Der Prophet Daniel und seine Botschaft
alter Titel: Notizen zum Buch Daniel

Kapitel 1 - Im fremden Land

Der Prophet Daniel und seine Botschaft

Einleitung

Das erste Kapitel ist eine Einleitung. Es liefert uns den Hintergrund der besonderen Weissagungen dieses Propheten, die zum Verständnis wichtig sind. Einerseits sehen wir den völligen Tiefpunkt des von Gott verstoßenen Volkes im Exil, andererseits in Daniel und seinen Freunden einen Überrest, den Gott sich zum Zeugnis erhält und zu dem Er sich bekennt. Die vier Freunde sind dabei gleichzeitig ein Bild des Überrestes aus Israel in kommenden Tagen und auch ein Hinweis für jeden, der heute seinem Herrn in Treue folgen und Ihm dienen möchte.

Die praktische Anwendung des Kapitels auf uns ist nicht schwierig zu verstehen. Gleichwohl trifft sie ins Zentrum unseres Lebens und wirft entscheidende Fragen auf, die beantwortet werden wollen. Der Gehorsam und die Treue Daniels in einem fremden Land und unter schwierigsten Umständen sind richtungweisend für jeden, der heute mit dem Herrn und für den Herrn leben möchte.

Das Kapitel zeigt uns weiter, was Daniel qualifizierte, gewaltige Offenbarungen von Gott zu bekommen, und das in einer ganz schwierigen Zeit, in der er lebte. Es sind vor allem seine Treue und seine Konsequenz im Blick auf die Absonderung von dieser Welt und die Trennung vom Bösen. J. N. Darby schreibt dazu: „Es ist die Trennung von der Welt, das Ablehnen dessen, was die Welt uns an Nahrung geben kann, das uns in die Lage versetzt, die Mitteilungen Gottes zu empfangen.“1. Natürlich haben wir heute das vollständige Wort Gottes und bekommen keine neuen Offenbarungen mehr wie Daniel, aber damit wir wirklich erfüllt sind mit der Kenntnis des Willens Gottes, muss diese Bedingung erfüllt sein. Daniel war „ein Gefäß zu Ehre“ (2. Tim 2,21), das Gott sich zubereitet hatte, um eine große Aufgabe in Babel zu erfüllen.

Verse 1–5: Von Jerusalem nach Babel

Der Sieg über Jerusalem

Die Geschichte führt uns zurück in das Jahr 606/605 v. Chr2. Im Zuge seiner Eroberungen kam König Nebukadnezar von Babel, um Jerusalem zu belagern und zu besiegen. Er war ein erfolgreicher militärischer Stratege, dem sich nichts und niemand widersetzen konnte. Dennoch heißt es, dass der Herr den König von Juda in seine Hand gab. Gott ist immer der Handelnde. Ihm läuft nichts aus dem Ruder. Nebukadnezar mochte sich den Erfolg selbst zuschreiben, aber er war letztlich ein Diener Gottes, der seinen Plan ausführte.

Der Sieg über Jerusalem war ein Gericht Gottes an seinem Volk. Es ging zurück auf eine Weissagung des Propheten Jesaja an den letzten gottesfürchtigen König von Juda, an Hiskia. Als dieser von einer schweren Krankheit genesen war und Gott ihm noch einige Lebensjahre schenkte, hatte er den Boten aus Babel – damals noch ein Teil des assyrischen Reiches – seinen ganzen Reichtum gezeigt. Die innere Haltung, in der er das getan hatte, gefiel Gott nicht. Im Propheten Jesaja lesen wir:

„Zu jener Zeit sandte Merodak-Baladan, der Sohn Baladans, der König von Babel, Brief und Geschenk an Hiskia; denn er hatte gehört, dass er krank gewesen und wieder gesund geworden war. Und Hiskia freute sich über sie und zeigte ihnen sein Schatzhaus: das Silber und das Gold und die Gewürze und das kostbare Öl und sein ganzes Zeughaus und alles, was sich in seinen Schätzen vorfand; es gab nichts in seinem Haus und in seiner ganzen Herrschaft, was Hiskia ihnen nicht gezeigt hätte. Da kam Jesaja, der Prophet, zum König Hiskia und sprach zu ihm: Was haben diese Männer gesagt? Und woher sind sie zu dir gekommen? Und Hiskia sprach: Aus fernem Land sind sie zu mir gekommen, von Babel. Und er sprach: Was haben sie in deinem Haus gesehen? Und Hiskia sprach: Sie haben alles gesehen, was in meinem Haus ist; es gibt nichts in meinen Schätzen, was ich ihnen nicht gezeigt hätte. Da sprach Jesaja zu Hiskia: Höre das Wort des Herrn der Heerscharen! Siehe, es kommen Tage, da alles, was in deinem Haus ist und was deine Väter aufgehäuft haben bis auf diesen Tag, nach Babel weggebracht werden wird; es wird nichts übrig bleiben, spricht der Herr. Und von deinen Söhnen, die aus dir hervorkommen werden, die du zeugen wirst, wird man nehmen, und sie werden Hofbeamte im Palast des Königs von Babel sein“ (Jes 39,1-7).

Diese Weissagung erfüllte sich jetzt. Hiskia hatte die freundliche Seite Babels kennengelernt und war darauf hereingefallen. Seine Nachfahren lernten nun die andere Seite kennen und mussten sich der Macht dieses Feindes beugen. Dabei hatte Gott auch die Thronfolger Hiskias immer wieder gewarnt, bevor das Gericht endgültig kam. Im letzten Kapitel des Buches Chronika lesen wir ein Fazit Gottes über das Volk:

„Auch alle Obersten der Priester und das Volk häuften die Treulosigkeiten, nach allen Gräueln der Nationen, und verunreinigten das Haus des Herrn, das er in Jerusalem geheiligt hatte. Und der Herr, der Gott ihrer Väter, sandte zu ihnen durch seine Boten, früh sich aufmachend und sendend; denn er erbarmte sich seines Volkes und seiner Wohnung. Aber sie verspotteten die Boten Gottes und verachteten seine Worte und verhöhnten seine Propheten, bis der Grimm des Herrn gegen sein Volk stieg, dass keine Heilung mehr war“ (2. Chr 36,14-16).

Es erfüllte sich, was Gott dem Propheten Jeremia als Grundsatz mitteilte: „Denn ich werde über mein Wort wachen, es auszuführen“ (Jer 1,12). Gott hat viel Geduld, aber letztlich wird Er sein Wort in jeder Hinsicht erfüllen. Das gilt nicht nur für die positiven Zusagen, sondern auch für das Gericht. Was ein Mensch sät, wird er ernten.

Obwohl Gott Gericht ankündigte und es ausübte, blieb Er dennoch ein barmherziger Gott. Es wurde wahr, dass die Nachfahren Hiskias dem König von Babel dienen mussten, aber gerade aus diesen Nachfahren nahm Gott sich in Daniel und seinen Freunden einen Überrest zum Zeugnis für Ihn in heidnischer Umgebung.

Babel im Land Sinear

Die Gefangenen und die Geräte des Hauses Gottes wurden nach Babel gebracht. Der Thron Gottes stand nicht mehr in Jerusalem, die „Zeiten der Nationen“ hatten begonnen. Es war eine schwierige und traurige Zeit. Menschen, deren Erbteil in Kanaan lag, befanden sich im Exil. Die heiligen Geräte des Hauses Gottes, die für den Gottesdienst gedacht waren, waren von heidnischen und götzendienerischen Menschen geraubt und missbraucht. Mit dieser Handlung offenbart Nebukadnezar einen Charakterzug, der die Herrscher in den „Zeiten der Nationen“ kennzeichnete. Sie hatten weder Kenntnis noch Ehrfurcht vor dem einzig wahren und lebendigen Gott. Sie hatten ihre eigenen Götter, denen sie dienten.

Babel lag im Land Sinear. Sinear wird im Alten Testament einige Male erwähnt: zuerst in 1. Mose 10,10 und dann anlässlich des Turmbaus zu Babel in 1. Mose 11,2. Die Menschen bauten diesen Turm, um sich einen Namen zu machen. Gott antwortete mit der Verwirrung der Sprachen. Es dauerte nicht lange, bis der König von Sinear sich in Kämpfe und kriegerische Auseinandersetzungen verwickelte (1. Mo 14,1.9). In Josua 7,21 wird in Verbindung mit dem Fall Achans ein Mantel aus Sinear erwähnt. In Sacharja 5,5-11 wird Sinear als Symbol der religiösen Bosheit genannt. Sinear ist – wenn wir die Stellen miteinander vergleichen – ein Bild des Hochmuts und des Widerstandes des Menschen gegen Gott.

Babel wird ebenfalls zum ersten Mal in 1. Mose 10,10 erwähnt. Der Anfang des Reiches von Nimrod war Babel. Sein besonderer Charakterzug waren Gewalt und Grausamkeit, Charakterzüge dieser Welt, die wir im Buch Daniel bestätigt sehen. Selbst wenn die Welt – wie im Fall Hiskias – manchmal freundlich erscheint, können wir von ihr letztlich nur Härte und Grausamkeit erwarten. 1. Mose 11 zeigt uns eine weitere Eigenschaft, die wir ebenfalls im Buch Daniel wiederfinden, nämlich den Hochmut und die Arroganz Babels. Auch das prägt die Welt bis heute. Zum letzten Mal wird Babel in Offenbarung 17 und 18 erwähnt. Dort wird der religiöse und götzendienerische Charakter besonders betont. Davon zeugt das Buch Daniel ebenfalls. Die Leute in Babel waren durchaus religiös, aber es war eine okkulte Religion. Wie weit dieser Okkultismus ging, zeigt Hesekiel in einer Weissagung: „Denn der König von Babel bleibt am Kreuzweg stehen, am Anfang der beiden Wege, um sich wahrsagen zu lassen; er schüttelt die Pfeile, befragt die Teraphim, beschaut die Leber“ (Hes 21,26).

Das historische Babel empfing sein Gericht wenige Jahrzehnte nach seiner Blütezeit. (vgl. z. B. Jer 50-52). Die Stadt hat aufgehört zu existieren. Es ist aber bis in unsere Zeit hinein ein Bild dieser Welt und besonders des letzten religiösen christlichen Systems, voller Arroganz, Korruption und Götzendienst. Die Offenbarung spricht von Babylon als der „großen Hure“ (Off 17,1; 19,2). Von Babylon geht eine große Gefahr aus, die Gefahr der Vermischung. Deshalb werden die Gläubigen kommender Tage aufgefordert, aus dieser Stadt zu fliehen. „Und ich hörte eine andere Stimme aus dem Himmel sagen: Geht aus ihr hinaus, mein Volk, damit ihr nicht ihrer Sünden teilhaftig werdet und damit ihr nicht empfangt von ihren Plagen“ (Off 18,4). Diese Gefahr der Vermischung der Gläubigen mit den Praktiken in Babel werden wir auch in Daniel 1 deutlich finden. Es war Daniel, der eine klare Trennungslinie zog.

Der Kampf um die Elite

Nebukadnezar zeigte seine ganz Macht und menschliche Klugheit, indem er die Elite der besiegten Nation für sich haben wollte. In Kapitel 2 finden wir diesen Monarchen als das goldene Haupt seines Bildes wieder, dessen absolutem Herrschaftsanspruch sich niemand widersetzen konnte. Durch diese Maßnahme schwächte er einerseits die besetzten Länder und vermehrte andererseits noch seine Größe.

Nebukadnezar wird gewusst haben, dass viele Juden intelligente Menschen waren, und er wollte sie für sich haben, um davon zu profitieren. Dass er damit gleichzeitig nichts anderes tat, als was Gott in Jesaja 39,6.7 vorausgesagt hatte, ist ebenfalls wahr. Menschen handeln scheinbar unabhängig, aber es gibt immer einen Vorsatz Gottes, der dahintersteckt.

Wir erkennen aus der Sicht Nebukadnezars eine alte Taktik dieser Welt, die sie bis heute anwendet: Die Welt will das Beste für sich. Sie will die Jugend für sich. Es war Napoleon Bonaparte, der zum ersten Mal den Satz formulierte: „Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft.“ Die Weisheit selbst ist wesentlich älter. Schon der Pharao wusste das. Als das Volk Israel das Land verlassen wollte, setzte er alles daran, zumindest die jungen Leute für sich zu behalten. Heute ist es nicht anders. In jedem Alter gibt es für den Christen besondere Herausforderungen, aber es muss uns klar sein – den Betroffenen und auch den Eltern –, dass die Welt es ganz besonders auf unsere jungen Leute abgesehen hat, vor denen die Zukunft noch liegt. Junge, schöne und begabte Gläubige sind besonders im Fokus. Wenn die Welt sie für sich und ihre Sache gewinnen kann, sind sie für Christus und seine Sache verloren. Wenn junge Christen ihre Fähigkeiten ausschließlich in den Dienst dieser Welt stellen und sich der Welt anpassen, sind sie für den Herrn nicht mehr zu gebrauchen. Damit ist klar, dass Satan, der dahintersteckt, nicht nur uns schaden will, sondern seine Angriffe zielen letztlich immer auf Christus und seine Interessen ab.

Selektion

Es lohnt sich, die Selektionskriterien zu besehen und praktisch in unsere Zeit zu übertragen. Dabei wollen wir bedenken, dass die jungen Juden damals keine Wahl hatten. Sie mussten dem Befehl des Königs nach Babel folgen. Unter einem solchen (politischen) Zwang steht der Gläubige heute in der Regel nicht. Dennoch gibt es faktische „Zwänge“, denen wir nicht entgehen können. Das betrifft besonders das Berufsleben und die Ausbildung. Hier ergibt sich eine zwangsläufige Schnittstelle zu dieser Welt und damit ein Spannungsfeld, in dem wir uns als Christen bewähren müssen. Außerdem kennen wir manche „Zwänge“, die diese Welt gerne benutzt, damit wir Kompromisse machen, um „nach Babel“ zu kommen, um dort von der Welt vereinnahmt zu werden. Wer kennt sie nicht, die vermeintlichen „Sachzwänge“, denen man sich meint beugen zu müssen? Wer ist noch nie dem „Gruppenzwang“ begegnet und erlegen? Wer weiß nicht, was „schulische“, „berufliche“ oder „gesellschaftliche Zwänge“ sind, wo man meint, einfach nicht „Nein“ sagen zu können? All diese „Zwänge“ nutzt die Welt nur zu gerne, um für sich Profit daraus zu schlagen.

Abgesehen davon, dass die Gefangenen jung sein sollten, werden folgende Kriterien genannt:

  1. Von königlichem Geschlecht und von den Vornehmen: Das spricht in der Anwendung von sozialen Kontakten und sozialer Kompetenz. (Junge) Christen, die mit diesen Eigenschaften versehen sind, stehen in der besonderen Gefahr, ein Ziel der Angriffe dieser Welt zu werden.
  2. Keinerlei Fehl und schön von Aussehen: Es gibt unter Christen – besonders wenn sie jung sind – solche, die schön von Ansehen sind. Natürliche Schönheit ist eine Gabe Gottes. Aber sie kann zu einer Gefahr werden, vor allem dann, wenn sie sich auf eine sinnliche Schönheit reduziert oder gar – bewusst oder unbewusst – zu einer gewissen erotischen Ausstrahlung wird. Die Gefahr, dass die Welt ein Auge auf uns wirft, ist dann besonders groß.
  3. In aller Weisheit unterwiesen und kenntnisreich: Die Intellektualität kann ebenfalls zu einer Fußangel werden. Natürliche Begabung und Intelligenz sind ebenfalls eine Gabe Gottes, aber gleichzeitig ein Ansatzpunkt für die Welt, uns für sich haben zu wollen. Manch einer ist durch die Weisheit dieser Welt innerlich weit von seinem Herrn abgekommen.
  4. Tüchtig, um im Palast des Königs zu stehen: Darin können wir ein Bild des Strebens nach beruflicher Karriere sehen. Karriere zu machen ist an sich nichts Verkehrtes. Aber die Frage ist, wonach wir uns ausstrecken und wo unsere Prioritäten liegen. Wenn unser primäres Ziel ist, beruflich ganz nach oben zu kommen, sind wir in akuter Gefahr, von der Welt vereinnahmt zu werden. Der Palast spricht von der unmittelbaren Nähe und dem direkten Einflussbereich, in dem Nebukadnezar die jungen Juden haben wollte.

Es fällt auf, dass die Auswahlkriterien mit der Herkunft beginnen. Dann werden Kriterien genannt, die mehr den äußeren Bereich betreffen. Erst am Ende geht es um die inneren Werte. Wenn Gott seine Diener auswählt, ist es ganz anders. Gott achtet nicht auf das Äußere, sondern auf das Innere. Gott sagte einmal zu Samuel: „Blicke nicht auf sein Aussehen und auf die Höhe seines Wuchses, denn ich habe ihn verworfen; denn der Herr sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht; denn der Mensch sieht auf das Äußere, aber der Herr sieht auf das Herz“ (1. Sam 16,7).

Umerziehung und Integration

Die gefangenen jungen Männer wurden also selektiert und die besten von ihnen mussten ihre Heimat verlassen, um in Babel in einer völlig neuen Kultur einem fremden König zu dienen. Diese Elite sollte dort zu Staatsbeamten gemacht werden. Die Selektion war der erste Schritt für ihr dreijähriges Trainingsprogramm in Babel. Sie sollten „erzogen“ werden. Dass dahinter eine komplette „Umerziehung“ stand, dürfte jedem Leser einleuchten.

Es ist klar, dass die jungen Männer ohne eine spezielle Ausbildung nicht zu gebrauchen waren. Sie mussten zuerst auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Sie kannten weder die Kultur der Babylonier noch deren Schriften und Sprache. Also begann ein Programm der kompletten Umerziehung. Die Erinnerung an ihre Heimat, an die Eltern, an Jerusalem, an den wahren Gott und das, was sie bisher geprägt hatte, sollte bestenfalls ausgelöscht werden. Ziel war es, die jungen Juden zu Babyloniern zu machen. Sie sollten sich in Babel wohlfühlen und dort unter das Volk mischen. Dieses Ziel hat sich bis heute nicht geändert. Wenn es der Welt gelingt, dass wir Christen unsere Absonderung aufgeben und uns mit der Welt – in welcher Form auch immer – vermischen, ist das Ziel erreicht.

Zur Umerziehung wurden zwei Methoden eingesetzt:

  1. Sie sollten die Schriften und die Sprache der Chaldäer lernen.
  2. Sie sollten von der Tafelkost des Königs essen und von seinem Wein trinken.

Im Fall von Daniel und seinen drei Freunden kam noch ein Drittes hinzu: Der König änderte ihre Namen.

Die Schriften und die Sprache der Chaldäer

Die Chaldäer bildeten einen Volksstamm im Reich Nebukadnezars. Ihre (wahrscheinlich okkulten) Schriften zu kennen und ihre Sprache zu sprechen, war Voraussetzung, um dem König dienen zu können. Als Ausländer waren die Juden – trotz aller Intelligenz – sonst nicht zu gebrauchen. Dagegen konnten sie sich nicht wehren.

Babel ist – wie wir gesehen haben – ein Bild der Welt und speziell der religiösen Welt, die in Opposition zu Gott steht. Diese Welt hat ihre eigenen Schriften und ihre eigene Sprache. Sie hat ihre eigene Weisheit. Kein Christ kann sich wehren, diese „Sprache“ zu lernen. Mit Beginn der schulischen Laufbahn und später dann in Ausbildung, Studium und Beruf wird jeder Christ damit konfrontiert. Wir sind zwar nicht von der Welt, aber sehr wohl in der Welt. Dabei werden wir allerdings schnell merken, dass die „Schriften und die Sprache der Chaldäer“ den „heiligen Schriften“ völlig konträr sind. Die Weisheit der Welt – unter dem Deckmantel vermeintlicher wissenschaftlicher Kenntnis – will uns z. B. lehren, dass die Welt durch Evolution entstanden sei. Die Bibel lehrt, dass Gott sie geschaffen hat. Die Weisheit der Welt will uns z. B. lehren, dass die Ehe eine von mehreren Möglichkeiten des Zusammenlebens von Mann und Frau ist, aber dass es darüber hinaus andere Optionen gibt. Die Bibel lehrt das Gegenteil. Die Weisheit der Welt lehrt die völlige Gleichstellung von Mann und Frau (und im Zeitalter von Gender Mainstreaming die Abschaffung des „sozialen Geschlechts“). Die Bibel lehrt uns, dass Mann und Frau gleichwertig, aber nicht gleichartig sind. Die Weisheit der Welt definiert den Begriff „Familie“ plötzlich neu und anders, als die Bibel es tut. Dazu gehören beispielsweise auch Managementprogramme, die auf den ersten Blick harmlos aussehen, wie z.B. die „Gruppendynamik“, „Work-Life-Balance“ oder andere – oft fernöstliche – Managementstrategien. Wir könnten die Beispiele fortsetzen.

Wir können uns häufig nicht weigern, die „Schriften und die Sprache der Chaldäer“ zu lernen. Aber wichtig ist, dass wir dabei nicht die „heiligen Schriften“ vergessen. Paulus erinnerte Timotheus in einer sehr schweren Zeit daran, dass er von Kind auf die heiligen Schriften kannte, die ihn weise machten (2. Tim 3,15). Wirkliche Weisheit lernen wir nicht in dieser Welt, sondern im Studium des Wortes Gottes. Dieser Hinweis ist wichtig für jedes Kind Gottes. Er hat eine besondere Bedeutung für uns Eltern. Wir können nicht verhindern, dass unsere Kinder die Schriften und die Sprache dieser Welt lernen. Aber wir müssen sie dabei begleiten. Anders als die jungen Männer damals in Babel haben viele Kinder und Jugendliche heute die Chance, von gläubigen Eltern begleitet zu werden. Entscheidend ist, dass wir die Weisheit dieser Welt nicht einfach verinnerlichen, sondern sie – gemeinsam mit unseren Kindern – anhand der Bibel prüfen und bewerten. Gefährlich wird es dann, wenn die Weisheit dieser Welt die Kontrolle über uns bekommt und wir sie verinnerlichen. Wir wollen uns mit der Hilfe des Herrn die Kraft geben lassen, uns nicht „umerziehen“ zu lassen.

In den irdischen Beziehungen wie Ausbildung und Beruf ist der Christ Salz der Erde (Mt 5,13), d. h., dass wir in diesen Beziehungen, in denen wir wie unsere Mitmenschen stehen, deutlich machen, wie Gott über die Dinge denkt, mit denen wir dort konfrontiert werden.

Die Tafelkost des Königs und sein Wein

Zur Erziehung gehörte nicht nur das Lernen der Schriften und der Sprache der Chaldäer. Der König verordnete weiter für jeden Tag eine Ration von seiner Tafelkost und von dem Wein, den er trank. Das war nichts Geringes. Die heimatlosen Exiljuden wurden gut behandelt und versorgt. Was der König aß und trank, wird höchsten kulinarischen Ansprüchen in Babel genügt haben. Aber es war eine völlig andere Nahrung, als die jungen Männer sie aus ihrer Heimat kannten. Mehr noch, Gott hatte dem Volk Israel eine ganze Reihe detaillierter Speisevorschriften gegeben. Die Trennung zwischen „rein und unrein“ und zwischen „heilig und unheilig“ dokumentierte sich auch darin. Am Ende von 3. Mose 11 – wo es um Speisevorschriften geht – sagt Gott zusammenfassend: „Das ist das Gesetz vom Vieh und von den Vögeln und von jedem lebendigen Wesen, das sich im Wasser regt, und von jedem Wesen, das auf der Erde wimmelt; um zu unterscheiden zwischen dem Unreinen und dem Reinen, und zwischen den Tieren, die gegessen werden, und den Tieren, die nicht gegessen werden sollen“ (3. Mo 11,46.47). Die Speisen in Babel entsprachen ganz sicher nicht den Vorschriften des Alten Testaments. Hinzu kam, dass diese Speisen sehr wahrscheinlich in einem engen Zusammenhang mit dem Götzendienst Babels standen. Die Nahrung, die die Juden dort essen sollten, wird nicht selten Götzenfleisch gewesen sein. Hier gab es also klare Vorschriften Gottes, die dagegen sprachen.

Während die Schriften und die Sprache etwas ist, was intellektuell gelernt wird und in diesem Sinn eher „äußerlich“ ist, geht die Tafelkost des Königs einen Schritt weiter. Man musste sie zwangsweise „verinnerlichen“. Gleiches galt für den Wein. Es ist eine alte „Binsenweisheit“, dass der Mensch das ist, was er isst. Nahrung prägt uns. Das gilt für die natürliche Ernährung des Menschen. Das gilt für die geistige/geistliche Ernährung des Menschen.

Die Anwendung auf uns macht deutlich, dass es im Christentum nicht um Speisevorschriften geht. Das Neue Testament zeigt, dass es falsch ist, wenn gelehrt wird, „... sich von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat zur Annahme mit Danksagung für die, die glauben und die Wahrheit erkennen“ (1. Tim 4,3). Paulus erklärt das und schreibt: „Denn jedes Geschöpf Gottes ist gut und nichts verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und durch Gebet“ (1. Tim 4,4.5). Die einzige Ausnahme, die wir kennen, ist der Verzehr von Götzenopfern3, von Blut und von Ersticktem (Apg 15,29). Der Verzicht auf Blut geht im Übrigen nicht auf eine Gesetzesvorschrift für Israel zurück, sondern auf eine Anweisung, die Gott Noah gab. Noah war der erste Mensch, dem Gott das Fleisch zur Nahrung gab. Er tat es mit der einen Einschränkung: „Nur das Fleisch mit seiner Seele, seinem Blut, sollt ihr nicht essen“ (1. Mo 9,4). Blut ist der Ausdruck des natürlichen Lebens, deshalb dieses Verbot. Der Mensch ist nicht der Herr des Lebens, sondern Gott. Außerdem hat das Blut mit Sühnung zu tun. Das Blut Jesu ist der Ausdruck seines freiwillig hingegebenen Lebens für uns.

Die Tafelkost des Königs lehrt uns, dass die Welt die Unterscheidung von „rein und unrein“ und „heilig und unheilig“ nicht kennt. Die Welt kennt nur Vermischung. Aber Gott trennt von Anfang an. Am ersten Schöpfungstag wurde das Licht von der Finsternis getrennt (1. Mo 1,4). Wir müssen uns fragen, ob die Nahrung dieser Welt eine geeignete Nahrung für uns ist. Die Welt fragt bei dem, was sie konsumiert, nicht danach, ob es gut oder schlecht, rein oder unrein, heilig oder unheilig ist. Sie will alles vermischen. Das betrifft die Kultur, die Kunst, die Wissenschaft, die Politik und viele andere Bereiche.

Greifen wir als Beispiel den Bereich der Medien mit Themen wie Internet, Television, Pornographie, Zeitschriften, Multimedia oder Musik heraus. Beim Konsum wird der Mensch „genährt“ und „geprägt“. Wenn wir das Angebot der Medien unkontrolliert konsumieren, wird man es bald merken. Es kann nicht anders sein. Wir erkennen, dass es nicht um „schwarz oder weiß“ geht. Das Internet z. B. ist ein Medium, das viele Christen täglich ohne jedes Problem benutzen. Dennoch weiß jeder „User“ um die immensen Gefahren, die damit in Verbindung stehen.

E. Dennett schrieb schon vor vielen Jahrzehnten: „Die Nahrung der Welt, aus der ein Mensch, von Gott entfernt, seine Kraft und seine Existenz zieht, ist immer zerstörerisch für das geistliche Leben des Christen.“4 Die Nahrung der Welt ist nicht nur schädlich, sondern sie verdirbt gleichzeitig den Appetit auf die Nahrung des Wortes Gottes.

Beim Wein des Königs geht es in der Anwendung für uns ebenfalls nicht darum, keinen Wein zu trinken. Das wäre viel zu kurz gesprungen. Natürlich liegt im Alkoholgenuss eine große Gefahr, aber das Neue Testament zeigt, dass der Herr Jesus selbst bei einer Hochzeit anwesend war, wo Wein getrunken wurde. Er hat sogar dafür gesorgt, dass der Wein nicht zu Ende ging (Joh 2,1-11). Timotheus wird ausdrücklich aufgefordert, wegen seines Unwohlseins etwas Wein zu trinken (1. Tim 5,23). Allerdings werden wir ausdrücklich vor dem Missbrauch des Weins gewarnt (z. B. Eph 5,18).

Wein ist in der Bibel an manchen Stellen ein Bild der Freuden dieser Erde, die an und für sich nicht böse sind (vgl. Ri 9,13; Ps 104,15). Es war dem Israeliten nicht verboten worden, Wein zu trinken. Lediglich der Nasiräer verzichtete auf alles, was vom Weinstock kam. In unserem Kapitel geht es jedoch nicht einfach um Wein, sondern es geht um den Wein des Königs von Babel. Zweimal wird gesagt, dass es Wein war, den der König trank. In Babel wird nicht am Wein gespart. Diese Welt hat viel zu bieten, was schön und interessant und attraktiv ist. Die Welt – auch die religiöse Welt – hat ihre Freuden. Aber es ist nicht das, was einen Christen innerlich weiterbringt und nährt. Im Gegenteil: Der Wein Babels nimmt die geistliche Unterscheidungsfähigkeit weg (vgl. Hosea 4,11). Bemerkenswert ist, dass wir am Ende der Offenbarung zweimal von dem Wein Babylons lesen, dass es der „Wein ihrer Hurerei“ ist (Off 17,2; 18,3). Wir erkennen also in dem Wein Babels ein Bild der sittlich moralischen und der religiösen Verunreinigung. Davon wollte Daniel konsequent Abstand nehmen.

Verse 6–16: Der Herzensentschluss Daniels und seine Folgen

In fremder Umgebung

Wie viele junge Männer aus Jerusalem nach Babel verschleppt wurden, wissen wir nicht. Aber unter ihnen waren vier, die mit Namen genannt werden. Es waren Daniel und seine Freunde. Sie waren anscheinend anders als ihre Altersgenossen. Junge Menschen in einer äußerst schwierigen Umgebung. Weg von zu Hause und in einer völlig neuen Umgebung. Es war nicht ihr persönliches Verschulden, dass sie dort waren. Gleichwohl kam die Frage auf, wie sie nun mit dieser neuen Situation umgehen sollten.

Joseph war in einer ähnlichen Situation. Auch er war ein junger Mann, den die Umstände des Lebens – und die Führung Gottes – in ein fremdes Land gebracht hatten. Wie Daniel blieb er fest und treu. Das kleine Mädchen im Haus Naamans ist ein weiteres Beispiel für einen jungen Menschen, der in fremder und feindlicher Umgebung als Zeugnis für Gott brauchbar war. Als drittes Beispiel erinnern wir an Mose am Hof des Pharao. Er war zwar kein junger Mann mehr, aber er entschied sich wie Daniel für die Treue zu seinem Gott.

Man trifft immer wieder auf Christen, die so lange äußerlich „gut“ laufen, wie sie in angenehmer und förderlicher Umgebung sind. Wenn es keine großen Schwierigkeiten von außen gibt und die Umgebung „freundlich“ und „christlich“ ist, geht alles gut. Wenn sie dann plötzlich in eine weltliche Umgebung kommen, knicken sie ein. Sie geben ihren christlichen Glauben vielleicht nicht auf, aber sie passen sich an. Niemand merkt, dass sie dem Herrn Jesus angehören. Bei Daniel und seinen Freunden war es anders. Trotz schwierigster Umstände blieben sie treu und knickten nicht ein.

Wir fragen uns, welchen Hintergrund diese jungen Leute hatten. Von ihrem Elternhaus wird nichts berichtet. Aber ihre Namen und ihr Verhalten deuten an, dass sie gottesfürchtige Eltern gehabt haben müssen. Die Namensgebung spielte zur Zeit des Alten Testaments eine große Rolle. Der Name sollte etwas über die Person aussagen. Daniel bedeutet „Gott ist Richter“. Hananja bedeutet „Gott ist Gnade“ oder „Von Gott geliebt“. Misael bedeutet „Wer ist wie Gott?“, und Asarja heißt „Gott ist (meine) Hilfe“ oder „Dem Gott hilft“. Alle Namen stehen mit Gott in Verbindung. Es war offensichtlich der Wunsch der Eltern, ihre Kinder nach den Gedanken Gottes zu erziehen und es muss ihnen auch in einem gewissen Sinn gelungen sein, denn die jungen Männer kannten Gott und wussten, was Ihm gefiel und was Ihm nicht gefiel. Sonst hätten sie sich in fremder Umgebung nicht bewähren können. Dennoch müssen die vier bereits ein eigenes Glaubensleben entwickelt haben, denn kein junger Mensch kann von dem Glauben seiner Eltern leben. Er muss eigene Überzeugungen entwickeln.

Daniel war nicht alleine. Gott stellte ihm drei Freunde zur Seite, mit denen er diese schwierige Zeit gemeinsam durchlebte. Beim Lesen von Kapitel 1 hat man den Eindruck, dass die eigentliche Initiative von Daniel ausging. Er war es, der den Herzensentschluss fasste. Aber die drei Freunde machten mit, und spätestens in Kapitel 3 lernen wir, dass sie ebenfalls eine feste eigene Glaubensüberzeugung hatten und in einer ganz schwierigen Situation ebenfalls eine Glaubensentscheidung trafen und dabei standhaft blieben. Es ist ein besonderer Segen, wenn (junge) Gläubige in schwierigen Situationen fest zusammenstehen und einander helfen. Die Erfahrung lehrt, dass „Notzeiten“ oft mehr aneinanderschweißen als gute Zeiten.

Daniel erlebte, was wir immer noch erleben können. Wenn jemand sich persönlich konsequent auf die Seite Gottes stellt und von dieser Welt trennt, wird er nicht allein sein. In 2. Timotheus 2,21.22 werden wir persönlich aufgefordert, uns durch Trennung von den Gefäßen zur Unehre zu reinigen. Diese Entscheidung muss jeder für sich treffen. Dann aber gibt es ein gemeinsames Streben nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn aus reinem Herzen anrufen. Solche Leute waren die drei Freunde Daniels.

Neue Namen

Eine erste Maßnahme war, dass ihre jüdischen Namen geändert wurden. Auch das gehörte zum „Umerziehungsprogramm“ in Babel. Diese Namensänderung wird für die vier keine einfache Sache gewesen sein. Aber es war das Recht, das Nebukadnezar hatte. Wir finden das öfters in der Bibel und es ist ein Ausdruck von Macht. Aber mehr noch: Die Namensänderung war Teil des Programms. Nebukadnezar wollte jede Erinnerung an Gott auslöschen. Ihre Namen erinnerten ja an Gott. Sie erinnerten an Hoffnung und Zuversicht. Das alles sollte jetzt nicht mehr im Vordergrund stehen und ihre komplette Identität sollte geändert werden. Statt Gottes Name sollte jetzt der Name der Götter Babels im Vordergrund stehen. Die neuen Namen stehen für eine komplette Bewusstseinsänderung.5

  • Daniel bekam den Namen Beltsazar. Dieser Name erinnerte an Bel, was die chaldäische Form von Baal ist. Das bedeutet so viel wie „Herr“ oder „Besitzer“. Diesem falschen Gott sollte Daniel jetzt gehören. In Kapitel 4,5 sagt Nebukadnezar selbst: „Daniel, dessen Name Beltsazar ist, nach dem Namen meines Gottes“ (Dan 4,5).
  • Sadrach erinnert an Rach (oder Rak). Das war der Sonnengott Babels. Der Name bedeutet „Erleuchtet durch den Sonnengott“.
  • Mesach spielt auf eine weitere Gottheit Babels an, die mit der Venus in Verbindung stand. Aus dem Namen „Wer ist wie Gott?“ wurde der Name „Wer ist wie Venus?“.
  • Abednego heißt „Knecht von Nego“, der ebenfalls einer der Götzen Babels war.

Daniel und seine Freunde sollten also zu anderen Menschen werden. Genau das versucht die Welt mit uns. Sie will uns „umdrehen“, und wie oft hat sie damit Erfolg. Aber bei Daniel und seinen Freunden blieb im Herzen alles unverändert. Es ist auffallend, dass die Babylonier in der Regel die neuen Namen benutzten, Gott aber stets bei den ursprünglichen Namen bleibt. Der Heilige Geist benutzt die neuen Namen nicht. Gott erkennt seine Beziehung zu ihnen an.

Ein Herzensentschluss und eine Weichenstellung

Bis zu diesem Zeitpunkt waren Daniel und seine Freunde passiv. Sie ließen das, was der König befohlen hatte, geschehen. Sie konnten es nicht verhindern, dass ihre Namen verändert wurden und sie die Schriften und die Sprache der Chaldäer lernen mussten. Aber als es um die Tafelkost des Königs und um seinen Wein ging, hörte die Passivität und Duldsamkeit auf. Daniel fasste einen Herzensentschluss, sich nicht mit diesen Speisen und Getränken zu verunreinigen.

Daniel kannte offensichtlich die Vorschriften des Gesetzes. Obwohl er noch ein junger Mann war, war er mit dem Willen Gottes vertraut. Er stellte die Weichen von Anfang an richtig und fällte eine Entscheidung, die seinem ganzen Leben Richtung und Orientierung gab. Er nahm sich in seinem Herzen vor, sich nicht mit der Tafelkost des Königs zu verunreinigen.

Die Jugendzeit ist eine Zeit der Entscheidungen. Die wichtigste Entscheidung ist, den Herrn Jesus im Glauben als Heiland anzunehmen. Dann folgen weitere wichtige Entscheidungen, wie die des Lebenspartners, des Wohnortes, der Berufswahl usw. Eine wichtige Entscheidung wird dabei oft übersehen. Wir brauchen den Herrn Jesus nicht nur als unseren Retter, sondern wir brauchen Ihn auch als unseren Herrn. Die Welt stellt ihre Ansprüche an uns und will uns für sich haben. Aber der Herr Jesus hat einen höheren Anspruch. Da tut sich für jeden Christen ein Spannungsfeld auf. Paulus schreibt den Korinthern: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid? Denn ihr seid um einen Preis erkauft worden; verherrlicht nun Gott in eurem Leib“ (1. Kor 6,19.20). Dem modernen Menschen mag das wie ein Anachronismus erscheinen, denn er möchte über sich selbst bestimmen. Doch das ist ein Trugschluss. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder leben wir für diese Welt, deren Fürst der Teufel ist, oder wir leben für unseren Herrn. Daniel hatte sich klar entschieden, und seine Entscheidung hat Vorbildcharakter für uns. Gott sucht – egal, ob wir jung oder alt sind – nach Herzen, die für Ihn schlagen.

Daniels Leben für Gott und unter dem Segen Gottes beginnt mit diesem Entschluss. Das Wort Gottes war ihm wichtiger als der Befehl des Königs. Am Beispiel Daniels sehen wir die Wahrheit der Worte des Psalmdichters: „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln? Indem er sich bewahrt nach deinem Wort“ (Ps 119,9). Wir kennen die Aufforderung von Petrus und den Jüngern: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29). Hätte Daniel diesen Entschluss nicht gefasst und umgesetzt, wäre er in Babel untergegangen. Er wäre kein Gefäß gewesen, das Gott im Dienst nützlich wurde. Sein Leben wäre vielleicht leichter gewesen, aber es hätte keine Bedeutung für Gott gehabt. Mose hätte es leichter haben und sich für die Annehmlichkeiten Ägyptens entscheiden können, aber er traf eine andere Wahl. Joseph hätte der Versuchung nachgeben können und wäre vorerst nicht im Gefängnis gelandet. Aber dann wäre er auch nicht der Retter der damaligen Welt und damit ein herrliches Vorbild auf den Herrn Jesus hin geworden.

Der Unglaube findet immer Argumente. Daniel hätte sich einreden können, dass er nie wieder in seine Heimat zurückkehren würde. Er hätte das Exil in Babel als Chance ansehen können. Er hätte sich mit seinem Schicksal abfinden und resignieren können. Er hätte zweckdienlich argumentieren und sich sagen können, dass er mit seiner Haltung nicht nur sich selbst und seiner Karriere, sondern sogar anderen Schaden zufügen würde. Er hätte sich auf die Vernunft berufen können mit dem Argument, dass Gott sie ja ins Exil gebracht hatte und sie somit dem König in allem zu gehorchen hätten. Er hätte auf den „Gruppenzwang“ verweisen und sagen können, dass doch alle anderen Juden sich ebenfalls konform verhielten. Aber nichts von alledem. Der Unglaube findet immer Argumente. Auch heute noch. Aber der Verfall des christlichen Bekenntnisses und die Schwachheit des Zeugnisses sind keine Entschuldigung für uns, es mit der Absonderung nicht mehr so ernst zu nehmen und uns mit der Welt zu vermischen.

Für Daniel gab es Wichtigeres, als mit faulen Kompromissen aus seinem Leben in Babel „das Beste“ machen zu wollen. Der König von Babel hatte gewisse Anforderungen gegeben, denen er sich fügen musste. Aber es gab klare Grenzen, und die wollte Daniel einhalten. Er wollte sich nicht „vereinnahmen“ lassen. In diesem Punkt kannte Daniel weder Toleranz noch Flexibilität. Nein, er nahm eine sehr klare Haltung ein. Toleranz und Flexibilität sind zwei Begriffe, mit denen wir sehr vorsichtig umgehen müssen. In Bezug auf unser Leben dürfen wir gegenüber der Welt und ihren Einflüssen weder flexibel noch tolerant sein. Gerade im Berufsleben wird oft erwartet, dass wir unsere christliche Glaubensüberzeugung zurückstellen. Die Welt wird immer versuchen, dass wir uns ihr anpassen. Flexibel und tolerant zu sein bedeutet nichts anderes, als „biegsam“ zu sein. Wer in diesem Sinn „biegsam“ ist, muss sich nicht wundern, wenn er bald „verbogen“ ist.

Daniel war ein attraktiver und intelligenter junger Mann. Aber im Herzen hatte er – wie später Esra (vgl. Esra 7,10) – einen Entschluss gefasst. Er hatte nicht im Kopf und mit seinem Verstand allein entschieden, sondern im Herzen. In Apostelgeschichte 11,23 lesen wir, dass Barnabas die Gläubigen aufforderte, „mit Herzensentschluss bei dem Herrn zu verharren“. Salomo schreibt: „Behüte dein Herz mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens“ (Spr 4,23). Darüber hinaus ist das Herz der Sitz der Zuneigung und Liebe. Deshalb gehört unser Herz dem Herrn Jesus. Noch einmal Salomo: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen!“ (Spr 23,26). Allerdings müssen wir eine solche Entscheidung des Herzens tatsächlich bewusst treffen. Es ist mehr als eine Aufwallung von Gefühlen.

Das Herz spricht vom Inneren des Menschen. Da fängt es an. Aber die Entschlüsse des Herzens werden nach außen hin sichtbar. Daniel sagte Nein zu der Nahrung in Babel. Jeder konnte sehen, dass er sich alternativ ernährte. Er nahm es in Kauf, von seinen (babylonischen und jüdischen) Zeitgenossen vielleicht als „Spinner“ oder „Heiliger“ verschrien zu werden. Wir wollen uns fragen, wie wir – jünger oder älter – reagieren, wenn wir mit der Realität dieser Welt konfrontiert werden. Zeigen wir wie Daniel Flagge? Haben wir einen solchen Herzensentschluss gefasst und sind wir bereit, ihn in die Tat umzusetzen? Oder erscheinen wir lieber unauffällig, verbiegen uns und machen alles mit? Aber auch die umgekehrte Gefahr ist aktuell. Wir können nach außen eine fromme Fassade zeigen und doch keinen Entschluss im Herzen gefasst haben. Dann gleichen wir den Pharisäern. Das Beispiel Daniels macht uns Mut, aus dem Entschluss des Herzens heraus zu zeigen, wem wir gehören.

Gnade und Verantwortung

Bevor Daniel konkret etwas unternahm, fügt der Heilige Geist die wichtige Information an, dass Gott Daniel bei dem Obersten der Hofbeamten Gnade und Barmherzigkeit gab. Daniel kam seiner Verantwortung nach, und sofort war Gott in seiner Gnade bei ihm und wirkte an dem Herzen dieses heidnischen Mannes. Einen ähnlichen Vorgang haben wir im Propheten Haggai. In Kapitel 1 macht Gott seinem Volk heftige Vorwürfe wegen dessen Passivität und der verschobenen Prioritäten. Kaum hat das Volk reagiert und die Weichen neu gestellt, kommt Gott mit einer Zusage zu ihnen, die ihnen Mut macht (Hag 1,12.13).

Daniel brauchte sowohl Gnade als auch Barmherzigkeit.

  • Gnade ist die unverdiente Zuwendung Gottes in Liebe. Daniel gehörte einem Volk an, das sich bewusst von Gott abgewandt hatte. Sie hatten keinerlei Anspruch darauf, dass Gott sie segnete. Dennoch bekannte Gott sich zu dem Glauben Daniels und gab ihm Gnade.
  • Barmherzigkeit ist das Mitempfinden Gottes mit unseren mühseligen Umständen. Diese Barmherzigkeit brauchte Daniel ebenfalls. Seine Situation war in der Tat sehr misslich, aber Gott war bei ihm.

Gnade und Verantwortung gehören immer zusammen. Gott übt keine Gnade auf Kosten unserer Verantwortung, und wir dürfen nicht mit der Gnade Gottes „spielen“ und uns darauf ausruhen.

Der Glaube wird aktiv

Daniel hatte Mut und Vertrauen, und Gott half ihm. Sein Glaube wurde geprüft, und Daniel bestand die Prüfung mit der Hilfe Gottes. Die Parallele zu Joseph drängt sich auf. Auch er fand Gnade, zuerst bei seinem Herrn Potiphar (1. Mo 39,4) und dann im Gefängnis (1. Mo 39,21).

Daniel lebte in praktischer Gottesfurcht. Er wollte sich nicht verunreinigen. Außerdem hatte Daniel Vertrauen zu seinem Gott. In diesem Vertrauen hatte er seinen Entschluss gefasst. Dann kommt ein weiterer Punkt: Der Entschluss musste kommuniziert und umgesetzt werden. Der Entschluss alleine hätte wenig gebracht. Petrus erinnert daran, dass wir dem Glauben die Tugend hinzufügen (2. Pet 1,5). Tugend ist geistliche Energie. Der Glaube ist weder untätig noch faul, sondern er zeigt sich in geistlicher Aktivität. Der Glaube vernachlässigt nie die Verantwortung. Das sehen wir jetzt bei Daniel. Er spricht den zuständigen Beamten an.

Daniel wandte sich zuerst an den Obersten der Hofbeamten. Er kam nicht mit einer Forderung, sondern mit einer Bitte. Daniel handelte weder taktlos noch respektlos. Der Mann war sein Vorgesetzter und Daniel ein Gefangener. Daniels Entschluss war gefasst, aber er brachte ihn doch in einer angemessenen Art und Weise in Form einer demütigen Bitte vor. Er wusste, dass er – menschlich gesprochen – von der Gnade dieses Mannes abhängig war. Petrus schreibt: „... sondern heiligt Christus, den Herrn, in euren Herzen. Seid jederzeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die Hoffnung, die in euch ist, aber mit Sanftmut und Furcht; indem ihr ein gutes Gewissen habt“ (1. Pet 3,15.16). Das hat Daniel verwirklicht.

Der Oberste der Hofbeamten war zwar ansprechbar und hatte anscheinend sogar ein gewisses Verständnis für die Bitte. Trotzdem hatte er Angst vor dem König, der ja das Gebot gegeben hatte. Widerstand und Ungehorsam wurden schnell mit dem Tod bestraft. Die Gottesfurcht Daniels trifft hier auf die Menschenfurcht des Obersten. Deshalb bekam Daniel zunächst eine Absage. Doch Daniel gab nicht gleich auf. Er fasste nach. Er ging jetzt zu jemand anderem. In Vers 8 wandte er sich an den Obersten der Hofbeamten, d. h., er ging zunächst zu dem obersten Chef. Danach wandte er sich in Vers 11 an den Aufseher, der im Rang unter dem Obersten stand. Daniel war also mutig, beharrlich und klug. Er startete einen zweiten Versuch, und diesmal kam er gleich mit einem konkreten Vorschlag. Beharrlichkeit und gleichzeitig Demut zeichnen ihn aus. Die erste Absage war eine Prüfung für Daniel, aber er knickte nicht gleich ein. Manchmal stellt der Herr uns auf die Probe, ob wir es mit der Umsetzung seines Willens wirklich ernst meinen.

Das gilt auch in beruflichen Herausforderungen, wo wir sehr oft mit der Welt in Kontakt treten und manchmal Dinge von uns gefordert werden, die wir mit unserem Glauben nicht vereinbaren können. Dann kommt es darauf an, wie wir uns verhalten. Wir können von unserem Vorgesetzten keine „Befreiung“ von dieser und jener Sache fordern, aber wir können wohl im Glauben freundlich darum bitten. Wir werden wie Daniel erfahren, dass Gott uns hilft und wir sogar ein Zeugnis für Ihn sein können. Wie Daniel können wir dabei durchaus „geistliche Diplomatie“ anwenden. Der Glaube hindert uns nie daran, erfindungsreich zu sein. Ähnlich verhielt sich Paulus den Korinthern gegenüber. Er erinnerte sie daran, dass er „schlau“ vorgegangen war und sie mit „List“ gefangen hatte (2. Kor 12,16). Es versteht sich von selbst, dass diese Art von Diplomatie und Schläue ihre Grenzen hat6.

Ein 10-Tage-Test

Daniel machte den Vorschlag, dass man ihnen zehn Tage lang Wasser und Gemüse geben sollte, um danach das Aussehen zu prüfen. Die Zahl zehn ist wiederholt die Zahl der Verantwortung. Gott hatte seinem Volk z. B. zehn Gebote gegeben, die gerade die Verantwortung des Menschen vor Gott zusammenfassen. Im Leben des Gläubigen kommen solche Zeiten der Erprobung. Das ist völlig normal. Das kann im persönlichen Leben, im Versammlungsleben oder im Berufsleben so sein. Immer wieder gibt es Situationen, in denen wir entscheiden müssen. Wenn wir uns im christlichen Umfeld bewegen, ist das oft einfacher, als wenn wir – wie hier Daniel – direkt mit der Welt konfrontiert sind. Arbeit und Studium sind solche Phasen, wo wir besonders geprüft werden.

Wasser und Gemüse

Daniel lehnte die Tafelkost des Königs ab und wollte stattdessen Gemüse essen und Wasser trinken. Das klingt nach moderner Diät, aber in der Zeit damals war es wohl eher verächtlich, sich von solchen „profanen“ Lebensmitteln zu ernähren – zumal auf dem Speiseplan des Königs sicher mancher kulinarische Leckerbissen stand.

Daniel zeigt sich hier konsequent und entschieden. Er probiert nicht erst einmal die Tafelkost des Königs aus, er versucht auch nicht, nur einen Teil davon zu essen, sondern er lehnt das, was der König aß und trank, komplett ab und wünschte stattdessen Wasser und Gemüse. Auf uns übertragen lernen wir, dass wir in Bezug auf die Dinge dieser Welt, die uns verunreinigen können, keine Kompromisse machen können. Ein halber Christ ist ein ganzer Unsinn. Außerdem hilft es uns, wenn wir in konkreten Situationen sofort Farbe bekennen und nicht erst einmal abwarten. Beim zweiten oder dritten Mal „Nein“ zu sagen ist noch schwieriger, als es beim ersten Mal zu tun.

Das Gemüse steht der Tafelkost des Königs gegenüber. Von Gemüse lesen wir in der Bibel nicht sehr viel. Salomo gibt einen Hinweis, der uns helfen kann, die geistliche Bedeutung zu verstehen. Er schreibt: „Besser ein Gericht Gemüse und Liebe dabei, als ein gemästeter Ochse und Hass dabei“ (Spr 15,17). Das Gemüse war eine vergleichsweise einfache Speise und lässt uns an eine demütige Gesinnung vor Gott denken, die wir nur dann bekommen, wenn wir uns von seinem Wort ernähren. Daniel wollte sich nicht verunreinigen, sondern stattdessen eine bescheidene Haltung vor Gott einnehmen und alles von Ihm annehmen. Er wollte überhaupt kein Risiko eingehen, irgendetwas zu essen, was ihn verunreinigen könnte. Dann lieber konsequent bei Gemüse bleiben. Auch wir sollten in dem, was wir innerlich konsumieren, eine ähnliche Konsequenz an den Tag legen. Es ist immer besser, im Zweifelsfall „Nein“ zu sagen, als etwas zu testen, was uns nachhaltig schaden könnte.

Das Wasser steht dem Wein gegenüber. Der Wein des Königs von Babel ist ein Bild der Freuden dieser Welt. Wer keine Alternative hat, kann darauf schlecht verzichten. Wer jedoch das wirkliche Wasser kennt – das lebendige Wasser, das ins ewige Leben quillt –, braucht den Wein dieser Erde nicht mehr. Der Nasiräer im Alten Testament verzichtete ganz bewusst darauf. Er tat das nicht, weil der Wein schlecht war, sondern weil er etwas Besseres kannte. Man kann selbst auf die Freuden der Erde (und ganz sicher die der Welt) nur verzichten, wenn man das „Bessere“ kennt. Dann stellt sich nicht mehr die Frage, ob etwas erlaubt ist oder nicht. Natürlich gibt es auf dieser Erde Dinge, die verkehrt und böse sind. Aber es gibt manche irdische Segnung, die in sich völlig in Ordnung ist und die wir mit dem Herrn durchaus genießen können. Aber die Frage ist, ob wir darin aufgehen und unser „Genüge“ darin finden, oder ob unsere Herzen auf das „Bessere“ gerichtet sind. W. Kelly hat einmal bemerkt, dass selbst die so genannten „neutralen“ Dinge dieser Erde doch immer mit dem einen Makel behaftet sind, dass nämlich Christus nicht in ihnen ist7. Für die Welt mag der Vergleich „Wein oder Wasser“ eindeutig ausfallen, und sie mögen wenig Verständnis haben, wenn wir statt „Wein“ lieber „Wasser“ trinken.

Mut und Vertrauen werden belohnt

Salomo schreibt: „Wenn die Wege eines Mannes dem Herrn wohlgefallen, so lässt er sogar seine Feinde mit ihm in Frieden sein“ (Spr 16,7). Das hatte Joseph in Ägypten erlebt, und das erlebte Daniel hier in Babel. Der Aufseher ging das Risiko ein. Obwohl es gegen seine Erfahrung und gegen die menschliche Logik sprechen mochte, nahm er den Vorschlag an.

Gott bekannte sich zu dem Vertrauen und Mut von Daniel. Nach zehn Tagen war der Test vorüber, und Daniel und seine Freunde sahen besser aus als alle anderen, die von der Tafelkost des Königs gegessen hatten. Es kann nicht anders sein. Wenn wir vertrauten Umgang mit dem Herrn haben, sein Wort lesen und Ihm gehorchen, wird das nach außen hin sichtbar. Das Ablehnen der Tafelkost des Königs und seines Weins und die Annahme dessen, was Gott uns gibt, bleibt nicht ohne Ergebnisse. Es wird immer sichtbar werden, was uns innerlich nährt und antreibt.

Verse 17–21: Die Antwort Gottes

Gott bekennt sich zu Treue und Gehorsam

Gott bekennt sich zu dem ernsthaften Bemühen Daniels und seiner Freunde. Er sorgte nicht nur dafür, dass ihr Wunsch erfüllt wurde und sie Wasser und Gemüse bekamen. Er sorgte nicht nur dafür, dass ihr Äußeres keinen Schaden nahm. Nein, Gott tut mehr. Am Ende ihrer Ausbildung waren sie weiser und klüger als alle anderen, die vor dem König standen. Wir erleben es oft, dass Gott mehr gibt, als wir bitten (vgl. Eph 3,20). Bei Salomo war das ähnlich. Er hatte nicht um Reichtum und Ehre gebeten, sondern um Weisheit und Einsicht. Gott gab ihm beides.

Der Text sagt ausdrücklich, dass es Gott war, der den vier jungen Männern Kenntnis und Einsicht und Weisheit gab, und Daniel darüber hinaus Verständnis für alle Gesichte und Träume. Wir zweifeln nicht daran, dass die vier aufmerksame Schüler waren und fleißig gelernt hatten. Doch der Erfolg am Ende war nicht eigener Verdienst, sondern ein Werk Gottes. Den Korinthern, die sehr viel Wert auf menschliche Weisheit legten, sagte Paulus einmal: „Denn wer unterscheidet dich? Was aber hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber auch empfangen hast, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ (1. Kor 4,7). Ein Grundsatz aus der Tradition der Benediktiner – der fälschlicherweise oft Martin Luther zugeschrieben wird – lautet: „Ora et labora“. Das bedeutet: „Bete und arbeite“. Damit soll ausgedrückt werden, dass der Erfolg einerseits zu hundert Prozent von Gott abhängt (beten), und dass wir andererseits hundert Prozent Verantwortung haben, uns für den Erfolg einzusetzen (arbeiten). Diese beiden Seiten gehören immer zusammen. Wenn wir unserer Verantwortung nachkommen, kann Gott unser Bemühen segnen. Aber dann sollten wir uns nie etwas darauf einbilden.

Es gibt Christen, die einen sehr wachen Geist haben und die Gott mit großer Intelligenz ausgestattet hat. Es gibt Christen, die – ohne dass sie danach gestrebt haben – im Beruf sehr erfolgreich sind. Es gibt Christen, die in dieser Welt hohe Positionen bekleiden – so wie später Daniel am Hof des Königs. Wenn es so ist, dann wollen wir von Daniel lernen, dass alles von Gott kommt. Wir wollen dankbar und gleichzeitig bescheiden sein. Ausgangspunkt von allem war der Herzensentschluss Daniels und seine konsequente Umsetzung.

Dieser Herzensentschluss hatte dazu geführt, dass Gott diese jungen Männer bewahrt hatte. Sie hatten ohne Frage manches lernen müssen, was ihnen hätte schaden können. Der Unterricht an einer heidnischen Hochschule beinhaltete manches, was den Prinzipien und den Gedanken Gottes völlig entgegen war. Das ist an den Universitäten und Ausbildungsstätten unserer Zeit nicht anders. Junge Leute lernen in Schule, in Aus- und Fortbildung manches, was im totalen Gegensatz zu den Belehrungen der Bibel steht. Das lässt sich nicht vermeiden. Wenn ein junger Mensch studiert und es unter der Kontrolle Gottes tut, wird Gott ihn vor Schaden bewahren und Gutes daraus hervorgehen lassen. Aber für viele junge Christen sind Ausbildung und Studium eine große Gefahr. Mancher ist ein Sklave seiner eigenen – vermeintlichen – Kenntnis geworden. Einige haben sich komplett vom christlichen Glauben abgewandt – nicht so Daniel. Gott konnte ihn segnen, und Gott konnte ihn zum Segen für andere werden lassen. Seine Treue zahlte sich aus.

Kenntnis, Einsicht und Weisheit

Am Ende waren die vier nicht nur ihren Altersgenossen überlegen, sondern als sie vor dem König standen, fand er sie allen Wahrsagepriestern und Sterndeutern, die in seinem ganzen Königreich waren, zehnmal überlegen. David hatte in Psalm 25 geschrieben: „Das Geheimnis des Herrn ist für die, die ihn fürchten, und sein Bund, um ihnen denselben kundzutun“ (Ps 25,14). Daniel und seine Freunde erlebten hier, welche Ergebnisse ihre Gottesfurcht hatte. Sie erlebten ebenfalls, was der Dichter von Psalm 119 schreibt: „Wie liebe ich dein Gesetz! Es ist mein Sinnen den ganzen Tag. Weiser als meine Feinde macht mich dein Gebot, denn immer ist es bei mir. Verständiger bin ich als alle meine Lehrer, denn deine Zeugnisse sind mein Sinnen. Mehr Einsicht habe ich als die Alten, denn deine Vorschriften habe ich bewahrt. Von jedem bösen Pfad habe ich meine Füße zurückgehalten, damit ich dein Wort halte. Nicht bin ich von deinen Rechten gewichen, denn du hast mich unterwiesen“ (Ps 119,97-102). Die vier Exiljuden waren tatsächlich verständiger als alle ihre Lehrer und hatten mehr Einsicht als die Alten. So bekennt Gott sich zu ihrem Vertrauen und zu ihrem Mut. Daniel hatte um einen Test von zehn Tagen gebeten, und nun erweisen sich die vier den anderen zehnmal überlegen. So antwortet Gott.

Die Kenntnis und Einsicht, von der in Vers 17 die Rede ist, bezieht sich unmittelbar auf das, was die vier in Babel gelernt hatten und worin der König sie nun prüfte. Die vier waren offensichtlich nicht nur intelligent (siehe Vers 4), sondern auch fleißig. Dennoch war es nicht ihr Fleiß allein. Gott hatte ihnen Einsicht, Verständnis und Weisheit gegeben.

Dahinter erkennen wir ein Grundprinzip, das wir auf die Gedanken Gottes, so wie sie uns in der Bibel gezeigt werden, anwenden können. In diesem Sinn sind Kenntnis, Einsicht und Weisheit immer von Gott. Es ist natürlich unsere Verantwortung, die Bibel aufmerksam zu lesen und zu lernen, was Gott uns sagen will. Wenn wir dieser Verantwortung nachkommen, gibt Gott Einsicht in seine Gedanken. Das Geheimnis des Lebens Daniels war nicht seine große Intelligenz, sondern sein Herz und seine konsequente Absonderung von der Welt, die ihn umgab. Wir brauchen als Christen Herzen, die für den Herrn schlagen und sich von dem abwenden, was die Welt bietet. Dann gibt Er Kenntnis, Einsicht und Weisheit in sein Wort. Der Psalmdichter schreibt: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang; gute Einsicht haben alle, die sie ausüben. Sein Lob besteht ewig.“ (Ps 111,10). Das ist die Weisheit, die von oben kommt (Jak 3,17).

W. Kelly schreibt dazu: „Diese Lektion betrifft uns ebenso. Wenn wir die Schriften verstehen wollen, müssen wir getrennt von dieser Welt leben. Nichts ist tödlicher für die geistliche Einsicht, als wenn wir uns von jedem Wind aktueller Meinungsbildung und menschlicher Wege hin- und hertreiben lassen“8. Es geht nicht um intellektuelle Fähigkeiten oder wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um ein Herz, das diesen Entschluss fasst, den Daniel gefasst hat.

„Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem Tag an, da wir es gehört haben, für euch zu beten und zu bitten, damit ihr erfüllt sein mögt mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht, um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werk Frucht bringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“ (Kol 1,9.10).

Als Christ benötigen wir die drei genannten Dinge unbedingt. Es beginnt mit der Kenntnis. Wenn wir einen Bibelabschnitt lesen, müssen wir zunächst den Text verstehen. Dann folgt die Einsicht, d. h., wir müssen den Sinn dessen, was Gott sagen will, begreifen. Aber damit ist es nicht getan. Text- und Sinnverständnis sind wichtig, können aber letztlich intellektuell erworben werden. Deshalb muss die Weisheit unbedingt dazukommen. Weisheit hat damit zu tun, dass wir in der Lage sind, das Wort Gottes konkret in unseren Alltag zu übertragen, um in den täglichen Lebensumständen zu wissen, was wir zu tun und zu lassen haben. Mit einer solchen Weisheit war der König Salomo ausgestattet. Auch bei ihm war diese Weisheit eine Gabe Gottes: „Und Gott gab Salomo Weisheit und sehr große Einsicht und Weite des Herzens, wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist“ (1. Kön 5,9).

Eine besondere Auszeichnung

Am Ende des Kapitels bekommt Daniel eine besondere Auszeichnung. Alle vier hatten Kenntnis, Einsicht und Weisheit, aber Daniel hatte darüber hinaus Verständnis für alle Gesichte und Träume. Gott zeichnete den Mann, der zuerst den Herzensentschluss fasste, besonders aus. „Denn die, die mich ehren, werde ich ehren, und die, die mich verachten, werden gering geachtet werden“ (1. Sam 2,30). Die Fähigkeit, Gesichte und Träume zu deuten, war ebenfalls von Gott gegeben. Dazu hatte Daniel nichts beigetragen. Die Fähigkeit konnte er nicht lernen, sondern war ausschließlich auf Gott angewiesen. Wir lesen im Übrigen nichts davon, dass seine Freunde ihn darum beneidet hätten.

Gott bereitet sich seine Werkzeuge zu. Es sollte nicht lange dauern, bis Daniel diese Gabe Gottes benutzte, um das Leben vieler Menschen zu retten. Gott nutzte die Treue Daniels, um ihn zuzubereiten. Es würde noch viele Jahre dauern, bis Daniel selbst Träume und Gesichte bekam, aber hier ging es zunächst darum, dass er vorbereitet war auf die Träume des Königs von Babel, um sie zu deuten.

Ein Überrest

Daniel und seine Freunde sind ein Beweis dafür, dass Gott immer einen Überrest haben wird – selbst in schwieriger Zeit und in Tagen von Niedergang, Verfall und später auch bei vollständigem Abfall. Es ist ein Überrest, den Gott sich zum Zeugnis erhält. Die vier jungen Männer sind ein Bild des Überrestes Israels kommender Tage, dem Gott Gnade geben wird. Die Existenz eines Überrestes weist einerseits darauf hin, dass die Masse abgewichen ist. Andererseits ist sie ein Beweis der Treue Gottes, der sich immer ein Zeugnis erhalten wird.

Auch wir möchten heute die Charakterzüge eines Überrestes aufweisen. Babel ist ein Bild der Welt, die einen gewissen Druck auf uns ausübt. Sie will die göttliche Wahrheit verdrängen und letztlich alle Erinnerung an den wahren Gott der Bibel auslöschen. Sie wird alles versuchen, damit wir uns ihr anpassen und uns mit ihr vermischen. Wir stehen immer in Gefahr, unsere Absonderung aufzugeben und uns in den Vergnügungen und attraktiven Dingen der Welt zu verlieren. Dazu zählen Reichtum, Ehre, Besitz, Karrierestreben, Freude an weltlichen Dingen usw. Aber Babel ist ebenso ein Bild der religiösen Welt. Auch hier wird alles versucht, damit wir unseren Charakter als Überrest durch Vermischung und Anpassung aufgeben.

Ein Überrest wird immer gegen den Strom gängiger Meinungen und Trends schwimmen müssen. Dazu brauchen wir Kraft und Hilfe von Gott. Folgender Hinweis von Paulus ist heute so aktuell wie damals: „Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, was euer vernünftiger Dienst ist. Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr prüfen mögt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“ (Röm 12,1.2). Die Welt – im Bild von Babel – ist immer eine Gefahr für uns. Das gilt für die sittliche, moralische Welt ebenso wie für die religiöse Welt. Deshalb ist die innere und äußere Trennung von dieser Welt für uns unerlässlich. Diese Welt „funktioniert“ nach ganz anderen Maßstäben als der Christ. Deshalb brauchen wir die ständige Überprüfung unserer Denkweise, damit wir nicht von dem Treiben der Welt weggerissen werden. Dabei wollen wir nie vergessen, dass wir gleichzeitig als Zeugnis hier gelassen sind. Wir scheinen wie Lichter in der Welt, um das Wort des Lebens (Christus) darzustellen. Trennung bedeutet nie Isolation und Separatismus.


Fassen wir einige Kennzeichen eines Überrestes – so wie er uns in Daniel 1 vorgestellt wird – noch einmal kurz zusammen:

  1. Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes
  2. Ein fester Entschluss, sich nicht der Welt anzupassen, sondern Gott treu zu sein
  3. Glaube an Gott und Vertrauen auf Ihn
  4. Gottesfurcht und den festen Entschluss, nichts zu tun, was Gott missfällt
  5. Ein klares Zeugnis gegenüber der Welt
  6. Demut und Sanftmut des Geistes
  7. Geistliche Einsicht, Verständnis und Weisheit, die Gott in der Gemeinschaft mit Ihm gibt

In Kapitel 2 werden wir ein weiteres Merkmal kennenlernen, nämlich den Geist des Gebets, der sich in Fürbitte und Dankbarkeit äußert.

Daniel bleibt in Babel

Der letzte Vers des Kapitels weist darauf hin, dass Daniel bis zum ersten Jahr des Königs Kores in Babel blieb. Er erlebte also die komplette Regierungszeit der Babylonier, d. h. das erste Weltreich mit seinen Königen. Von der ersten Wegführung aus Jerusalem bis in die Zeit von Kores sind 70 Jahre vergangen. Von diesem Kores hatte der Prophet Jesaja bereits gesprochen (Jes 44,28; 45,1). Kores war wie Nebukadnezar ein heidnisches Instrument in der Hand Gottes. 539 v. Chr. eroberte er Babel und setzte dem neubabylonischen Reich ein Ende. In der Geschichtsschreibung ist er als persischer Großkönig Kyros II bekannt.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Daniel nach Jerusalem zurückgekehrt wäre. Im fremden Land hat sich Gott mit Daniel einen treuen Zeugen erhalten bis zu seinem Ende.

Die Geschichtsschreibung spricht von fünf oder sechs Königen, die in diesen 70 Jahren im neubabylonischen Reich regiert haben. Die Bibel erwähnt lediglich zwei, nämlich Nebukadnezar und Belsazar. Nebukadnezar fiel besonders durch seinen Götzendienst auf, während Belsazar durch moralisches Verderben und Lästerung gekennzeichnet war. Der letzte König, mit dem Daniel zu tun hatte, war Darius, der Meder. Der augenfälligste Charakterzug bei ihm war der Hochmut.

Gott hatte eine Aufgabe für Daniel, die er bis zum Ende ausgeführt hat. Die Aussage, dass Daniel blieb, erinnert an Johannes, den Schreiber der Offenbarung. Der Herr hatte zu Petrus gesagt: „Wenn ich will, dass er bleibe ... was geht es dich an?“ (Joh 21,22). Wie Daniel blieb Johannes so lange, bis seine Aufgabe erfüllt war.

Fußnoten

  • 1 Darby, J.N.: Studies on the Book of Daniel (www.stempublishing.com)
  • 2 Die exakte Datierung ist nicht eindeutig vorzunehmen. Geschichtsforscher und Bibelausleger nennen diese beiden Jahreszahlen. Ein gewisses Problem scheint sich zudem auf den ersten Blick zu ergeben, wenn man Daniel 1,1 mit Jeremia 25,1 und Jeremia 46,2 vergleicht. Daniel spricht vom dritten Jahr Jojakims, während Jeremia als Datum das vierte Jahr dieses Königs angibt. Das Problem löst sich auf, wenn man bedenkt, dass man in Babel die Zeit anders berechnete als in Juda. In Babel wurde das erste Jahr – also das Jahr der Thronbesteigung – nicht mitgezählt. Das folgende Jahr war dann das „erste Jahr“. In Israel zählte man anders, und das Thronbesteigungsjahr war das erste Jahr der Regierung eines Königs.
  • 3 Das besondere Problem des Götzenfleisches wird in 1. Korinther 10 behandelt. Paulus macht dort klar, dass es an sich kein Problem ist, Fleisch zu essen. Nur dann, wenn man weiß, dass es Götzenfleisch ist, sollte wegen des Bruders und wegen des Gewissens auf den Verzehr verzichtet werden.
  • 4 Dennett, E. Daniel, the Prophet (www.stempublishing.com)
  • 5 Der Herr Jesus hat Menschen ebenfalls neue Namen gegeben. Aus „Simon“ wurde beispielsweise „Petrus“. Der Herr Jesus allein hat das Recht, Bewusstsein zu verändern. Aber diese Welt beansprucht dieses Recht ebenfalls für sich.
  • 6 Dabei verkennen wir nicht, dass Paulus möglicherweise den Korinthern gegenüber an dieser Stelle das Stilmittel der Ironie eingesetzt haben mag.
  • 7 Zitiert nach „Freudloser Nasiräer?“ von Setzer, G. www.bibelstudium.de
  • 8 Kelly, W.: Notes on the book of Daniel (www.stempublishing.com)
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