Sei stark und mutig!

Kapitel 22

Die Rückkehr der zweieinhalb Stämme nach Gilead und der Altar «Zeuge»

Josua hatte bereits vor der Eroberung des Landes zu den zweieinhalb Stämmen gesprochen (Jos 1,12–18). Jetzt war für die wehrpflichtigen Männer die Zeit gekommen, zu ihren Familien auf die andere Seite des Jordan zurückzukehren. Das Kapitel 22 schildert diese Rückkehr und ihre unmittelbaren Konsequenzen für Israel.

Die Lage der zweieinhalb Stämme

Um die Lage dieser zweieinhalb Stämme zu verstehen, muss man zur Ursache ihrer Absonderung von den anderen Stämmen des Volkes zurückgehen. Sie hatten sich bewusst entschlossen, im Land Gilead zu wohnen, ohne den Jordan zu durchqueren: «Lass uns nicht über den Jordan ziehen!» (4. Mo 32,5). Ihre Bitte wurde Mose nach aussen hin als Zeichen der Unterordnung und Demut vorgetragen: «Wenn wir Gnade in deinen Augen gefunden haben», aber tatsächlich war ihre Entscheidung längst gefallen, und nichts konnte sie später davon abbringen. Nachdem die Bedingung, an der Eroberung des Landes teilzunehmen, aufgestellt war (4. Mo 32,20–32), gewährte Mose ihnen das Gebiet ihrer Wahl. Gott liess es also zu, ohne dass sein Wille diesem Vorgehen entsprach.

Es ist sehr wichtig für uns Christen, diese Warnung vor eigenwilligen Entscheidungen zu begreifen, die in der Geschichte Israels mehrmals wiederholt wird. Zum Beispiel bei der Aussendung der Kundschafter, um das Land zu erkunden (vgl. 4. Mo 13,3 mit 5. Mo 1,22), oder bei der Wahl eines Königs und somit der Verwerfung Gottes (vgl. 1. Sam 8,7.22 mit Hos 13,11). So überlässt uns Gott manchmal unseren eigenen Wegen, um uns durch deren bitteren Folgen die Lektionen beizubringen, die wir in seiner Gemeinschaft nicht gelernt haben. Schliessen wir daraus aber nicht, dass Gott alles gutheisst, was wir unternehmen, um darauf das Siegel seines Segens zu setzen. Obwohl es den Anschein hatte - insbesondere angesichts des Segens, den Josua ihnen in Gnade zubilligte (V. 6) -, war die Lage der zweieinhalb Stämme nicht nach den Gedanken Gottes. Ihre weitere Geschichte hat das bewiesen.

Die Botschaft Josuas an diese Stämme (V. 1-8)

Josua gestand den zweieinhalb Stämmen zu, dass sie ihr Versprechen gehalten hatten. Sie waren rein in dieser Angelegenheit und damit befreit vom ernsten Fluch: «Wisst, dass eure Sünde euch finden wird» (4. Mose 32,23). Erinnern wir uns immer daran, dass es Gott ist, vor dem wir leben. Er ist es, der unsere Herzen erforscht und unsere Nieren prüft (Jer 17,10).

Josua segnete sie und empfahl ihnen eindringlich, am Gesetz festzuhalten und den Herrn zu lieben, um Ihm zu dienen. Er gebrauchte später dieselben Ausdrücke, um die anderen Stämme zum Zeitpunkt seines Abscheidens zu ermahnen (V. 5; Jos 23,8). Das unterstreicht die Einheit aller Stämme des Volkes Gottes. Alle sind Gegenstand seiner Bemühungen.

Der Altar «Zeuge» (V. 9-12)

Die Schwierigkeiten begannen nach der Rückkehr der Stämme in das Land Gilead mit dem Bau des Altars «Zeuge». Es war ein Altar «gross von Ansehen», der als Zeugnis aufgerichtet wurde (V. 10.34). Obwohl die zwölf Stämme nach Gottes Gedanken ein einziges Volk waren, wurde die praktische Einheit durch die Entscheidung der zweieinhalb Stämme, sich in Gilead niederzulassen, zerstört. Um dieser Situation, auf die sie durch Josua gerade aufmerksam gemacht worden waren, zu begegnen, errichteten die Stämme einen Altar, ein Monument mit religiösem Charakter.

Ein solcher Weg hat sich oft in der Geschichte der Menschheit wiederholt: Um die politische Einheit einer Nation zu besiegeln, appelliert man an die religiösen Empfindungen des menschlichen Herzens, an seine Gefühle, seine Ängste und selbst an seine Leidenschaften. Das ist die Geschichte des Götzendienstes in dieser Welt. So baute Jerobeam zwei Altäre: in Bethel einen und in Dan einen. Er verleitete das Volk Israel zum Götzendienst, um seine politische Autorität zu befestigen (1. Kön 12,26–33). Später richtete Nebukadnezar in der Ebene von Dura ein Bild aus Gold auf, um die Grossen seines Königreichs mit allen Völkern, Völkerschaften und Sprachen um den Klang aller Musikinstrumente zu versammeln (Dan 3,1–7).

Der Fall des Altars «Zeuge» war nicht so schwerwiegend, wenn er auch dasselbe moralische Prinzip ans Licht brachte. Im Grunde waren die zweieinhalb Stämme mit ihren Brüdern auf der anderen Jordanseite verbunden. Aber der Altar des Herrn war schon auf dem Berg Ebal aufgerichtet worden. Später würde er in Jerusalem bei der Bundeslade sein. Einen anderen Altar an einem anderen Ort zu errichten, bedeutete praktischerweise, die Einheit des Volkes abzustreiten. Es hiess auch, den einzigen «Ort, den der Herr, dein Gott, erwählt hat, um dort seinen Namen wohnen zu lassen», zu missachten.

Die Botschaft des Pinehas (V. 13-20)

Nachdem die Gemeinde Israels diese Sache gehört hatte, versammelte sie sich in Silo, um gegen ihre Brüder in den Kampf zu ziehen. Pinehas, der Sohn Eleasars, des Priesters, wurde vorerst mit zehn Fürsten gesandt, um vor Ort sorgfältig Erkundigungen einzuholen. Das entsprach der Vorschrift des Gesetzes Moses (5. Mo 13,14.15). Pinehas hatte seine Treue zu Gott dem Bösen gegenüber in der Sache des Baal-Peor bewiesen (4. Mo 25,7.8). Das Zeugnis dieser Treue ist - neben dem von Mose, der für das Volk in den Riss trat - in der Schrift aufbewahrt worden (Ps 106,23.30). Später stand Pinehas vor der Lade Gottes in Bethel anlässlich der traurigen Begebenheit von Gibea (Ri 20,27.28).

Pinehas besass eine schonungslose Haltung dem Bösen gegenüber. Er fürchtete, dass der Altar nichts als eine Rebellion gegen Gott wäre. Daher erinnerte er seine Brüder an die beiden traurigen Begebenheiten von Peor und von Achan, wo die begangenen Fehler ganz Israel verunreinigt hatten. Das ganze Volk war verantwortlich vor Gott: «So wird er morgen über die ganze Gemeinde Israels erzürnen» (V. 18).

Gleichzeitig zeigte Pinehas in seinen Worten die grosse Gnade seines Herzens. So schlug er den zweieinhalb Stämmen vor, zurück zur Wohnung des Herrn zu kommen, um dort ein Besitztum inmitten ihrer Brüder zu finden. Sie würden ihr Erbteil mit ihnen teilen (V. 19). Möge uns doch ein solches Beispiel anspornen, praktisch diese Ausgeglichenheit zwischen Eifer und Treue für Christus und den Ansprüchen seiner Gnade zu suchen, die allein die Herzen erreicht!

Die Antwort der zweieinhalb Stämme (V. 21-29)

Die Antwort der zweieinhalb Stämme zeigt, dass sie im Grunde dem Herrn gegenüber treu waren, trotz des äusseren Anscheins, der durch ihre Lage entstanden war. Der Altar war als Zeuge für die kommenden Generationen gebaut worden (V. 24). Trotzdem blieben Zweifel im Blick auf die zukünftige Nutzung des Altars für den Opferdienst bestehen (V. 27). Es handelte sich nicht um Götzendienst, sondern immer noch um den Dienst des Herrn. Aber die Einheit des Volkes Gottes wurde missachtet.

Viele Gläubige versammeln sich heute um Tische, die an verschiedenen Orten durch Menschen aufgerichtet wurden. Leider geschieht dies in praktischer Unabhängigkeit vom Tisch des Herrn, wo der Einheit seines Leibes durch das Brechen des einen Brotes gedacht wird (1. Kor 10,17). Der Herr bewahre uns doch vor jedem Geist der Unabhängigkeit! Es wird bis zum Ende der Geschichte der Versammlung auf der Erde einen Ort geben, wo sich die zwei oder drei, die seinen Namen aus reinem Herzen anrufen, versammeln werden.

Die Rückkehr von Pinehas zum Volk nach Silo (V. 30-34)

Die Antwort der zweieinhalb Stämme war gut in den Augen von Pinehas und den zehn Fürsten, die diese Nachricht ihren Brüdern im Land Kanaan überbrachten. Die Rechte Gottes wurden feierlich anerkannt: «Jetzt habt ihr die Kinder Israel von der Hand des Herrn errettet» (V. 31). Der Dank richtete sich an Gott: «Die Kinder Israel priesen Gott» (V. 33). Der Bürgerkrieg war verhindert und der Frieden zwischen den Brüdern vorübergehend wieder gefunden worden.

Aber später würden die bitteren Früchte der zweideutigen Stellung dieser Stämme hervorkommen. Der Mangel an Glaubensenergie verleitete sie, die Kämpfe gegen die Feinde zur Zeit Baraks und Deboras zu vernachlässigen (Ri 5,15–17). Das Weiden der Herden in Gilead (ein Bild unserer irdischen Genüsse in dieser Welt) war ihnen wichtiger als die Interessen des Volkes Gottes.

Die Stämme in Gilead waren die ersten, die durch die Feinde von aussen unterdrückt wurden. Zu Beginn, als sie ihr Erbteil wählten, hatte Gott sie gewähren lassen. Aber am Ende trat Gott selbst ein. Er erweckte «den Geist Puls, des Königs von Assyrien» (1. Chr 5,26), um die Untreue, die ihre Wurzel in dieser traurigen Geschichte hatte, durch die Hand der Nationen zu bestrafen.

Lasst uns auf Gottes Fingerzeig achten, aber auch darüber wachen, nicht «an der Gnade Gottes Mangel» zu leiden (Heb 12,15). Abschliessend zitieren wir noch die Worte eines Dieners Gottes: «Möge Gott uns vor diesen drei Prinzipien bewahren, die das Gericht Gottes auf seine Wohnung ziehen: vor der Weltlichkeit (Achan), vor der Verbindung mit der religiösen Welt (Gibeon und Peor) und vor der Unabhängigkeit (der Altar «Zeuge»). Das letzte ist das spitzfindigste und gefährlichste von allem, weil die Unabhängigkeit als der Ausgangspunkt der Sünde allen übrigen zugrunde liegt.»

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