Gedanken über das Zusammenkommen der Gläubigen
Botschafter des Heils in Christo 1883

Gedanken über das Zusammenkommen der Gläubigen - Teil 3/4

Die Kirche ist, was ihre äußere Offenbarung betrifft, im Verfall. Wer könnte es leugnen? Wäre sie es nicht, so würde sie in ihrer Gesamtheit der Beweis jener Einheit des Leibes sein, anstatt das traurige Bild der völligsten Trennung und Verwirrung darzubieten. Und auch nur inmitten des Verfalls kann es ein Zeugnis geben, und zwar nicht nur ein persönliches, wie es ein jeder wahrer Christ in seinem Wandel durch diese Welt abzulegen berufen ist, sondern auch ein gemeinschaftliches. Worin besteht nun dieses Zeugnis? Es ist das Zeugnis derer, welche in dem Wunsch, „das Wort“ des Herrn zu bewahren und „Seinen Namen“ nicht zu verleugnen, und in dem Begehren, in der Wahrheit und in der Liebe zu wandeln, danach trachten, nach den Grundsätzen dieses Wortes sich zu versammeln. In den finstersten Zeiten hat Gott stets seine Zeugen gehabt, obwohl sie oft von den Menschen ungekannt waren. Zur Zeit des Elias gab es 7000 in Israel, welche ihre Knie nicht gebeugt hatten vor Baal. Sie waren ein Zeugnis gegen die Abgötterei. Zudem legte der Prophet nicht allein das gleiche Zeugnis ab, wie diese, sondern er gab auch –und zwar in einer Zeit der völligen Spaltung und des Verfalls – der Einheit Israels nach den Gedanken Gottes dadurch Ausdruck, dass er einen Altar errichtete von „zwölf Steinen“, nach der Zahl der Stämme der Söhne Jakobs, zu welchem das Wort Jehovas geschehen war, da Er sprach: „Israel soll dein Name sein“ (1. Kön 18,31). Ebenso gab es selbst in den finstersten Zeiten des Papsttums stets etliche, wenig beachtete, verborgene und oft schrecklich verfolgte Zeugen gegen den Götzendienst Isebels. In der jetzigen Zeit, wo die Welt die Kirche gleichsam überflutet hat, legen nicht minder manche ein treues Zeugnis ab durch ein Leben der Absonderung von der Welt. Sollte es aber außerdem bei der großen Zahl der in der Christenheit bestehenden Sekten und Benennungen kein gemeinschaftliches Zeugnis von der Einheit des Leibes geben, einer Einheit, die da besteht trotz allem, was der Feind getan hat, um ihre Offenbarung zu zerstören?

Gott sei Dank! Ein solches Zeugnis hat Er erweckt in diesen letzten Tagen, indem Er an verschiedenen Orten etlichen, oft nur „Zweien oder dreien“, gezeigt hat, auf welchem Boden sie sich außerhalb jeder Benennung versammeln können „im Namen Jesu.“ Und Gott ist mächtig, dieses Zeugnis zu erhalten trotz allem Widerstand des Feindes, und trotz der Schwachheit derer, die es ablegen. Überall da, wo sich selbst nur „zwei oder drei“ in Wahrheit im Namen Jesu nach dem Grundsatz der Einheit des Leibes versammeln, besteht dieses Zeugnis. Und Er ist treu, es zu bewahren, wie Er es verheißen hat. – Die Tür, die der Heilige und Wahrhaftige geöffnet hat, kann niemand schließen. Sie steht offen vor denen, welche eine kleine Kraft haben, welche sein Wort bewahren und seinen Namen nicht verleugnet haben, und die da wünschen, alles festzuhalten, was mit diesem kostbaren Namen in Verbindung steht. Indessen sind jene nichts anders als ein Zeugnis für die Wahrheit inmitten des Verfalls. Sie bilden nicht eine Sekte unter vielen anderen Sekten, noch eine lautere, zu dem ursprünglichen Vorbild zurückgekehrte Kirche (es gibt ja nur eine Kirche); nein, es ist vielmehr ein schwaches Zeugnis, abgelegt durch diejenigen, welche inmitten der Verwirrung durch die Gnade den Boden erkannt haben, auf dem man sich Gott gemäß versammeln kann, und welche dahin gekommen sind, um daselbst den Herrn zu finden. Wahrlich ein gesegneter Boden! Da gibt es Platz für alle wahre Christen; auf diesem Boden sollten sie sich alle versammeln. Indes sollten diejenigen, welche in dieser Weise zusammenkommen, nie vergessen, dass sie nur ein Zeugnis sind; sobald sie anfangen, sich etwas zu dünken, werden sie zu einer Sekte. So wie der treu ist, in dessen Namen sie sich versammeln, so sollten auch sie Ihm ihre Treue bewahren in allen ihren Wegen.

Auf diesem Grund des Zusammenkommens der Gläubigen, als Glieder des einen Leibes, gibt es dem Grundsatz nach keinen Raum für Nationalitäten. „Da ist nicht Jude, noch Grieche ... denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Ebenso wenig sind da menschliche Anordnungen und Einrichtungen am Platz. So groß der Verfall auch sein mag, die göttlichen Grundsätze bleiben immer dieselben und wir haben uns an ihnen zu halten. Der Mensch vermag in keiner Weise zu heilen, was er selbst verdorben hat, aber die Hilfsquellen des Herrn sind für alle Zeiten vorhanden. Sein Wort bleibt in Ewigkeit. Und Ihm steht es zu, alles zu ordnen in seinem Haus, und sein Geist ist bei denen, die sich in seinem Namen versammeln, um alles zu leiten „zum Nutzen“ und „zur Erbauung.“ Würde es sich geziemen, dem eignen Willen da, wo Jesus ist, Spielraum zu lassen? Sicherlich nicht! Auf diesem Boden stehen wir außerhalb alles dessen, was die natürliche Tätigkeit und Unabhängigkeit des Menschen tun und einrichten möchten. Ach, anstatt zusammen zu kommen im Namen Jesu, des einen Herrn, der da alles durch seinen Geist leitet, haben sich die Christen um verschiedene Fahnen geschart, indem sie nach ihrem eignen Willen eine Ordnung errichtet haben, welche zu errichten dem Herrn allein gebührt. Sie haben sich auf diese Weise in dem großen Haus der Christenheit zerstreut, um sich innerhalb desselben in verschiedene Abteilungen einzuschließen, indem eine jede ihre eignen Satzungen, Glaubensbekenntnisse und Verfassungen besitzt – alles Dinge, von welchen wir im Wort Gottes keine Spur finden. Man hat die göttliche Ordnung verlassen, indem man die alleinige Autorität Christi, als des Herrn, aus dem Auge verlor, sowie die alleinige Leitung des Geistes in den Zusammenkünften der Gläubigen, um zu wirken „Zum Nutzen“ und „zur Erbauung“ durch diejenigen, welchen Er austeilt, wie Er will (1. Kor 12,11). Indem wir uns im Namen Jesu versammeln, haben wir stets daran zu denken, dass wir von Ihm allein abhängig sind, und dass kein anderer uns leiten sollte, als allein der Heilige Geist.

Doch wie dem auch sein mag, der göttliche Boden des Zusammenkommens bleibt stets bestehen, und für die, welche sich auf demselben befinden, ist Jesus „in der Mitte“ samt allen seinen Hilfsquellen. Inmitten aller Verwirrung und alles Verfalls, bleibt die Autorität des Herrn, sowie die Gegenwart des Heiligen Geistes, welcher in der Versammlung oder der Kirche Gottes wohnt (1. Kor 3,16). Die Fürsorge Christi für die Versammlung, die Er geliebt und für welche Er sich hingegeben hat, und die Er nährt und pflegt, hört nie auf. Die Gaben „Zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi“, bleiben ebenfalls, können sich offenbaren und werden nicht aufhören, „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (Eph 4,7–13).

Doch sind hier zwei wichtige Bemerkungen am Platz. Es gibt nach dem Wort nur einen einzigen Boden des Zusammenkommens; alle Glieder Christi sollten sich da befinden und in Folge dessen auch die Gaben Christi für seine Versammlung: Evangelisten, Hirten und Lehrer. Jedoch stehen nicht alle auf diesem Boden, und so wie es daher in den verschiedenen Sekten der Christenheit treue und dem Herrn ergebene Seelen gibt, so finden sich in diesen Parteien auch Gaben Christi zur Verkündigung des Evangeliums und zur Seelsorge. Damit ist aber durchaus nicht gesagt, dass ich, wenn ich die Wahrheit bezüglich des Zusammenkommens der Gläubigen erkannt habe, hinausgehen soll, um jene Gaben aufzusuchen.

Zweitens können errettete Seelen durch den Herrn auf den Boden des Zusammenkommens in seinem Namen geführt werden und dennoch über die Bedeutung und Tragweite der Stellung, die sie eingenommen haben, sehr unwissend sein. Aber weit entfernt davon, solche zurückzuweisen, ist es im Gegenteil sehr gut, sie aufzunehmen. Denn wo sollten sie Fortschritte in der Erkenntnis machen, wenn nicht da, wo Jesus sich befindet? Wo sollten sie lernen und an Einsicht zunehmen, wenn nicht da, wo die Wirksamkeit seines Geistes ihre freie Ausübung findet? Nach und nach werden sie, wenn sie anders dem Wort unterworfen sind, all das Kostbare, was es in dem Namen Christi gibt, kennen lernen. Gott sei gepriesen! Es gibt um Jesus Platz für alle. Welcher Christ, der seinen Herrn liebhat, möchte wissentlich sich von dem Boden entfernen, bezüglich dessen Jesus gesagt hat: „Da bin ich in ihrer Mitte?“

Indessen möchte gefragt werden: Gibt es denn auch einen sichtbaren Ausdruck dieser Einheit des einen, durch den Heiligen Geist gebildeten Leibes, dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder sich, außerhalb aller menschlichen Einrichtungen und auf Grund jener Einheit, um Ihn als ihren einzigen Mittelpunkt scharen sollten? Gott sei Dank, ja! Der Herr Jesus, der uns in seiner Gnade für unser Zusammenkommen in einer Zeit des Verfalls eine Hilfsquelle gegeben, hat uns auch, nach derselben Gnade einen bleibenden Ausdruck von der Einheit hinterlassen, von welcher diejenigen Zeugnis ablegen, welche in seinem Namen versammelt sind. Und dies ist sein Tisch: „denn“, sagt der Apostel, „ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“ (1. Kor 10,17). Zwar kann man im Namen Jesu versammelt sein, ohne gerade das Brot zu brechen, allein es ist unmöglich, dem Wort gemäß am Tisch des Herrn zum Brotbrechen versammelt zu sein, es sei denn im Namen Jesu, denn es ist sein Tisch; und da, wo der Tisch des Herrn in einer im Namen Jesu gebildeten Versammlung aufgerichtet ist, da ist derselbe der örtliche Ausdruck der Einheit des einen Leibes, von welcher man Zeugnis gibt.

„In seinem Namen“ drückt den Charakter des Zusammenkommens aus; die Einheit des durch den Heiligen Geist gebildeten Leibes ist der Grundsatz desselben, und daher ist der Heilige Geist die Kraft, welche dieses zusammenkommen bewirkt und die allein darin wirksam sein sollte, und endlich ist der Tisch, das eine Brot, der sichtbare Ausdruck dieser Einheit. Ich spreche hier nicht von alle dem Kostbaren, woran uns das Abendmahl des Herrn persönlich erinnert, sei es die Liebe, die Person oder das Werk dessen, der sich für uns hingegeben und gewollt hat, dass wir uns seiner in seinem Tod erinnern sollten, noch rede ich von der Bedeutung des Tisches des Herrn für uns insgesamt betreffs der brüderlichen Gemeinschaft.

An dieser Stelle möchte ich einige Fragen beantworten, die nicht selten erhoben werden. Zunächst: Hat ein Christ nicht das Recht, sich zu vereinzeln, sich gleichsam in seiner persönlichen Gottseligkeit einzuschließen? Nein; denn wenn einerseits geschrieben steht: „ein jeglicher, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit“ – wenn es in einem großen Haus Gefäße zur Unehre gibt, von denen man sich zu reinigen hat – so heißt es andererseits auch in demselben Kapitel, und zwar für unsere Zeiten des Verfalls: „Strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“ (2. Tim 2,19–22). Das ist keine Vereinzelung. Wo aber könnte man so mit einander zusammentreffen, wenn nicht auf dem Weg des Gehorsams, als Glieder des eines Leibes? Ist das nicht der Weg, auf den der Heilige Geist uns führen will, und wo wir die Einheit des Geistes bewahren sollen in dem Band des Friedens? Sollten nicht diejenigen, welche den Herrn anrufen aus reinem Herzen, sich in seinem Namen vereinigen wollen, um den Vorteil seiner gnadenreichen Verheißung zu genießen? Warum gäbe es einen einzigen Leib, wenn die Glieder vereinzelt bleiben sollten?

Man hört zuweilen von sonst ernsten, in ihrem persönlichen Wandel treuen Christen die Meinung aussprechen, dass sie die Gegenwart Jesu besser verwirklichten, wenn sie allem seien. Aber kommt dies nicht daher, dass sie viel in sich selbst und auf sich selbst, sowie auf ihre eigenen Gefühle blicken, anstatt mit Jesus? Sind nicht gerade solche Personen sehr oft beunruhigt, wenn ihre Gefühle verschwinden, oder auch nur an Stärke abzunehmen scheinen? Ist man mit Jesu beschäftigt, so wird man stets glücklich sein mit denen, welche sich ebenfalls mit Ihm beschäftigen. Aber ach! Wie oft blickt man hin auf die Fehler und Mängel der Anderen, anstatt auf Jesus zu schauen und die Seinen in Ihm anzusehen und sie mit derselben Gnade zu betrachten, mit welcher Er sie betrachtet, und ihnen die Füße zu waschen, sowie Er es auch tut (Joh 13,14). O wie glücklich sind wir, wenn wir uns mit demselben Dienst beschäftigen, welchen Christus ausübt! Wenn ein jeder den Anderen höher achtet, als sich selbst, wenn ein jeder nicht auf das seinige sieht, sondern auch auf das der Anderen, wird man sich dann nicht glücklich fühlen, in einerlei Gesinnung, in derselben Liebe und mit denselben Gefühlen versammelt zu sein? Und ist es dieses nicht, was sich für die Glieder eines und desselben Leibes geziemt? Zudem ist das Wort Jesu untrüglich. Ist es wahr, dass Er mit uns ist in unserem persönlichen Dienste, in unserem Kampf wider den Feind (vgl. Mt 28,20; Apg 18,9–10; 2. Tim 4,17), dass seine Liebe in dem Verborgenen unserer Herzen tätig ist und uns mit Freude erfüllt, so bleibt es nicht minder wahr, dass Er den zwei oder drei in seinem Namen Versammelten seine besondere Gegenwart verheißen hat. Welcher Christ, der dieses ernstlich bedenkt, möchte eine solche köstliche Segnung vernachlässigen? (Schluss folgt)

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