Betrachtungen über den Römerbrief
Botschafter des Heils in Christo 1883

Betrachtungen über den Römerbrief - Teil 8/8

Kapitel 9

Die Lehre des Briefes ist mit dem achten Kapitel beendigt. Die zwei Hauptfragen, um die es sich für den sündigen Menschen handelt: seine Schuld und sein sündhafter Zustand, oder das, was er getan hat, und das, was er ist, sind vollständig betrachtet worden. Christus ist für unsere Sünden gestorben, so dass wir (die Gläubigen) gerechtfertigt sind, und wir sind mit Christus gestorben, so dass wir von der Macht der Sünde und des Fleisches befreit werden. Alle Taten des Fleisches sind uns vergeben, und wir sind nicht mehr im Fleisch, sondern in Christus. Deshalb gibt es für uns keine Verdammnis und keine Trennung von Gott mehr.

Doch diese an und für sich vollkommene Lehre ließ noch eine schwierige Frage unbeantwortet, nämlich die Frage hinsichtlich des Zustandes der Juden. Der Apostel hat ausführlich dargetan, dass der Jude schuldig sei, weil er das Gesetz übertreten habe, und dass es also keinen Unterschied gebe zwischen dem Juden und dem Heiden; alle haben gesündigt, sind vor Gott schuldig und seinem Gericht verfallen. Dass die Juden das Gesetz übertreten hatten, konnten sie nicht leugnen, aber sie konnten sich berufen auf die ihnen in Abraham und anderen Vorvätern gemachten unbedingten Verheißungen. Und dieser Schwierigkeit begegnen die Kapitel 9 bis 11.

Es gibt allerdings unbedingte Verheißungen, die dem Volk Israel gemacht sind. Zunächst aber sind nicht alle, welche zu dem Stamm Israel gehören, dadurch Israel; und, was noch wichtiger ist, sie haben den, in welchem diese Verheißungen erfüllt werden sollten und in dem ihnen die Erfüllung derselben angeboten wurde, verworfen, und dadurch haben sie alles Anrecht auf diese Erfüllung verloren. „Sie haben sich gestoßen an dem Stein des Anstoßes.“ Dann aber, nachdem alle Segnung, für sie nicht minder wie für die Heiden, eine Sache der reinen Gnade geworden, zeigt der Apostel, dass Gott, der unveränderlich treu ist, aus Gnade alles erfüllen wird, was Er verheißen hat. Den Beweis dieser Grundsätze finden wir in den Kapiteln 9 bis 11.

Zunächst gibt der Apostel seiner unveränderlichen Liebe zu seinem Volk Ausdruck. Sein Herz war mit Trauer erfüllt über die Beseitigung desselben, ja, er war soweit entfernt von aller Gleichgültigkeit in dieser Beziehung, dass er, anstatt des geliebten Volkes, lieber sich selbst als verflucht von Christus getrennt gesehen hätte. Wie Christus selbst über Jerusalem weinte wegen der Halsstarrigkeit des Volkes, als Er von dem Gipfel des Ölberges aus die Stadt vor seinen Augen ausgebreitet liegen sah, oder wie einst Mose für das götzendienerische Volk eintrat (2. Mo 32,32), so begegnen wir hier in dem Apostel dem Ausdruck derselben Gefühle der Liebe und des Schmerzes. Sein Wunsch war nicht der Ausdruck einer ernsten, ruhigen Erwägung, auch gehörte er nicht der Gegenwart an, sondern er war aufgestiegen aus einem Herzen, das durch den Gedanken an die Verwerfung des von Gott geliebten Volkes – seiner Verwandten nach dem Fleisch – tief niedergedrückt war. Es war der Ausruf eines Herzens, das seine überströmenden Gefühle nicht zu unterdrücken vermochte. Er zählt ihre Vorrechte auf – denn sein Herz war noch erfüllt von alle dem, was ihnen in Verbindung mit Gott gehörte – bis zu dem Messias hin, der dem Fleisch nach von ihnen abstammte. Auch spricht er nicht, als ob das Wort Gottes sein Ziel verfehlt hätte; denn nicht alle, welche von Israel abstammen, sind deshalb auch Israel, noch sind sie alle Kinder, weil sie Abrahams Samen sind. In Isaak allein hat der Same seine Kindesstellung vor Gott. Die Kinder nach dem Fleisch sind dadurch nicht auch Kinder Gottes, sondern allein die Kinder nach der Verheißung werden als Samen gerechnet. Ismael gehörte nicht zu diesem Samen Gottes; denn das Wort: „Nach dieser Zeit will ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben“ ist ein Verheißungswort und bezog sich nicht auf Ismael. Wollte man einwenden: „Aber Hagar war ja auch nur eine Sklavin, eine Nebenfrau“, so war dies doch bei Rebekka nicht der Fall, und zu ihr wurde gesagt in Bezug auf die Kinder, die von ihr, von ein und derselben Frau, in ein und derselben Geburt geboren werden sollten, und zwar bevor dieselben geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten (auf dass der Vorsah Gottes nach der Gnadenwahl feststände): „Der Größere wird dem Kleineren dienen“; wie geschrieben steht: „den Jakob habe ich geliebt, aber den Esau habe ich gehasst.“ Wenn also die Juden nicht die Unumschränktheit Gottes anerkennen, sondern auf ihrer Abstammung von Abraham nach dem Fleisch bestehen wollten, so mussten sie auch die Edomiter und Ismaeliter zulassen, um Anteil an den Verheißungen zu haben; davon aber wollten sie nichts wissen.

Doch, so wichtig dies auch sein mag, so ist es doch nicht alles, was der Apostel als Beweis seiner Auseinandersetzung anzuführen hat. Er fragt: „Ist denn Ungerechtigkeit bei Gott? – das sei ferne!“ Nach seinem göttlichen Recht kann Er ohne Zweifel Barmherzigkeit erweisen, wem Er will, wie Er auch zu Mose sagt: Ich werde Barmherzigkeit ausüben, an wem ich will. Es liegt also nicht an dem, der da will, noch an dem, der da läuft, sondern an Gott, der Barmherzigkeit erweist. Und bei welcher Gelegenheit hat Gott zu Mose jenes Wort gesagt? Als Israel das goldene Kalb gemacht halte – zu einer Zeit, wo Gott, wenn Er sich nicht in seine eigene Unumschränktheit, in welcher Er frei war, Gnade zu erweisen, zurückgezogen hätte, das ganze Volk, ausgenommen Mose und Josua, hätte vernichten müssen, so dass dann, dem fleischlichen jüdischen Grundsatz nach, die Ismaeliter und Edomiter Erben der Verheißungen hätten werden müssen, während Israel ausgeschlossen gewesen wäre. Demselben Grundsatz begegnen wir bei der Befreiung Israels aus der Knechtschaft in Ägypten. Gott hatte das Herz Pharaos nicht schlecht gemacht – das war es schon – sondern verhärtet, damit Er seine Macht und seinen Namen verherrliche auf der ganzen Erde. Er erweist also Barmherzigkeit, wem Er will, und Er verhärtet, wen Er will. Seine Wege mit Israel selbst waren ein klarer, unwiderleglicher Beweis davon; denn anders würden ihre Feinde Erben der Verheißungen geworden, sie selbst aber ausgeschlossen und der glorreiche Anfang ihrer Geschichte verfälscht worden sein.

Weiterhin betrachtet der Apostel die Lehre, die mit dieser Auseinandersetzung in Verbindung steht, und wendet das Ganze an auf die Wege Gottes mit Israel und mit den Heiden jener Zeit, indem er den Einwürfen des Fleisches: wo bleibt da die Verantwortlichkeit des Menschen? warum rechnet denn Gott dem Menschen die Sünde noch zu? wer hat seinem Willen widerstanden? entgegentritt. Der Apostel beantwortet diese Fragen in dreifacher Weise. Zunächst haben wir, als Geschöpfe Gottes, nicht das Recht, sein Tun zu beurteilen; das, was gemacht ist, kann nicht zu dem, der es gemacht hat, sagen: warum hast du mich also gemacht? Dieses absolute Recht Gottes bildet die Grundlage der Auseinandersetzungen des Apostels. Wenn die Rechte der Geschöpfe aufrechterhalten werden müssen, wie viel mehr muss dann der allmächtige Gott die Seinen haben! Er richtet die Menschen, aber die Menschen sind nicht fähig, Ihn zu richten. Hierauf geht der Apostel zu den Tatsachen über und zeigt, wie Gott die Bösen, um seine von ihnen verachtete Wacht zu bestätigen, mit vieler Langmut getragen hat und seinen Jörn wider die halsstarrige Bosheit in ihnen offenbart; wie Er dagegen den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Begnadigung kundtut, die Er zur Herrlichkeit zuvorbereitet hat. Gott unterwirft sich nicht dem Gutachten der Menschen. Die Ordnung seiner offenbarten Wege aber ist, dass Er die Bösen, für welche das Gericht passend ist, trägt und die Gefäße der Barmherzigkeit, d. h. die Christen aus den Juden und ans den Heiden, für die Herrlichkeit zuvorbereitet.

Die Kraft und Tragweite der Auseinandersetzungen des Apostels ist also diese: Wenn Gott nicht ganz frei nach seiner Gnadenwahl und nach seinem bestimmten Vorsatz handeln sollte, und die Juden sich stützen wollten auf ihre natürliche Abstammung (wie sie dies wirklich taten), so mussten sie auch die Ismaeliter zulassen; verweigerten sie aber deren Zulassung unter dem Vorwand, dass Ismael der Sohn einer Sklavin gewesen sei, so konnten sie die Edomiter doch unter keinem Vorwand zurückweisen. Aber nicht allem das; die Juden hätten, mit alleiniger Ausnahme der Familie von Mose und vielleicht derjenigen von Josua, selbst ausgeschlossen werden müssen, weil sie nur durch den Willen Gottes am Sinai verschont geblieben waren. Weil Gott aber tut, was Er will, so errettet Er auch Seelen ans der Mitte der Heiden, wie in Hosea geschrieben steht. Der Apostel sagt in Vers 24: „uns, die Er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen.“ Demnach findet der 25. Vers seine Anwendung auf das Volk Israel, der 26. aber auf die Heiden, die nicht sein Volk genannt sind, sondern „Söhne des lebendigen Gottes.“ Petrus, der an die Juden schreibt, führt bloß die erste Stelle an. Zum Beweis dafür, dass die Beseitigung Israels von Gott vorhergesehen und geweissagt war, führt Paulus noch eine Stelle aus dem Propheten Jesaja an. Nur ein Überrest sollte verschont werden; wäre dies nicht der Fall gewesen, so wären sie „wie Sodom geworden und Gomorra gleichgemacht worden.“

Die Heiden, die nicht der Gerechtigkeit nachgestrebt, hatten also die Gerechtigkeit erlangt, die Gerechtigkeit aber, die aus Glauben ist; während Israel, dem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebend, das Ziel verfehlte. Und warum? Weil sie die Gerechtigkeit mittels des Gesetzes suchten und nicht durch den Glauben. Denn sie haben sich gestoßen an dem Stein des Anstoßes, wie geschrieben steht: „Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Felsen des Ärgernisses, und ein jeglicher, der an Ihn glaubt, wird nicht beschämt werden.“ Kapitel 10

Auf diesen Gegenstand, den Unterschied zwischen der gesetzlichen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit aus Glauben, der Gerechtigkeit Gottes, geht der Apostel dann noch näher ein. Derselbe ist von der höchsten Wichtigkeit. Gesetzliche Gerechtigkeit ist menschliche Gerechtigkeit. Zwar gibt es keine solche, aber das Gewissen fühlt, dass der Mensch Gerechtigkeit haben muss, und es hat Recht. Wenn man Vertrauen zu sich selbst hat, so maßt man sich an, diese Gerechtigkeit vollbringen und sie Gott zur Annahme darbieten zu können. Dass der Mensch verantwortlich ist, ist völlig wahr; aber er hat die Erfüllung seiner Verantwortlichkeit nicht allein nie durchgeführt, sondern er hat nicht einmal den Anfang damit gemacht, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist und es nicht sein kann. Der fleischliche Mensch ist gegen Gott. Die Gerechtigkeit Gottes ist in Gott selbst, in seinem Wesen; sie wird nach der Gnade gegen die Menschen ausgeübt und ihnen durch Christus zugerechnet. Die eigene Gerechtigkeit ist nichts als Hochmut und Mangel an Gewissen; sie findet sich nur da, wo das Herz nicht durch das Licht Gottes erleuchtet ist. Denn das Licht Gottes lässt uns klar erkennen, dass wir Sünder sind, und bringt uns dieses vor Gott zum Bewusstsein. In diesem Licht kann uns auch das Gesetz, vom Heiligen Geist angewandt, von der Sünde überzeugen, aber es kann keine Gerechtigkeit für uns bewirken; denn der Dienst des Gesetzes ist der Dienst des Todes und der Verdammnis (2. Kor 3).

Die Gerechtigkeit Gottes ist in dem Evangelium offenbart (Röm 1,17), und wir sind diese Gerechtigkeit in Christus geworden (2. Kor 5,21). Untersuchen wir, auf welche Weise dies geschehen ist. Auf dem Kreuz ist Christus für uns zur Sünde gemacht worden und hat dort alle Sünden des Gläubigen getragen. In dieser Stellung hat Er Gott vollkommen verherrlicht: Seine Majestät, seine Wahrheit, seine Gerechtigkeit wider die Sünde, seine Liebe zu den Sündern, ja alles, was Er ist, und zwar dadurch, dass Er seinen Gehorsam bis zum Tod und seine Liebe gegen seinen Vater in völliger Selbstaufopferung erwiesen hat. Der Beweis der Gerechtigkeit Gottes, und zwar in Betreff dessen, was Er selbst, was die Sünde und was das Verhältnis der Sünde zu Ihm ist, ist nun darin gegeben, dass Gott Christus, der Ihn in allem, was Er ist, in dieser Stellung der Sünde vollkommen verherrlicht hat – da, wo alles dieses durch die Sünde des Menschen verunehrt worden war – verherrlicht und den gestorbenen Menschen, seinen eigenen Sohn, zu seiner Rechten gesetzt und mit göttlicher Herrlichkeit gekrönt hat. So sagt der Herr im Blick auf seinen Tod, nachdem Judas hinausgegangen war: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm. Wenn Gott verherrlicht ist in Ihm, so wird auch Gott Ihn verherrlichen in sich selbst, und sogleich wird Er Ihn verherrlichen“ (Joh 13,31–32). Der Menschensohn hat Gott auf dem Kreuz verherrlicht, und Gott hat Ihn bei sich selbst verherrlicht; ein Mensch ist in die Herrlichkeit Gottes hinaufgestiegen (Siehe Joh 17,4–5; Phil 2,5–11). Darin ist die Gerechtigkeit Gottes offenbart, dass Er dem Christus, der Ihn verherrlicht hat, einen Platz bei sich selbst in göttlicher Herrlichkeit gegeben hat. In Johannes 16,10 wird dies bestimmt erklärt: Das Herniederkommen und die Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde ist der Beweis der Gerechtigkeit, während in der Welt keine vorhanden war, da sie nicht an den Sohn glaubte, sondern Ihn verworfen hatte. Ebenso ist die Gegenwart des Heilands im Himmel, zur Rechten Gottes, der Beweis der Gerechtigkeit Gottes: dieselbe Person, die von der Welt verworfen wurde, ist von Gott aufgenommen worden und ist jetzt, als in Gnade gekommen, für immer von der Welt getrennt.

Jetzt aber erhebt sich die Frage: Wie können wir hieran teilhaben? Nun, weil das Werk, welches Ihn in die Herrlichkeit gebracht hat, für uns vollbracht worden ist. Er hat Gott dadurch verherrlicht. Würden wir, die wir an Ihn glauben, nicht gerechtfertigt sein und Ihm gleichgemacht werden, so würde Er „die Frucht der Mühsal seiner Seele“ nicht sehen. Es macht einen Teil der Gerechtigkeit Gottes aus, Ihm diese Frucht zu geben. Persönlich ist Er allerdings verherrlicht; aber ein Erlöser ohne Erlöste würde den Lohn seines Werkes und seiner Leiden verloren haben. Wir bilden einen Teil der Verherrlichung Christi, und es ist eine tiefe Quelle der Freude für unsere Seelen, dass wir durch unser Gleichsein mit Ihm in Ewigkeit den Beweis von dem Wert des Werkes Christus bilden werden: Gott erweist nur seine Gerechtigkeit gegen Christus, wenn Er uns dieselbe Herrlichkeit mit Ihm gibt. Wie sicher ist unsere Hoffnung! Wir werden in Ihm die Gerechtigkeit Gottes in Ewigkeit sein.

Die Juden wollten ihre eigene Gerechtigkeit nach dem Gesetz haben, eine menschliche Gerechtigkeit, wenn eine solche überhaupt vorhanden gewesen wäre, was aber nicht der Fall war; deshalb stießen sie sich an Christus, dem Stein des Anstoßes, weil Er zu diesem Zweck erniedrigt werden sollte. Sein Tod war nötig, um uns zu erlösen und die Gerechtigkeit, ja die Herrlichkeit, nach dem Ratschluss Gottes für uns zu erwerben. So war also Christus des Gesetzes Ende, jeglichem Glaubenden zur Gerechtigkeit. Unmöglich konnte das Gesetz noch länger als Regel und Maßstab der Gerechtigkeit für den Menschen festgehalten werden, nachdem die göttliche Gerechtigkeit in Christus offenbart und den Glaubenden geschenkt war. Die Gerechtigkeit nach dem Gesetz war eine menschliche und dazu gar nicht vorhandene; die dem Glaubenden nach der Gnade zugerechnete Gerechtigkeit war eine göttliche und vollbrachte. Das Gesetz hat für die, welche unter dem Gesetz waren, seine Gültigkeit nicht verloren, denn die, welche unter dem Gesetz gesündigt haben, werden nach dem Gesetz gerichtet werden. Aber wir sind mit Christus und in Ihm gestorben, und das Gesetz herrscht nur über einen Menschen, solange er lebt. Jeder, der die menschliche Gerechtigkeit haben will, muss sie für sich selbst erfüllen; denn, wer die Forderungen des Gesetzes tut, wird dadurch leben.

Der Apostel führt dann eine Stelle ans dem fünften Buch Mose an (Kap 30,12–14), worüber ich einige Worte sagen möchte. In diesem Buch hatte Mose die Gebote Gottes verkündigt, an deren Beobachtung der Besitz des Landes geknüpft war, in welches Israel eingeführt werden sollte. Er hatte die Segnungen als Folge des Gehorsams und den Fluch als Folge des Ungehorsams vorgestellt. Dann wird in dem angeführten 30. Kapitel vorausgesetzt, dass Israel in Folge seines Ungehorsams das Land verlieren würde, und es wird eine Verheißung gegeben in Betreff dessen, was die Barmherzigkeit des Herrn tun würde, nachdem das in Gefangenschaft schmachtende Volk durch die Gnade zur Buße geleitet sein wird. Da sich diese Verheißung in Christus erfüllen wird, so wendet der Apostel die Verse 12–14 im 30. Kapitel ans Christus an. Die Erfüllung des Gesetzes ist für Israel in einem fremden Land nicht möglich; wenn aber das Volk um seinem Herzen zu Jehova und zum Gehorsam zurückgekehrt sein wird, dann wird Gott es segnen, obgleich das Gesetz nicht bewahrt werden konnte. Da also das Tun des Gesetzes unmöglich war, so wird diese Segnung stattfinden auf Grund einer Gerechtigkeit nach dem Glauben, wie Paulus dies im 6. Verse andeutet. Christus wird hier daher, weil Er selbst für einen Juden der Gegenstand der Hoffnung war, als der Wiederhersteller des Volkes eingeführt. Der Apostel sagt: Es ist nicht nötig, weit zu gehen, hinauf– oder hinabzusteigen, um Christus zu finden. Wenn das Wort, welches Christus nach der Kraft des Heiligen Geistes als auferweckt aus den Toten offenbart, im Herzen ist, wenn man sich mit aufrichtigem Herzen zu Ihm bekennt, so wird man errettet. Denn mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, und mit dem Mund, das heißt öffentlich, legt man Bekenntnis ab zur Errettung. Und dies gilt eben sowohl für die Heiden, als auch für die Juden; denn „ein jeglicher, der an Ihn glaubt, (wer es auch sei) wird nicht beschämt werden.“ Da ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche; denn derselbe Herr, der Herr über alle, ist reich an Gnade gegen alle, die Ihn anrufen. Wie schön ist dieser Vers, wenn man ihn mit Kapitel 3,22–23 vergleicht! Dort ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt – hier ist kein Unterschied, denn derselbe Herr über alle ist reich an Gnade gegen alle, die Ihn anrufen. „Denn ein jeglicher, (wer es auch sei) der den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden“ (V 13). Um Ihn aber anrufen zu können, muss man an Ihn glauben, und um an Ihn glauben zu können, muss man von Ihm gehört haben, um aber von Ihm zu hören, muss Er verkündigt werden, und dazu muss ein Prediger da sein. Wie geschrieben steht: „Wie lieblich sind die Füße derer, die das Evangelium des Friedens, das Evangelium des Guten – d. h. göttlicher Segnungen – verkündigen!“ Aber nicht alle haben dem Evangelium gehorcht, wie Jesajas sagt: Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt? So wird also der Glaube durch eine Verkündigung bewirkt, die Verkündigung aber ist durch das Wort Gottes.

Der Apostel weist dann auf das Verhältnis der Juden und Heiden, dieser Verkündigung gegenüber, hin. Von den Juden sagt Jesajas: Wer hat geglaubt, was wir verkündigt haben? Es war aber der Vorsatz Gottes, dass das Zeugnis bis an das Ende der Erde erschallen und von den Heiden gehört werden sollte. Denn Mose erklärt, dass Gott Israel durch ein Nicht–Volk und durch eine unwissende Nation erbittern und zum Neid reizen würde. Hiermit schließen die Betrachtungen über den Römerbrief ab. Leider war es, wie schon früher mitgeteilt, dem Schreiber derselben, J. N. Darby, nicht vergönnt, seine wertvolle Arbeit zu Ende zu führen. Sein körperlicher Zustand war in den letzten Wochen und Monaten seines Hierseins ein so leidender, dass ihm die Fortsetzung des Werkes unmöglich wurde.

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