Botschafter des Heils in Christo 1854

Wandelt in Liebe

„Und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,2).

Es ist köstlich und segensreich für uns, wenn unsere Herzen auf die Liebe Gottes gerichtet sind und wenn wir diese Liebe erkennen und verstehen. Es ist aber nicht genug, dass wir die Sprache der Liebe im Mund führen und wir vieles über diese Liebe zu reden wissen. Unsere Herzen müssen darauf gerichtet sein, sie müssen davon erfüllt und durchdrungen sein. Dann wird uns die Liebe Gottes nicht fruchtleer zurück lassen, dann ist sie stets wirksam.

Gott hat uns seine große Liebe in Christus Jesus offenbart. Er hat uns seinen eingeborenen Sohn gesandt zur Sühnung unserer Sünden. Von Natur waren wir gottlos und Feinde Gottes, aber jetzt sind der Gegenstand seiner unaussprechlichen Liebe geworden. Er hat uns zu Kindern angenommen, zu Erben Gottes und Miterben Christi (Röm 8,17). Er ist unser Gott und Vater geworden, und Jesus selbst bezeugt, dass der Vater uns liebt wie Ihn. Wir sind das Werk seiner herrlichen Gnade und Liebe, ein Werk, worin sich die Liebe Gottes in ihrer Fülle erweist. In Christus und seiner Versammlung ist die Liebe Gottes verherrlicht. Hier haben ihre kräftigen Strahlen die tiefsten Tiefen durchdrungen und belebt. Jesus Christus ist mit dem Vater eins. Er hat sich selbst für seine Versammlung hingegeben (Eph 5,25). Er hat sein Leben für uns gelassen, als wir noch Feinde waren. Eine größere Liebe gibt es nicht. Auch wenn wir sie erkannt haben, so übersteigt sie doch alle Erkenntnis. Die überschwängliche Erkenntnis Christi übertrifft alles und bereitet uns eine völlige Freude. Was wird es erst dann sein, wenn wir Ihn so erkennen, wie wir von Ihm erkannt sind (vgl. 1. Kor 13,12); da uns schon jetzt das Bewusstsein seiner Liebe so reich und glücklich macht!

Diese Liebe ist durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen (Röm 5,5). Sie hat uns nicht als Fremdlinge bei Gott gelassen, um als Entfernte diese Liebe zu bewundern, sondern wir sind in Christus ganz nahe hinzugekommen, so dass wir mit aller Zuversicht ausrufen können: „Abba, Vater!“ (Röm 8,15). Wir sind ganz in die Gemeinschaft dieser Liebe gebracht. Ihr ganzes Wesen hat uns durchdrungen und so mit ihr befestigt, dass wir sagen dürfen: „Wer wird uns scheiden von der Liebe Gottes? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hungersnot oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?“ (Röm 8,35). Nichts vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn (Röm 8,39). Solange wir diese Liebe aber nur mit dem Mund preisen, und sie nicht auch in Tat und Wahrheit beweisen, haben wir die Gemeinschaft dieser Liebe nicht erkannt und dass sie in unsere Herzen ausgegossen ist. In dieser Beziehung findet viel Täuschung statt. Dies wird immer der Fall sein, wenn wir die Liebe Gottes rühmen, die uns geliebt hat, da wir noch Feinde waren, und ihre Wirksamkeit in uns nicht wie in Gott ist. Der Charakter oder das Wesen dieser Liebe ist immer derselbe, voll Erbarmen, Gütigkeit und Geduld. „Die Liebe ist langmütig, ist gütig; die Liebe neidet nicht; die Liebe tut nicht groß, sie bläht sich nicht auf, sie gebärdet sich nicht unanständig, sie sucht nicht das Ihrige, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet Böses nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles“ (1. Kor 13,4–7). Das ist der Charakter der Liebe, und sie wird sich immer in dieser Welt offenbaren. Sind wir von ihr erfüllt, so vergessen wir uns selbst ganz; sie lenkt immer unseren Blick auf das Wohl der Anderen. Jesus Christus erduldete das Kreuz und achtete die Schande nicht, und seine Hingabe brachte uns das unaussprechliche Heil.

Haben unsere Herzen eine lebendige Überzeugung dieser Liebe? Stehen wir in dem festen Bewusstsein, dass sie in Jesus unser Teil geworden ist, so werden wir immer voll Freimütigkeit zum Gnadenthron treten. Diese Liebe ist unwandelbar, darum dürfen wir auch zu jeder Zeit herzunahen, denn in Christus kommen wir stets als die Begnadigten und Geliebten. Sind meine Gefühle auch veränderlich, so bleibt das Herz Gottes immer dasselbe. Diese Erkenntnis lässt uns stets voll Zuversicht leben, wissend, dass wir zu jeder Zeit einen freien Zutritt wie die Kinder zum Vater haben. Ruhen wir in der Liebe Gottes, so verschwindet die Furcht und jede Sorge tritt in den Hintergrund, denn Gott ist ja unser Vater. Was wir sonst nirgends finden, finden wir im Vaterherzen Gottes: eine tröstende Liebe in Drangsalen, eine Kraft in Schwachheit, eine Hilfe in der Not und eine herrliche Hoffnung für die Ewigkeit. Hier finden wir alles, was wir bedürfen. Hier darf das Herz in Frieden ausruhen, wo es doch sonst nirgends Ruhe finden konnte, und wenn es wirklich auf die Liebe Gottes gerichtet ist, so werden wir auch mit dem Apostel in die Worte einstimmen: „Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen“ (1. Joh 3,1), und erfreuen uns der Ermahnung: Lasst uns Ihn lieben, „weil er uns zuerst geliebt hat“ (1. Joh 4,19). Seine Liebe zieht unsere Herzen von allem Sichtbaren und auch von uns selbst ab, und richtet unseren Blick dahin, von woher uns diese Liebe entgegenstrahlt. Haben wir die Tiefen seiner erbarmenden Liebe in Christus Jesus erkannt, wie könnte da unser Herz noch etwas finden, wo es mehr hingezogen würde? In der Gemeinschaft dieser Liebe erfährt man, dass sonst nirgends Liebe ist. Alles liebt und denkt nur an sich. Alles ist eitel und vergänglich und der Täuschung unterworfen. Solange wir noch uns selbst oder die Dinge dieser Welt zum Gegenstand unserer Liebe haben, ist unser Herz nicht wahrhaft auf die Liebe Gottes gerichtet und davon durchdrungen. „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1. Joh 4,16).

„Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott; und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe“ (1. Joh 4,7.8).

Der Charakter derer, die aus Gott geboren sind, ist die Liebe und das Erkennen Gottes. Das Kind kennt seinen Vater. Haben wir diesen Charakter nicht und denken doch Gottes Kinder zu sein, so täuschen wir uns selbst; denn wir sind dann nicht aus Gott geboren, der die Liebe ist. Was vom Fleische geboren ist, das ist Fleisch (Joh 3,6) und gehört dieser Welt an. Es wird auch immer den Charakter des Fleisches und das Wesen dieser Welt offenbaren, selbst wenn es einen Schein von Frömmigkeit annimmt. Doch sind wir aus Gott geboren, so sind wir ein Geist mit Ihm, und unser ganzes Wesen ist himmlisch. Unsere Gemeinschaft ist nicht mehr mit der Welt, sondern mit Gott, dem Vater und Christus Jesus (1. Joh 1,3). Die Welt erkannte den eingeborenen Sohn vom Vater nicht, darum kennt sie auch uns nicht, denn wir sind ein Geist mit Ihm. Er hat uns zu Kindern Gottes gemacht, und nachdem Er den Willen Gottes in dieser Welt vollbracht hatte, sagte Er: Ihr seid meine Brüder: mein Vater ist euer Vater und mein Gott euer Gott (Joh 20,17). Diese so überaus herrliche Wahrheit zeigt uns unsere Stellung sowohl in dieser Welt, als auch vor unserm Gott und Vater. „Liebt nicht die Welt, noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“ (1. Joh 2,15). Was die Welt und ihre Dinge, sowie ihr ganzes Wesen betrifft, so gilt hier nur eine dauernde Verleugnung. Jesus ist unser Vorbild. Er tat den Willen und die Werke des Vaters. „Was der Vater tut, tut in gleicher Weise der Sohn“ (Joh 5,19). Sein ganzes Wesen war nur auf Gott, den Vater gerichtet. Er war gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,8). Sein Leben hatte stets die Verherrlichung des Vaters zum Ziel, so dass Er am Ende seines Lebens in dieser Welt sagen konnte: „ich habe dich verherrlicht auf der Erde“ (Joh 17,4). Es ist jetzt nicht allein unsere heilige Pflicht, sondern noch vielmehr unser großes Vorrecht geworden, zu leben, wie Er gelebt hat.

„Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,1).

So werden auch wir ermahnt, durch die Erbarmungen unseres Gottes, unsere Leiber als lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Schlachtopfer darzustellen (Röm 12,1). Die Liebe Gottes hat sich in Christus in solcher Fülle und Herrlichkeit über uns offenbart, dass wir, sobald unser Herz wirklich darauf gerichtet und davon durchdrungen ist, nicht anders können, als in der Gemeinschaft dieser Liebe zu wandeln. Sie drängt uns zu Lob, Preis und Anbetung und völliger Hingabe. Sie hat stets unsere Errettung und Verherrlichung zum Ziel, wie könnten wir anders, als wiederzulieben. Die Liebe des Vaters dachte schon vor Grundlegung der Welt an uns und bestimmte uns durch Jesus Christus zur Sohnschaft (Eph 1,4.5); sie macht das Herz voll kindlicher Zuversicht und freudiger Gewissheit. Nicht genug, dass sich Jesus zu unserer Versöhnung hingegeben hat: sie sorgt für uns in allen Dingen, sie trägt und pflegt uns und leitet uns sicher zur himmlischen Herrlichkeit. Darum, Geliebte, „lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt“ (1. Joh 4,9).

„Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, so sind auch wir schuldig, einander zu lieben“ (1. Joh 4,11).

Gott liebt seine Kinder mit großer Liebe in Tat und Wahrheit, wie könnten wir etwas anderes tun, wenn wir von derselben Liebe durchdrungen sind? „Jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist. Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten“ (1. Joh 5,1.2). Die Kinder Gottes sind stets ein Gegenstand der aufopfernden Liebe und der zärtlichsten Sorgfalt und Pflege des Vaters. Er trägt das Schwache mit großer Geduld. Er hilft den Gefallenen mit Sanftmut auf. Er tröstet und erquickt das Bedrängte mit herzlicher Liebe und leitet alle immer weiter in der Gnade und Erkenntnis dem herrlichen Ziel entgegen. Diese Früchte kann nur die Liebe Gottes in uns hervorbringen. Man kann die Liebe wie den Geist Gottes in sich dämpfen, aber ihr Charakter bleibt immer derselbe und wird sich, wo sie freien Lauf hat, immer so offenbaren. Je mehr wir in der Heiligung zunehmen, desto mehr wird auch diese Liebe ihre sanften und segnenden Strahlen mitteilen.

Jede Versammlung von Christen ist nur dann gesegnet, wenn sie von der Liebe Gottes getragen wird, wenn die einzelnen Glieder von ihr erfüllt und durchdrungen sind. Es ist aber auch hier nicht genug, eine schöne Rede von dieser Liebe halten zu können, mit Worten oder der Zunge zu lieben, sondern in Tat und Wahrheit. Je weniger die Liebe Gottes in einer Gemeinschaft wohnt, desto weniger Segen wird auch offenbar werden. Wir werden immer finden, dass da, wo die Liebe erkaltet ist, ein gesetzliches Richten stattfindet. Man sieht den Splitter in dem Auge des Bruders, aber den Balken im eigenen Auge nimmt man nicht wahr (Lk 6,41.42). Man sieht die Fehler des Bruders, aber man hilft ihm nicht in einem sanftmütigen Geist. Vielmehr fordert man von anderen, was man selbst nicht beweist. Wo aber die Liebe Gottes wirksam ist, da werden die Vergehungen und Schwächen der Brüder auf betendem Herzen getragen, wie die eigenen, und dann offenbart sich der priesterliche Charakter. Jesus, der treue Hohepriester, betet immer für die Seinen und vertritt sie auf das Beste. Zwischen Richten und Ermahnen liegt ein großer Unterschied, wofür aber nur die Liebe Augen hat. Der richtende Bruder zeigt dem anderen die Fehler an und straft sie. Wo dagegen Ermahnung in Christus ist, da ist auch viel Gebet, Sanftmut und Geduld und es wird nur an die Besserung gedacht. „Die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden“ (1. Pet 4,8). „Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles und erduldet alles“ (1. Kor 13,7). Bei dem richtenden Bruder ist es meistens Eigenliebe, die wünscht, dass der Andere seine Sünden erkennt. Wo aber die Liebe Gottes im Herzen ist, vergisst man sich selbst, und ist nur auf die Ehre Gottes und das Heil des Fehlenden bedacht. Solange wir noch gesetzlich dastehen, können wir großen Eifer für die Heiligkeit Gottes haben, besonders was die Anderen betrifft, das Herz ist aber nicht so sehr auf die Liebe und Geduld Gottes gerichtet und davon erfüllt. Die Liebe denkt nicht allein daran, die Sünden aufzudecken und zu ermahnen, sondern sie denkt auch an die vielfachen schweren Versuchungen, worin dieser oder jener Bruder steckt, und tragen hilft. Gott ist Liebe, und wie diese Liebe mit uns verkehrt, so wird sie auch in uns mit allen Brüdern verkehren. Wo aber die brüderliche Liebe innig und inbrünstig ist, da wird auch die allgemeine Liebe gegeben werden.

„Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass er für uns sein Leben dargelegt hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen“ (1. Joh 3,16).

Der treue Herr gebe, dass unsere Herzen stets auf seine Liebe gerichtet bleiben, damit auch wir bereit sein möchten, alles, ja selbst das Leben, für die Brüder hinzugeben. Es ist nichts Besonderes, solche zu lieben, die uns lieben, sondern wir sollen allen eine inbrünstige Liebe beweisen. Geliebte, lasst uns doch stets als solche leben, die das lebendige Bewusstsein in sich tragen, dass sie mit unaussprechlicher Liebe getragen und geleitet werden. Lasst uns auch untereinander anreizen zur Liebe und guten Werken. Die Liebe sei in uns allen gleich flammend und ungeheuchelt (vgl. 1. Pet 1,22, Röm 12,9). Dann beweisen wir uns als die Kinder Gottes, deren Hauptcharakter und Wesen die Liebe ist. Dann werden wir erkannt als solche, die aus Gott geboren sind. Die Weissagungen und die Erkenntnis werden vergehen, die Sprachen werden schweigen und Glaube und Hoffnung hören auf, aber die Liebe bleibt. Deshalb ist auch die Liebe das Höchste unter allen.

„Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist vollendet in uns“ (1. Joh 4,12).

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