Über den Gottesdienst
Botschafter des Heils in Christo 1853

Über den Gottesdienst - Teil 3/3

Wenn das Gewissen eines Sünders aufgewacht ist, so erfreut es ihn, in Jesus Christus alles zu finden, was zur Vergebung seiner Sünden, zu seiner Rechtfertigung und zu seinem ewigen Heil notwendig ist. Und für alle, die zu Jesus Christus gekommen sind, ist es segensreich, sagen zu können, dass alles vollbracht ist, um im Heiligtum Gott dienen zu können. In diesem ist durch Ihn alles vorbereitet, um dort eingehen zu können, wo viele Völker hingehen und sagen: „Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN, zum Haus des Gottes Jakobs! Und er wird uns belehren aus seinen Wegen, und wir wollen wandeln auf seinen Pfaden. Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und das Wort des HERRN von Jerusalem“ (Jes 2,3). Jetzt aber ist für die Gläubigen die Zeit, einander aufzumuntern, in das Heiligtum einzugehen, nämlich in den Himmel selbst, weil Jesus und sein Blut sich dort befinden. „Auf“, sagen sie, „lasst uns hinzutreten mit einem wahrhaftigen Herzen.“

Unter dem Gesetz wurde ein großer Teil der priesterlichen Amtsverrichtung außerhalb der Stiftshütte vollbracht, sie geschahen vor den Augen des Anbeters. Wenn dieser ein Brandopfer brachte, so wurde das Opfertier an den Eingang der Stiftshütte geführt und geschlachtet. Danach vergossen die Priester vor ihm das Blut rings um den Altar, welcher vor der Stiftshütte stand. Dieser Teil der Verrichtung des Priesters war für die äußeren Anbeter sichtbar. Aber derjenige, der bis hierher nahen konnte, war in seinem Gewissen nie beruhigt. Er kam zwar bis zu diesen Opfern, er sah die Darbringung, jedoch reichten sie nicht, um sein Gewissen zu reinigen. „Denn unmöglich kann Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen“ (Heb 10,4). Nun ist dieses ganze Werk ein für alle Mal vollbracht, das Amt des Priesters völlig innerhalb und unsichtbar: auch ist es nur dem Glauben durch die Offenbarung Gottes bekannt.

Es wurde dem hebräischen Anbeter, der Jesus erkannt hatte, gewiss schwer, in Ihm nun das einzige Opfer für die Sünde zu finden, in Ihm den Hohepriester zu erkennen, der immerdar im Allerheiligsten lebt. Manche Kämpfe mussten sich in ihm erheben, wenn er Gott nahte, denn da war kein sichtbares Opfer, worauf er sich stützen, kein Opfertier, worauf er seine Hände legen konnte. Er musste eine große Hingabe für Jesus haben, um hinzunahen zu können. Alles, woran er zuvor gewöhnt war, musste er durch Ihn als ersetzt betrachten, alles, was er zuvor gesehen hatte, musste er durch den Glauben in Christus erfüllt erkennen. Manche meinen oft, es sei entweder durch uns oder durch Ihn noch etwas zu tun übrig, um hinzunahen zu können. Sie lassen sich oft mehr von nebensächlichen Dingen als von Jesus selbst einnehmen. Sie zweifeln an dem Recht zu nahen, wenn sie eine Entfernung im Herzen verspüren, als wenn das Maß unserer Neigungen und nicht das Blut Jesu uns nahe brächte.

Aber, meine Geliebten, wie sehr ist die Kirche Jesu untreu geworden! Es gibt noch eine Menge Anbeter, die fast erliegen unter der Last einer langweiligen Gottesdienstordnung. Es ist ihnen nie vergönnt gewesen, zu wissen, dass sie ein für alle Mal gereinigt sind und das alles bereitet ist, um in das Heiligtum einzugehen. Sie sind zu dem zurückgeführt, was sichtbar ist, und gehen nie weiter als bis zur Tür der Stiftshütte. Anstatt die Stelle geheiligter Priester zum Dienst und zur Anbetung im Himmel einzunehmen, stehen sie wie Juden in der Ferne.

Oft werden die Seelen dahin geführt, die Handlung des Gottesdienstes an die Stelle Jesu zu setzen. Das heißt aber mit sicherlich nicht mit einem wahrhaftigen Herzen zu nahen. Sobald wir an der Vollgültigkeit seines Opfers oder seines Priestertums zweifeln, sobald wir sein Mitleiden und sein liebevolles Erbarmen nicht völlig anerkennen, nahen wir nicht hinzu mit wahrhaftigem Herzen. Wenn wir jetzt noch, nachdem Jesus alles getan hat, fern bleiben, sind wir nicht aufrichtig gegen Ihn.

Es ist ein offenbarer Verrat an Jesus, eine Klasse Menschen aufzustellen, die Gott näher sein sollen als andere, indem man sie tatsächlich hinein und die andere tatsächlich hinaus stellt. Sich auf Priester, auf einen Klerus oder besondere Diener zur Gottesverehrung, als notwendig zum Gottesdienst, zu stützen, heißt entschieden die Wirkung der Person und des Werkes Christi zu leugnen. Dies rührt daher, weil man von der Wahrheit der Rechtfertigung des Sünders durch das alleinige Opfer Christi abgewichen ist. Ein Gottesdienst aus der Ferne ist die notwendige Folge einer unvollkommenen Rechtfertigung. Lässt man die Rechtfertigung des Sünders vor Gott durch das Blut von Jesus Christus nicht völlig zu, so räumt man auch nicht die Freiheit ein, durch dasselbe Blut zum Gottesdienst in das Allerheiligste einzugehen, was ein gemeinsames Vorrecht aller Kinder Gottes ist. Aber selbst da, wo die Rechtfertigung noch in Wahrheit verkündigt wird, sehen wir Formen und eine Gottesdienstordnung, die der Wahrheit ganz und gar entgegen sind. Der im gepredigten Evangelium verkündete freie Zugang wird denen nicht erlaubt, welche der Predigt geglaubt haben. So werden die Heiligen in der Tat von Jesus fern gehalten: sie werden gelehrt Ihm zu misstrauen.

Der Dienst des großen Hohepriesters kann nie einen Augenblick unterbrochen werden. Darum „lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens.“ Die Worte „in voller Gewissheit des Glaubens“ bedeuten aber durchaus nicht ein gewisses Maß von Glauben 1. Es handelt sich hier nicht um das Maß des Glaubens, sondern dass er sich auf seinen wahren Gegenstand richtet. Der Glaube kann noch einer der schwächsten sein, wenn er nur vollkommen seinen eigentlichen und wahren Gegenstand umfasst.

Wir finden außerdem im Neuen Testament ganz ähnliche Ausdrücke. Es wird von Abraham gesagt: „[Er] zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde gestärkt im Glauben, Gott die Ehre gebend, und war der vollen Gewissheit, dass er, was er verheißen hatte, auch zu tun vermag“ (Röm 4,20.21). Und: „Jeder sei in seinem eigenen Sinn völlig überzeugt“ (Röm 14,5). Von dem Augenblick an, wo die Seele Jesus Christus ergriffen hat, ist sie von sich selbst befreit und muss vollkommen überzeugt sein, dass alles, was sie bedarf, ihr in Jesus angeboten wird. Dieser einfältige Blick auf Jesus Christus ist das, was wir zum Gottesdienst bedürfen. Die Dinge, die der Mensch in seiner Weisheit als geeignete Mittel zur Andacht betrachtet, sind in Wirklichkeit große Hindernisse für die Andacht. Der Mensch sucht in seinem Gottesdienst auf die Sinne zu wirken, der Apostel dagegen sucht die Anbeter gerade von den Dingen abzuziehen, die auf die Sinne wirken, um ihre Seele auf einen unsichtbaren Gegenstand hinzulenken, in dem sie alles finden. Der Mensch ist geneigt sich einen Gottesdienst nach seinem Sinn einzurichten und nicht nach der Ordnung Gottes. Er beruft Gläubige und Ungläubige zum Dienst Gottes, er legt den Gläubigen eine Form auf, wodurch er eine vollkommene Rechtfertigung durch das Blut Jesu leugnet oder für ungültig erklärt. Alles was wir bedürfen, um zu dem wahren Gottesdienst zu gelangen, ist der Glaube an Jesus Christus. Wenn wir völlig überzeugt sind, dass Jesus Christus alles getan hat was nötig war, um uns eine Stätte zu bereiten, wo wir mit Gott zusammentreffen können, dann dürfen wir Gott nahen. Und mit welchem Vertrauen und welch heiliger Freiheit können wir es tun, da unsere Herzen besprengt und wir so gereinigt sind vom bösen Gewissen. Der Aussätzige musste, um gereinigt zu sein und das Recht zu haben, vom Neuen wieder an den Vorrechten des Gottesdienstes Teil zu nehmen, die Besprengung mit Blut empfangen haben (vgl. 3. Mo 14,7). Der Israelit, der etwas angerührt hatte, das ihn verunreinigte, musste die Besprengung mit Reinigungswasser empfangen (vgl. 4. Mo 19) aber es heiligte nur zur äußerlichen Reinigung (vgl. Heb 9,13).

Was ist das alles im Vergleich zu einem durch die Besprengung des Blutes des Christus vom bösen Gewissen gereinigten Herzen? Hier findet nicht nur eine Reinigung des Fleisches statt, sondern eine Reinigung des Herzens durch den Glauben. Das für den Gottesdienst gereinigte Fleisch konnte mit einem bösen Gewissen zugleich bestehen, aber dieses kann nicht bei einem gereinigten Gewissen stattfinden. Nur das, was nicht sichtbar ist, nämlich die reinigende Wirkung des Blutes Jesu, kann ein gutes Gewissen vollkommen bewahren.

Ehe Aaron die heiligen leinenen Kleider anlegen konnte, musste er seinen Leib im Wasser baden (vgl. 3. Mo 16,4). Dies ist noch jetzt der Fall: „den Leib gewaschen mit reinem Wasser.“ Wir können unsere weißen Kleider nur dann anlegen, wenn wir wirklich kennen, was die Gemeinschaft mit dem Tod von Jesus Christus ist. Man muss den alten Menschen ablegen, ehe man den neuen anziehen kann – und dies ist für uns ein für alle Mal im Tod und in der Auferstehung des Herrn Jesus geschehen. Doch wie wichtig ist es für uns, wenn wir uns dem Allerheiligsten, der Stätte unseres Gottesdienstes nahen, uns beständig zu erinnern, dass wir gestorben sind und dass wir in Jesus leben. Wir haben es mit dem lebendigen Gott zu tun, der auch ein verzehrendes Feuer ist. Alles, was dem Leben entgegensteht, wurde durch den Tod von Jesus Christus beseitigt. „Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,3). Nur als Lebendige aus den Toten, die wir waren, können wir Ihm nahen.

„Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festhalten“ (Heb 10,23). Das bezieht sich auf das, was in Hebräer 6,18.19 gesagt wird: „Damit wir durch zwei unwandelbare Dinge – wobei es unmöglich war, dass Gott lügen würde – einen starken Trost hätten, die wir Zuflucht genommen haben zum Ergreifen der vor uns liegenden Hoffnung, die wir als einen sicheren und festen Anker der Seele haben, der auch in das Innere des Vorhangs hineingeht.“ Unsere Hoffnung besteht darin, uns dort zu befinden, weil das Allerheiligste die Stätte ist, welche uns als Priestern Gottes gehört. Durch den Glauben aber beten wir jetzt im Geist dort an.

Es ist wirklich schwer, dieses Bekenntnis, das mit allem in Widerspruch steht was uns umgibt, festzuhalten. Jesus bezeugte vor Pontius Pilatus das gutes Bekenntnis (vgl. 1. Tim 6,13), dass Er König sei, ohne an und um sich irgendein Zeichen der Königswürde zu tragen. Sein Bekenntnis schien durch sein Äußeres widerlegt zu werden. Timotheus hatte ein schönes Bekenntnis in Gegenwart vieler Zeugen abgelegt (vgl. 1. Tim 6,12) und musste daran erinnert werden. Ebenso geht es uns, denn wir sind beständig geneigt zu vergessen, dass wir in Hoffnung das sind, was wir sind. Es ist unmöglich, anderen auf eine genügende Weise zu zeigen, das wir wirklich sind, was wir bekennen. Wir können wohl gute Gründe für die Hoffnung abgeben, die in uns ist, weil der Vorläufer schon für uns ins Innere des Vorhanges eingegangen ist. Aber durch Beweise können wir nicht auf das unruhige Begehren anderer antworten. Nein, Gott sei dafür gepriesen! Unsere Hoffnung ruht auf einem viel sicheren Grund als es alle Beweise tun, die wir vorbringen können, auf dem Grund seiner Unwandelbarkeit und Treue – „denn treu ist er, der die Verheißung gegeben hat“ (Heb 10,23).

Der Ausdruck „lasst uns festhalten“, ist sehr kraftvoll und will so viel sagen wie: „Lasst uns ergreifen und festhalten mit Kraft.“ Und wenn es irgendetwas gibt, das Satan uns durch alle Mittel entreißen möchte, so ist es unsere Hoffnung. Er hat viele Christen verleitet, ihre Rechtfertigung als Gegenstand ihrer Hoffnung zu nehmen. Wir hoffen nicht gerechtfertigt zu werden, sondern wir sind es durch das Opfer von Jesus Christus. Unsere Hoffnung gründet sich auf unsere Rechtfertigung. Das Allerheiligste steht nur denen offen, die ein für alle Mal gereinigt sind. Wenn wir also nicht eine vollkommene Gerechtigkeit kennen, die uns in den Stand setzt, in das Heiligtum einzugehen, so muss der Frieden unserer Seele notwendig schwankend sein.

Ein Israelit konnte sich der Tür der Stiftshütte mit einem Opfer nahen, aber dieses musste erst noch als annehmbar erklärt und angenommen werden, während der Hohepriester mit einem schon dargebrachten und angenommenen Opfer ins Allerheiligste einging. Ebenso verhält es sich mit unserem Recht, in das Innere des Vorhangs einzugehen. Das einzige Opfer Jesu hat uns für immer die Freiheit des Eingangs gegeben. Welche List entwickelt Satan in seinen Anschlägen gegen die Wahrheit! Als er die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben nicht mehr verborgen halten konnte, bemühte er sich, sie ihrer wahren Wirkung zu berauben. Er stellte sie als den Gegenstand der Hoffnung hin und nicht als das, was alle besitzen, die zu Jesus gekommen sind. So ist in der Tat der Friede des Evangeliums unbekannt, auch wenn vielleicht das Evangelium treu verkündigt wird. So lange man die Rechtfertigung durch den Glauben als Gegenstand der Hoffnung ansieht, steht man in der Ferne von Gott. Mancher Gläubige lässt sich den Frieden des Evangeliums durch seine gottesdienstlichen Handlungen stören.

Deshalb, geliebte Brüder, lasst uns dieses Bekenntnis ergreifen und festhalten: Da wir nun durch den Glauben gerechtfertigt worden sind, so setzen wir unsere Hoffnung auf nichts Geringeres, als auf das Allerheiligste selbst und beten schon jetzt dort im Geist an. Unsere Hoffnung ist unabhängig von uns selbst. Sie ist an die unwandelbare Treue Gottes gebunden, sie ist durch das Blut Jesu gesichert und schon im Innern des Vorhangs befestigt. Hütet euch vor der falschen Demut, als einem Mantel, der über unseren Unglauben und das Selbstvertrauen ausgebreitet wird. Wenn ihr euch selbst anschaut, so seid ihr ohne Hoffnung. Es steht euch dann nichts bevor als ein schreckliches Erwarten des Gerichts. Seht also auf Jesus und erkennt eure Hoffnung. Wo ist Er? Im Allerheiligsten als der Vorläufer. Dieser Gedanke zerstöre alle Ungewissheit und antworte auf alle Zweifel und Bedenklichkeiten. Allem Sichtbaren und äußerem Anschein zum Trotz lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung festhalten.

„Und lasst uns aufeinander Acht haben zur Anreizung zur Liebe und guten Werken“ (Heb 10,24). Hier erinnert uns der Heilige Geist, dass wir auch ein Priesterwerk zu verrichten haben. Beim Aussatz musste der Priester Acht haben oder prüfen. Und uns als Priestern gebührt es auch aufeinander Acht zu haben – nicht um zu untersuchen, ob wir rein seien oder nicht, denn der Hohepriester selbst hat gesagt: „Ihr seid schon rein“ (Joh 15,3), aber wir sollen aufeinander Acht haben, dass wir uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken. Der Ausdruck ist sehr bemerkenswert: „Habt Acht auf einander.“ Ein Einziger, nämlich der Herr, nimmt von Rechtswegen die Stelle des Priesters für die Kirche ein, darum sollen wir aufeinander Acht haben.

Aber wie wird diese Ausübung unserer priesterlichen, gemeinschaftlichen und wechselseitigen Verrichtung dort vollständig vernichtet, wo man wieder einen Priesterstand errichtet, der über die Christen herrschen soll! Was bedeutet der Beichtstuhl? Was die Absolution, der Klerus und ähnliche Dinge? Wenn nicht den Priester, der den Aussätzigen von Neuen rein erklärt? Wir müssen uns von diesen und allen ähnlichen Missbräuchen abwenden, welche verhindern aufeinander Acht zu haben! Wir können diese Pflicht nur dann erfüllen, wenn wir selbst in der Gnade stehen und erkennen, dass sich unsere Brüder in der gleichen Gnade und Nähe Gottes befinden wie wir. Wir müssen aufeinander Acht haben, als ob wir uns im Allerheiligsten befänden und folglich uns gegenseitig helfen alles zu entdecken, was sich nicht mit unserer erhabenen und segensreichen Stellung verträgt. Da gibt es keinen Raum für Nebenbuhlerei. Alle sind Priester, aber es ist reichlich Raum für die Liebe.

Und das Maß unserer gegenseitigen Liebe soll die Liebe sein, die uns da eingeführt hat, wo wir uns befinden. Die guten Werke aber sollen auch nach derselben Regel beurteilt werden. Das Heiligtum selbst kann nur zum Maßstab genommen werden, um zu bestimmen, was ein gutes Werk sei. Das allein, was dem Allerheiligsten angemessen ist, geziemt denen, die geheiligt sind. Nur was Gott als gute Werke bezeichnet, sollen wir darbringen, nicht was Menschen dafür halten. Maria goss den köstlichen Balsam auf die Füße Jesu und tat ein gutes Werk – die alten und neuen Nützlichkeitseiferer nennen dies aber eine eitle Verschwendung. Die zwei Scherflein der Witwe sind in Jesu Augen köstlicher als die prächtigen Gaben der Reichen. Was Gott gut nennt, heißen die Menschen schlecht, darum war Christus der Verachtete und Verworfene unter den Menschen und darum sind auch die wahrhaft christlichen Werke immer derselben Verachtung Preis gegeben. Wie nötig ist es deshalb für uns, stets im Allerheiligsten zu bleiben, um da den guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willen Gottes zu erfahren.

Weiter wird noch hinzugefügt: „Indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist“ (Heb 10,25).

Als die Israeliten in Kanaan eingegangen waren, durften sie nur an dem vom Herrn bestimmten Ort ihre Opfer darbringen und anbeten. Jerusalem war der Ort, wohin die Stämme gingen. Versetzt euch in die Lage eines gläubigen Hebräers an einem feierlichen Festtag in Jerusalem, oder in die Lage eines von den dreitausend durch die Predigt von Petrus Bekehrten Juden, aus allen Ländern kommend. Jerusalem ist mit Anbetern angefüllt, während der gläubig gewordene Hebräer sich nun von alledem entfernen soll, was sie herbeizieht. Welche Kämpfe in seiner Seele, um sich entschließen zu können, sich von der andächtigen Menge entfernt zu halten. Indem er es tat, setzte er sich nicht der Gefahr aus, für einen Feind seines Landes und des Tempels zu gelten? Denkt überdies, wie sein Gemüt von dem Abstand betroffen sein musste, der zwischen dem einfachen Obergemach oder einem anderen bescheidenen Lokal und dem prachtvollen Tempel bestand. Musste er nicht einen sehr einfältigen Glauben an Jesus haben, um sich zum Brotbrechen und Gottesdienst mit einer gewissen Anzahl Personen zu vereinigen, die ebenso unscheinbar waren, wie er: ohne sichtbaren Priester, um den Gottesdienst zu leiten, ohne Opfer, ohne Räucherwerk, ohne Altar, ohne ein Becken aus Kupfer? Die Menge, welche das feierliche Fest betrachtete, war sie nicht da, um ihn anzuklagen, dass der Gottesdienst, zu welchem er sich gesellt hatte, gewissermaßen gar kein Gottesdienst sei? Es liegt sicherlich eine große Kraft in den Worten: „Lasst uns … unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist.“

Ja sogar einige von denen, welche an Jesus glaubten, trugen Bedenken, das, was ohne Form war, als einen Gottesdienst zu erkennen. Es kostet viel, Jesus als alles anzunehmen und die Schatten fahren zu lassen. Das Versammeltsein galt als großes Zeugnis gegen die Religion der Welt, und kraft dieser Wahrheit war Jesus alles. Dies hieß verkündigen, dass Jesus der wesentliche Bestandteil des Gottesdienstes sei und dass der Gottesdienst der Stellung und Macht seines Priestertums entsprechen soll. Die verachtete kleine Herde im ärmlichen Lokal, nährte sich von dem, was wahre Kraft und Leben gewährt, während die andächtige Menge im prunkvollen Tempel sich noch vor den Schattenbildern niederwarf. Diese verachtete Herde hatte durch den Glauben Eingang ins Allerheiligste. Die, welche dazugehörten, wussten, dass Jesus für sie und als der Vorläufer dort eingegangen war. Da sie Ihn auf diese Weise kannten, konnten sie sich zu jeder Zeit und an jedem Ort versammeln, denn der Name des Herrn war für immer auf den Ort ihrer Versammlung gelegt. Sie waren Anbeter im Heiligtum, was auch der Ort ihres Zusammenkommens auf der Erde sein mochte.

Auch lesen wir, dass die Jünger sich am ersten Tag der Woche versammelten, um das Brot zu brechen (vgl. Apg 20,7). Sie konnten jemanden haben ober nicht, um ihnen das Wort Gottes mitzuteilen, das war eine Nebensache. Sie vereinigten sich zu einem besonderen und bestimmten Zweck: um das Brot zu brechen. In Troas kam Paulus in ihre Mitte. Er besprach sich mit ihnen und hielt ihnen eine lange Rede. Das geschah aber, weil er den nächsten Tag abreisen wollte. Sie versammelten sich als Jünger. Wollte man nun die Jünger auf irgendeine Weise an ihrem Versammeln hindern, heißt das dann nicht, den Sohn Gottes mit Füßen zu treten, der ihnen nicht nur das Recht dazu gegeben hat, sondern sogar das ganze Bekenntnis seines Namens hierin hat bestehen lassen? Es ist nötig, dass wir einander in dieser Hinsicht ermahnen, denn es gibt für uns eine besondere Gefahr zur alten Ordnung des Gottesdienstes zurückzukehren.

Der Geist Gottes hat diese Richtung und die Fortschritte, welche sie machen würde, wohl vorausgesehen. Er hat deutlich gezeigt, dass, so wie der Tag naht, wo der Herr Jesus offenbart werden wird, der Gottesdienst immer weltlicher würde – immer ähnlicher dem alten jüdischen Muster des Gottesdienstes in der Ferne. Auch das Fortschreiten der Zeit und der Dinge selbst macht die Ermahnung immer nötiger, uns als Jünger festzuhalten in der Einfalt der Gnade. Nichts verrät mehr Barmherzigkeit als das Mittel, wodurch der Herr uns gegen die Fortschritte dieses Niedergangs hat bewahren wollen.

Je mehr in den Gemütern der Christen der Gedanke überhandnahm, dass mitten in der Welt die Segnungen wüchsen, hat sich der Gottesdienst der Welt angepasst. Aber als es Gott gefiel, einigen seiner Heiligen die Augen zu öffnen, damit sie die unaufhörlichen Fortschritte des Niedergangs und die starken Forderungen des Fleisches erkennen konnten, hat er sie zugleich zu mehr christlicher Einfalt zurückgeführt. Und die Pflicht, uns gegenseitig zu ermahnen, besonders da wir den Tag nahen sehen, besteht zuerst darin, alle Dinge beim Licht dieses Tages zu prüfen und uns zu überzeugen, dass dann nichts von dem, was nicht von Christus ist, bestehen können wird. Ohne Zweifel will der Herr, dass seine Heiligen fühlen möchten, was sie alles verloren haben. Aber Er will sie auch den Wert dessen, was ihnen bleibt, empfinden lassen. Wenn Er zu seinem alten Volk sagen musste: „Wer ist unter euch übrig geblieben, der dieses Haus in seiner früheren Herrlichkeit gesehen hat? Und wie seht ihr es jetzt? Ist es nicht wie nichts in euren Augen?“ (Hag 2,4). Er sagte dies nicht, um sie zu entmutigen, sondern im Gegenteil, um sie zu stärken. Die ganze äußerliche Herrlichkeit war davon gewichen, aber der Herr war immer gegenwärtig. Deswegen fügt Er hinzu: „Und nun seid stark ... und arbeitet! Denn ich bin mit euch, spricht der HERR der Heerscharen. Das Wort, das ich mit euch eingegangen bin, als ihr aus Ägypten zogt, und mein Geist bestehen in eurer Mitte: Fürchtet euch nicht!“ (Hag 2,4.5). Gott bleibt beständig derselbe, und die Macht, die Er damals entfaltet hatte, um sein Volk zu erlösen, war die wahre Kraft dieses Volkes mitten in seiner Schwachheit, so dass ihre Schwachheit selbst ihre Kraft wurde.

Je mehr der Tag naht und wir wahrnehmen, dass alles was uns umgibt, nicht bereit ist, diesem Tag entgegen zu gehen, desto mehr will Gott, dass seine Heiligen getröstet und gestärkt seien dadurch, dass sie sich untereinander ermahnen zum Gebrauch dessen, was ihnen bleibt. Und so lange Jesus im Allerheiligsten ist und für sie vor dem Angesicht Gottes erscheint, können sie immer herzunahen. Ja, das ist unser Vorrecht, besonders jetzt, da diese Haushaltung rasch ihrem Ziel entgegeneilt, wenigstens mehr, als in den Tagen des Apostels. Zwar hat die Untreue der Menschen viele Dinge zwischen sie und Gott gelegt, aber das, was uns wieder nahe bringt, bleibt immerdar, nämlich das Blut im Allerheiligsten. Lasst uns daher nahen!

Geliebte, o, wie Not tut diese Ermahnung in unseren Tagen! Wie viele Christen gibt es, die einen einfachen Gottesdienst verschmähen, obwohl dies ihr größtes Vorrecht ist! Wie viele Gläubige gibt es, denen die Gegenwart des Herrn ungenügend ist, um sie zur Versammlung zu veranlassen. Jesus ist für sie wirklich nicht die große, wesentliche Verordnung Gottes. Sich zusammen vereinigen genügt ihnen nicht, um sie zu erfreuen. O, verlassen wir nicht unsere Versammlung, denn wenn wir es tun, setzen wir uns der Gefahr aus, zu vergessen, dass wir ein für alle Mal gereinigte Anbeter sind und dass die Stätte unseres Gottesdienstes das Heiligtum ist, dass ein für alle Mal gereinigt worden ist. Dort haben wir einen Hohenpriester, welcher uns auf einmal zum Thron der Majestät im Himmel führen kann, welcher für uns ein Gnadenthron ist, obschon derjenige, der ihn einnimmt, heilig, heilig, heilig ist.

Geliebte, auch das bildet einen Teil unseres Bekenntnisses, dass wir allen Anmaßungen auf ein Priestertum, jeglicher Wiederholung von einem Opfer und allen erneuerten Sündenlossprechungen widerstreben. Unser Gottesdienst soll sich eben sowohl durch eine vertrauensvolle Freiheit Gott zu nahen, als auch durch die Ehrfurcht vor seinem Namen charakterisieren. Der Tag naht. Dies zeigt unter anderem deutlich die Rückkehr zu den Menschensatzungen an. Darum haltet euer Bekenntnis fest: zum Widerstand gegen alle Anmaßungen des Fleisches sei Jesus da. Seid versichert, dass alles, was nicht von ihm kommt, weiter nichts als eine fleischliche Satzung ist, die in keiner Weise vom Herrn anerkannt werden wird, wenn Er in seiner Herrlichkeit erscheint.

Wenn wir vorwärts schauen, was sehen wir in Hinsicht des Gottesdienstes? Alle Schatten sind für immer vergangen, das Wesen von allem bleibt: „Und ich sah keinen Tempel in ihr, denn der Herr, Gott, der Allmächtige, ist ihr Tempel, und das Lamm“ (Off 21,22). „Und der Thron Gottes und des Lammes wird in ihr sein; und seine Knechte werden ihm dienen, und sie werden sein Angesicht sehen; und sein Name wird an ihren Stirnen sein. Und Nacht wird nicht mehr sein und kein Bedürfnis nach einer Lampe und dem Licht der Sonne; denn der Herr, Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Off 22,4.5). Sie werden im Gottesdienst stehen und zugleich herrschen. Sie werden dann als Priester und Könige offenbar werden. Aber jetzt, da sie wissen, dass die Gnade sie schon zu solchen gemacht hat, haben sie das Vorrecht, durch den Glauben dieser herrlichen Stätte zu nahen, wo sie sich, wenn diese Zeit gekommen sein wird, in Wirklichkeit befinden werden. Besonders im Vorwärtsblicken werden wir über diesen Gegenstand belehrt werden. Die Wirklichkeit soll unser Vorbild sein. Die irdischen Dinge können nicht als Vorbilder der himmlischen dienen. Wir bedürfen des Wesens selbst (welches der Glaube kennt), das einen Stempel allen aufprägt, was gegenwärtig und wirklich ist. Wir wollen uns daher dem nahen, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Fußnoten

  • 1 Anmerkung: Die Bibelstelle in Hebräer 10,22 wurde früher mit „lasst uns herzugehen mit einem wahrhaftigen Herzen, in völligem Glauben“ übersetzt. Anm. d. Red.
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