegnet, den Platz zu sehen, den Er einnahm. Sein Pfad führte stets abwärts und offenbarte eine Gesinnung, die auch in uns sein soll. Darum sagt Gott: „Auf dass in dem Namen Jesu jegliches Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen.“ Selbst die höllischen Wesen werden gezwungen sein, sein Recht auf die Herrlichkeit anzuerkennen. In diesem Charakter als Erhöhter werden sie ihre Knie vor Ihm beugen müssen.

Der erste Adam wurde nicht eher das Haupt eines Geschlechts, bis er gesündigt hatte, und Christus wurde nicht eher das Haupt eines neuen Geschlechts, bis Er die Erlösung vollbracht und Haupt der Gerechtigkeit geworden war. Gleichwie Adam ins Paradies eintrat, so trat Christus in die Welt ein; ein jeder von ihnen begann ein Geschlecht. Die Sünde erfüllte sich, und damit endete das Geschlecht des Einen, die Gerechtigkeit erfüllte sich, und damit begann das Geschlecht des Anderen.

Wenn wir vom Erniedrigen sprechen, so meinen wir das Freiwerden von dem Stolz in uns. Und das ist es gerade, was der Christ lernt und was dem Fleisch nicht gefällt. Durch einen Rest von Hofstolz geleitet, tötete Mose den Ägypter. Dies aber genügte Satan nicht; entweder sollte er den Platz ganz einnehmen oder gar nicht. Die Waffen dieser Welt taugen nicht für die Kämpfe Jehovas; Mose floh, und anstatt zu kämpfen, hütete er die Schafe 40 Jahre lang, und als ihn Gott dann sandte, vermochte er nicht zu gehen; er fiel von einem Extrem ins andere. In den Einzelheiten unseres Wandels ist es stets unser Platz zu warten, bis Gott uns erhöht, wie jener Mensch, der sich unten an den Tisch setzte, und dem gesagt ward: „Freund, rücke höher hinauf“ (Lk 14,7 ff). Wenn wir mit dem untersten Platze zufrieden sind, werden wir uns tausenderlei Kränkungen ersparen, die wir sonst erfahren müssten.

Wir kommen jetzt zu einer Stelle, welche manche Seelen beunruhigt, doch ohne Grund, wie wir sehen werden: „Daher, meine Geliebten, gleich wie ihr allezeit gehorsam gewesen ... bewirkt eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Wirken, nach seinem Wohlgefallen.“ Der Irrtum, in den man fällt, besteht darin, dass man unser Wirken dem Wirken Gottes gegenüberstellt, während hier das Wirken des Paulus und das der Philipper einander gegenübergestellt wird. Durch den Verlust des Apostels hatten sie Gott nicht verloren, welcher wirksam war. Paulus sagte: Jetzt, da ich abwesend bin, bewirkt ihr eure eigene Seligkeit. Bis dahin hatte er es für sie getan; er war in apostolischer Sorge den listigen Anläufen Satans entgegengetreten; sein Geist der Weisheit hatte ihnen mitgeteilt, wie sie sich zu verhalten hatten. Jetzt sagt er: Meine Abwesenheit ändert nichts an der gegenwärtigen Macht der Gnade, Gott selbst wirkt in euch. „Daher, meine Geliebten, gleich wie ihr allezeit gehorsam gewesen, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirkt eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern.“ Sie mussten jetzt dem Feind begegnen, ohne Paulus als ihren Anführer an der Spitze zu haben. Aber was tut dies zur Sache, sagt der Apostel: „Bewirkt eure eigene Seligkeit.“ – Wir werden stets geringer, wenn Gott in uns wirkt.

Das zweite Kapsel stellt uns den Charakter des demütigen Wandels Christi vor Augen; der Herr erniedrigte sich fort und fort, bis ans Ende. Das dritte Kapitel zeigt uns die Kraft und Energie des Lebens mit Christus und als dessen Ziel die Herrlichkeit. Der Zweck ist, genau den Charakter Christi hervorzubringen: „Tut alles ohne Murren und Wortstreit, auf dass ihr tadellos und lauter seid, unbescholtene Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, unter welchem ihr scheint wie Lichter in der Welt, darstellend das Wort des Lebens.“ Diese Worte sind eine genaue Beschreibung von Christus selbst; jeder einzelne Ausdruck dieser Stelle führt uns Christus vor Augen; Er war alles dieses, und wir sollen genau dasselbe sein. Wie völlig wird das Ich niedergehalten, während Gott in Gnade in uns wirkt! Es wird gerade das hervorgebracht, was Christus war: Er erniedrigte sich beständig selbst und war also tadellos und lauter, der unbescholtene Sohn Gottes, der Ausdruck der göttlichen Gnade, während weder eigener Wille noch menschliche Erhebung, sondern das Gegenteil vorhanden war. Wir sehen hier die vollkommene Schönheit und Segnung dieses göttlichen Lebens. Es ist nicht die Energie desselben, wie in dem folgenden Kapitel, sondern der Charakter des Gehorsams. Wohin irgend der Pfad des Gehorsams führte, dahin ging Christus. Nachdem Er die Gestalt eines Dieners angenommen hatte, bestand seine Vollkommenheit im Gehorchen. Wie ganz anders ist das Ergebnis bei einem Geschöpf, das wie Adam seinen eigenen Willen tut! Welch ein schrecklicher Anblick für die Engel, vor deren Augen sich die Zerstörung der Herrlichkeit Gottes in der Welt vollzieht! Nachdem aber diese Herrlichkeit durch uns zerstört war, kam Christus, und Gott wurde ein Schuldner des Menschen selbstredend (nicht unser Schuldner) für seine Herrlichkeit, sowie Er dessen Schuldner für seine Verunehrung gewesen war. Denn durch das Kreuz wurde Gott in seiner wahren Natur verherrlicht. Christus kam, und wir sehen, was die Sünde war: überlegte Feindschaft wider die Güte Gottes. Alles aber, was Gott ist, ist verherrlicht worden. Seine Majestät ist aufrechterhalten, seine ganze Wahrheit, seine Gerechtigkeit gegen die Sünde, seine vollkommene Liebe sind ans Licht gestellt worden. Das Hinwegtun unserer Sünden ist nur ein kleiner Teil der Herrlichkeit des Kreuzes; es ist die Grundlage der ewigen Herrlichkeit und Glückseligkeit.

Nicht nur nahm Christus die Gestalt eines Knechtes an, sondern Er will auch stets ein Knecht bleiben. Gleichwie Er nie aufhören wird, Mensch zu sein, so wird Er auch nie den wahren Platz des Menschen vor Gott verlassen. Christus nahm die Gestalt eines Menschen an und vollbrachte nach dem Vorbild des hebräischen Knechtes in 2. Mose 21 seine Dienstjahre auf der Erde. Er hätte als Mensch frei ausgehen, Er hätte zu seiner Befreiung zehn Legionen Engel haben können, aber Er machte keinen Gebrauch davon. Wenn der hebräische Knecht erklärte: „Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen“, so wurde sein Ohr mit einer Pfrieme an der Tür durchbohrt, und er war Knecht auf ewig. Ebenso auch Christus. Als der Herr in Johannes 13 im Begriff war, in die Herrlichkeit zu gehen, hätte man denken können, der Dienst habe jetzt ein Ende. Doch dem ist nicht also: Er steht auf aus ihrer Mitte, wo Er als ihr Genosse saß – Er steht auf, umgürtet sich und wäscht ihre Füße; und dieses tut Er auch jetzt. Er sagt: Ich kann nicht hienieden bei euch bleiben, aber ich will euch nicht verlassen; ihr müht jetzt da mit mir Teil haben, wo ich hingehe; wenn ich euch nicht rein genug mache für den Himmel, so könnt ihr dort kein Teil mit mir haben; deshalb sorgt Er dafür, dass unsere Füße rein sind.

Aus Lukas 12 lernen wir, dass der Herr in der Herrlichkeit seinen Dienst immer noch fortsetzt: „Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen und hinzutreten und sie bedienen“ (V 37). Hier haben wir seinen Dienst in der Herrlichkeit. Es ist seine Herrlichkeit in der Liebe, wiewohl in der Form des Dienstes. Nicht nur wird der Tisch im Himmel für uns gedeckt sein, sondern Christus selbst bedient uns an demselben; Er gibt den Dienst nie auf. Der Selbstsucht gefällt es, bedient zu werden, der Liebe gefällt es, zu dienen. So hört denn Christus nie auf zu dienen, weil Er nie aufhört zu lieben. Seine Liebe, welche sich im Dienst kundgibt, macht uns alles doppelt köstlich. Wenn ich „im Geist meiner Gesinnung“ Zu Gott gebracht worden bin, so kann ich mich wie Christus erniedrigen.

Wenn der Apostel davon redet, „unsere eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern zu bewirken“, so hat er weder unsere Rechtfertigung noch unsere Stellung vor Gott im Auge. Im Philipperbrief bedeutet die Seligkeit stets das Endresultat in der Herrlichkeit. Was war die Wirkung der Erlösung für Israel? Sie wurden nicht nach Kanaan versetzt, sondern mussten den Pfad durch die Wüste betreten. Woher sollten sie Nahrung bekommen, wer sollte ihnen den Sieg über ihre Feinde geben? Denn es wurden solche angetroffen auf dem Weg. Ich habe meinen Lauf zu vollenden, indem ich den Namen und Charakter Gottes aufrecht halte; Satan aber sucht mich daran zu verhindern, und deshalb ist Furcht und Zittern vorhanden. Ein Israelit in der Wüste war nie darüber im Zweifel, ob er in Ägypten sei oder nicht. Ein zweifelnder Christ weiß noch nicht, dass er errettet ist. Ein Israelit mochte einmal kein Manna sammeln und in Folge dessen an jenem Tag nichts zu essen haben, aber es kam ihm nie in den Sinn, dass er in Ägypten sei. Die Entfernung von Ägypten nach Kanaan betrug, wie wir im Anfang des fünften Buches Mose sehen, nur elf Tagereisen, allein die Kinder Israel reisten, bevor sie in die Ebenen Moabs kamen, 40 Jahre umher, mit Ausnahme des Jahres, das sie am Berg Sinai zubrachten; denn sie hatten zur Besitzergreifung des Landes weder Mut noch Glauben.

So sucht Satan uns auch jetzt zu verhindern. Wenn wir zur Betrachtung des Wortes Gottes irgendwo versammelt gewesen sind, so wird er schon auf dem Heimweg versuchen, uns den empfangenen Segen zu rauben. Er wird alles aufbieten, Stolz in uns zu erwecken und uns dadurch zu hindern, den Charakter Christi zu offenbaren. Sind wir überzeugt, dass es uns oblag, diesen Charakter Christi auf dem Pfad durch die Welt zu offenbaren, und dass Satan sich anstrengt, uns daran zu hindern, so werden wir den Ernst der Sache tief fühlen. Petrus sagt: „Wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht“ (1. Pet 1,17). Satan geht darauf aus, meine Füße zu besudeln oder mich zu veranlassen, Christus auf die schändlichste Weise zu verunehren. Ich bin im Kampf mit Satan, mit der Welt und mit meinem eigenen Ich; mit Gott aber bin ich in vollkommenem Frieden. Es ist durchaus falsch, das „Bewirken unserer Seligkeit“ mit unserem Verhältnis zu Gott zu vermengen. Dieses steht unerschütterlich fest; und mein Vertrauen zu Gott befähigt mich, voranzugehen und meine Seligkeit zu bewirken. Geliebte Brüder, inwieweit tun wir dieses? Die Erlösung ist vollendet; aber in wie weit machen wir nichts aus uns selbst und befleißigen uns, das zu offenbaren, was Christus hienieden war? Dieses wird naturgemäß hervorkommen, wenn ich mit Christus erfüllt bin. Ich rede hier nicht davon, dass wir dieses oder jenes tun sollen wie Christus, obwohl dies zuweilen auch der Fall sein kann; sondern es handelt sich um das, was der Apostel sagt: „Ein jeglicher, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleich wie Er rein ist“ (1. Joh 3,3).

Ich möchte hier noch eine Bemerkung machen. Durch das ganze Kapitel hindurch zieht sich der Geist der Gnade und der zarten Rücksicht für andere; er zeigt sich in seinen Einzelheiten in ausnehmend schöner Weise. Es ist außerordentlich köstlich zu sehen, dass dies alles seinen Fortgang hatte zu einer Zeit, wo die Kirche schon im Verfall war. „Denn alle suchen das Ihrige“, sagte der Apostel schon damals. Welch eine Unkenntnis verraten wir oft, wenn von dem wahren Zustand der ersten Kirche die Rede ist! Paulus sagte schon: „Alle suchen das Ihrige“, und später stand es noch weit schlechter. Ich erwähne dieses, weil darin etwas Tröstliches für uns liegt; denn der Apostel ermahnt die Heiligen, diesen Pfad der Hingebung und der Gnade zu verfolgen, trotz des sie umgebenden Zustandes. Etwas Ähnliches sehen wir bei Elias, als er in den Himmel entrückt wurde, ohne durch den Tod zu gehen, zu einer Zeit, da er außer sich selbst niemanden finden konnte, der nicht vor dem Baal die Knie gebeugt hätte, wiewohl Gott deren 7000 kannte und auch wusste, wo sie zu finden waren. Ebenso treten uns bei David herrlichere Dinge entgegen, als jemals in den Tagen Salomos. Dieser ging nach Gideon, wo die Bundeslade nicht war, um dort zu opfern, und niemals lehrte er die Israeliten, bei der Bundeslade in Zion zu singen: „Seine Güte währt ewiglich“ (Ps 136,1). Sein Herz war nie in dem Zustand, dass Gott es zu Lobgesängen über Christus stimmen konnte, wie dies bei David der Fall war.

Der Apostel ermahnt uns, nie mutlos zu werden, uns alles dessen, was gut ist, zu erfreuen. Wenn wir sehen, dass alle das Ihrige suchen, so sollten wir umso mehr trachten, Christus ähnlich zu sein. Welch ein Trost, dass das Haupt nie fehlen kann, wenn dies auch bei den Gliedern der Fall ist. Es ist unmöglich, dass ich mich in einer Lage befinde, in welcher Christus in all der Fülle seiner Macht und Gnade nicht genügend ist. Was wir bedürfen, ist in Demut zu seinen Füßen zu sitzen, zu den Füßen des Ratgebers unserer Herzen. Wenn wir mit Gott im Licht sind, so haben wir das Bewusstsein unseres Nichts, und wenn alle das Ihrige suchen, so tritt seine Gnade und Huld nur umso mehr hervor. – Der Herr gebe uns Gnade, auf Ihn zu blicken, der unser Leben und unsere Kraft ist! (Fortsetzung folgt)

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