Botschafter des Heils in Christo 1883

Überführung, Buße und Vergebung

In 2. Samuel 12 werden uns diese drei wichtigen Dinge: Überführung, Buße und Vergebung vor Augen gestellt. Wir werden stets finden, dass dieselben unzertrennlich mit einander verbunden sind, ja, dass das Eine notwendig aus dem Anderen hervorgeht.

David hatte sich einer schweren Sünde schuldig gemacht. Er hatte Uria, den Hethiter, durch das Schwert der Kinder Ammon ermorden lassen und dann das Weib Urias sich zum Weib genommen. „Aber die Sache, die David getan, war übel in den Augen Jehovas.“ David indes war blind über das Schreckliche seiner Sünde. Er war ohne Zweifel verhärtet durch den Betrug der Sünde, und vielleicht war es ihm nahezu gelungen, das Andenken an das schreckliche Verbrechen, dessen er sich schuldig gemacht hatte, aus seinem Herzen zu verbannen.

Wir sehen hierin ein Bild des Menschen von Natur. Er lebt in Unabhängigkeit von Gott und deshalb in Sünde. Denn die Sünde ist Gesetzlosigkeit oder Unabhängigkeit von Gott, und das ist es, was den natürlichen Menschen kennzeichnet. Er sündigt, aber er vergisst es wieder; und wenn hie und da sein Gewissen erwacht und ihn verurteilt, so entschuldigt er sich, und es gelingt ihm gewöhnlich, sein Gewissen wieder einzuschläfern. Er sagt sich: „Ich bin nicht so sehr zu tadeln; ich habe noch lange nicht so schlecht gehandelt, wie der oder jener, und Gott ist ja barmherzig.“ Und damit beruhigt er sich und geht unbeirrt seines Weges weiter.

Ohne Zweifel musste auch David, der gefallene König, zu solchen Mitteln seine Zuflucht nehmen, um die Stimme seines Gewissens zum Schweigen zu bringen, und wie es scheint, war ihm dies ziemlich gut gelungen. Denn als der Prophet Nathan zu ihm kam und ihm das Gleichnis von dem reichen Mann erzählte, der dem Armen sein einziges Lamm raubt, um es für seinen Gast zu schlachten, da wurde er zornig und rief: „So wahr Jehova lebt, der Mann ist ein Kind des Todes, der dieses getan hat!“ (V 5) Ach, wie schnell war er bereit, andere zu richten – und er urteilte gerecht – aber wie wenig war er darauf vorbereitet, durch den Propheten des Herrn gerade jener Sünde beschuldigt zu werden, welche seinen Zorn in so hohem Maß erregte! Mit welch niederschmetternder Gewalt müssen die göttlich überführenden Worte: „Du bist der Mann!“ in sein Ohr gedrungen sein!

Doch das, was Jehova damals durch seinen Propheten dem schuldbeladenen König zurufen ließ, dasselbe lässt Er heute jedem Menschen von Natur verkündigen. Der Mensch mag sich entschuldigen und seinen Nächsten richten und verurteilen; Gott aber sendet sein Wort zu einem jeden und lässt ihm sagen: „Du bist der Mann!“ Ein jeder hat es persönlich mit Gott zu tun, und das Evangelium überzeugt, durch die Kraft des Heiligen Geistes, einen jeden von seiner Schuld. Es steht vor dem Menschen und ruft ihm mit unfehlbarer Bestimmtheit zu: „Du bist ein Sünder! Du bist der Mann!“

Gehst du noch auf den Wegen der Sünde dahin, mein Leser, ohne Gott und ohne einen Heiland? Bist du noch nicht überzeugt von deiner Schuld und von deinem völligen Verderben? Sagst du: „Ich bin moralisch, religiös und ehrbar? Ich halte mich fern von allen Leidenschaften und Lastern?“ Siehe, Gottes Wort ruft dir zu: „Du bist der Mann!“ Das Gesetz Gottes sagt: „Verflucht ist jeglicher, der nicht bleibt in allem, was geschrieben ist im Buch des Gesetzes, es zu tun!“ Du hast das Gesetz tausendfach übertreten, und deshalb: „Du bist der Mann!“ Auch sagt es: „Die Seele, welche sündigt, soll des Todes sterben.“ Du hast gesündigt, deshalb: Du bist der Mann! Es handelt sich nicht um deinen Nächsten, nicht um irgendeinen Menschen auf der Welt, sondern um dich: „Du bist der Mann!“ Du stehst vor Gott als ein überführter, schuldbeladener Sünder, und deshalb bitte ich dich, die Worte Nathans in ihrer ganzen Schärfe auf dich anzuwenden.

Jene vier Worte taten ein Werk in Davids Gewissen, das die aufrichtigste Buße hervorrief. Sie waren der Pfeil Gottes, der sich tief in sein Gewissen eingrub und ihn in ernster Demütigung vor Gott niederwarf. Hören wir die Sprache seines gebrochenen Herzens: „Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Güte! Nach der Größe deiner Barmherzigkeit tilge meine Übertretung! Wasche mich völlig von meiner Ungerechtigkeit und reinige mich von meiner Sünde! Denn ich kenne meine Übertretungen, und meine Sünde ist stets vor mir. An dir, an dir allein habe ich gesündigt und das Böse in deinen Augen getan, damit du gerechtfertigt bist in deinem Reden, rein in deinem Richten“ (Ps 51,1–4). Eine wahrhaft göttliche Überführung von der Sünde leitet stets zu einer wahren, unbereubaren Buße. David ist vor das Angesicht Gottes selbst gestellt; es ist nicht nur eine Sache zwischen ihm und Uria, sondern er hat gesündigt gegen Jehova. Hier sehen wir, was Sünde ist; sie ist stets gerichtet gegen den Herrn. Er ist der Schöpfer und Erhalter des ganzen Weltalls, und gegen Ihn sündige ich, wenn ich gesetzlos handle. „Gegen den Herrn“ – „gegen dich allein habe ich gesündigt“ – das ist es, was die Seele fühlt und bekennt, wenn sie göttlich überführt wird. Wir mögen gegen unsere Mitmenschen gesündigt haben, aber im Grund ist es nichts anderes, als ein Sündigen, ein Auflehnen Wider Gott.

Mein Leser, Gott „gebietet jetzt den Menschen, allenthalben Buße zu tun.“ Hast du seine Forderungen anerkannt, hast du seinem Wort in Bezug auf deine Sünden geglaubt und in wahrer, aufrichtiger Buße deine Schuld vor Ihm bekannt? Gott erwartet und fordert Buße, d. h. Er erwartet, dass die Seele ihre Schuld und ihre Auflehnung gegen seine Autorität wahrhaft anerkenne und vor Ihm bekenne. Wahre Bekehrung besteht nicht in bloßen Gefühlen; o nein, es muss eine Sache des Herzens und des Gewissens sein. Sie besteht auch nicht darin, dass ich meine bisherigen bösen Gewohnheiten ablege, dass ich die Kirche fleißig besuche und meine Zeit und mein Geld religiösen Zwecken widme. Nein, mein Freund, du magst alles dieses getan haben und dennoch für immer verloren gehen. Du magst es getan haben, ohne dass dein Herz und Gewissen die Sünde fühlte, und ohne dass du in wahrer Buße anerkanntest, dass du gegen den Herrn gesündigt hast. Der Herr Jesus sagte zu den religiösen Pharisäern, die sich für besser hielten, als die Galiläer, deren Blut Pilatus mit ihren Schlachtopfern vermischt hatte: „Wenn ihr nicht Buße tut, so werdet ihr alle ebenso umkommen“ (Lk 13,3).

David stellte sich auf den Boden des schuldigen Sünders und bekannte dem Herrn seine Übertretungen, und der Gott aller Gnade war da, um ihm mit Vergebung zu begegnen. Sobald David zu Nathan sagt: „Ich habe gesündigt wider Jehova“, erhält er aus dem Mund des Propheten die Versicherung: „Jehova hat auch deine Sünde weggenommen, du wirst nicht sterben.“ Gott war da, um dem Sünder in Gnade zu begegnen, sobald sich wahre Buße zeigte und ein aufrichtiges Bekenntnis hervorkam. Derselbe, gegen den David gesündigt hatte, war auch allein imstande, die Sünde hinwegzunehmen, und Er tat es. „Jehova hat deine Sünde weggenommen.“

Und ist es nicht heute noch gerade so? Gott, der Gott aller Gnade, begegnet dem von seinen bösen Wegen bußfertig zurückkehrenden Sünder mit derselben vergebenden Gnade und errettenden Liebe, wie Er einst dem David entgegenkam. Jesus, der Sohn Gottes, ist gestorben für Sünder, für Verlorene; und jetzt ist Gott fähig, in vollkommener Gerechtigkeit die Sünden zu vergeben und den Gottlosen, der an den Herrn Jesus Christus glaubt, zu rechtfertigen. Welch eine Vergebung muss es sein, die uns von Gott zuteil wird als die Frucht des kostbaren Blutes seines geliebten Sohnes! „Ohne Blut vergießen gibt es keine Vergebung.“ Aber Blut ist vergossen worden, und zwar das Blut des reinen und fleckenlosen Lammes Gottes. Und dieses Blut ist jetzt droben vor Gott in dem Innern des Heiligtums, so dass Er nur seine Gerechtigkeit erweist, wenn Er den rechtfertigt, der an Jesus und an sein vergossenes Blut glaubt. „Diesem geben alle die Propheten Zeugnis, dass ein jeglicher, der an Ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfangen wird durch seinen Namen“ (Apg 10,43).

Von welch hohem, unaussprechlichem Wert sind solche Worte, mein lieber Leser! Welch eine Fülle des Segens enthalten sie! Wir haben uns nicht abzumühen, um durch unsere Anstrengungen Vergebung der Sünden zu erlangen. O, wie wäre es möglich, sie auf diesem Weg zu finden? Nein, das Werk ist für immer und ewig vollbracht. „Es ist vollbracht!“ rief der sterbende Heiland, und jetzt sitzt Er droben in der Herrlichkeit zur Rechten der Majestät Gottes, als der Gegenstand unseres Glaubens und unserer Hoffnung. Wer an Ihn glaubt, wird nicht gerichtet, wird nimmer beschämt werden. Gott selbst hat Ihn aus den Toten auferweckt und Ihm Herrlichkeit gegeben, und wir glauben durch Ihn an Gott, so dass unser Glaube und unsere Hoffnung auf Gott ist. Könnte es einen festeren, unerschütterlicheren Boden geben, als Gott selbst und sein lebendiges, ewig bleibendes Wort?

Doch erlaube mir die Frage: Kennst du Ihn als den Gegenstand deines Glaubens und deiner Hoffnung? Kennst du Ihn als den, der dich errettet hat? Kannst du sagen, dass durch das kostbare Blut Christi deine Sünden vergeben und für immer hinweggetan sind? Kannst du die herrlichen Worte auf dich anwenden: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde?“ (1. Joh 1,7) Wenn du diese Fragen bejahen kannst, o dann bist du glückselig zu preisen. Denn: „Glückselig der, dessen Übertretung vergeben, dessen Sünde bedeckt ist! Glückselig der Mensch, dem Jehova die Ungerechtigkeit nicht zurechnet und in dessen Geist kein Trug ist!“ (Ps 32,1–2) Könnte es ein höheres Glück geben, als dieses? Sicherlich nicht! Aber dann solltest du jetzt auch nichts anders begehren, als zur Ohre und Verherrlichung dessen zu wandeln, der so viel für dich getan hat. Möchten die Worte des treuen Apostels Paulus auch in Bezug auf einen jeden von uns Wahrheit sein: „Er hat mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben“, und deshalb: „Das Leben für mich ist Christus!“ (Gal 2,20; Phil 1,21)

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel