Botschafter des Heils in Christo 1883

"Damit ich Christus gewinne!"

Das kurze Wort, welches die Überschrift dieses Artikels bildet, vergegenwärtigt uns den ernsten Wunsch eines Mannes, der in Christus einen Gegenstand gefunden hatte, welcher alle seine Gedanken und Wünsche in Anspruch nahm und sein Herz regierte. Es ist der Ausruf eines Herzens, dessen einziges Begehren es war, in der Erkenntnis und Wertschätzung des Gesegneten zu wachsen, der alle Himmel mit seiner Herrlichkeit erfüllt. Die ganze Stelle, aus welcher die obigen Worte herausgenommen sind, ist voll lebendiger Kraft und Schönheit. Wir führen sie hier an: „Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessen willen ich alles eingebüßt und es für Dreck achte, auf dass ich Christus gewinne und in Ihm erfunden werde, nicht habend meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christus ist – die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben“ (Phil 3,7–9).

Beachten wir besonders die Worte: „Was mir Gewinn war.“ Der Apostel spricht hier nicht von seinen Sünden, von seiner Schuld, von Dingen, deren er sich als Mensch hätte schämen müssen. O nein; er redet von seinen Ehren, von seinen Auszeichnungen, von seinen religiösen und moralischen Vorzügen, mit einem Wort, von Dingen, die dazu angetan waren, ihn zu einem Gegenstand des Neides für seine Mitmenschen zu machen. Alle diese Dinge aber achtete er für Verlust, auf dass er „Christus gewinne.“

Ach, wie wenige unter uns verstehen etwas hiervon! Wie wenige erfassen die Bedeutung und wahre Kraft des Ausdrucks: „Auf dass ich Christus gewinne!“ Die meisten von uns sind zufrieden, an Christus zu denken, als die Gabe Gottes, die Er dem Sünder schenkt. Wir begehren nicht, ihn als unseren Preis zu gewinnen durch das Aufgeben alles dessen, was die Natur liebt und schätzt. Diese beiden Dinge sind durchaus verschieden. Als arme, elende, schuldige und verdammungswürdige Sünder werden wir nicht aufgefordert, etwas zu tun, oder zu geben oder aufzugeben. Wir werden eingeladen, ja genötigt, zu nehmen, umsonst zu nehmen. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gab.“ „Die Gabe Gottes ist ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.“ „Wenn du die Gabe Gottes kanntest und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du Ihn gebeten haben, und Er hätte dir lebendiges Wassers gegeben.“

Alles dieses ist vollkommene, segensreiche Wahrheit. Gott sei dafür gepriesen! Aber dann gibt es eine andere Seite der Frage. Was meinte Paulus damit, wenn er sagte: „Auf dass ich Christus gewinne?“ Er besaß Christus schon als die freie Gabe Gottes. Er hatte Ihn im Glauben von Gott empfangen. Was bedurfte er nun noch mehr? Er wünschte Christus zu gewinnen, als seinen Preis, mochte es auch alles kosten, was er besessen hatte. So wie Christus, der wahre Kaufmann, alles verkaufte, was Er hatte, um die in seinen Augen so „sehr kostbare Perle“ zu besitzen, wie Er sich seiner Herrlichkeit entäußerte und alle seine Ansprüche als Mensch und als Messias aufgab, um die Kirche für sich selbst zu besitzen – so gab auch Paulus in seinem Maß alles auf, um jenen herrlichen, unschätzbaren Gegenstand zu haben, der seinem Herzen am Tag seiner Bekehrung offenbart worden war. Er sah in dem Sohn Gottes eine solche Schönheit und Vortrefflichkeit, eine solche moralische Herrlichkeit, dass er freiwillig alle die Ehren, Auszeichnungen, Vergnügungen und Reichtümer dieser Welt preisgab, damit Christus jeden Winkel seines Herzens ausfüllen und alle seine Kräfte in Anspruch nehmen möchte. Er begehrte Ihn nicht nur zu kennen, als den, der seine Sünden hinweggetan hatte, sondern auch als den, der alle die Wünsche seines Herzens befriedigen und alles, was die Erde zu geben vermochte, beiseitesetzen konnte.

Lassen wir unseren Blick ein wenig auf diesem Gemälde ruhen, mein lieber Leser! Betrachten wir diesen treuen Diener Gottes in seiner Dahingabe, in seinem ernsten Streben und Verlangen, Christus zu gewinnen und in Ihm erfunden zu werden. Können wir nicht für uns eine beherzigenswerte Lehre aus seinen Worten ziehen? Steht nicht die Gesinnung, die ihn beseelte und in seinem ganzen Wandel zum Ausdruck kam, in direktem Gegensatz zu dem kalten, selbstsüchtigen, weltliebenden und vergnügungssüchtigen Geist unserer Tage? Enthalten seine Worte nicht einen scharfen Tadel im Blick auf die Gleichgültigkeit und Herzlosigkeit, deren wir uns leider so oft anklagen müssen und die in zahl– und namenlosen Fällen zum Ausdruck kommen? Wo finden wir unter uns dieses Streben und Sehnen, Christus zu gewinnen und in Ihm erfunden zu werden? O möchten wir doch alle „also gesinnt“ sein, wie der treue, gesegnete Apostel es war, möchten wir „in denselben Fußstapfen wandeln“ und „seine Nachfolger“ werden! Er konnte sagen: „Eins aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was da vorne ist, jage ich, das vorgesteckte Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“ Möchte dieses Eine sich auch bei uns mehr und mehr finden!

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