Der Prophet Daniel und seine Botschaft
alter Titel: Notizen zum Buch Daniel

Kapitel 2 - Nebukadnezars Traum

Der Prophet Daniel und seine Botschaft

Einleitung

Kapitel 1 ist eine Einführung in das gesamte Buch Daniel. Es zeigt uns zum einen Nebukadnezar, den ersten großen Regenten in der „Zeit der Nationen“. Zum anderen sehen wir Daniel und seine Freunde, die ein Bild des treuen Überrestes der Juden sind. Treue ist das erste Merkmal dieser Männer Gottes. Sie wollen sich nicht mit den Dingen dieser Welt verunreinigen. In Kapitel 2 lernen wir, dass Gott Treue belohnt. Daniel bekommt Einsicht in die Gedanken Gottes im Blick auf seine Regierungswege mit den Nationen, denen die Herrschaft übergeben war. Gott gibt ihm eine außerordentliche Offenbarung und Daniel lernt das große Geheimnis von Nebukadnezars Traum kennen.

Kapitel 2 ist also einerseits die konsequente Fortsetzung von Kapitel 1, andererseits ist der Kontrast zwischen beiden Kapiteln augenfällig. Am Ende von Kapitel 1 finden wir Anerkennung und Lob. Kapitel 2 hingegen handelt von Ablehnung und Todesgefahr. Nebukadnezar zeigt sich von einer ganz anderen Seite und offenbart seinen Charakter als launischer und unberechenbarer orientalischer Despot. Wir lernen gleichzeitig, dass dem Gott des Himmels nichts aus dem Ruder läuft und Er jede Situation vollständig unter Kontrolle hält. Er bewahrt seinen Überrest und verherrlicht seinen Namen.

Beginn der eigentlichen Prophetie

Es erschließt sich jedem aufmerksamen Leser unmittelbar, dass mit Kapitel 2 der eigentliche prophetische Teil des Buches beginnt. Dieser Teil geht bis Kapitel 6. In Kapitel 7 beginnt dann ein neuer Teil, der sich wiederum mit Prophetie beschäftigt, aber unter einem etwas anderen Gesichtspunkt.

  • Die Kapitel 2–6 behandeln die Weltreiche und die Eigenschaften ihrer Führer. Dabei geht es mehr um die äußere Entwicklung und die damit in Verbindung stehenden Merkmale. Es fällt auf, dass in diesen Kapiteln keine einzige Vision zu finden ist, die Daniel selbst gehabt hätte. Ohnehin enthält dieser Teil nur zwei direkte Visionen – beide waren Nebukadnezar gegeben. Daniel deutet sie zwar, aber sie werden ihm nicht unmittelbar gegeben. Das ist gut zu verstehen, denn Gott hatte die Herrschaft in die Hände von Nebukadnezar gelegt. In den Kapiteln 3, 5 und 6 unterweist Gott uns dann durch geschichtliche Ereignisse und zeigt uns am Beispiel der ersten beiden Weltreiche den moralischen Zustand dieser Reiche.
  • Die Kapitel 7–12 zeigen nicht so sehr die nach außen erkennbare Geschichte der Weltreiche, sondern beschäftigen sich vielmehr mit dem, was darin für das Volk Gottes von Bedeutung ist. Gott spricht direkt zu Daniel und offenbart sich ihm. Es werden Geheimnisse offenbart, die den Überrest betreffen und folglich viele Details, die in den Kapiteln 2–6 fehlen.

Der erste Teil (bis Kapitel 6) führt uns also bis zum Ende der Weltreiche, aber mehr in einer allgemeinen Form. Der zweite Teil behandelt die gleiche Zeit, unterscheidet sich jedoch deutlich von den ersten sechs Kapiteln. In Kapitel 7 bekommt Daniel eine Offenbarung von Gott. In Kapitel 2 gibt Gott dem Weltherrscher Nebukadnezar einen Traum, den nur Daniel deuten kann. In Daniel 7 sieht Daniel die Weltreiche deutlich klarer als Nebukadnezar in Kapitel 2. Der König sieht ein großes Bild: Er sieht die Reiche in ihrer äußeren Pracht und dem Eindruck, den sie nach außen machen. Daniel hingegen sieht sie als Tiere ohne Verstand – und das ist es, was sie in Wirklichkeit waren.

Diese drei Teile des Buches (Einleitung, erster Teil der Prophetie und zweiter Teil der Prophetie) sind deutlich erkennbar und müssen zum richtigen Verständnis unterschieden werden 1, sonst wird sich uns die Prophetie des Buches Daniel nicht wirklich erschließen.

Auf Aramäisch geschrieben

In diesem Zusammenhang ist es interessant, daran zu erinnern, dass das Buch Daniel ab Kapitel 2,4 bis Kapitel 7 in aramäischer Sprache geschrieben worden ist. Danach schreibt Daniel wieder (wie in Kapitel 1) auf Hebräisch. Aramäisch war die Sprache, die man in Babel sprach und die Daniel dort gelernt hatte. Diese Sprache benutzt er, um die Geschichte der Weltreiche zu beschreiben. Wenn es dann später – wie ab Kapitel 8 – um die Juden und den Überrest geht, schreibt er wieder in Hebräisch.

Am Anfang des aramäischen Teils haben wir also den Traum Nebukadnezars über die Weltreiche, und am Ende des aramäischen Teils die Vision von Daniel über die Weltreiche. Beide bekommen eine Mitteilung über die Abfolge der Herrschaft, der eine in Form eines Traumes, der andere in Form eines Gesichts. Jeder prophetische Teil des Buches beginnt also mit einer Mitteilung über die Weltreiche – und das in der Sprache des ersten Weltreiches. Das ist sicher nicht von ungefähr, zumal es die einzigen Teile des Alten Testaments sind, die nicht in Hebräisch geschrieben sind.

Kritiker haben lange Zeit behauptet, der Gebrauch der aramäischen Sprache sei ein Beweis für die späte Datierung des Buches Daniel. Sie glaubten, das Aramäisch im Buch Daniel sei eine relativ späte Spracherscheinung. Archäologie und Sprachwissenschaft haben diese Ansicht im 20. Jahrhundert widerlegt und bewiesen, dass das Aramäisch im Buch Daniel dem Sprachtyp entspricht, der vom 7. Jahrhundert v. Chr. an im Nahen Osten immer mehr Verbreitung gefunden hat.

Prophetie und Geschichte

Daniel 2 ist eines der großen und fundamentalen prophetischen Kapitel der Bibel. Wir finden einen Überblick über die geschichtliche Abfolge und äußere Entwicklung der vier Weltreiche aus Sicht des Menschen. Das Kapitel ist gleichzeitig die Grundlage zum Verständnis anderer Aussagen und Visionen dieses Buches.

Aus der Perspektive Daniels war das, was er in Kapitel 2 erklärt, eine Vorausschau in die Zukunft. Das erste Weltreich hatte gerade seinen Anfang genommen. Von den übrigen drei Reichen war gar nichts bekannt. Aus unserer Perspektive ist das, was in Kapitel 2 beschreiben wird, jedoch zu einem gewissen Teil bereits Geschichte. Zu einem anderen Teil liegt es immer noch in der Zukunft. Wir kennen alle vier Weltreiche aus der Geschichtsschreibung und wissen, dass die ersten drei Weltreiche längst vergangen sind und das vierte Weltreich bereits einen großen Teil seiner Geschichte hinter sich hat.

Deshalb ist es gut, dass wir gerade an dieser Stelle ein wichtiges Prinzip biblischer Prophetie gut beachten. Es lautet, dass die Geschichte nie im Nachhinein die Prophetie erklärt, sondern es ist umgekehrt: Die Prophetie steht immer am Anfang und erklärt die Geschichte. Man darf die Interpretation prophetischer Aussagen nicht mit ihrer Bestätigung in der nachfolgenden Geschichte verwechseln oder sie davon abhängig machen. Wenn sich eine Prophetie erfüllt, wird natürlich ihre Wahrheit durch die Geschichte bestätigt und wir bewundern Gott, der die Geschichte im Voraus kennt und mitteilt. Das wirkliche Verständnis einer Prophetie ist jedoch nicht von ihrer geschichtlichen Erfüllung abhängig. Jede Prophetie wird sich erfüllen, aber wir können sie bereits verstehen, bevor sie sich erfüllt hat. Nicht die Geschichte erklärt uns die Weissagung, sondern der Heilige Geist. Nur mit seiner Hilfe verstehen wir sie, denn Er ist es, der uns in die ganze Wahrheit leitet und uns das Kommende verkündigt (vgl. Joh 16,13).

Das Ziel des Kapitels

Bevor wir die Einzelheiten des Kapitels besehen, möchte ich gerne vorab in drei Punkten zeigen, welche Absicht Gott hat, wenn Er uns diese Dinge mitteilt:

  1. Gott steuert die Geschichte: Gott hält alle Dinge in der Hand. Auch wenn die Herrschaft den Nationen übergeben war, hat Gott zu keiner Zeit die Kontrolle verloren. Im Gegenteil: Alles ist von Ihm geplant. Auch wenn Er nicht direkt regiert (wie der Herr Jesus es einmal tun wird), geschieht gar nichts ohne seinen Willen. Nebukadnezar konnte nicht tun und lassen, was er wollte. Gott steuerte seine Geschicke. Gott kennt allein die Zukunft und hat alles geplant. Er ist souverän und kann sogar die Gottlosigkeit von Menschen benutzen, um seine Ziele zu erreichen.
  2. Jede Autorität (Gewalt) kommt von Gott: Gott hatte Nebukadnezar das Reich gegeben. Er hatte den Zeitpunkt bestimmt, an dem er an die Macht kam, und Er bestimmte den Zeitpunkt, wo er sie wieder abgeben musste. Der Gott, der Autorität gibt, kann sie jederzeit wieder wegnehmen, selbst wenn es – wie bei Nebukadnezar – durch eine Macht geschah, die geringer war als seine eigene. Nebukadnezar sollte lernen, woher er seine Autorität hatte. Vordergründig war er der Nachfolger seines Vaters. Außerdem hatte er durch seine eigenen Eroberungen Anteil an seinem Erfolg und seinem Einfluss. Aber Gott machte ihm klar, dass seine Herrschaft und Gewalt von dem Gott des Himmels stammte. Regierungen sind Instrumente und Diener Gottes. Das wird so lange der Fall sein, bis der römische Weltherrscher unter der direkten Inspiration Satans die Regierung an sich reißt (Off 13,2). Diese Regierung wird die erste Regierung sein, die nicht von Gott ist. 2
  3. Die Herrschaft dieser Erde ist nur für eine Zeit, denn am Ende regiert Gott: Immer wieder haben Regenten dieser Welt geglaubt, ihre Macht würde kein Ende nehmen. Aber Gott zeigte Nebukadnezar, dass sein Reich zu einem Ende kommen und dass andere Reiche folgen würden. Seine Nachfolger würden das Reich verlieren und durch Regenten anderer Nationen ersetzt werden. Aber alle Folgereiche würden ebenfalls nur für eine bestimmte Zeit sein. Am Ende würden sie alle zerstört werden.3 Dann beginnt das Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, das Er auf dieser Erde etablieren wird. Der Stein, der sich losreißt, ist ein Hinweis auf den Messias, der kommt, um das Reich Gottes in Macht und Herrlichkeit zu gründen. Wir lernen, dass geschichtliche Ereignisse nicht nur unter der Zulassung Gottes geschehen, sondern letztlich nach dem Ratschluss seines Willens (Eph 1,11). Am Ende mündet alles in die Regierung des Herrn Jesus ein. Es ist Gottes Plan, dass Er einmal über alles herrschen wird.

Insgesamt gesehen macht Daniel 2 einmal mehr deutlich, dass allein das Wort Gottes wahrhaftig und glaubwürdig ist. Alle Ereignisse, die Daniel im Auftrag Gottes voraussagte, sind so geschehen, wie Daniel es dem König gesagt hat. Deshalb können wir sicher sein, dass sich das, was bisher noch nicht in Erfüllung gegangen ist, ebenso erfüllen wird. Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran. Gott kann Ereignisse genau beschreiben, bevor sie geschehen. Das kann Er, weil Er alles unter Kontrolle hat.

Für uns enthält das Kapitel ebenfalls eine große Ermunterung. Wir leben in der Zeit der Nationen, und manchmal mag es so scheinen, als ob Gott seine Hand zurückhielte. Aber das ist nicht so. Er steht hinter allem, und Er steht über allem. Ihm entgleitet gar nichts. Im Gegenteil: Er steuert alles so, wie es Ihm gefällt. Die Regierungen sind von Ihm eingesetzt – selbst wenn sie zum Teil völlig entarten. Einmal kommt der Tag, wo Gott sein Reich gründet. Das ist ein Teil unserer Hoffnung. Wir erwarten die „glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“ (Tit 2,13). Das schließt das Reich Gottes auf dieser Erde ein.

Verse 1–12: Der vergessene Traum

Der König Nebukadnezar träumt

Das Kapitel beginnt mit der Aussage, dass der König Nebukadnezar Träume hatte. Das war im zweiten Jahr seiner Regierung. Dass die Zeit nicht mehr nach der Regierung der Könige von Israel (vgl. Kap 1,1) gerechnet wurde, zeigt sehr deutlich, dass die „Zeiten der Nationen“ angebrochen waren und Israel nicht mehr das offiziell anerkannte Volk Gottes war. Unabhängig von der Deutung dessen, was der König geträumt hatte, wirft die Aussage mindestens zwei Fragen auf, über die viel nachgedacht worden ist.

a) Die erste Frage ist mehr „technischer“ Natur und bezieht sich auf die Zeitangabe. Der Bibeltext sagt, dass es im zweiten Jahr seiner Regierung war. Wenn Gott es so sagt, gibt es keinen Zweifel daran, dass es stimmt. Dennoch ergibt sich für den flüchtigen Leser ein gewisses Problem, das Kritiker gerne aufgreifen, um einen Fehler im Bibeltext zu unterstellen. Die Frage lautet: Wie kann Daniel – der drei Jahre lang ausgebildet wurde – seine Ausbildung bereits im zweiten Jahr von Nebukadnezars Regierungszeit abgeschlossen haben? Eine mögliche Erklärung ist, dass Daniel im Jahr 605 v. Chr. als Gefangener nach Babel deportiert wurde. In diesem Jahr begann seine Ausbildung. Sein erstes Ausbildungsjahr dauerte bis 604 v. Chr. In diesem Jahr wurde Nebukadnezar König von Babel und bestieg den Thron. Bis 603 v. Chr. dauerte das zweite Ausbildungsjahr Daniels. Das entspricht – nach babylonischer Zählweise der Jahreszahlen – dem ersten Jahr der Regierung Nebukadnezars (es zählt das erste volle Jahr). Bis 602 v. Chr. absolvierte Daniel das dritte und letzte Jahr seiner Ausbildung. Das entsprach dem zweiten Regierungsjahr Nebukadnezars. Die Träume müssen also in den Zeitraum kurz nach Ende der Ausbildung Daniels fallen.

b) Die zweite Frage bezieht sich darauf, ob der König seinen Traum tatsächlich vergessen hatte, oder ob er seine Weisen und Berater bewusst auf die Probe stellen wollte, weil er ihnen misstraute. Diese Frage muss offen bleiben. Der Bibeltext gibt darauf keine eindeutige Antwort. Bibelausleger haben beide Positionen eingenommen. Der flüchtige Leser mag den Eindruck gewinnen, er habe den Traum tatsächlich vergessen.

Allerdings spricht einiges für die Erklärung, dass er seinen Beraterstab auf die Probe stellen wollte. Zum einen scheint es ja so zu sein, dass Nebukadnezar nicht nur einmal geträumt hat, sondern in den Versen 1 und 2 ist die Rede von „Träumen“. Es mag also sein, dass Nebukadnezar seinen Traum nicht nur einmal geträumt hat. Gerade weil der Inhalt ihn so sehr erschrocken hat, ist es schwer vorstellbar, dass er ihn vergessen hat. Der König wird geahnt haben, dass seine Träume etwas mit der Zukunft seines Reiches zu tun haben könnten. Das bereitete ihm Angst, und deshalb wollte er sicher gehen, dass er bei der Deutung nicht betrogen wurde. Seine Forderung war somit eine Prüfung der Fähigkeiten und Integrität seiner Experten. Man kann dem Bibeltext nicht entnehmen, dass er den Traum tatsächlich vergessen hat. Es wird gesagt, man könne die Aussage in Vers 3 auch so übersetzen: „Der Traum hat mich verlassen.“ Allerdings ist diese Übersetzung nicht sicher. Letztlich spielt es keine entscheidende Rolle, welche der beiden Möglichkeiten man wählt. An der Deutung des Traumes ändert das nichts.

Ein beunruhigter Geist

Die Träume belasteten den König und sein Geist war beunruhigt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen im Traum Themen und Ereignisse verarbeiten, die sie tagsüber intensiv beschäftigt haben. Doch die Träume Nebukadnezars waren keine „normalen“ Träume. Sie kamen von Gott, der zu ihm reden und ihm eine Botschaft übermitteln wollte. Gott steht über den Träumen eines Menschen und kann sie benutzen. Jedenfalls bekam der König Angst. Er konnte die Träume nicht einfach abschütteln. Sie verfolgten ihn, so dass er unbedingt wissen wollte, was sie zu bedeuten hatten.

Daniel machte später klar, worum es ging: „Dir, o König, stiegen auf deinem Lager Gedanken auf, was nach diesem geschehen wird; und der, der die Geheimnisse offenbart, hat dir kundgetan, was geschehen wird“ (Vers 29). Nebukadnezar war nicht anders als viele Menschen heute. Er machte sich Sorgen um seine Zukunft und die seines großen Königreiches. Er war ein erfolgreicher Stratege und hatte große Eroberungen gemacht. Er war der Dreh- und Angelpunkt eines gewaltigen Reiches. Nichts konnte ihm verwehrt werden. Dennoch machte er sich Sorgen um die Zukunft. Er handelte ganz anders als der reiche Mann, von dem der Herr Jesus sprach. Der sah die Zukunft leichtsinnigerweise sehr entspannt: „Und ich will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast viele Güter daliegen auf viele Jahre; ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich“ (Lk 12,19). Jedenfalls empfand der König offenbar eine gewisse Last, die auf ihm lag. Von Shakespeare stammt der Satz: „Unruhig liegt das Haupt, das eine Krone trägt.“4 Bis heute gilt oft, dass, je höher die Position, desto größer die Sorgen sind.

Gott antwortete auf die Sorgen Nebukadnezars. Bis heute will Er die Menschen mit ihren Zukunftssorgen und Ängsten nicht allein lassen. In den Mitteln, die Gott benutzt, um zu Menschen zu reden, ist Er souverän. Im Fall des Königs von Ninive schickte Er den Propheten Jona mit einer Botschaft zu ihm. Im Fall Bileams benutzte Er eine Eselin. Im Fall des Königs von Babel waren es seine Träume. Ähnliches finden wir beim Pharao. Auch er träumte nicht nur einmal und sein Geist war ebenfalls voll Unruhe, weil er nicht wusste, was seine Träume zu bedeuten hatten (1. Mo 41,1–8). Gott hat wiederholt zu hochgestellten Personen aus den Nationen im Traum gesprochen. Zum ersten Mal wird das in 1. Mose 20,3 erwähnt, wo Gott zu Abimelech spricht. Neben Pharao und Nebukadnezar sind die Weisen aus dem Morgenland und die Frau von Pilatus weitere Beispiele.

Die Frage stellt sich, ob Gott heute noch auf diese Weise zu Menschen – und besonders zu uns Gläubigen – redet. Natürlich ist Gott in seinem Handeln immer souverän. Er kann durchaus einen Traum benutzen, um seinen Willen in einer konkreten Sache zu zeigen. Aber im Allgemeinen redet Gott heute anders. Wir wollen bedenken:

  1. Wir haben sein Wort, das uns den Willen Gottes zeigt.
  2. Wir besitzen den Heiligen Geist, der in uns Gläubigen wohnt und uns leitet.
  3. Wir haben die Möglichkeit des Gebets, um auf diese Weise im Einzelfall um Wegweisung zu bitten.

Ein Blick ins Neue Testament zeigt, dass Gott dort selten durch einen Traum zu Menschen sprach. Zum einen sind es die bereits erwähnten Magier (Mt 2,12), dann mehrfach zu Joseph, dem Mann von Maria (Mt 1.20; 2,13.19.22), und schließlich zu der Frau von Pilatus (Mt 27,19). Nach dem Kommen des Heiligen Geistes gibt es keine biblischen Beispiele mehr. Die in der Apostelgeschichte erwähnten Fälle von Paulus (Apg 16,10; 18,9) und Petrus (Apg 10,19) sind anders zu bewerten. In diesen Fällen handelt es sich um ein „Gesicht“. „Gesichte“ sind – wie Offenbarungen – keine Traumerlebnisse, sondern reale Erscheinungen. Auch diese haben, nachdem wir das vollständige Wort Gottes in Händen haben, aufgehört.

Wir sollten also bei der Beurteilung von Träumen heute äußerst vorsichtig sein und Folgendes bedenken:

  • Träume können einfach Zufall sein. In diesem Fall sollten wir ihnen keine weitere Bedeutung beimessen. „Wie ein Traum verfliegt er, und man findet ihn nicht, und er wird verscheucht wie ein Nachtgesicht“ (Hiob 20,8).
  • Träume können – oft in negativer Weise – ein Ergebnis dessen sein, womit wir uns gedanklich beschäftigen oder was uns im Alltag belastet und beschäftigt. Oft sind es Erinnerungen an etwas, was längst vergangen ist, oder etwas, das unmittelbar vor uns steht.
  • Träume können sogar zu einem Vorwand werden, um etwas zu tun, was gegen Gottes Willen ist. Durch Jeremia lässt Gott seinem Volk sagen: „Ich habe gehört, was die Propheten sagen, die in meinem Namen Lüge weissagen und sprechen: Einen Traum, einen Traum habe ich gehabt“ (Jer 23,25) „Der Prophet, der einen Traum hat, erzähle den Traum; und wer mein Wort hat, rede mein Wort in Wahrheit! Was hat das Stroh mit dem Korn gemeinsam?, spricht der Herr“ (Jer 23,28).

Wir sollten also äußerst vorsichtig sein, wenn jemand meint, durch einen Traum Gottes Willen erkannt zu haben. Wir können es nicht vollständig ausschließen, weil Gott souverän ist, aber der Regelfall ist es heute nicht. Jedenfalls sollten wir nicht auf einen Traum warten, um Gottes Willen zu erkennen. Und niemals wird ein Traum uns im Widerspruch zum Wort Gottes leiten.

Menschliche Weisheit versagt

Nebukadnezar tat das, was viele Menschen tun, wenn sie ein Problem nicht lösen können. Er versuchte, sich Rat bei Menschen zu holen und musste eine herbe Enttäuschung erleben. Er musste erstens lernen, dass er auf die Stimme Gottes hören musste, und zweitens erkennen, dass seine Berater ihm nicht helfen konnten.

Nebukadnezar verfügte über einen beeindruckenden Beraterstab: Wahrsagepriester, Sterndeuter, Magier und Chaldäer. Offensichtlich handelte es sich im Wesentlichen um Menschen, die dem Okkultismus ergeben waren. Wir sehen, dass die Vermischung von Religion (Priester) und Okkultismus (Wahrsager) durchaus keine Erscheinung der Neuzeit ist. Die hier erwähnten „Chaldäer“ sind nicht mit dem Volk zu verwechseln, das diesen Namen ebenfalls trug (zum ersten Mal in 2. Könige 24,2 erwähnt, vgl. Daniel 5,30 und und,). Es handelte sich um eine besondere Gruppe von Weisen, die im Buch Daniel mehrfach erwähnt wird (vgl. z. B. Kap 4,4; 5,7).5 Am Königshof in Babel war man stolz auf große Weisheit und Einsicht. Aber diese menschliche Weisheit sollte nun auf die Probe gestellt werden. Auch deshalb ließ Gott den König die Träume träumen.

Die Frage, warum Daniel und seine Freunde nicht direkt von dem König befragt worden waren, bleibt offen. Er wusste ja, dass sie seinen Wahrsagepriestern und Sterndeutern zehnmal überlegen waren (Kap 1,20). Gott hatte seine Hand darüber, weil Er dem König eine besondere Lektion erteilen wollte.

Der Beraterstab erschien vor dem König, und Nebukadnezar tat ihm sein Anliegen kund. Ergeben antworteten die Fachleute, dass er ihnen den Traum nennen sollte, damit sie ihn deuten könnten. Doch nun werden sie vor eine völlig neue Herausforderung gestellt. Nebukadnezar war nicht bereit, ihnen den Traum zu sagen. Er war im Gegenteil fest entschlossen, es nicht zu tun. Um sie unter Druck zu setzen, benutzte er zwei Mittel, die bis heute häufig angewandt werden. Zum einen drohte er mit einer furchtbaren Konsequenz, falls sie seiner Forderung nicht nachkommen würden. Sie sollten nicht einfach getötet, sondern in Stücke zerhauen werden. Zum andern versprach er eine große Belohnung für den, der Traum und Deutung ansagen konnte.

Für Nebukadnezars Berater muss das ein Schock und eine große Demütigung gewesen sein. Die Forderung war nicht erfüllbar. Das erkannten sie sofort. Sie gaben unumwunden zu, dass nur „die Götter, deren Wohnung nicht bei dem Fleisch“ (d. h. nicht bei Menschen) ist, die richtige Antwort geben konnten. Sie hatten recht mit der Aussage, dass es keinen geben konnte, der dem König den Traum sagen konnte. Allerdings verweisen sie auf die Götter, „deren Wohnung nicht bei dem Fleisch“ (d. h. bei Menschen) ist. Etwas anderes kannten sie nicht.

Wir lernen an dieser Stelle, dass jeder menschliche Versuch, die Zukunft vorauszusagen, völlig zum Scheitern verurteilt ist. Gott hat die Ewigkeit in das Herz der Menschen gelegt, und viele Menschen sind auf der Suche nach Antworten auf ihre existenziellen Lebensfragen. Es gibt nur Einen, der Antwort geben kann. Wissenschaft und Philosophie haben auf diese Fragen keine Antwort. Deshalb greifen bis heute viele Menschen nach übersinnlichen Mitteln und „Medien“, um etwas über die Zukunft zu erfahren – fernöstliche Religionen, Esoterik, Astrologie und Horoskope eingeschlossen. Es sind alles Irrwege, die nie zum Erfolg führen können. Es gibt nur Einen, der dem Menschen etwas über die Zukunft sagen kann – das ist Gott. Die Weisen Babels verurteilen sich und ihre okkulten Praktiken mit ihren eigenen Worten. Sie konnten der Forderung des Königs nicht nachkommen und verweisen ihn deshalb an die Götter des Himmels, die nicht bei Menschen wohnen.

Der König muss schnell bemerkt haben, dass seine Weisen ihm nicht helfen konnten. Er wusste, dass es relativ leicht war, ihm irgendeine Deutung seiner Träume anzugeben, die jedenfalls so weit in der Zukunft lag, dass man sie zu Lebzeiten nicht überprüfen konnte. Er wird ebenfalls erkannt haben, wie korrupt und verlogen sie waren. Die relativ forsche (wenn nicht freche) Art und Weise, wie sie in Vers 10 und 11 mit ihm sprechen, fachte seinen Zorn nur noch mehr an. Er ergrimmte sehr und befahl nun, alle Weisen von Babel umzubringen. Die Drohung sollte umgehend umgesetzt werden. Dem Zorn Nebukadnezars konnte sich niemand widersetzen. Schon vorher hatte er gesagt, dass die Sache fest beschlossen sei. Das bedeutet mit anderen Worten: „Mein Wort ist deutlich genug.“ Ohne Frage handelte der König hier sehr spontan und impulsiv, aber seine Machtbefugnis war so groß, dass sein Befehl umgesetzt wurde.

Die Weisheit der Weisen vernichtet

Es ist klar, dass hinter dem Bericht eine wichtige Belehrung für uns liegt. Hinter der Szene stand Gott. Die Unfähigkeit der Berater Nebukadnezars machte nicht nur den Weg frei für Daniel, sondern zeigt gleichzeitig mit Nachdruck, wie Gott die Weisheit der Weisen vernichtet. Menschliche Verlegenheiten sind häufig Gottes Gelegenheiten. Einerseits würde Gott sich jetzt verherrlichen und den König die wichtige Lektion lehren, dass nur Gott etwas über die Zukunft sagen kann. Indem Nebukadnezar diese unlösbare Aufgabe stellte, folgte er unbewusst Gottes Plan und ebnete den Weg für den Boten Gottes. Andererseits offenbart Gott die ganze Unfähigkeit menschlicher Weisheit und Erkenntnis. Eine ähnliche Situation haben wir beim Auszug der Kinder Israels aus dem Land Ägypten. Einerseits verherrlichte Gott sich dort im Gericht (2. Mo 14,4.17), und andererseits war der Auszug Israels ein Schlag gegen alle Götter Ägyptens (vgl. 2. Mo 12,12). In 1. Könige 18 sehen wir ebenfalls diese beiden Seiten. Elia brachte einerseits die ganze Unfähigkeit der Baalspriester ans Licht, und andererseits wurde deutlich, wer wirklich Gott ist. Jeremia stellte sich gegen den falschen Propheten Hananja und offenbarte seine ganze Gottlosigkeit (Jer 28). Im Neuen Testament haben wir ein Beispiel, in dem Paulus den Betrug des Zauberers Bar Jesus offenbarte (Apg 13,4–12).

Durch den Propheten Jesaja hatte Gott seinem Volk sagen lassen: „Darum, siehe, will ich fortan wunderbar mit diesem Volk handeln, wunderbar und wundersam; und die Weisheit seiner Weisen wird zunichtewerden, und der Verstand seiner Verständigen sich verbergen“ (Jes 29,14). Paulus greift diesen Vers auf und belehrt die Korinther: „Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft. Denn es steht geschrieben: „Ich will die Weisheit der Weisen vernichten, und den Verstand der Verständigen will ich wegtun.“ Wo ist der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Schulstreiter dieses Zeitlaufs? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil ja in der Weisheit Gottes die Welt durch die Weisheit Gott nicht erkannte, so gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt die Glaubenden zu erretten; weil ja sowohl Juden Zeichen fordern als auch Griechen Weisheit suchen; wir aber predigen Christus als gekreuzigt, den Juden ein Anstoß und den Nationen eine Torheit; den Berufenen selbst aber, sowohl Juden als auch Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit; denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen“ (1. Kor 1,18–25). Wie sehr Gott die Weisheit der Weisen zunichtemacht, wird ganz besonders am Kreuz sichtbar. „Als er die Fürstentümer und die Gewalten ausgezogen hatte, stellte er sie öffentlich zur Schau, indem er durch dasselbe über sie einen Triumph hielt“ (Kol 2,15).

Gott wollte also dem Weltherrscher Nebukadnezar zeigen, wie sich sein Weltreich und die darauf folgenden Reiche entwickeln und was am Ende geschehen würde. Gleichzeitig wollte Er ihm seine eigene Unfähigkeit deutlich machen, indem alle üblichen Hilfsmittel nicht griffen. Es gab am Hof des Königs nur einen Mann, der ihm helfen konnte. Und das war ausgerechnet ein Mann aus den Juden, die Nebukadnezar besiegt hatte. Das ist ein Beweis göttlicher Weisheit. W. Kelly schreibt dazu: „Das war die Gelegenheit für Gott, seine eigene Macht zu beweisen und gleichzeitig die vollkommene Weisheit eines armen Gefangenen, der der Kanal dafür werden sollte. ... Der Zeitpunkt war gekommen, wo der Sieger (Nebukadnezar) lernen musste, dass Gottes Gedanken und Gottes Herz doch mit den armen Gefangenen waren. Die Macht Gottes mochte für einige Zeit den Nationen gegeben sein, aber die Zuneigungen und die Geheimnisse Gottes waren mit den Seinen, selbst in einer Stunde tiefster Erniedrigung.“6 Nebukadnezar besaß eine außerordentlich große Macht. Aber er musste lernen, dass die wahre Weisheit bei dem treuen Überrest zu finden war.

Verse 13–23: Daniel wird zubereitet

Daniel in Gefahr

Weder Daniel noch seine drei Freunde waren von dem König befragt worden. Dennoch lag das Urteil des Todes über ihnen. Sie waren keine Sterndeuter und keine Magier, aber da sie aufgrund ihrer Ausbildung zum Kreis der Weisen in Babel gerechnet wurden, sollten sie ebenfalls sterben. Satan hatte eine Niederlage erlitten, und nun wollte er mindestens erreichen, dass Daniel und seine Freunde auch dabei umkamen. Wenn schon seine Propheten in Babel geopfert werden mussten, dann sollten Gottes Propheten ebenfalls umkommen. Arioch, der Oberste der Leibwache, musste den Befehl des Königs ausführen. Es ist nicht ganz klar, ob er damit bereits begonnen hatte, als er Daniel suchte, oder ob nur der Befehl ausgegangen war und die Tötung unmittelbar bevorstand. Jedenfalls bestand akute Todesgefahr. Aber Gott hatte seine Hand darüber. Er sorgte für seine Diener und bewahrte sie.

Hätte Gott nicht wunderbar eingegriffen, wäre es mit dem gottesfürchtigen Überrest der Juden in Babel zu Ende gewesen. Aber Gott sorgte dafür, dass das nicht geschah. Auch in anderen Situationen half Gott seinem Volk in scheinbar aussichtsloser Lage. Wir denken z. B. an die Situation, die im Buch Esther beschrieben wird. Dort wäre es ebenfalls – ohne das Eingreifen Gottes – um den Überrest der Juden geschehen gewesen. Wir lernen für uns, dass Gott immer seine Hand über sein Volk hält. Nicht immer rettet Er vor dem Tod, aber immer ist seine Hand im Spiel, und es geschieht nichts ohne seine Zulassung.

Die Reaktion Daniels

Wie in Kapitel 1 handelt Daniel erneut sehr klug und einsichtsvoll und doch gleichzeitig mutig. Er ist taktvoll und höflich. Er stellt Arioch eine Frage und erbittet sich dann vom König eine Frist. Davon können wir lernen. Das Neue Testament sagt uns: „Wandelt in Weisheit gegenüber denen, die draußen sind, die gelegene Zeit auskaufend. Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, so dass ihr wisst, wie ihr jedem Einzelnen antworten sollt“ (Kol 4,5.6). Vollkommen sehen wir das bei unserem Herrn. Er war der Knecht, der einsichtig handelte und dessen Worte immer angemessen und klar waren.

Arioch hörte auf Daniel, wobei er unter Umständen sein eigenes Leben aufs Spiel setzte. Möglicherweise wusste er aus Erfahrung, dass Daniel vertrauenswürdig war. Und der König reagierte anders als vorher. Hatte er den Weisen noch vorgeworfen, dass sie Zeit schinden wollten, so gewährte er Daniel jetzt eine Frist. Menschlich betrachtet ist es denkbar, dass sein Zorn sich inzwischen etwas abgekühlt hatte. Vielleicht kam ihm auch der Gedanke, dass es ja eigentlich wenig sinnvoll war, diesen Daniel zu töten, nur weil sein eigener Beraterstab inkompetent war. Vor allem aber erkennen wir wieder die Hand Gottes in der Reaktion Nebukadnezars.

Wir staunen über die Ruhe und Gelassenheit Daniels. Angesichts des drohenden Todes verbreitet er keine Atmosphäre von Angst oder von Hektik, sondern vielmehr strahlt er – obwohl noch jung – Ruhe und Gelassenheit aus. Er stellt eine Frage und äußert eine Bitte. Vor allem aber beweist er einen unerschütterlichen Glauben an seinen Gott. „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes 28,16). Wie konnte er vor dem König stehen und ihm sicher ankündigen, dass er die Deutung des Traumes geben würde? Er wusste doch zu diesem Zeitpunkt weder den Inhalt noch die Deutung des Traumes. Was machte ihn so zuverlässig und sicher? Es war die volle Gewissheit des Glaubens! Er vertraute seinem Gott, dass Er ihm helfen würde. Er wusste, dass Gott Träume offenbaren und deuten kann. Vielleicht kannte er die Aussage von David: „Das Geheimnis des Herrn ist für die, die ihn fürchten, und sein Bund, um ihnen denselben kundzutun“ (Ps 25,14). Der Glaube ist immer mutig, allerdings nicht übermütig. Der Glaube sieht das, was der Unglaube nie sehen kann. Er erkennt das, was Gott schenken wird, selbst wenn die menschliche Natur annehmen möchte, dass es unmöglich ist. Der Glaube rechnet immer mit Gott. Genau das tat Daniel. Gott wird den Glauben nie enttäuschen, auch nicht den Glauben eines jungen Mannes in einer schwierigen Situation. Von dem Glauben Daniels können wir viel lernen.

Gemeinsames Gebet

Nach der Audienz beim König geht Daniel zurück in sein Haus und teilt die Sache seinen Freunden mit. Alle vier waren von dem Erlass den Königs betroffen, und gemeinsam teilen sie diese schwierige Situation. Wir lernen, dass es gut ist, wenn wir gemeinsame Not im Volk Gottes teilen. Der Überrest in Babel war bedroht, und da war es gut, sich darüber auszutauschen und darüber zu beten. Vielleicht waren die Freunde über den Glauben Daniels erstaunt. Wir wissen es nicht. Jedenfalls beugen sie gemeinsam ihre Knie.7 Es muss eine besondere Szene gewesen sein, die vier jungen Männer im fremden Land auf den Knien zu sehen. Sie bringen ihre völlige Hilflosigkeit vor Gott und bitten Ihn gemeinsam um Hilfe. Es ist das erste Mal, dass im Alten Testament davon gesprochen wird, dass Männer Gottes gemeinsam beten. Im Neuen Testament finden wir das einige Male. Paulus z. B. schreibt davon, dass er gemeinsam mit seinen Reisebegleitern gebetet hat (z. B. Kol 1,3; 1. Thes 1,2). Auch die Apostelgeschichte liefert einige Beispiele des gemeinsamen Gebets.

Dabei fällt auf, dass Daniel und seine Freunde nicht einfach darum baten, Gott möge ihnen das Geheimnis des Traumes offenbaren. Was sie vor allem brauchten, war Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist dann erforderlich, wenn schwierige Umstände da sind und wir uns in einer Notsituation befinden. Barmherzigkeit Gottes setzt immer das Elend des Menschen voraus. Das Neue Testament sagt uns, dass Gott „reich ist an Barmherzigkeit“ (Eph 2,4). Dass die angekündigte Belohnung des Königs für sie keine Motivation war, braucht kaum erwähnt zu werden. Diesen Lohn brauchten sie nicht. Was sie nötig hatten, war Barmherzigkeit wegen des Geheimnisses.

Glaube und Gebet gehören untrennbar zusammen. Im Gebet drückt ein Mensch seine Abhängigkeit Gott gegenüber aus, und genau das tat Daniel. Er vertraute nicht auf sich selbst, sondern auf Gott. Männer des Glaubens sind immer Männer des Gebets. Das finden wir eindrucksvoll im Leben Elias bestätigt (vgl. Jak 5,17). Männer des Gebets handeln in Abhängigkeit von Gott und stellen so ihren Glauben unter Beweis. E. Dennett schreibt dazu: „Die Abhängigkeit von Gott im Verborgenen ist der Schlüssel aller Kraft im Leben und im Zeugnis.“8

Aus Kapitel 1,17 wissen wir, dass Daniel sich auf Gesichte und Träume verstand. Er hatte diese besondere Gabe von Gott bekommen. Dennoch vertraute er nicht auf seine Fähigkeiten und Gaben, sondern setzte sein ganzes Vertrauen auf Gott. Darin liegt für uns die wichtige Unterweisung, dass auch wir unser Vertrauen nicht auf eine (natürliche) Fähigkeit oder eine (geistliche) Gnadengabe setzen, sondern nur auf Gott. Es ist eine Sache, eine Gabe von Gott zu haben. Es ist eine andere Sache, sie in Abhängigkeit und unter der Leitung des Heiligen Geistes zu nutzen. Obwohl Daniel mit großer Weisheit ausgestattet war, brauchte er in diesem konkreten Fall Einsicht in die Gedanken Gottes. Für uns gilt in der Anwendung: „Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden“ (Jak 1,5).

Ihrer Situation als Fremdlinge im Exil entsprechend, beteten sie zu dem „Gott des Himmels“. Wir hatten schon an anderer Stelle bemerkt, dass dieser Ausdruck für das Buch Daniel kennzeichnend ist. Gott hatte sich sozusagen in den Himmel „zurückgezogen“ und die Regierung den Königen der Nationen übergeben. Sein Thron stand nicht mehr auf dieser Erde. Diese Anrede war durchaus angemessen. Sie zeigt uns etwas von der Gesinnung dieser jungen Leute. Sie sagen nicht: „Wir sind dein Volk, o Herr, und du bist der Gott der ganzen Erde.“ Das konnten sie nicht mehr sagen. Sie kommen in der richtigen Gesinnung und auf der richtigen Grundlage zu Gott. Sie anerkennen, dass Gott sich von seinem Volk zurückgezogen hat und so der „Gott des Himmels“ geworden ist. Sie haben keinerlei Rechte und Ansprüche. Dennoch haben sie Glauben, der immer auf Gott vertraut und mit Ihm rechnet. Sie sprechen nicht von irgendwelchen Ansprüchen und Rechten, sondern bitten um Barmherzigkeit.

Dann fällt auf, dass sie wegen des „Geheimnisses“ beten. Gemeint sind der Inhalt und die Deutung des Traumes. Das Wort Geheimnis kommt in Daniel 2 insgesamt achtmal vor. Es ist kennzeichnend für das ganze Kapitel (vgl. Verse 18,19,27,28,29,30,47). Es gibt kein Kapitel der Bibel, in dem dieses Wort häufiger vorkommt. Das benutzte Wort ist hier das aramäische Gegenstück zu dem griechischen Wort „mysterion“ (Mysterium = Geheimnis), das wir im Neuen Testament einige Male finden. Im Neuen Testament ist damit an fast allen Stellen eine Wahrheit gemeint, die im Alten Testament verborgen war, jetzt aber den Gläubigen offenbart ist. Hier in Daniel 2 handelt es sich ebenfalls um eine verborgene Sache, die nur Gott kannte und die Gott denen offenbaren wollte, die Ihn hier darum bitten.

Von dem Glauben und der inneren Haltung dieser jungen Männer können wir viel lernen. Das Gebetsleben Daniels hat Vorbildcharakter. Später finden wir ihn im persönlichen Gebet mit offenen Fenstern nach Jerusalem (Dan 6,11). Hier ist es das gemeinsame Gebet, das uns beeindruckt. Das gemeinsame Gebet ist eine der größten Notwendigkeiten für das Volk Gottes in unserer Zeit. Wir schätzen die Gelegenheiten des gemeinsamen Gebets der örtlichen Versammlung (Apg 12,5), wo wir unsere gemeinsame Not vor den Herrn bringen, gleichzeitig aber das Loben und Danken nicht vergessen. Darüber hinaus hat die persönliche Gebetsgemeinschaft unter Geschwistern einen hohen Stellenwert. Unsere Situation ist nicht mit der von Daniel zu vergleichen. Dennoch kennen wir Schwierigkeiten und Probleme anderer Art. Die Antwort auf viele Fragen unseres täglichen Lebens – einschließlich des gemeinschaftlichen Lebens im Volk Gottes – finden wir nur im Gebet. Wie Daniel wollen wir um Barmherzigkeit bitten. Dabei sind wir bevorzugt, dass wir nicht zu dem „Gott des Himmels“ beten – auch nicht zu dem „Vater im Himmel“9 –, sondern unserer Stellung in Christus entsprechend beten wir zu dem „Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (vgl. 2. Kor 1,3; Eph 1,3; 1. Pet 1,3).

Wenn wir uns die Frage stellen, warum wir in der Praxis oft so wenig Einsicht in die Gedanken Gottes haben und so wenig mit der Erkenntnis seines Willens erfüllt sind, dann liegt hier sicherlich ein Teil der Antwort. Wir sind zu wenig im Gebet, um Ihn um Barmherzigkeit und Weisheit zu bitten.

Gottes Antwort und Daniels Lobpreis

Gott hört Gebet und Er antwortet. Das haben viele Gottesmänner im Alten Testament erfahren. Daniel machte da keine Ausnahme. Gott gab ihm die Antwort in einem Nachtgesicht und offenbarte ihm das Geheimnis. Dass Daniel ein „Nachtgesicht“ hatte, macht klar, dass er geschlafen haben muss. Das Todesurteil des Königs vor Augen, ist das gar nicht so selbstverständlich. Daniel erfuhr das, was David erfahren hatte, als er vor seinem Sohn Absalom floh: „Ich legte mich nieder und schlief. Ich erwachte, denn der Herr stützt mich“ (Ps 3,6). Ähnlich erging es Petrus, der vor dem Verhör vor Herodes in der Nacht im Gefängnis schlief, und zwar „zwischen zwei Soldaten, gefesselt mit zwei Ketten, und Wächter vor der Tür“ (Agp 12,6). Wer den Frieden Gottes im Herzen hat, kann auch in schwierigen Umständen in Ruhe schlafen.

In seinem Nachtgesicht sah Daniel den Traum von Nebukadnezar (vgl. Hiob 33,15.16). Aber nicht nur das. Gott zeigte ihm ebenfalls, was der Traum bedeutete. Darum hatte Daniel mit seinen Freunden gebeten. Gott ehrte Daniel, weil er sein ganzes Vertrauen auf Ihn gesetzt und damit Gott geehrt hatte.

Wie reagiert nun Daniel? Es fällt auf, dass nichts davon berichtet wird, dass er zuerst zu seinen Freunden geht, obwohl er sie in seinen Lobpreis einschließt. Er geht auch nicht sofort – was verständlich gewesen wäre – zum König, um ihm das Geheimnis mitzuteilen. Nein, es gab für Daniel etwas, das ihm wichtiger war. Daniel war nicht übereilig. Er nahm sich Zeit für einen außergewöhnlichen Lobpreis. Asaph hatte von Gott Folgendes gelernt: „Rufe mich an am Tag der Bedrängnis: Ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen!“ (Ps 50,15). Genau das geschieht hier. Es gab Bedrängnis und Rufen zu Gott. Gott hatte geantwortet und das Problem gelöst. Als Reaktion darauf verherrlicht Daniel seinen Gott. Ohne Frage war es wichtig, dass Daniel zum König ging. Aber Daniel wusste um die richtige „Reihenfolge“. Vor der Aktivität steht der Lobpreis.

Wie oft haben wir persönlich und gemeinsam unsere Not im Gebet zu Gott gebracht. Wir sprechen zu Recht von einer Gebetsstunde (oder Gebetsgemeinschaft). Die Frage stellt sich allerdings, ob eine solche Gebetsstunde gleichzeitig eine „Dankstunde“ ist oder nicht. Natürlich danken wir in unseren Gebetsstunden, aber es ist dennoch bemerkenswert, was Daniel hier tut. Das Neue Testament fordert uns auf, unsere Anliegen vor Gott kundwerden zu lassen, aber Paulus fügt die Worte hinzu: „mit Danksagung“ (Phil 4,6). Den Kolossern schreibt er: „Verharrt im Gebet und wacht darin mit Danksagung“ (Kol 4,2). Wir wollen lernen, nicht nur zu bitten, sondern gleichzeitig für das, was Gott uns schenkt, zu danken. Wenn Er Gebete erhört, gelten Ihm zuerst unser Dank und die Anbetung unserer Herzen.

Der Lobgesang Daniels ist nicht sehr lang und dennoch sehr inhaltsreich. Es ist einer der herausragenden Lobgesänge in der Bibel.10 Daniel hatte zu Gott gebetet. Gott hatte ihm geantwortet, und Daniel hatte nun ein klares Verständnis von dem Traum und von seiner Bedeutung. Aber mehr noch: Sein Lobpreis zeigt, dass er ein erstaunliches Verständnis und tiefe Einsicht in das Wesen und in die Eigenschaften Gottes hatte. Er kannte Ihn als den barmherzigen, gnädigen, weisen und allmächtigen Gott. Der Lobpreis zeigt deutlich, was in Daniels Herz war. Er preist zuerst den Namen Gottes. Dieses Gebet richtet sich wiederum an den „Gott des Himmels“. Aber als Daniel dann anfängt zu beten, nennt er Ihn nicht mehr so. Er sagt einfach: „Gepriesen sei der Name Gottes.“ Das ist der allmächtige Gott, der ihm das Geheimnis kundgetan hatte. Es ist gleichzeitig der Gott Daniels, den er aus der Nähe kannte. Er wünscht, dass der Name dieses Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit gepriesen sei. Gott ist würdig, dass das geschieht. Und warum? Daniel sagt: „... denn Weisheit und Macht, sie sind sein.“ Das sind die beiden großen Themen seines Lobpreises. Er spricht von der Macht und Souveränität Gottes, aber eben ganz besonders von seiner Weisheit. Am Ende seines Gebets gebraucht Daniel dann einen dritten Ausdruck in der Ansprache Gottes. Er nennt Ihn den „Gott meiner Väter“. Diesen Ausdruck gebraucht außer Daniel nur noch Paulus (vgl. Apg 24,14). Jakob und Mose gebrauchen einen ähnlichen Ausdruck. Sie ehren ihren leiblichen Vater, indem sie von dem „Gott meines Vaters“ sprechen (1. Mo 31,5.42; 32,10; 2. Mo 18,4). Was Daniel damit zum Ausdruck bringt, ist die Erinnerung an die Treue Gottes im Blick auf seine Vorväter. Sie hatten herrliche Erfahrungen mit ihrem Gott gemacht, und diese gleichen Erfahrungen machte Daniel jetzt. Der „Gott seiner Väter“ hatte sich nicht geändert. „Auf dich vertrauten unsere Väter; sie vertrauten, und du errettetest sie“ (Ps 22,5).

Gott nahm im Leben dieses jungen Mannes den ersten Platz ein. Er war ein Anbeter vor Gott. Das ist letztlich immer das Ziel aller Offenbarungen Gottes – auch im Neuen Testament. Es geht nicht nur darum, dass wir uns freuen, wenn Gott uns rettet und uns hilft. Auch nicht primär darum, dass wir uns freuen, weil Gott uns reichlich segnet. Ja, wir wollen uns von Herzen freuen. Aber über allem möchte Gott, dass wir dahin kommen, wo Daniel innerlich war. Er beugte sich vor seinem Gott und betete Ihn an. Ist das vielleicht ein weiterer Punkt, an dem wir häufig versagen? Wir verwirklichen viel zu wenig unsere Stellung als Anbeter vor Gott.

Das Gebet Daniels lässt mindestens sechs Punkte erkennen, die zu uns reden:

  1. Weisheit und Macht, sie sind sein: Daniel beginnt mit der Weisheit Gottes, weil Er ihm das Geheimnis offenbart hatte. Aber er war ebenso von der Macht Gottes überzeugt, die ihn aus der Todesgefahr gerettet hatte. Die Aussage scheint auf den ersten Blick einfach zu sein. Dennoch geht sie unendlich tief. Weisheit und Macht sind nur bei einem zu finden, bei unserem Gott und Herrn. Außer Ihm gibt es keine wirkliche Erkenntnis. Hiob wusste das auch. Er sagt: „Bei ihm ist Weisheit und Macht, sein ist Rat und Einsicht“ (Hiob 12,13). Daniel verfügte durchaus über große Weisheit, und Nebukadnezar verfügte über Macht. Gott verfügt über beides – und das in einem völlig anderen Maß als jeder Mensch. In dem Lobpreis in Offenbarung 5 wird gesagt, dass das Lamm allein würdig ist, „Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung“ zu empfangen (Off 5,12).
  2. Er ändert Zeiten und Zeitpunkte: Der „Gott des Himmels“ ist der Gott der Geschichte, der alle Geschehnisse auf der Erde unter Kontrolle hat. Er setzt Haushaltungen ein. Er hatte die Zeit der Nationen beginnen lassen und bestimmte ihre Dauer. Daniel erkennt das an. Der Ausdruck „Zeiten und Zeitpunkte“ kommt im Neuen Testament zweimal vor (vgl. Apg 1,6.7; 1. Thes 5,1). An allen drei Stellen geht es um Ereignisse, die mit dieser Erde in Verbindung stehen. „Zeiten“ meint eine Zeitdauer oder Zeitlänge, die kürzer oder länger sein kann. „Zeitpunkte“ nimmt mehr Bezug auf gewisse Merkmale einer Periode. W. E. Vine erklärt den Unterschied so: „Zeiten hat mit Quantität zu tun, Zeitpunkte mit Qualität.“11 Wir lernen, dass wir nicht in einem Universum leben, das irgendwie und irgendwann außer Kontrolle geraten wird. Wir leben in einer Welt, in der Gott mit seinen Absichten zum Ziel kommt. Letztlich zielt alles auf den Augenblick ab, wo der Herr Jesus in seinem Reich herrschen wird.
  3. Er setzt Könige ab und setzt Könige ein: Könige herrschen auf dieser Erde. Vordergründig betrachtet kommen sie entweder durch demokratische Wahlen, durch Erbfolge oder gewaltsam an die Macht. Hintergründig ist es jedoch ganz anders. Die Regenten dieser Erde werden von Gott eingesetzt. Das war damals so, das ist heute so. Gott hatte der Herrschaft der Könige in Juda ein Ende gesetzt. Er hatte Nebukadnezar die Macht gegeben und kannte ihn. Daniel erkennt die Macht dieses Königs an, aber er wusste gleichzeitig, dass er sie von Gott hatte. Als der Herr Jesus vor Pilatus, dem Repräsentanten des vierten Weltreiches, stand, sagte Er die bedeutungsvollen Worte: „Du hättest keinerlei Gewalt gegen mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19,11). Obwohl Gott sich in der Zeit der Nationen der „Gott des Himmels“ nennt, gilt diese Aussage unverändert. Er „kümmert“ sich nicht nur um die Dinge im Himmel, sondern ebenso um die Erde. Er ist völlig souverän. Könige und politisch Verantwortliche sind nur Instrumente in seiner Hand. Das gibt Ruhe in der Unruhe der Zeit.
  4. Er gibt den Weisen Weisheit, und Verstand den Verständigen: Dieser Punkt scheint der Kernpunkt des Lobpreises Daniels zu sein und zeigt gleichzeitig die Bescheidenheit Daniels. Ihm ist klar, dass Gott die einzige Quelle wirklicher Weisheit und Einsicht ist. Dieses Prinzip finden wir wiederholt in der Bibel. Im Alten Testament lesen wir: „Denn der Herr gibt Weisheit; aus seinem Mund kommen Erkenntnis und Verständnis“ (Spr 2,6). Im Neuen Testament betet Paulus: „Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem Tag an, da wir es gehört haben, für euch zu beten und zu bitten, damit ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht“ (Kol 1,9). Ein Beispiel finden wir bei Bezaleel und Oholiab, „in die der Herr Weisheit und Verstand gelegt hatte, damit sie alles Werk der Arbeit des Heiligtums zu machen wüssten“ (2. Mo 36,1). Weisheit und Verständnis sind nie etwas, worauf wir uns etwas einbilden könnten. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Daniel davon spricht, dass Weise Weisheit bekommen und Verständige Verstand. Es gibt also erstens eine Seite unserer Verantwortung, und zweitens sind Weisheit und (geistlicher) Verstand etwas, das nie zu einem Abschluss kommt, sondern im Gegenteil ständig wachsen soll. „Denn wer hat, dem wird gegeben werden“ (Mk 4,25). Dabei wollen wir bedenken, dass Weisheit nicht einfach Kenntnis ist. Erkenntnis allein bläht nämlich auf (1. Kor 8,1). Wahre Weisheit ist immer mit praktischem Verhalten verbunden. Es geht nicht um „Wissen“, sondern um „Leben“ (Ausleben). Die Weisheit Gottes ist nie theoretisch, sondern immer gleichzeitig praktisch. Daniels Auge war einfältig, und deshalb hatte er Licht. Das ist das wahre Geheimnis geistlichen Wachstums. Das ganze Buch der Sprüche ist gegeben, „um Weisheit und Unterweisung zu kennen, um Worte des Verstandes zu verstehen“ (Spr 1,1.2). Gott sagte seinem irdischen Volk: „Siehe, ich habe euch Satzungen und Rechte gelehrt, ... damit ihr so tut ... Und so haltet sie und tut sie! Denn das wird eure Weisheit und euer Verstand sein vor den Augen der Völker, die alle diese Satzungen hören und sagen werden: Diese große Nation ist ein wahrhaft weises und verständiges Volk“ (5. Mo 4,5.6). Das zeigt uns die einfache Voraussetzung und den Weg, um weise und verständnisvoll zu werden. Diese Weisheit und dieses Verständnis lernen wir auf keiner Hochschule dieser Erde, sondern nur in der Schule Gottes.
  5. Er offenbart das Tiefe und das Verborgene: Daniel ist sich bewusst, dass vor Gott gar nichts verborgen bleiben kann. Er kannte die Gedanken und Empfindungen des Herzens von Nebukadnezar und wusste um seine Zukunftssorgen. Was vor Menschen verborgen werden kann, ist vor Gott völlig aufgedeckt. „Kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Heb 4,13). Er allein ist der allwissende Gott. Aber Gott ist nicht nur ein Gott, der das Tiefe und Verborgene kennt, sondern Er kann es – wenn es Ihm gefällt – offenbaren. „Das Verborgene ist des Herrn, unseres Gottes; aber das Offenbarte ist unser und unserer Kinder in Ewigkeit, damit wir alle Worte dieses Gesetzes tun“ (5. Mo 29,28). Er hatte Daniel das Geheimnis offenbart, so dass er nun zum König gehen konnte.
  6. Er weiß, was in der Finsternis ist, und bei ihm wohnt das Licht: Das Neue Testament macht klar, dass Gott Licht ist. Aber hier geht es darum, dass das, was für den König Finsternis war (die Bedeutung des Traumes) und Daniel bisher ebenfalls nicht bekannt war, bei Gott völlig bekannt war. Für Gott war alles „im Licht“. Für Nebukadnezar blieben der Traum und seine Deutung so lange in der Finsternis, bis Daniel ihn im Auftrag Gottes in das Licht stellte. Uns mag es oft scheinen, dass gewisse Ereignisse im Dunkel bleiben. Wir verstehen das Tun Gottes oft nicht. Dennoch bleibt diese Gewissheit, dass Gott alles sieht und beurteilt. Für Ihn sind alle Dinge im Licht.

Daniel beginnt und schließt sein Gebet mit einem Lobpreis. Er war sich bewusst, dass alles von dem Gott seiner Väter kam. Daniel wollte keine Anerkennung für sich, sondern gab alle Ehre seinem Gott. Bemerkenswert ist noch, dass er seine Freunde in den Lobpreis einschließt, denn sie hatten mit ihm gebetet. Später würde er dann die Ehre mit ihnen teilen. „Dich, Gott meiner Väter, lobe und rühme ich, dass du mir Weisheit und Kraft gegeben und mir jetzt kundgetan hast, was wir von dir erbeten haben; denn du hast uns die Sache des Königs kundgetan.“ Das ist wahre Demut. Daniel machte sich völlig mit ihnen eins, so wie sie sich mit ihm eins gemacht hatten. Daniel war sich bewusst, dass er nicht allein war, obwohl er persönlich Traum und Deutung empfangen hatte. Er war ein Teil des Überrestes und mit seinen Freunden verbunden. Wenn heute ein Gläubiger etwas vom Herrn empfängt, dann gehört es nicht unbedingt ihm allein. Er teilt es mit anderen. Paulus zeigte die gleiche Gesinnung. Ihm war besonders offenbart worden, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hatte, aber er sagt: „... uns aber hat Gottes es offenbart“ (1. Kor 2,10) und schließt damit die übrigen Apostel ein.

Verse 24–30: Daniel vor dem König

Die Gesinnung und Bescheidenheit Daniels

Nach diesem Lobpreis geht Daniel zu Arioch. Im Bewusstsein der Souveränität Gottes und des Charakters der Zeit, in der er lebt, geht er in völliger Ruhe, innerem Frieden und furchtlos zu dem, der das furchtbare Gericht ausüben sollte. Er ist nicht länger ein Bittender. Er fordert Arioch auf, die Weisen von Babel nicht umzubringen, sondern ihn stattdessen zum König zu bringen, weil er dem König den Traum deuten will.

Obwohl die Inkompetenz der Weisen von Babel die Ursache für die Todesdrohung Daniels war, bittet er zunächst für sie. Er kannte die Bergpredigt nicht, handelte aber bereits nach den Grundsätzen. Er liebte diejenigen, die ihn – wenn auch in diesem Fall ungewollt – in die größte Gefahr gebracht hatten. Er war bereit, die heidnischen Berater zu retten, und deshalb brachte er diese Aufforderung vor, bevor er den Traum des Königs deutete. Er hätte es ebenso unterlassen können. Aber ihr Schicksal war ihm offensichtlich nicht gleichgültig.

Arioch zögert nicht. Er bringt Daniel schnell vor den König. Dann sucht er – was für den Menschen typisch ist – Ehre für sich. Er legt Wert auf die Feststellung, dass er einen Mann gefunden habe, der dem König die Deutung kundtun würde. Das war nur die halbe Wahrheit. Es stimmte, dass Daniel den Traum deuten konnte, und Arioch muss wiederum ein gewisses Vertrauen in Daniel gehabt haben. Was nicht stimmte, war die Aussage, dass er Daniel gefunden hatte. Es war eher umgekehrt, dass Daniel Arioch gefunden hatte. Aber Daniel lässt diese Aussage einfach stehen. Es ist ihm gleichgültig. Er lässt ihm die Ehre, die er sucht, und streitet sich nicht mit ihm über Verdienste und Meriten. Solche Auseinandersetzungen haben selten Sinn.

Interessant ist indessen die Formulierung, dass Arioch Daniel „einen Mann unter den Weggeführten von Juda“ nennt. Darin erkennen wir wieder die Hand Gottes. Der König sollte wissen, wo wahre Weisheit zu finden war. Nicht bei seinen Weisen und Gelehrten, sondern bei den Weggeführten aus Juda. Dass sie Weggeführte waren, zeigt, dass das Gericht Gottes auf ihnen lag. Da war die Demut Daniels angebracht. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass trotz der traurigen Zustände unter den Juden das „Licht“ nur bei dem Überrest zu finden war. Darin liegt ein praktischer Hinweis für uns verborgen: Es ist wahr, dass die Christenheit noch nie in einer so traurigen Lage war wie heute. Der zweite Timotheusbrief spricht nicht mehr von dem „Haus Gottes“, sondern von einem „großen Haus“ (2. Tim 2,20). Dennoch bleibt es wahr, dass „Licht“ über die Wahrheit Gottes über die Zeitverhältnisse und die Zukunft nur in der Mitte der Christenheit – nämlich bei einem Überrest – zu finden ist. Nicht alle Weggeführten hatten diese Einsicht. Es war nur ein kleiner Überrest, vorgestellt in Daniel. So ist es heute. Die Christenheit im Allgemeinen hat das Licht über die Zukunft völlig verloren. Es sind nur einige wenige, denen Gott sich offenbart und die Einsicht in die Zeitverhältnisse haben.

Ohne jede Angst und Schüchternheit – und doch in tiefer Demut – steht Daniel nun vor dem König. Er spricht mit der Würde und Autorität eines Boten Gottes. Der Herr sagte seinen Jüngern im Blick auf zukünftige Zeiten: „Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Geist eures Vaters, der in euch redet“ (Mt 10,20). Ähnlich muss es Daniel ergangen sein.

Die Botschaft Daniels hat vier Teile:

  1. Er erläutert die Quelle, die ihm Weisheit und Einsicht gegeben hat.
  2. Er spricht das Ziel an, das Gott im Auge hatte.
  3. Er erzählt den Inhalt des Traumes.
  4. Er gibt die Deutung des Traumes an. Daniel tut das in einfachen und gleichzeitig doch sehr tiefgehenden Worten.

Daniel hätte die Frage des Königs, ob er imstande sei, den Traum und dessen Deutung kundzutun, nutzen können, um sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Daniel offenbart die Gesinnung, die wir später in Vollkommenheit bei dem Herrn Jesus finden, der nicht sich selbst in den Vordergrund stellte, sondern in allem die Ehre Gottes suchte (vgl. Joh 8,50). Daniel verbirgt sich hinter Gott. Er handelt, wie Joseph es tat, und gibt Gott alle Ehre. „Und Joseph antwortete dem Pharao und sprach: Das steht nicht bei mir; Gott wird antworten, was dem Pharao zum Wohl dient“ (1. Mo 41,16). Daniel macht klar, dass kein Weiser, kein Beschwörer, kein Wahrsagepriester und kein Sterndeuter das Geheimnis lösen kann. Daniel war in sich nicht intelligenter und klüger als andere Menschen. In ihm war nicht mehr Weisheit als „in allen Lebenden“. Damit sagt er nicht nur, dass es nicht seiner eigenen Weisheit zuzuschreiben ist, dass er das Geheimnis offenbaren kann, sondern nimmt indirekt die Berater Nebukadnezars sogar in Schutz.

Ein guter Bote und Diener Gottes wird sich stets so verhalten wie Daniel und alle Ehre von sich weisen. Wahre geistliche Einsicht in die Gedanken Gottes führt immer zu dieser inneren Haltung. Das ist wahre Kenntnis, die nicht aufbläht. Es ist bemerkenswert, dass Paulus sich angesichts der großen Offenbarung über die Auferstehung den „Geringsten aller Apostel“ nennt (1. Kor 15,9). In Epheser 3,8 nennt er sich den „allergeringsten von allen Heiligen“, und gerade in diesem Kapitel offenbart er den ganzen Ratschluss Gottes in Bezug auf Christus und die Versammlung. Bei Paulus sehen wir wie bei Daniel, dass wahre Erkenntnis klein macht. Falsche Erkenntnis bläht auf und gibt uns Menschen einen Platz, der uns nicht zukommt. J. N. Darby schreibt dazu: „Vor dem König erhebt Daniel sich nicht. Er versteckt sich sozusagen hinter der Herrlichkeit Gottes. Nur dann, wenn wir uns selbst ganz zu nichts machen, werden wir in Wahrheit erhoben, denn als Daniel verschwand, konnte Gott sich in ihm offenbaren.“12 E. Dennett schreibt: „Je näher wir Gott sind, umso mehr verlieren wir uns selbst aus dem Blickfeld, und umso mehr sind wir in der Lage, seine Gedanken zu verstehen.“13

Am Ende der Tage

Daniel spricht also nicht von sich, sondern von dem „Gott im Himmel, der Geheimnisse offenbart“. Dieser Gott würde dem König nun sagen, was am „Ende der Tage“ geschehen soll. Damit wird das Ziel des Traumes genannt, den Nebukadnezar geträumt hatte. Der Ausdruck „Ende der Tage“ kommt in den prophetischen Schriften im Alten Testament wiederholt vor.14 Im Buch Daniel wird er noch in Kapitel 10,14 und 12,13 gefunden. Es ist wichtig, dass wir klar verstehen, was damit gemeint ist. Gemeint ist nicht die Zeit, die im Neuen Testament die „letzten Tage“ oder „schwere Zeiten“ genannt wird (vgl. 2. Tim 3,1; 2. Pet 3,3), d. h. die letzten Tage des christlichen Bekenntnisses auf dieser Erde. Das „Ende der Tage“ meint auch nicht einfach die „künftigen Tage“, von denen Jakob spricht (1. Mo 49,1). Ein Vergleich der verschiedenen Stellen macht klar, dass es bei diesem Ausdruck um das Ende der Zeiten der Nationen geht, um die Zeit also, wenn Gott der Herrschaft, die Er den Nationen übergeben hat, ein Ende machen wird und das Reich unseres Herrn Jesus Christus auf dieser Erde seinen Anfang nimmt. Diese Zeit liegt noch vor uns. Es ist wichtig, dass wir darüber Klarheit haben, weil es Ausleger gibt, die behaupten, dass der Traum Nebukadnezars sich bereits ganz erfüllt habe. Sie denken dann bei dem „Königreich des Gottes des Himmels“ (Vers 44) an die christliche Haushaltung. Der Gedanke ist jedoch völlig abwegig, wie wir noch sehen werden. Das Christentum ist beileibe kein Reich, das „in Ewigkeit nicht zerstört“ werden wird.

Gott offenbart in diesem Traum und Bild also deutlich mehr, als Nebukadnezar erwarten konnte und was in den „Gedanken seines Herzens“ gewesen war. Der König hatte sich Sorgen darüber gemacht, was „nach diesem“ geschehen würde. Er wollte wissen, wie es mit seinem Babylonischen Reich weitergehen würde. Aber Gott wollte ihm eine Vision geben, die bis ans Ende geht, bis zu dem Augenblick, wo die Rechte des „Königs der Könige“ auf dieser Erde anerkannt werden. Dabei fällt auf, dass Gott Daniel den Traum „offenbart“ hat, während Nebukadnezar die Deutung lediglich „kundgetan“ wurde. Der König war auf Daniel angewiesen, um zu erfahren, was Gott ihm sagen wollte.

Verse 31–45: Die Offenbarung und Deutung des Traumes

Welche Überraschung muss es für den König gewesen sein, als der junge Mann aus Juda ihm seinen eigenen Traum erzählte. Sollte er ihn tatsächlich vergessen haben, kam er nun in sein Bewusstsein zurück. Sollte er ihn nur für sich behalten haben, fand er eine perfekte Bestätigung dessen, was er geträumt hatte. Jede Einzelheit stimmte. Aber noch mehr muss den König erstaunt haben, mit welch einer Sicherheit und Präzision Daniel den Traum interpretierte. Der Traum und seine Deutung gehören zusammen, so dass wir beides zusammen besehen wollen.

Die Verse, die vor uns liegen, bilden das Herzstück des ganzen Kapitels. In Verbindung mit den Kapiteln 7–11 sowie Offenbarung 13 und 17 werfen sie Licht auf wichtige geschichtliche und vor allem prophetische Aussagen der Bibel. Es ist der „Gott des Himmels“, der allein diese Dinge offenbaren kann. Gott gibt uns in knappen Worten einen Überblick über die „Zeit der Nationen“ und von den Weltreichen dieser Zeitperiode von ihrem Anfang bis zum Ende.

Ein großes Bild

Zunächst fallen einige grundsätzliche Dinge auf:

  • Das Bild war groß und schrecklich. Es ist ein anderes Bild als in Kapitel 7, obwohl es das gleiche Thema behandelt. In beiden Kapiteln geht es um die Weltreiche. In Kapitel 7 werden sie als Tiere dargestellt, die keinen Verstand haben. Das zeigt besonders ihren Charakter. So sieht Gott die Weltreiche. Hier geht es um die Sicht der Menschen und die äußere Entwicklung. Daniel spricht deshalb von einem großen und schrecklichen Bild. Sein Glanz war außergewöhnlich. Das spricht einerseits von der Ausdehnung der Reiche, die schließlich die ganze damals bekannte Welt umfasste. Es spricht andererseits von Entartung und von Grausamkeit. Die Macht war von Gott delegiert, aber sie wurde von Anfang an missbraucht. Das ist es, was diese Reiche nach außen hin kennzeichnete. Sie waren groß und breiteten sich machtvoll aus. Ihre Herrscher waren zum Teil grausame Despoten, die Angst und Schrecken verbreiteten.
  • Es war das Bild eines Menschen, mit einem Kopf, einer Brust, Armen, einem Bauch, Lenden, Schenkeln, Füßen und Zehen. Psalm 10,18 gebraucht den Ausdruck: „... der Mensch, der von der Erde ist“.15 Dieser Mensch steht im Gegensatz zu dem Menschen, der aus dem Himmel ist. Der Mensch ist von der Erde: Es sind irdische Weltreiche hier auf der Erde. Deshalb finden wir in ihnen zunehmend Böses. Der Mensch ist und bleibt verdorben. Daran ändern auch die Metalle nichts, die genannt werden. Sie geben ein äußeres Bild, ändern aber nichts an dem inneren Charakter. Paulus spricht in 1. Korinther 4,3 von einem „menschlichen Tag“. Dieser Ausdruck beschreibt die „Zeit der Nationen“. Dieser „Tag des Menschen“ wird abgelöst von dem „Tag des Herrn“. Der eine Tag ist durch den Menschen und dessen Sünde geprägt. Der andere Tag wird einmal dadurch geprägt sein, dass man den Herrschaftsanspruch des Herrn Jesus auf dieser Erde anerkennen wird.
  • Das Bild ist eine Einheit. Es ist ein Bild. Der König sah nicht vier Bilder. Er sah zwar vier verschiedene Reiche, dargestellt in verschiedenen Materialien und Körperteilen, aber dennoch in einem Bild. Der König sah also nicht nur einzelne Teile des Reiches oder einzelne Zeitperioden, sondern er sah ein Gesamtbild. Später finden wir im Buch Daniel weitere Einzelheiten dazu, aber hier geht es um die generelle Geschichte dieser Weltreiche. Die vier Reiche folgen aufeinander, aber immer ist es ein wichtiger Grundsatz, der vorgestellt wird, dass nämlich Gott in der Zeit der Nationen die Gewalt den Völkerhäuptern gegeben hat. Die Geschichte dieser Völker bildet eine Einheit, die man nicht trennen kann. Es ist ein- und dasselbe Reich, nur in verschiedenen Ausprägungen und zu verschiedenen Zeiten. Das erste Reich hatte keinen Vorgänger, und das letzte wird – wenn wir von dem Reich des Herrn Jesus absehen – keinen Nachfolger haben. Wenn am Ende das Bild durch den Stein, der sich losreißt, zerstört wird so wird das komplette Bild vernichtet, nicht nur die Füße aus Eisen und Ton. Das macht klar, dass alle Weltreiche und was von ihnen übrig bleiben wird, zugleich vernichtet werden. Der Gewalt der Menschen auf dieser Erde wird ein Ende gemacht werden. Danach übernimmt der Herr Jesus selbst als „König der Könige“ die Herrschaft.
  • Das Bild war kopflastig. In der Sonne mag dieses Bild durch die verschiedenen Materialien wunderbar geglänzt haben, aber das änderte nichts daran, dass es kopflastig war und keinen sicheren Stand hatte. Von oben nach unten verlor es erstens an Wert und zweitens an Festigkeit. Gold ist nicht nur wertiger als Silber, sondern deutlich schwerer. Gleiches gilt für Silber im Vergleich zu Ton. Die vier Weltreiche wurden nach außen immer größer und mächtiger. Aber in Wirklichkeit gab und gibt es Degeneration. Die Machtbefugnisse der Regenten nahmen ab, und die innere Labilität der Weltreiche nahm zu. Man bekommt den Eindruck eines Bildes, das nach außen hin blendete, in Wirklichkeit aber auf „wackeligen Füßen“ stand. Viele Menschen sehen die Entwicklung der Geschichte der Menschen gerne anders. Nach ihren Vorstellungen fing es mit „Ton“ an und endet mit „Gold“. Fortschritt und Weiterentwicklung sind jedoch eine Illusion. Die Realität ist eine andere. W. Kelly schreibt dazu: „Es gab also Niedergang, und zwar insofern, dass die Weltreiche sich von der Quelle der Macht entfernten.“16 Was am nächsten an dieser Quelle gewesen war, war das Haupt von Gold. Die Füße hingegen waren am weitesten weg.

Ein Überblick

Das erste Reich wird von Daniel klar mit Namen genannt. Daniel sagt zu Nebukadnezar: „Du bist das Haupt von Gold.“ Das Babylonische Reich ist also das erste Reich. Daran kann es keinen Zweifel geben. Die folgenden Reiche werden in Daniel 2 nicht mit Namen genannt, und doch ist es unbestritten, welche Reiche gemeint sind. Das Reich, das geringer ist als das Babylonische Reich, ist ohne jede Frage das Medopersische Reich. Das dritte Reich – das Reich aus Kupfer, das über die ganze Erde herrscht – ist das Griechische Reich, und das vierte Königreich – stark wie Eisen, das zertrümmert – ist das Römische Reich.

Man fragt sich vielleicht, warum Gott an dieser Stelle nur das erste Reich mit Namen benennt und die anderen nicht. W. Kelly weist an dieser Stelle darauf hin, dass die Bibel den Schlüssel zum Öffnen einer Tür nicht immer gleich in das Schloss steckt.17 Manchmal müssen wir ihn etwas suchen. Dazu ist es nötig, dass wir die Bibel – das gilt auch für das prophetische Wort – im Zusammenhang lesen. Wir brauchen nur etwas weiter zu lesen, um die ersten beiden Schlüssel zu finden. In Daniel 5,28 ist von den Medern und Persern die Rede. Sie nahmen Babel ein und übernahmen die Herrschaft. Daniel 8,21 spricht von Griechenland als dem Nachfolger des Medopersischen Reiches. Das ist eindeutig das dritte Reich. Etwas anderes zu behaupten, ist reine Spekulation und entspricht nicht den Tatsachen. Kapitel 7 spricht dann – ohne allerdings den Namen zu nennen – von dem Römischen Reich, das wiederum das Griechische Reich abgelöst hat. Man muss blind sein, um das nicht klar zu sehen. Allerdings ist das Griechische Reich das letzte Weltreich, das – der Geschichte nach – im Alten Testament existierte. Das Alte Testament wurde abgeschlossen, ehe das Römische Reich sich ausgebreitet hatte. Aber direkt zu Beginn des Neuen Testaments finden wir dieses vierte Reich, denn da war das Griechische Reich lange zu einem Ende gekommen und existierte nicht mehr. Das vierte Reich finden wir zu Beginn des Neuen Testaments in Lukas 2,1: „Es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung vom Kaiser Augustus ausging, den ganzen Erdkreis einzuschreiben.“ Es ist das Römische Reich (vgl. Joh 11,48; 19,15), dessen Kaiser Augustus war. Damit liefert uns die Bibel selbst die Schlüssel zum Verständnis der vier Weltreiche in Daniel 2.

Irrwege der Interpretation

Bevor wir näher auf die einzelnen Reiche eingehen, scheint es sinnvoll zu sein, ganz kurz auf einige Irrwege der Interpretation einzugehen. Im Allgemeinen ist das nicht sehr fruchtbar, aber da gerade das Buch Daniel immer wieder im Kreuzfeuer bibelkritischer Äußerungen steht, möchte ich einige Punkte kurz vorstellen:

Der – im positiven Sinn – einfältige Bibelleser staunt, wie Gott in diesem Kapitel Geschichte im Voraus schreibt. Das zeigt deutlich, dass die Bibel niemals menschlichen Ursprungs sein kann, sondern von Gott eingegeben ist. Viele Menschen wollen das nicht wahrhaben. Sie greifen deshalb gerade dieses Buch massiv an. Man möchte um jeden Preis verhindern, in dem letzten Reich das Römische Reich zu sehen. Wer behauptet, das Buch Daniel sei erst geschrieben worden, als sich seine Weissagungen bereits erfüllt hatten, wird natürlich Probleme mit den Aussagen zum Römischen Reich haben. Außerdem sieht man in dem Stein ungern eine prophetische Aussage in Verbindung mit Christus, der in Macht kommt, um sein Reich zu gründen.

  1. Man hat versucht zu zeigen, dass das erste Weltreich nicht das Babylonische, sondern das Assyrische Reich ist, das ja in der Tat geschichtlich dem Babylonischen Reich vorausging. Das Assyrische Reich existierte vorher und war bereits ein sehr mächtiges Reich. Aber wir müssen bedenken, dass Gott uns in der Bibel nicht primär Geschichtsunterricht gibt. Aus der Sicht Gottes fängt die Geschichte der Weltreiche erst an, nachdem die Juden aus dem Land vertrieben waren und die Herrlichkeit Gottes den Tempel in Jerusalem verlassen hatte. Für Gott spielt es keine Rolle, wie viele Weltreiche es vorher gegeben hatte. Er rechnet die Geschichte nach dem kleinen Volk Israel.18 Das Assyrische Reich hatte in der Tat eine große Macht. Die Assyrer belagerten Jerusalem, aber Gott sorgte dafür, dass sie Jerusalem nicht einnahmen. Der Thron Gottes und die Gegenwart Gottes blieben in Jerusalem bis zu dem Zeitpunkt, wo Gott Nebukadnezar als sein „Werkzeug“ benutzte, die Stadt zu besiegen und einzunehmen. Dann erst begannen die „Zeiten der Nationen“. Es ist völlig undenkbar, dass das Assyrische Reich gemeint ist. Daniel sagt es so klar und deutlich zu Nebukadnezar, dass man ihn nicht missverstehen kann: „Du bist das Haupt von Gold.“
  2. Man hat versucht, aus dem Reich der Meder und Perser zwei einzelne Reiche zu konstruieren. Dann hätte man das Römische Reich ebenfalls außer Betracht gelassen. Aber auch das ist nicht möglich. Meder und Perser bildeten ein Doppelreich, das niemals getrennt werden kann. Es hat kein separates Medisches und Persisches Reich gegeben. Die zwei bilden immer eine Einheit.
  3. Man hat ebenso versucht, das Griechische Reich in zwei Teile aufzuteilen, wiederum mit dem Ziel, das Römische Reich zu „vermeiden“. Nach dieser Version ist das Reich Alexanders des Großen das dritte Reich, und das vierte Reich ist das seiner vier Generäle, die sein Erbe angetreten haben. Aber auch das ist unmöglich. Im Buch Daniel wird Alexander der Große immer zusammen mit seinen Obersten als ein Reich gesehen. In Daniel 7,6 ist es ein Tier, das vier Flügel hat, und in Daniel 8,8 lesen wir von vier ansehnlichen Hörnern. Das Griechische Reich ist wie das Medopersische Reich immer ein Reich.

Das Haupt von Gold – das Babylonische Reich

Daniel gibt folgende Einzelheiten:

  1. Von Gott eingesetzt: Nebukadnezar war das Haupt von Gold. Sein Reich war das erste und erhabenste der verschiedenen Weltreiche. Kein Herrscher hat so souverän geherrscht wie er. Sein Reich war territorial – im Vergleich zu anderen – nicht das größte Reich. Dennoch war er das Haupt aus Gold.19 Nebukadnezars Herrschaft kam direkt von Gott, ohne dass er sich dessen bewusst gewesen wäre. Vers 37 sagt, dass er der „König der Könige“ war (vgl. Hes 26,7), dem der Gott des Himmels „das Königtum, die Macht und die Gewalt und die Ehre gegeben hat“. Das wird von keinem anderen König gesagt.20 Alle folgenden Königreiche begannen unter der Zulassung Gottes, aber sie kamen doch nicht direkt und unmittelbar von Ihm. Daniel betont, dass es der „Gott des Himmels“ war, der ihm eine solche Position und Machtbefugnis gegeben hatte. Nebukadnezar hatte sich darauf nichts einzubilden. Gott hatte ihm erlaubt, sein irdisches Volk zu besiegen und in Gefangenschaft zu führen. Nebukadnezar war also – äußerlich betrachtet – Gott am nächsten. Er hatte ihm die Macht gegeben. In Jeremia 51,7 wird Babel ein „goldener Becher in der Hand des Herrn“ genannt. Wieder wird das Material Gold genannt.
  2. Eine besondere Machtbefugnis: Daniel sagt weiter, dass der König von Babel der Herrscher der Menschenkinder, der Tiere des Feldes und der Vögel des Himmels war. Auch das wird von keinem anderen Herrscher in dieser Form gesagt. Seine Vorrangstellung war außergewöhnlich. Seine Herrschaft hörte nicht bei den Menschen auf, sondern schloss die Tiere und sogar die Vögel mit ein. Sie bezog sich somit auf die ganze Erde. Inwieweit Nebukadnezar das wirklich realisiert hat, wird nicht gesagt, aber hier geht es um die Absicht Gottes. Ausleger erinnern an die Stellung von Adam (vgl. 1. Mo 1,26), der das erste Haupt der Schöpfung war. Allerdings regierte Adam vor dem Sündenfall nicht über Menschen, dafür waren aber die Fische des Meeres eingeschlossen, die bei Nebukadnezar nicht erwähnt werden. Vollkommen finden wir die Vorrangstellung des Herrn Jesus. „Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt: Schafe und Rinder allesamt und auch die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was die Pfade der Meere durchzieht. Herr, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde“ (Ps 8,7–10). Er wird einmal über alle Dinge im Himmel und auf der Erde regieren (Eph 1,10).
  3. Beginn und Ende des Reiches: Das Reich Nebukadnezars begann 609 v. Chr. und dauerte bis 539 v. Chr. Gott hatte das durch seine Propheten angekündigt: „Und nun habe ich alle diese Länder in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel, meines Knechtes, gegeben; und auch die Tiere des Feldes habe ich ihm gegeben, dass sie ihm dienen. Und alle Nationen werden ihm dienen und seinem Sohn und seines Sohnes Sohn, bis die Zeit auch seines Landes gekommen ist und viele Völker und große Könige ihn dienstbar machen“ (Jer 27,6.7). Das war das Ende von Babel. Gott äußerlich sehr nahe zu sein und Haupt von Gold zu sein, brachte eine besondere Verantwortung mit sich. Dieser Verantwortung entsprachen er und vor allem seine Nachfolger nicht. Moralisch gesehen war bei ihnen in der Tat nicht alles Gold, was glänzte. Die Worte Jeremias gingen in Erfüllung. Sein Sohn und seines Sohnes Sohn regierten nach ihm. Sein Sohn war Ewil-Merodak (Jer 52,31; 2. Kön 25,27). Danach regierte sein Schwiegersohn. Das ist Nergal-Sarezer, der in Jeremia 39,3.13 noch als Fürst Nebukadnezars erwähnt wird. Danach kam Nabonidus (Narbonid), ein weiterer Schwiegersohn Nebukadnezars, an die Macht. Lange Zeit nahm man an, Nabonidus sei der letzte König von Babel gewesen. Das wäre dann die zweite Generation gewesen, und Jeremia müsste sich geirrt haben, als er den Enkel Nebukadnezars erwähnte. Den biblischen Bericht in Daniel 5 über Belsazar sahen Kritiker vorschnell als Fehler an. Doch vor einigen Jahrzehnten entdeckte man, dass dieser Nabonidus tatsächlich einen Sohn hatte, und das war der Enkelsohn von Nebukadnezar, Belsazar.21 Er regierte gemeinsam mit seinem Vater. In Kapitel 5 war er tatsächlich König auf dem Thron. Zu diesem Zeitpunkt war sein Vater wahrscheinlich schon von den Persern gefangen genommen worden oder befand sich zumindest im Exil. Die Aussage Jeremias ist also bestätigt worden.

Das Ende des Babylonischen Reiches wird in den prophetischen Schriften mehrfach erwähnt. Jeremia 51 spricht ausführlich darüber. Hier ein Zitat aus Jeremia 25: „Und dieses ganze Land (Palästina) wird zur Einöde, zur Wüste werden; und diese Nationen werden dem König von Babel dienen siebzig Jahre. Und es wird geschehen, wenn siebzig Jahre voll sind, werde ich an dem König von Babel und an jenem Volk, spricht der Herr, ihre Schuld heimsuchen, und an dem Land der Chaldäer; und ich werde es zu ewigen Wüsteneien machen. Und ich werde über jenes Land alle meine Worte bringen, die ich über es geredet habe: alles, was in diesem Buch geschrieben steht, was Jeremia geweissagt hat über alle Nationen. Denn viele Nationen und große Könige werden auch sie dienstbar machen; und ich werde ihnen nach ihrem Tun und nach dem Werk ihrer Hände vergelten“ (Jer 25,11–14). Jeremia gibt die Zeit mit 70 Jahren an (nicht zu verwechseln mit der Gefangenschaft der Juden, die ebenfalls 70 Jahre dauerte). Die Zeit für Babylon war fest bestimmt. Gott hatte sie vorausgesagt. Wer Babel besiegen würde, sagt uns der Prophet Jesaja: „Siehe, ich erwecke gegen sie die Meder, die Silber nicht achten und an Gold kein Gefallen haben. Und ihre Bogen werden Jünglinge niederstrecken, und über die Leibesfrucht werden sie sich nicht erbarmen, ihr Auge wird die Kinder nicht verschonen. Und Babel, die Zierde der Königreiche, der Stolz des Hochmuts der Chaldäer, wird sein wie die Umkehrung Sodoms und Gomorras durch Gott. Es wird niemals bewohnt werden und keine Niederlassung mehr sein von Geschlecht zu Geschlecht; und der Araber wird dort nicht zelten, und Hirten werden dort nicht lagern lassen. Aber Wüstentiere werden dort lagern, und ihre Häuser werden voller Uhus sein; und Strauße werden dort wohnen und Böcke dort hüpfen; und wilde Hunde werden heulen in seinen Palästen und Schakale in den Lustschlössern. Und seine Zeit steht nahe bevor, und seine Tage werden nicht verlängert werden“ (Jes 13,17–22). Auch diese Worte sind buchstäblich in Erfüllung gegangen.

Brust und Arme aus Silber – das Medopersische Reich

Die nächsten beiden Reiche werden in Daniel 2 nur sehr knapp erwähnt. Kapitel 7 gibt mehr Details darüber. Von dem zweiten Reich wird nur gesagt, dass es „geringer“ sein würde. Das bezieht sich nicht auf die territoriale Ausdehnung des Reiches, sondern auf die Machtbefugnisse seiner Regenten und ihrer Ausstrahlung nach außen. Silber ist ein wertvolles Material, dennoch im Wert immer geringer als Gold. Das Medopersische Reich wird in Daniel 5 in der Ansprache Daniels an Belsazar angekündigt. „Peres – dein Königreich wird zerteilt und den Medern und Persern gegeben“ (Dan 5,28). Darius, der Meder, war der erste Vertreter dieses Reiches. Dass seine Machtbefugnis deutlich geringer war als die von Nebukadnezar, macht Daniel 6 sehr deutlich. Darius war ein „Gefangener“ seiner eigenen Gesetze (Dan 6,16).

Kores, der große König der Meder (in der Geschichte als Kyros II. bekannt), war schon über 100 Jahre vorher von Jesaja mit Namen angekündigt worden (Jes 44,28; 45,1). Auch das kann nur Gott. Deshalb ist auch Jesaja als Prophet von Bibelkritikern diskreditiert worden, weil man nicht glauben will, dass Gott Namen im Voraus schon kennt (vgl. in diesem Zusammenhang die Weissagung über den König Josia in 1. Könige 13,2).

Das Medopersische Reich begann 539 v. Chr. und endete 330 v. Chr. unter Darius (Dareios) III., der von seinen eigenen Untergebenen ermordet wurde. Die beiden Arme deuten die zwei Teile an, d. h. das Reich der Meder und Perser. Bestätigt wird das in Daniel 7 in dem Bild des Bären und in Kapitel 8 im Bild des Widders mit zwei Hörnern. Auch dort werden die beiden Teile des Reiches angedeutet.

Bauch und Lenden aus Kupfer – das Griechische Reich

Auch dieses Reich wird in Daniel 2 nur kurz erwähnt. Im Bild wird es dargestellt durch den Bauch und die Lenden aus Kupfer. In der Deutung sagt Daniel, dass dieses Reich über die ganze Erde herrschen wird. Im weiteren Verlauf des Buches wird ausführlicher darüber gesprochen. Kapitel 8 sagt uns: „Der Widder mit den zwei Hörnern, den du gesehen hast, das sind die Könige von Medien und Persien. Und der zottige Ziegenbock ist der König von Griechenland; und das große Horn, das zwischen seinen Augen war, ist der erste König“ (Dan 8,20.21). Das dritte Reich ist ohne Frage das Griechische (oder Griechisch-Mazedonische) Reich, das von Alexander dem Großen gegründet wurde. Er hatte von seinem Vater Philippus Mazedonien und Griechenland geerbt, die dieser erobert hatte. Er zerschlug ca. 334–330 v. Chr. die medopersische Herrschaft unter Darius III. (vgl. dazu Dan 11,1–4) und regierte dann später über Mazedonien, Griechenland, Kleinasien, Syrien, Israel, Ägypten, Mesopotamien, Persien, Afghanistan und Indien sowie über Teile von Zentralasien. Das Reich war immens groß und erstreckte sich über die damals bekannte Welt. Obwohl die Meder und Perser vor ihm ebenfalls große Eroberer waren, war deren Territorium doch einigermaßen begrenzt. Das Medopersische Reich blieb immer ein asiatisches Reich. Das Griechische Reich hingegen wuchs extrem schnell. Deshalb trifft die Aussage Daniels, dass das dritte Königreich über die ganze Erde herrschen würde, gerade auf Alexander zu. Wie ein Strom sich ausbreitete, so breitete sich dieses Reich aus. Alexander soll einmal geweint haben, als ihm bewusst wurde, dass es für ihn nichts mehr zu erobern gab. Das Reich begann 330 v. Chr. und endete im Jahr 63 v. Chr. Alexander der Große selbst starb bereits als junger Mann im Alter von 33 Jahren an einem Fieber (323 v. Chr.). Sein Riesenreich wurde in vier Teile zerschlagen. Was übrig blieb, lag deutlich unter der Herrlichkeit des Reiches der Meder und Perser. Die vier Generäle Alexanders (Diadochen = Nachfolger genannt) und deren Söhne teilten das Reich Alexanders in sechs Kriegen (in der säkularen Geschichte als Diadochenkriege bekannt) unter sich auf. Das finden wir in Daniel 8 prophetisch näher beschreiben: „Der Widder mit den zwei Hörnern, den du gesehen hast, das sind die Könige von Medien und Persien. Und der zottige Ziegenbock ist der König von Griechenland; und das große Horn, das zwischen seinen Augen war, ist der erste König. Und dass es zerbrach und vier an seiner statt aufkamen: Vier Königreiche werden aus dieser Nation aufstehen, aber nicht mit seiner Macht“ (Dan 8,20–22).

Auch in Kapitel 11 lesen wir darüber: „Und ein tapferer König [das ist Alexander der Große] wird aufstehen, und er wird mit großer Macht herrschen und nach seinem Gutdünken handeln. Und sobald er aufgestanden ist, wird sein Reich zertrümmert und nach den vier Winden des Himmels hin zerteilt werden. Aber nicht für seine Nachkommen wird es sein und nicht entsprechend der Macht, mit der er geherrscht hat; denn sein Reich wird zerstört und anderen zuteilwerden, unter Ausschluss von jenen“ (Dan 11,3.4).

Alexander war ohne Frage ein genialer Kriegsherr und mächtiger König. Dennoch ging seine Machtbefugnis nicht so weit wie die der Könige der Meder und Perser. Er hatte nicht nur Berater, sondern wurde durch seine Generäle in gewissem Sinn „kontrolliert“ und in seiner Macht eingeschränkt. Sein Reich war eine Art „Militärherrschaft“ – also eindeutig weniger wertvoll als die Aristokratie der Meder und Perser mit ihren Gesetzen. Das mag in dem Material Kupfer (Kupfererz oder Bronze) angedeutet sein.

Daniel 11 beschreibt die Geschichte zweier dieser Teile des Griechischen Reiches, nämlich die von Syrien und Ägypten, wo griechische Herrscher jahrhundertelang geherrscht haben. Palästina gehörte im Lauf dieser Jahrhunderte sowohl zu Syrien als auch zu Ägypten. Deshalb spricht die Bibel gerade über diese beiden Teile ausführlich.

Schenkel aus Eisen und Füße teils aus Eisen, teils aus Ton – das alte Römische Reich

Das Römische Reich spielt in der biblischen Prophetie eine besondere Rolle, weil es das Reich ist, das in der „Zeit des Endes“, wenn der Herr Jesus in Macht und Herrlichkeit kommt, existent sein wird. Der Stein, der sich löst – ein Bild von Christus, der kommt, um sein Reich zu gründen –, traf das Bild gerade an seinen Füßen. Wir wollen einige Details besehen, die zum Teil über den Rahmen von Daniel 2 hinausgehen, aber zum Gesamtverständnis biblischer Prophetie dennoch wichtig sind.

  1. Die Entstehung des Römischen Reiches: Unter den Nachfolgern Alexanders des Großen zerfiel das Griechisch-Mazedonische Reich nach und nach und machte so Platz für ein viertes Reich, das ohne jede Frage das Römische Reich ist.22 148 v. Chr. wurde Mazedonien zur römischen Provinz. 64 v. Chr. fiel Vorderasien in die Hand Roms. Ägypten folgte um 30 v. Chr. Wie bereits bemerkt, finden wir das Römische Reich im Alten Testament nur vorausgesagt. Aber als das Neue Testament geschrieben wurde, befand sich das Volk Israel bereits unter der Herrschaft der Römer. 63 v. Chr. hatte Pompejus Judäa erobert, und es wurde zu einer römischen Provinz. In Lukas 2 lesen wir, dass Kaiser Augustus23 über Palästina Gewalt hatte. Lukas 3,1 spricht über den Kaiser Tiberius.24 Daraus wird klar, dass Israel (die Juden) in der Zeit der Nationen nie wirklich frei gewesen ist. Wirklich frei vom Joch der Nationen wird dieses Volk erst sein, wenn der Herr in Macht und Herrlichkeit zurückkommt.
  2. Die Ausbreitung des Römischen Reiches: Das Römische Reich existierte als Weltreich etwa von 63 v. Chr. bis 476 n. Chr., hat allerdings – wie wir gleich sehen werden – noch eine Zukunft vor sich. In dem Bild Nebukadnezars wird es durch die Schenkel und Füße symbolisiert. Das deutet erstens auf eine gewisse Länge hin (die Beine sind der längste Teil des Körpers), und zweitens hat der Mensch nicht nur ein Bein, sondern zwei. Kein Reich hat so lange existiert wie das Römische Reich. Fast fünf Jahrhunderte lang dominierte es diese Welt. Es gab wohl kaum ein Reich auf dieser Erde, das stärker war als das Römische Reich. Darüber hinaus war das Reich global und auf Expansion ausgerichtet. Es erstreckte sich mehr oder weniger über die damals bekannte Erde und Völkerschaften. Die beiden Schenkel deuten an, dass es im Römischen Reich später zwei Teile gab. 395 n. Chr. zerfiel es nach dem Tod des Kaisers Theodosius I.25 in das ost- und weströmische Reich, die lange Zeit nebeneinander existierten. Das weströmische Reich – das für die biblische Prophetie von besonderem Interesse ist – existierte bis ca. 476 n. Chr. Das oströmische (byzantinische) Reich endete erst 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Das macht klar, dass die Zahl „zwei“ für das Römische Reich kennzeichnend ist. Babel war eine Einheit (die Zahl „eins“). Die Meder und Perser waren ein Doppelreich (die Zahl „zwei“). Griechenland existierte in vier Reichen (die Zahl „vier“). Beim Römischen Reich ist es wieder die Zahl „zwei“ (ost- und weströmisches Reich). Aber es gibt eine weitere Zahl, die für das Römische Reich kennzeichnend ist. Das ist die Zahl „zehn“. Auch wenn sie in Kapitel 2 (noch) nicht vorkommt, deuten die Füße mit den Zehen doch eindeutig darauf hin. Der Mensch hat normalerweise 10 Zehen. Die Erklärung wird uns Daniel 7 liefern, wo wir mehrfach von „zehn Hörnern“ lesen (Dan 7,7.20.24). Gemeint sind 10 Könige, die ihre Macht konsolidieren und in die Hände eines Herrschers geben. Wir kommen darauf zurück.
  3. Eisen: Das erste Material, das genannt wird, ist Eisen. Die Schenkel waren aus Eisen. Eisen ist kein besonders wertvolles Material, symbolisiert aber Macht und Stärke. Daniel sagt ausdrücklich, dass dieses Reich stark wie Eisen sein würde, das alles zertrümmert. Das Römische Reich war in der Tat ein eisernes Reich. Nichts konnte sich scheinbar der Ausbreitung dieses Reiches widersetzen. Es war ein überaus mächtiges und gleichzeitig grausames Reich. Viele Reiche der damals bekannten Welt wurden erobert und unterworfen. Ein Beispiel für die Härte und Grausamkeit römischer Regenten liefert uns Lukas 13,1. Dort lesen wir, dass Pilatus das Blut einiger Galiläer mit dem Blut ihrer Schlachtopfer vermischt hatte. Auch die Vollstreckung der Todesstrafe durch Kreuzigung zeigt, wie grausam die römische Justiz sein konnte. Die hohe Anzahl christlicher Märtyrer, die zum Teil unter grausamen Methoden ihr Leben verloren haben, ist ebenfalls ein Beweis dafür. Aber Eisen ist eben kein sehr wertvolles Metall. Wir haben schon gesehen, dass die Wertabnahme des Metalls in dem Bild Nebukadnezars andeutet, dass die Machtbefugnis der Herrscher in den einzelnen Weltreichen mehr und mehr abnahm. So konnten die Herrscher in Rom – so despotisch und brutal sie waren – doch zumeist nicht völlig autark handeln. Immerhin gab es eine „Verfassung“, die dem Römischen Reich seine Ordnung geben sollte. Es gab die römischen Magistrate, es gab einen Senat, und es gab die Volksversammlung. Inwieweit diese Organe in der Praxis immer funktioniert haben, sei dahingestellt, aber zumindest wird deutlich, dass ein römischer Kaiser nicht so selbstherrlich entscheiden konnte wie z. B. Nebukadnezar.
  4. Ton: Ein zweites Material wird genannt. Die Füße und die Zehen waren teils aus Eisen und teils aus Ton. Es war ein lehmiger Ton, der sich jedenfalls nicht mit dem Eisen vermischen konnte. Das spricht von Zerbrechlichkeit. Daniel sagt, dass das Reich ein geteiltes Königreich sein würde, das heißt teils stark wie Eisen und teils weich bzw. zerbrechlich wie Ton (lehmiger Ton ist an sich weich und, wenn er getrocknet ist, zerbrechlich). Das deutet an, dass es im Römischen Reich starke und schwache Elemente gab. Der Ton spricht von menschlicher Schwäche. Jesaja nennt den Menschen „ein Tongefäß unter irdenen Tongefäßen“ (Jes 45,9). Dennoch ist es schwierig, exakt zu sagen, was die Mischung aus Ton und Eisen konkret bedeutet. Bibeltreue Ausleger haben dazu verschiedene Erklärungen gegeben.
    • Eine erste mögliche Erklärung ist, dass das Römische Reich stark war in der Gesetzgebung, in der Organisation und der militärischen Strategie. Die vielen unterschiedlichen Völker sorgten allerdings für eine große Schwäche des Reiches. Sie vermischten sich zwar, hafteten aber nie wirklich aneinander. So wie man Ton und Eisen nicht zu einer Einheit verbinden kann, haben sich diese Völkerschaften nie wirklich miteinander verbunden. Der Ton war nicht sofort da. Er wird erst bei den Füßen erwähnt. Das hat viele Ausleger dazu gebracht, in den Völkerschaften, die sich nicht vermischt haben, besonders die Barbaren zu sehen, die gegen Ende des vierten und am Anfang des fünften Jahrhunderts in das Römische Reich drängten. Sie waren die Ursache dafür, dass das Reich geschwächt wurde, dass es in mehrere Teile zerbrach und sich schließlich nach und nach auflöste.26
    • Das Gemisch aus Eisen und Ton veranlasst einige Ausleger zu einer anderen Erklärung. Eisen und Ton können nicht vermischt werden. In Wirklichkeit nimmt der Ton dem Eisen die Fähigkeit, Dinge zusammenzuhalten. Da, wo sich Ton und Eisen berühren, ist gerade die Schwachstelle. So war es im Römischen Reich nicht dauerhaft möglich, das populäre und – im gewissen Sinn – demokratische Element mit dem absoluten Herrschaftsanspruch eines römischen Kaisers zu verbinden. Die Kombination beider Prinzipien führte letztlich zu einer Schwächung des Ganzen und zu seinem Untergang.27 Der Ton spricht dann von den „negativen Auswüchsen“ der Demokratie.
    • Eine dritte Möglichkeit der Erklärung basiert darauf, dass Ton als Material erst bei den Füßen und Zehen erwähnt wird, während bei den Schenkeln nur von Eisen die Rede ist. Dieser Umstand könnte andeuten, dass die Schenkel aus Eisen von dem „alten Römischen Reich“ sprechen, das nicht mehr existiert. Diese Zeitperiode des Reiches war in der Tat von der Härte des Eisens geprägt. Die Zeitperiode der Füße und Zehen steht – wie wir sogleich sehen werden – noch bevor. Es wird eine Zeit kommen, wo zehn Könige einem Alleinherrscher die Macht geben werden. Dieser Herrscher wird einerseits in einer unvorstellbaren Grausamkeit regieren, andererseits wird seine Herrschaft dadurch geschwächt sein, dass er sich mit anderen Regenten „abstimmen“ muss.

In den Tagen dieser Könige – das „wiederbelebte“ Römische Reich

In Vers 44 spricht Daniel von den „Tagen dieser Könige“. Das ist ein interessanter Ausdruck. Denn genau in dieser Zeit der Könige des vierten Reiches wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das nicht zerstört werden wird. Das ist die Erklärung des Steines, der sich löst. Es nimmt Bezug auf das Kommen des Herrn Jesus in Macht und Herrlichkeit (die Einzelheiten werden wir noch besehen). Wenn das so ist – und daran gibt es keinen Zweifel –, muss das Römische Reich existieren, wenn der Herr Jesus sichtbar auf diese Erde kommt. Das Reich muss also „wiederbelebt“ werden, denn heute existiert es nicht.

Wer etwas mit der biblischen Prophetie vertraut ist, weiß, dass es genauso kommen wird. Selbst wenn das in Daniel 2 nicht steht, brauchen wir diesen Gedanken zum Verständnis des Kapitels. Das vierte Weltreich – obwohl es heute nicht sichtbar ist – hat eine Zukunft. Eine erste Erklärung haben wir bereits in Daniel 7,24: „Und die zehn Hörner: Aus jenem Königreich werden zehn Könige aufstehen; und ein anderer wird nach ihnen aufstehen, und dieser wird verschieden sein von den vorigen und wird drei Könige erniedrigen.“ Das hat es in der bisherigen Geschichte des Römischen Reiches nicht gegeben. Es muss sich also auf etwas Zukünftiges beziehen. Deutlicher wird es in der Offenbarung. „Und der Engel sprach zu mir: Warum verwundertest du dich? Ich will dir das Geheimnis der Frau sagen und des Tieres, das sie trägt, das die sieben Köpfe und die zehn Hörner hat. Das Tier, das du sahst, war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraufsteigen und ins Verderben gehen; und die, die auf der Erde wohnen, ... werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, dass es war und nicht ist und da sein wird. Hier ist der Verstand, der Weisheit hat: Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt. Und es sind sieben Könige: Fünf von ihnen sind gefallen, der eine ist da, der andere ist noch nicht gekommen; und wenn er kommt, muss er eine kurze Zeit bleiben. Und das Tier, das war und nicht ist, er ist auch ein achter und ist von den sieben und geht ins Verderben. Und die zehn Hörner, die du sahst, sind zehn Könige, die noch kein Königreich empfangen haben, aber sie empfangen Gewalt wie Könige für eine Stunde mit dem Tier“ (Off 17,7–12). Ein Vergleich mit den ersten Versen von Offenbarung 13 macht klar, dass es sich bei dem „Tier“ um das „Tier aus dem Meer“ (das ist das Völkermeer) handelt, und das ist das Römische Reich bzw. der Herrscher dieses Reiches.28 Dort wird weiter über den Ursprung, die Charakterzüge und die Herkunft der Macht des römischen Weltherrschers gesprochen.

Das macht mindestens drei Dinge klar:

  1. Das Römische Reich „war“ (das ist Vergangenheit), es „ist nicht“ (das ist Gegenwart), und es steigt wieder aus dem Abgrund herauf (das ist Zukunft). Das alte Römische Reich hat eine Zukunft und wird wieder existieren. Das „Tier“ wird als Fortführung der Macht gesehen, die vorher existierte, das ist das Römische Reich.
  2. Die Zahl „zehn“ finden wir in der Offenbarung ebenfalls wieder, und zwar in Verbindung mit dem Römischen Reich. Offenbarung 13,1 spricht von dem „Tier aus dem Meer“, das zehn Hörner hat. Offenbarung 17 bestätigt das (Verse 3, 7,12,16). Es handelt sich um zehn Könige, die sich unter einem Haupt zusammentun und dann die finale Form des Römischen Reiches bilden. Das wird in Daniel 2 in den (zehn) „Zehen“ angedeutet. Die Zehen sind ebenfalls teils aus Eisen und teils aus Ton, d. h., sie vermischen sich nicht wirklich, weil sie sehr unterschiedlich sind.
  3. Die Regierungsform wird sehr wahrscheinlich eine Mischung aus demokratischen und diktatorischen Elementen sein. Eine Reihe bibeltreuer Ausleger sieht in den „sieben Köpfen“ (vgl. Off 13,1) die sechs Regierungsformen, die dieses Reich gekannt haben soll, plus die letzte Regierungsform, die noch zukünftig ist.29 In der Zeit der Kaiser fand das Reich sein Ende. Diese Form wird offenbar in etwa wiederhergestellt werden.

Die „Tage jener Könige“ sind also zukünftig. Das „alte“ Römische Reich ist in viele Teile zerfallen, und es hat danach kein weiteres Weltreich mehr gegeben. Wohl hat es immer wieder Versuche gegeben, Europa mit Macht und Gewalt zu vereinigen. Die vier herausragenden Versuche haben Karl der Große, Karl IV., Napoleon und Hitler unternommen. Aber das Römische Reich der Zukunft wird nicht durch Gewalt oder durch Revolution gegründet, sondern verschiedene Regierungsverantwortliche im Territorium des ehemaligen Römischen Reiches werden sich zusammenschließen und ihre Macht in die Hände eines einzigen Regenten legen. Die Regierungen werden – wahrscheinlich unter dem Druck der politischen und wirtschaftlichen Umstände – mehr oder weniger „freiwillig“ ihre Gewalt einer einzigen Person geben. Das ist das „Tier aus dem Meer“, der römische Weltherrscher, das letzte Haupt der vier Weltreiche.30 Das Tier symbolisiert sowohl das Reich selbst als auch sein politisches Haupt (den Herrscher). Dass es schwierig sein wird, ein solches Reich aus verschiedenen Nationalitäten und mit verschiedenen Interessenlagen zu regieren, können wir uns sehr gut vorstellen.31

Der Stein, der sich vom Berg losreißt

Nebukadnezar hatte geträumt, dass sich ein Stein ohne Hände losriss und das Bild an seinen Füßen aus Eisen und Ton traf und sie zermalmte. Zugleich wurde damit das gesamte Bild zerstört. Alle Bestandteile wurden wie Streu vom Wind weggetrieben, und es wurde keine Stätte für sie gefunden. Stattdessen wurde der Stein zu einem großen Berg und füllte die ganze Erde. In der Erläuterung sagte Daniel, dass der Gott des Himmels in den Tagen dieser Könige ein Königreich aufrichten wird, das in Ewigkeit nicht zerstört werden wird, dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird und das alle jene Königreiche zermalmen und vernichten wird. Diese Aussage macht uns klar, worum es Gott geht. Die Geschichte der Weltreiche läuft darauf hinaus, dass einmal sein Reich auf dieser Erde gegründet wird, wo der Sohn des Menschen über alle Werke der Hände Gottes regieren wird. Wir finden diesen Gedanken später im Buch Daniel wieder: „Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“ (Dan 7,14). Auf diesen Punkt hin läuft Gottes Plan der Geschichte dieser Welt. Menschen mögen glauben, dass sie „Geschichte schreiben“. Aber wir können entscheiden und beschließen, was wir wollen: Die Geschichte dieser Erde wird letztlich so laufen, wie der Gott des Himmels es will. Wir Menschen haben die Gewalt missbraucht und uns versündigt, das ist wahr, dennoch läuft alles auf diesen großen Punkt hinaus, der hier beschrieben wird.

Besehen wir die Einzelheiten:

a) Der Stein: Der Stein ist ohne jede Frage ein Hinweis auf Christus. Mehrfach wird er uns im Alten wie im Neuen Testament so vorgestellt.

  • Jakob sagt in seinem Segen über Joseph: „Aber sein Bogen bleibt fest, und gelenkig sind die Arme seiner Hände durch die Hände des Mächtigen Jakobs. Von dort ist der Hirte, der Stein Israels“ (1. Mo 49,24).
  • „Darum, so spricht der Herr, Herr: Siehe, ich gründe einen Stein in Zion, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, aufs Festeste gegründet; wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes 28,16). Dieser Vers wird im Neuen Testament auf den Herrn Jesus angewandt (Röm 9,33; 1. Pet 2,6).
  • „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (Ps 118,22). Auch dieser Vers wird im Neuen Testament auf den Herrn Jesus bezogen (Mt, 21,42; Mk 12,10; Lk 20,17; Apg 4,11; Eph 2,20).
  • „Denn siehe, der Stein, den ich vor Josua gelegt habe – auf einem Stein sieben Augen –, siehe, ich will seine Eingrabung eingraben, spricht der Herr der Heerscharen“ (Sach 3,9). Auch das spricht von dem Herrn Jesus.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage des Herrn in Matthäus 21,44: „Und wer auf diesen Stein fällt, wird zerschmettert werden; auf wen irgend er aber fällt, den wird er zermalmen.“ In diesem Vers finden wir sowohl die Sünde Israels als auch die Sünde der Nationen. Israel ist auf diesen Stein gefallen. Für sie war Jesus Christus ein „Stolperstein“, ein Stein des Anstoßes, über den sie gefallen sind. Folglich sind sie als Nation zerschmettert worden (im Jahr 70 wurde Jerusalem vollständig zerstört). Die Nationen haben Ihn abgelehnt und werden zermalmt werden, wenn der Stein auf sie fällt. Das ist noch zukünftig. Man könnte meinen, der Herr habe den Traum Nebukadnezars vor Augen gehabt, als Er diese Worte sprach.

b) Der Stein riss sich „ohne Hände“ von einem Berg los: Die Formulierung „ohne Hände“ bedeutet wörtlich „nicht durch Hände gemacht“ und drückt damit aus, dass es nicht durch menschliche Kraft geschah. Der Ausdruck bezieht sich mehrfach auf etwas, was nur Gott tun kann (u. a. Kol 2,11, Heb 9,11.24; Mk 14,58; Apg 7,48; 2. Kor 5,1). Bemerkenswert ist die Aussage in Hebräer 9,11, wo klar gesagt wird, dass „nicht mit Händen gemacht“ bedeutet „nicht von dieser Schöpfung“. So wird es einmal sein. Gott wird den Herrn Jesus als den Erstgeborenen wieder „in den Erdkreis“ einführen (Heb 1,6). Der Stein löst sich von einem Berg. Er kommt von oben, d. h. von Gott. Wenn der Herr Jesus wiederkommt, ist Er der von Gott „zuvor bestimmte Christus Jesus“, den Er sendet (vgl. Apg 3,20). Zeiten und Zeitpunkte liegen in der Hand Gottes (vgl. Apg 1,7). Aber noch etwas wird deutlich: Der Stein reißt sich los. Er löst sich nicht langsam und allmählich ab. Das Kommen des Herrn Jesus auf diese Erde wird sich zwar in den vorlaufenden Gerichten andeuten, aber wenn Er kommt, geschieht das doch plötzlich und schnell. Der Herr Jesus hat selbst gesagt: „Denn ebenso wie der Blitz ausfährt vom Osten und leuchtet bis zum Westen, so wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein“ (Mt 24,27).

c) Der Zeitpunkt und die Begleitumstände: Daniel beschreibt den Zeitpunkt und die Begleitumstände genau. Wir haben schon angemerkt, dass es in den „Tagen dieser Könige“ sein wird. Das ist die Zeit des Römischen Reiches in seiner zukünftigen Phase. Ausleger, die die Abfolge der Haushaltungen nicht richtig unterscheiden, haben diesen Zeitpunkt mit dem ersten Kommen des Herrn Jesus auf diese Erde verbunden. Der Stein, der die ganze Erde füllt, soll dann das Evangelium sein, das sich über die Erde ausbreiten wird.32 Es wird unmittelbar deutlich, dass diese Auslegung nicht korrekt sein kann: Als der Herr Jesus zum ersten Mal auf diese Erde kam, hat Er das Römische Reich nicht gerichtet und zerstört. Das Gegenteil trat ein: Der Repräsentant dieses Reiches (Pilatus) hat den Herrn Jesus gerichtet und zum Tod verurteilt. In Daniel 9,26 lesen wir: „Und nach den 62 Wochen wird der Messias weggetan werden und nichts haben.“ Das deutet seinen Tod an. Als der Herr zum ersten Mal kam, kam Er in Gnade, nicht im Gericht. Wenn Er zum zweiten Mal kommt, kommt Er im Gericht. Dann werden Reiche umgestürzt und besiegt, vorher nicht. J. N. Darby schreibt: „Wir merken an, dass das Reich Christi sein Reich ist, das in Macht in dieser Welt errichtet wird. Es handelt sich nicht um den lieblichen Einfluss des Evangeliums der Gnade.“33 Die Geburt des Herrn und sein erstes Kommen sind hier überhaupt nicht Thema und werden vollständig ausgeklammert.

Andere Ausleger bringen dieses Ereignis mit dem Tag der Pfingsten oder der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. in Verbindung. Man spricht dann gerne von einem „geistlichen Reich Christi“ (oder Gottes), das auf dieser Erde gebaut wird. Dieses Reich soll immer weiter wachsen und irgendwann über die ganze Welt ausgebreitet sein. Man will uns glauben machen, dass das Heidentum irgendwann überwunden ist. Aber all diese Erklärungsversuche ergeben keinen Sinn und führen nur zu Konfusion. Der Herr Jesus hat seinen Jüngern den Auftrag gegeben, das Evangelium auf der ganzen Erde zu verbreiten. Aber Er hat nie davon gesprochen, dass die Herrschaft der Nationen über diese Erde durch das Evangelium gebrochen werden sollte. Er selbst hat das Römische Reich nie attackiert und seine Jünger nicht dazu aufgefordert, es zu tun. Im Gegenteil: Er hat den Römer Pilatus anerkannt und sogar von dessen Gewalt gesprochen, die er hatte (allerdings hat Er klar gemacht, dass diese Gewalt von oben – von dem Gott des Himmels – kam; vgl. Joh 19,11). Es ist also völlig klar, dass der Zeitpunkt noch zukünftig ist.

d) Der Stein zerstört das Bild: Wenn der Herr Jesus als der Herr der Herren und König der Könige erscheint, dann wird dieses Bild zerstört werden. Davon lesen wir in der Offenbarung: „Und ich sah das Tier [den Repräsentanten des Römischen Reiches] und die Könige der Erde und ihre Heere [die Begleiter des römischen Herrschers, vermutlich in erster Linie aus Europa] versammelt, um den Krieg zu führen mit dem, der auf dem Pferd saß, und mit seinem Heer [der Herr mit seinen himmlischen Heerscharen, wo wir eingeschlossen sind]. Und das Tier [der Repräsentant des Römischen Reiches] wurde ergriffen und der falsche Prophet [der jüdische Antichrist], der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm tat, womit er die verführte, die das Malzeichen des Tieres annahmen und die sein Bild anbeteten – lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt“ (Off 19,19.20).

Der Stein traf – oder schlug – das Bild an den Füßen. Das zeigt noch einmal deutlich, dass es sich nicht um das erste Kommen des Herrn auf diese Erde handeln kann. Zu diesem Zeitpunkt war das Römische Reich noch eine Einheit und es gab weder „zwei Füße“ noch „zehn Zehen“.

Das Ende des kommenden Römischen Reiches wird nicht durch irgendeinen Prozess eingeleitet, sondern durch eine Person, durch den Herrn Jesus selbst. Dann erfüllt sich die Weissagung aus Psalm 2. Dort lesen wir u. a.: „Fordere von mir, und ich will dir die Nationen zum Erbteil geben und die Enden der Erde zum Besitztum. Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern, wie ein Töpfergefäß sie zerschmeißen“ (Ps 2,8.9). Dann kommt der Gesalbte Gottes auf die Erde und wird alle Gewalt und Macht und Herrschaft auf dieser Erde beenden. Dann zermalmt der Stein das Bild, und es bleibt nichts mehr übrig. Nichts deutet danach darauf hin, dass das Bild je existiert hat. Der „Tag des Menschen“ (die Zeit der Nationen) ist zu Ende, und der „Tag des Herrn“ (das Tausendjährige Reich) beginnt.

e) Der große Berg erfüllt die ganze Erde: Der Traum endet nicht negativ, sondern positiv. Am Ende gibt es Licht. Der Stein, der Gericht ausübt, wird zu einem großen Berg, der die ganze Erde füllt. Das ist ein Bild des Reiches unseres Herrn in Macht und Herrlichkeit. Dann wird es ein Reich auf der Erde geben, in dem der Herr nach den „Idealen“ Gottes regiert. Alle Nationen der Erde werden unter die herrliche Friedensherrschaft des Sohnes des Menschen gebracht werden. Er wird über alle Sprachen, Völker und Nationen herrschen. Dann – und nicht vorher – werden sich alle Weissagungen über dieses Reich erfüllen, von dem die Propheten im Alten Testament an so vielen Stellen gesprochen haben. Dieser Gedanke macht uns froh und glücklich. Das Ende wird herrlich werden. Der Herr hat alles unter Kontrolle. Wir vertrauen nicht auf politische Verträge, auf Abrüstungsbestrebungen, auf Friedensbemühungen usw. Das mag alles gut gemeint sein. Aber unsere Hoffnung ist der „Stein“ und sein Reich. Wir lieben seine Erscheinung (2. Tim 4,8).

f) Merkmale des Reiches: Andere Stellen – besonders im Alten Testament – berichten ausführlich über dieses Reich. Daniel ist hier sehr knapp, nennt aber doch einige wichtige Merkmale, die wir zur Kenntnis nehmen wollen:

  • Der Stein wird zu einem Berg und füllt die ganze Erde: Alle Reiche dieser Erde haben irgendeine territoriale Begrenzung. Es hat sehr große Reiche gegeben, die man zu Recht „Weltreiche“ nennt (wie das Griechische und Römische Reich), aber kein Reich hat je wirklich die ganze Erde gefüllt. Das Reich des Herrn Jesus ist tatsächlich ein globales Reich, das die ganze Erde (und den Himmel) umfasst. Mehrfach lesen wir im Alten Testament in diesem Zusammenhang von den „Enden der Erde“. Ein Beispiel mag genügen: „Und er wird herrschen von Meer zu Meer und vom Strom bis an die Enden der Erde“ (Ps 72,8).
  • Das Reich wird in Ewigkeit nicht zerstört werden: Dieses Reich ist ein ewiges Reich. Ewig ist hier wohl in dem Sinn zu verstehen, dass kein anderes Reich mehr folgen wird.34 Darüber spricht Daniel 7 ausführlicher. „Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“ (Dan 7,14). Im Neuen Testament wird das bestätigt: „Und er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“ (Lk 1,33). „Und der siebte Engel posaunte: Und es geschahen laute Stimmen in dem Himmel, die sprachen: Das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus ist gekommen, und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Off 11,15).
  • Seine Herrschaft wird keinem anderen Volk überlassen werden: Gott hatte die Herrschaft den Völkern gegeben, aber sie haben ihrer Verantwortung nicht entsprochen, haben sich gegen Ihn erhoben. Es war ein römischer Richter, der den Herrn unschuldig zum Tod verurteilte. Deshalb wird die Herrschaft nie wieder einem anderen Volk überlassen werden. Der Herr Jesus selbst wird die Herrschaft antreten und nicht wieder abgeben.
  • Alle jene Königreiche werden zermalmt und vernichtet werden: Wir haben das ausführlich behandelt. Vor der Aufrichtung des Reiches des Sohnes des Menschen wird es furchtbare Gerichte geben, und die „Zeit der Nationen“ kommt zu einem Ende.

Die Schlussfolgerung Daniels

Daniel zieht eine Schlussfolgerung in zwei kurzen Punkten:

  1. Der große Gott hat Nebukadnezar gezeigt, was er tun will: Gott ist nicht nur der „Gott des Himmels“, sondern auch der „große Gott“. Das musste der König von Babel anerkennen.
  2. Was er gesagt hat, ist gewiss und tritt ein: Der Traum und seine Deutung sind zuverlässig. Daniel wartete nicht erst ab, bis der König bestätigte, dass er den Traum richtig wiedergegeben hatte. Er war sich völlig sicher.

Als Botschafter Gottes hatte Daniel keinen Zweifel an der Richtigkeit und Wichtigkeit seiner Botschaft. Das unterscheidet göttliche Botschaften von menschlichen Botschaften. Das, was Gott sagt, ist zuverlässig: „Das Wort ist gewiss.“ Wenn wir Sicherheit und Gewissheit über die Zukunft haben möchten, sind wir nicht auf Meinungen und Ansichten von Menschen angewiesen. Diese sind häufig spekulativ und ändern sich schnell. Ein Fundament für die Zukunft gibt nur die Bibel. Was Gott sagt, trifft sicher ein. Das prophetische Wort ist „fest“ und eine Lampe, die an einem dunklen Ort hell leuchtet (vgl. 2. Pet 1,19).

Für den natürlichen Menschen mag vieles pessimistisch und vage klingen, und man fragt sich vielleicht, ob es wirklich so kommen wird. Aber wenn sich viele Voraussagen Daniels in dem Traum von Nebukadnezar bereits erfüllt haben, können wir ganz sicher sein, dass sich der letzte Teil ebenfalls erfüllen wird, und zwar so, wie Daniel es im Auftrag Gottes gesagt hat.

Verse 46–49: Die Reaktion Nebukadnezars

Nebukadnezar ist beeindruckt

Zunächst hören wir von Nebukadnezar kein Wort. Stattdessen fällt er auf sein Angesicht und betet Daniel an, der das göttliche Instrument war, seinen Traum zu deuten. Diese Reaktion war für einen heidnischen Götzendiener nicht untypisch und zeigt uns deutlich, wie weit die Verirrung des Menschen gehen kann. Petrus und Paulus erging es ähnlich wie Daniel. Als Petrus zu Kornelius kam, ging er ihm entgegen, fiel ihm zu Füßen und huldigte ihm (Apg 10,25). Paulus und Barnabas erlebten in Lystra, dass man sagte: „Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herabgekommen“ (Apg 14,11). Im Römerbrief lesen wir das Urteil Gottes über diese Menschen: „... die die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauscht und dem Geschöpf Verehrung und Dienst dargebracht haben anstatt dem Schöpfer, der gepriesen ist in Ewigkeit. Amen“ (Röm 1,25). Diese Verehrung erkennen wir bei Nebukadnezar darin, dass er Daniel sogar Speisopfer und Räucherwerk darbringen ließ. Als frommem Juden muss Daniel diese Schmeichelei zuwider gewesen sein, aber es war sinnlos, gegen den König zu reden und zu protestieren.

Dann kommt ein Zeugnis des Königs, das zeigt, wie sehr er dennoch beeindruckt war von dem, was er gehört hatte, und dass seine Bewunderung nicht nur Daniel galt, sondern dem Gott Daniels, den er hinter ihm sah.35 Nebukadnezar anerkennt, dass der Gott der Juden der „Gott der Götter“ und der „Herr der Könige“ ist, ein „Offenbarer der Geheimnisse“. Darin bringt er drei Dinge zum Ausdruck, ohne sich dessen vielleicht selbst bewusst gewesen zu sein:

  1. Es gibt niemand, der mit Gott zu vergleichen wäre. Er ist in der Tat der „Gott der Götter“ (vgl. 5. Mo 10,17; Jos 22,22; Ps 136,2). Neben Ihm gibt es keinen Gott. Die Götter der Menschen sind tote Götzen, während Gott der lebendige Gott ist.
  2. Er ist der „Herr der Könige“, ein Ausdruck, der nur an dieser Stelle vorkommt. Er bestimmt die Geschicke der Regenten dieser Erde und wird einmal selbst die Herrschaft über das ganze Universum antreten. Paulus gebraucht einen verwandten Ausdruck und spricht von dem seligen und alleinigen Machthaber, dem „König der Könige und Herr der Herren“ (1. Tim 6,15).
  3. Er ist der „Offenbarer der Geheimnisse“. Das erinnert an den Namen, den der Pharao Joseph gab. Er nannte ihn Zaphnat-Pahneach (1. Mo 41,45). Das bedeutet: „Enthüller von Geheimnissen“ und ist letztlich ein Hinweis auf unseren Herrn, der in der Tat das offenbart, was im Herzen Gottes ist.

Der weitere Verlauf des Buches Daniel zeigt uns, dass diese Erkenntnis des Königs noch nicht sehr tief ging. In den nächsten Kapiteln sehen wir, dass sein Handeln nicht mit seinen Worten übereinstimmte. Gott war mit ihm noch nicht an seinem Ziel. Sein Herz und sein Gewissen waren noch nicht wirklich berührt. Es war sein Geist, der sich vor der Beweislage beugte. Solche Menschen hat es immer gegeben, auch zur Zeit des Herrn Jesus. Sie glaubten, als sie seine Wunder sahen, aber im tiefen Inneren waren sie nicht überzeugt (vgl. Joh 2,23).

Daniel wird geehrt

Daniel bekommt eine vierfache Belohnung. Sein Name wird groß gemacht, er bekommt viele Geschenke, er wird als Herrscher eingesetzt über die Landschaft Babel und zum Obervorsteher über alle Weisen von Babel. Seine Größe im Reich erinnert wiederum an die Position Josephs, den der Pharao zum zweiten Mann nach ihm im Reich machte. Nur um den Thron wollte er größer sein (1. Mo 41,40). Später würde es noch einen Mann geben, der als Jude im Exil groß wurde. Das ist Mordokai. Von ihm heißt es zweimal, dass er „groß“ war, zum einen im Haus des Königs (Est 9,4), und zum anderen bei den Juden und der Menge seiner Brüder“ (Est 10,3). Alle drei sind darin ein Hinweis auf den Herrn Jesus und seine Größe, die einmal auf dieser Erde vor allen sichtbar werden wird, wenn Er als „König der Könige“ und „Herr der Herren“ regiert. Die übrigen Dinge, die Daniel bekommt, erinnern ebenso an das, was dem Herrn Jesus in seinem Reich zuteilwerden wird. Man wird Ihm Geschenke bringen (vgl. Ps 72,10), man wird seine Herrschaft und seine Weisheit und Einsicht anerkennen.

Gott bekannte sich zu der Treue Daniels und seiner Freude. Die drei hatten seine Not mit ihm geteilt, und nun teilen sie seine Ehre. Daniel denkt an sie. Er bittet den König, und so werden sie mit hohen Verwaltungsaufgaben bedacht. Das ist ein Bild des jüdischen Überrestes kommender Tage. Sie haben mit dem Christus ausgeharrt und werden im Tausendjährigen Reich eine besondere Stellung erhalten, wenn sie mit dem Messias verherrlicht werden.36

Unter dem Blickwinkel der menschlichen Verantwortung starb der Überrest in Kapitel 1 nicht aus, weil vier junge Männer treu waren und sich nicht verunreinigen wollten. In Kapitel 2 stirbt der Überrest nicht aus, weil die vier sich dem gemeinsamen Gebet gewidmet hatten. Auf diese Weise wurde damals – und wird heute und zukünftig – ein Zeugnis für Gott in dieser Welt erhalten.

Was als Tragödie begann, endet in einem großen Triumph. Das Kapitel endet mit dem Hinweis, dass Daniel am Hof – oder im Tor – des Königs war. Das war eine sehr einflussreiche Position (vgl. Est 3,2), die mit großer Autorität verbunden war. Ohne dass er es selbst gewollt hatte, hatte Gott Daniel – einen der weggeführten Juden – in eine sehr hohe Position im fremden Land gesetzt. So handelt Gott in seiner Souveränität und Vorsehung.

Fußnoten

  • 1 Eine ähnliche Einteilung wie im Buch Daniel finden wir übrigens in einem der großen prophetischen Kapitel des Neuen Testaments, in Matthäus 13. Dort erklärt der Herr in Gleichnissen, was das Reich der Himmel bedeutet. Nach dem einleitenden Gleichnis (zu vergleichen mit Daniel 1) kommen drei Gleichnisse, die uns die äußere Entwicklung des Reiches zeigen (vergleichbar mit Daniel 2-6). Danach folgen drei Gleichnisse, die uns mehr die innere Seite zeigen und das, was in diesem Reich für Gott Wert hat (vergleichbar mit Daniel 7-12).
  • 2 Dass auch das unter der Zulassung Gottes geschieht, ist eine andere Frage. Aber diese Regierung wird nicht „von Gott eingesetzt“ (Röm 13,1).
  • 3 Darin liegt eine ganz praktische Anwendung für uns: Alle menschlichen Unternehmungen werden im Lauf der Zeit zugrunde gehen. Das Standbild verlor erstens an Wert und zweitens an Festigkeit. Das Bild war eigentlich völlig kopflastig, denn Gold ist schwerer als Silber (Faktor 2), und Silber wiederum ist deutlich schwerer als Ton (Faktor 5). Nationen und Reiche dieser Welt scheinen manchmal wie ein gewaltiges Standbild zu sein, aber sie sind ständig in Gefahr, zusammenzubrechen. Das Bild blendete durch das Gold und das Silber, doch es stand auf wackeligen Füßen. Alle Fortschritte der Menschen ändern nichts daran, dass es im Prinzip abwärts geht. Gewiss ist es heute leichter als früher, sein Auskommen zu haben. Das Leben scheint „einfacher“ zu sein, aber in Wirklichkeit ist es viel schwieriger geworden, sein Leben zu bestehen. Viele Erfindungen erleichtern uns das Leben – und doch wird es nicht wirklich leichter.
  • 4 Im Original: „Uneasy lies the Head that wears a Crown” aus William the Fourth von W. Shakespeare, zitiert nach www.wikiqote.de
  • 5 Bibelkritiker lehnen eine solche Doppelbedeutung häufig ab und betrachten die Bezeichnung „Chaldäer“ an dieser Stelle als Hinweis für eine spätere Abfassungszeit des Buches. Allerdings spricht nichts gegen eine solche Doppelbedeutung. Herodot, ein bekannter griechischer Geschichtsschreiber, war um 456 v. Chr. in Babel und verwandte in einem seiner Werke die Bezeichnung „Chaldäer“ ebenfalls für Priester in Babel.
  • 6 Kelly, W.: Notes on the Book of Daniel (www.stempublishing.com)
  • 7 Der Text lässt es letztlich offen, ob sie zusammen mit Daniel gebetet haben (was wir wohl annehmen wollen), oder ob jeder für sich gebetet hat.
  • 8 Dennett, E.: Daniel, the Prophet (www.stempublishing.com)
  • 9 Dieser Ausdruck stammt aus der sogenannten Bergpredigt. Natürlich ist Gott im Himmel und wir sind auf der Erde. Dennoch drückt die Anrede „Vater im Himmel“ eine gewisse Distanz aus. Dieser Ausdruck entspricht der Stellung derer, um die es in der Bergpredigt geht. Sie kennen Gott eben nicht als Vater wie wir ihn kennen, sondern sie kennen Ihn als ihren Ursprung (ihre Quelle oder ihren Schöpfer; vgl. z.B. Mal 2,10). Durch das Werk des Herrn Jesus sind wir jetzt in eine ganz nahe Beziehung zu Gott gebracht worden. Der Gott des Herrn Jesus ist unser Gott. Sein Vater ist unser Vater (vgl. Joh 20,17).
  • 10 Wir können hier z. B. an das Lied der Erlösung (2. Mose 15), an den Lobpreis von Hanna (1. Samuel 1), von Maria oder Zacharias (beide Lukas 1) denken. Auch Paulus hat mehrfach in seinen Briefen einen solchen Lobpreis (oft Doxologie genannt) ausgesprochen.
  • 11 Vine, W. E.: 1. Thessalonians, in: The Collected Writings of W. E. Vine, Gospel Tract Publications, Glasgow
  • 12 Darby, J. N.: Studies on the Book of Daniel (www.stempublishing.com)
  • 13 Dennett, E.: Daniel, the Prophet (www.stempublishing.com)
  • 14 Vgl. z.B. Jes 2,2; Jer 23,20; 30,24; Hes 38,16; Hos 3,5; Mich 4,1
  • 15 Die Aussage bezieht sich in Psalm 10 in der unmittelbaren Bedeutung auf den Antichrist, ist aber doch ebenfalls kennzeichnend für dieses Bild hier.
  • 16 Kelly, W.: Notes on the Book of Daniel (www.stempublishing.com)
  • 17 ebenda.
  • 18 In einem Geschichtsbuch der antiken Geschichte kann man normalerweise nur wenige Informationen über die Geschichte des antiken Volkes Israel lesen. Aber Gott rechnet die Geschichte eben anders. Für Ihn dreht sich alles um sein irdisches Volk, selbst wenn es in der säkularen antiken Weltgeschichte keine besonders große Rolle gespielt haben mag. Sobald sein Volk nicht mehr sein anerkanntes Volk ist und Er die Macht den Völkerhäuptern gegeben hat, beginnt für Gott das erste Weltreich.
  • 19 Man mag bei dem Gold an göttliche Herrlichkeit denken. Einige Ausleger verstehen es so, dass Gott etwas von seiner eigenen Herrlichkeit auf diesen heidnischen König legte. Allerdings ist dabei Vorsicht geboten, denn spätestens bei dem nächsten Symbol, das gebraucht wird (Silber), kann man kaum an die sonst häufige Bedeutung der Erlösung denken. Es ist eher zu vermuten, dass „Gold“ hier einfach eine hohe Wertigkeit symbolisiert, während die weiteren Materialien in ihrem Wert jeweils geringer sind.
  • 20 Artasasta nennt sich selbst so (Esra 7,12), ansonsten wird der Begriff nur für den Herrn Jesus gebraucht (1. Tim 6,15; Off 17,14; 19,16).
  • 21 Lange Zeit nahm man an, dass Nabonid der letzte König von Babel gewesen sei. Es gab keine archäologischen Funde, die einen Hinweis auf einen König Belsazar gaben. Deshalb glaubt die Mehrheit der kritischen Belehrten, „Belsazar“ sei eine Erfindung Daniels. 854 wurde jedoch der sogenannte „Nabonid-Zylinder“ gefunden, der den Namen Belsazar als Sohne Nabonids nennt. Damit wird die historische Zuverlässigkeit der biblischen Aufzeichnungen von der Archäologie bestätigt (vgl. Belsazar, eine Studie über die Historizität dieser biblischen Person, von Denis Kaiser)
  • 22 Es ist nicht ganz einfach, den Beginn des Römischen Reiches eindeutig festzumachen. Insgesamt teilt man die Geschichte des Römischen Reiches in vier Phasen auf. Die ersten beiden Phasen (die römische Königszeit und die römische Republik) gehen bereits bis ca. 750 v. Chr. zurück. Der Untergang der römischen Republik begann etwa 133 v. Chr. Die dritte Phase – die römische Kaiserzeit – begann 27 v. Chr. Kurz vorher begann das Römische Reich ein Weltreich zu werden. In der vierten Phase erfolgte die Völkerwanderung (375–568) sowie die Teilung und der Untergang des Römischen Reiches (476/480 im Westen und 1453 im Osten).
  • 23 Kaiser Augustus gilt als erster römischer Kaiser und regierte von 27 v. Chr. bis 14 n. Chr. als Alleinherrscher des Römischen Reiches. Er war es, der die dauerhafte Umwandlung der Regierung in eine Monarchie des Prinzipats betrieb. Seine Herrschaft war nach außen durch zahlreiche Expansionskriege gekennzeichnet, während es im Inneren eine länger anhaltende Friedensphase gab (Pax Augusta).
  • 24 Kaiser Tiberius war der Stiefsohn von Kaiser Augustus. Als zweiter Kaiser Roms regierte er von 14–37 als Kaiser in Rom. Gegen Ende seines Lebens wurde der Interessenkonflikt zwischen dem Kaiser und dem Senat erstmals sehr deutlich.
  • 25 Kaiser Theodosius I. (bekannt als Theodosius der Große) regierte von 379–394 und gilt als letzter Alleinherrscher im Römischen Reich. Nach seinem Tod teilten sich seine beiden Söhne die Regierung. Diese beiden Herrschaftsbereiche führten letztlich zu der Teilung des Reiches in einen Ostteil und einen Westteil.
  • 26 Interessant ist, dass gerade während der Regierung des letzten Kaisers des gesamten Römischen Reiches (Theodosius des Großen) erstmals eine größere Gruppe von Germanen (Goten) als „Föderaten“ (autonomer Verband) unter eigenen Herrschern im Römischen Reich angesiedelt wurde. Als „Föderat“ bezeichneten die Römer solche nichtrömischen Gruppen (oft „Barbaren“ genannt), die unter eigenen Anführern für die Römer kämpften und im Gegenzug häufig ein Stück Land im Römischen Reich zugewiesen bekamen. In der säkularen Geschichtsschreibung wird die Ansicht geäußert, dass diese Föderaten durchaus eine Rolle bei dem Niedergang des Römischen Reiches gespielt haben.
  • 27 Einige Ausleger verweisen darauf, dass die Metalle in dem Bild Nebukadnezars der Regierungsform der Monarchie entsprechen. Gottes Ideal einer Regierung finden wir im Tausendjährigen Reich, wo der Herr Jesus nicht nach demokratischen Prinzipien regiert, sondern von Gott als Herrscher und Regent eingesetzt wird (Ps 8,7). Er wird in Macht regieren, aber so wie kein Mensch es wirklich gekonnt hat, nämlich sowohl in Gerechtigkeit als auch in Güte. Nebukadnezar – das Haupt von Gold – war ebenfalls von Gott zum Herrscher gesetzt worden (Vers 38). Das kam dem Ideal Gottes am nächsten. Er entsprach seiner Verantwortung allerdings nicht. Deshalb ging es weiter über Silber und Kupfer bis hin zum Eisen. Aber nun kommt der Ton dazu. Der Ton ist von der Erde. Das spricht davon, dass etwas in das Bild hineingebracht worden ist, was nicht hinein gehörte (kein Metall). Dieser fremde Bestandteil entspricht dieser Auffassung nach der Demokratie, der Herrschaft des Volkes (vox populi = Stimme des Volkes). Insofern müssen wir sagen, dass die heutigen Regierungsformen der westlichen Welt durchaus nicht dem Ideal Gottes entsprechen. Gott regiert „von oben nach unten“. Demokratie ist von „unten nach oben“.
  • 28 Vergleicht man darüber hinaus Offenbarung 13,2 mit Daniel 7,3-6, wird völlig klar, dass dieses Tier die Fortsetzung der vorherigen Reiche ist. Er trägt die Charakterzüge der ersten Reiche (Leopard, Bär, Löwe). Das beweist, dass es ein Bild ist, das letztlich die eine Zeitperiode der „Zeit der Nationen“ beschreibt.
  • 29 F. Kaupp schreibt dazu Folgendes: „Jeder Geschichtskundige kennt die sechs bis zu der Zeit, da die Offenbarung gegeben wurde, dagewesenen, aufeinanderfolgenden Regierungsformen in Rom: Könige, Konsuln oder Zweimännerkollegium, Dezemvirn oder Zehnmännerkollegium, Kriegstribunen, Diktatoren, Kaiser (Quelle: F. Kaupp, in: „Die letzte Stunde“). Es ist allerdings nicht ganz einfach, diesen Tatbestand in der säkularen Geschichtsschreibung nachzuvollziehen (vgl. den Artikel „Das Tier mit sieben Köpfen“ von G. Setzer in www.bibelstudium.de). Darüber hinaus gibt die Bibel selbst eine doppelte Erklärung für die sieben Berge. In Offenbarung 17,9 heißt es: „Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt. Und es sind sieben Könige.“ Die sieben Berge sind offensichtlich eine Anspielung auf die Stadt Rom (auf sieben Hügeln erbaut), während die sieben Könige von den übrigen Regenten sprechen, die dem Tier aus dem Meer ihre Macht geben.
  • 30 Das „Tier aus dem Meer“ (Off 13,1) ist nicht zu verwechseln mit dem „Tier aus der Erde“ (Off 13,11). Das „Tier aus der Erde“ ist der Antichrist. Die Erde ist ein Symbol für Israel. Der Antichrist wird ein Israeli sein. Das Meer ist ein Symbol für die Völkerschaften, wo das politische Haupt Europas seinen Ursprung hat.
  • 31 Schatten davon erkennen wir heute schon. Bereits jetzt wird es immer schwieriger, Europa wirtschaftlich, finanziell und politisch zusammenzuhalten. Das Ganze steht auf „wackeligen Füßen“ (Eisen und Ton) und scheint sehr kopflastig zu sein. Unsere westliche Gesellschaft wird schon heute durch viele Abkommen und Verträge „irgendwie“ zusammengehalten, aber im Grunde genommen sind alle Abkommen doch zerbrechlich. Die Ratlosigkeit nimmt zu. Wir Menschen (aus Erde = Ton gemacht) sind zwar einerseits Schöpfer, Erbauer und Erhalter, aber gleichzeitig sind wir auch Zerstörer. Wir zerstören und vernichten uns gegenseitig. Die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen beweisen das. Letztlich sind unser böses Herz und unsere Rebellion das eigentliche Problem. J. N. Darby soll schon gesagt haben, dass Rebellion immer ein zerstörender Grundsatz ist, an dem einmal die Menschheit zugrunde gehen wird (Quelle unbekannt).
  • 32 Eine ähnliche Fehlinterpretation hat man in Matthäus 13,33 vorgenommen, wo von einem Sauerteig die Rede ist, der unter drei Maß Mehl gemengt wurde und schließlich den ganzen Teig durchsäuerte. Der Sauerteig ist durchaus kein Bild vom Evangelium, sondern er ist in der Bibel immer ein Bild vom nicht gerichteten Bösen.
  • 33 Darby, J. N.: Studies on the Book of Daniel (www.stempublishing.com)
  • 34 „Ewig“ hat im Alten Testament nicht immer die Bedeutung, die wir aus dem Neuen Testament kennen, d. h., „ewig“ muss nicht unbedingt bedeuten, dass eine Sache kein Ende hat. Wenn Gott sich in Jesaja 40,28 „ewiger Gott“ nennt, heißt das natürlich ohne Frage, dass Gott weder Anfang noch Ende hat. Auch ist die Herrschaft des Herrn Jesus zweifellos ohne ein Ende, d. h., auch in der „Ewigkeit nach der Zeit“ (dem sog. „ewigen Zustand“) wird es auf der neuen Erde eine „Regierung“ geben (vgl. Off 22,5). Diese Regierung wird allerdings einen anderen Charakter haben als im Tausendjährigen Reich, weil es dann keine Sünde mehr gibt, die zu richten wäre. Petrus spricht nicht ohne Grund von dem „ewigen Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus“ (2. Pet 1,11). Das Alte Testament geht jedoch im Allgemeinen nicht über das Reich hinaus, das auf tausend Jahre begrenzt ist. 1. Korinther 15,25 sagt, dass Christus herrschen muss, bis Er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Das ist am Ende des Tausendjährigen Reiches der Fall. Offenbarung 20,6 „begrenzt“ denn auch die Herrschaft des Christus im Reich auf tausend Jahre (ein Umstand, der den Gläubigen im AT allerdings nicht bekannt war). Das Alte Testament gebraucht dennoch mehrfach die Begriff „ewig“, um dieses zeitlich begrenzte Reich zu beschreiben (z. B. 1. Mo 17,8; 48,4; Ps 37,29; 45,18; Jes 35,10; 51,11; Micha 4,7). „Ewig“ in diesem Sinn meint zum einen, dass es eine sehr lange Zeit sein würde, und zum anderen, dass danach kein weiteres Reich mehr kommt. Alle anderen Reiche dieser Erde haben immer ein „Nachfolgereich“ gehabt. Das „ewige Reich“ des Sohnes des Menschen ist das einzige Reich, das durch kein anderes Reich ersetzt werden wird.
  • 35 Es sei angemerkt, dass einige Ausleger in der Handlung des Königs ohnehin eher den Hinweis sehen, dass Nebukadnezar den Gott Daniels anbeten wollte. Sie verweisen auf einen Bericht über Alexander den Großen, der, als er in Jerusalem war, dem Hohenpriester zu Füßen gefallen sein soll und deswegen befragt wurde. Alexander soll geantwortet haben: „Ich bete nicht den Hohenpriester an, sondern den Gott, mit dessen hohenpriesterlicher Würde er geehrt worden ist.“ Wenn das bei Nebukadnezar ähnlich war, dann anerkannte er – zumindest äußerlich – den Gott Daniels als den höchsten Gott.
  • 36 Wir können in der Anwendung auch an uns denken, denn der Herr Jesus teilt seine Herrlichkeit im Reich auch mit uns (vgl. z. B. Joh 17,22). So wie Daniel seine Freunde nie im Stich gelassen hat, tut es der Herr auch nicht. Er gibt uns in seiner Gnade einen Platz der Ehre mit sich.
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