Botschafter des Heils in Christo 1883

Jericho und Achor - Teil 1/2

1.: Bevor ich beginne, möchte ich den Leser bitten, die beiden angedeuteten Kapitel, Josua 6 und 7, mit Aufmerksamkeit zu lesen. Sie schildern in treffender und eindringlicher Weise die doppelte Wirkung, welche die Gegenwart Gottes auf sein Volk ausübt. In Kapitel 6 werden wir belehrt, dass die göttliche Gegenwart einen vollständigen Sieg über die Macht des Feindes sicherte, und in Kapitel 7, dass sie ein unnachsichtiges Gericht über das Böse forderte, welches sich in der Mitte des Volkes zeigte. Die Ruinen von Jericho erläutern den ersten Grundsatz, der große Haus Steine im Tal Achor den Zweiten.

Diese beiden Dinge gehen stets mit einander. Dieselbe Gegenwart, welche den Sieg sichert, fordert Heiligkeit. Möchten wir diese Wahrheit stets in unseren Herzen bewahren! Sie hat sowohl eine persönliche, als auch eine allgemeine Anwendung. Wollen wir mit Gott wandeln, oder besser gesagt, soll Gott mit uns wandeln, so müssen wir alles richten und hinweg tun, was nicht in seine heilige Gegenwart passt. Er kann bei seinem Volk kein ungerichtetes Böses dulden. Er kann vergeben, heilen, wiederherstellen und segnen, aber Er kann das Böse nicht ertragen. „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“ „Denn es ist die Zeit, dass das Gericht anfange am Haus Gottes“ (Heb 12,29; 1. Pet 4,17).

Sollte der Gedanke hieran irgendein aufrichtiges Kind Gottes entmutigen oder niederdrücken? Keineswegs. Es sollte uns nicht entmutigen, wohl aber sehr wachsam machen im Blick auf unsere Wege, Gewohnheiten, Worte und Werke. Wir brauchen nichts zu fürchten, solange Gott mit uns ist, aber Er kann in den Seinen unmöglich das Böse gutheißen, und ein jeder, der in Wahrheit die Heiligkeit liebt, wird Ihm hierfür von Herzen danken. Er wird nicht für einen Augenblick den Maßstab der Heiligkeit Gottes zu erniedrigen wünschen. Alle, die in Wahrheit seinen Namen lieben, freuen sich der kostbaren Wahrheit, dass die Heiligkeit seinem Haus geziemt für immer und ewig. „Seid heilig, denn ich bin heilig.“ Es handelt sich nicht darum, was wir sind, sondern was Er ist. Unser Charakter und Wandel sollen sich bilden nach dem, was Gott ist. Welch eine Gnade und welch ein Vorrecht!

Gott muss die Seinen sich selbst gleich haben. Wenn sie dies vergessen, so wird Er sie sehr bald daran erinnern. Wenn Er in seiner unendlichen Gnade seinen Namen und seine Herrlichkeit mit uns verbindet, so geziemt es uns sicher, wohl auf uns acht zu haben, damit wir keine Schmach auf diesen Namen bringen und den Glanz dieser Herrlichkeit nicht trüben. Ist dies eine gesetzliche Knechtschaft? O nein, es ist im Gegenteil eine hohe, heilige Freiheit. Wir können versichert sein, dass wir nie weiter von jeder Gesetzlichkeit entfernt sind, als wenn wir jenen Pfad wahrer Heiligkeit wandeln, welcher allen denen geziemt, die den Namen Christi tragen. „Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns uns selbst reinigen von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes“ (2. Kor 7,1).

Diese große Wahrheit gilt für alle Zeiten. Was war es, das die hohen Mauern und gewaltigen Bollwerke Jerichos in einem Augenblick umstürzte? Es war die Gegenwart Jehovas. Ja, wenn das ganze Land von Dan bis Berscheba mit Festungen übersät gewesen wäre, so würden sie doch alle durch dieselbe unbesiegliche Macht dem Boden gleichgemacht worden sein. Doch was bedeutete die demütigende Niederlage vor der unansehnlichen Stadt Ai? Wie kam es, dass die Heere Israels, die soeben noch über Jericho triumphiert hatten, mit Schmach bedeckt vor einer Handvoll Menschen fliehen mussten? Ach, die Antwort ist schmerzlich, aber für uns höchst belehrend. Möchten wir uns durch dieselbe warnen lassen und Nutzen aus ihr Ziehen! Sie ist zu unserer Belehrung durch den Heiligen Geist niedergeschrieben worden, und wehe einem jeden, der sein Ohr vor seiner warnenden Stimme verschließt! Hier ist die Antwort:

„Und die Kinder Israel begingen Untreue an dem Verbannten; und Achan, der Sohn Charmis, des Sohnes Sabdis, des Sohnes Serahs, vom Stamm Juda, nahm Von dem Verbannten; und der Zorn Jehovas entbrannte über“ – wen? Über Achan allein, oder über seine Haushaltung oder Familie? O nein, sondern – „über die Kinder Israel“ (Kap 7,1). Die ganze Gemeinde war gleichsam in das Böse eingeschlossen. Woher kam dies? Die göttliche Gegenwart verlieh dem ganzen Volk den Charakter der Einheit und verband sie so innig mit einander, dass alle in die Sünde des Einzelnen eingeschlossen waren. Sie bildeten eine Gemeinde, eine Versammlung, und daher war es unmöglich, dass sich einer von ihnen auf einen getrennten, unabhängigen Boden stellen konnte. Die Sünde des Einzelnen war die Sünde aller, weil Jehova in ihrer Mitte wohnte. Die ganze Versammlung hatte sich von dem Bösen zu reinigen, bevor Jehova sie zu weiteren Siegen führen konnte. Hätte Er ihnen erlaubt, über Ai zu triumphieren, so würde dies bewiesen haben, dass Er gleichgültig war gegen die Sünde seines Volkes. Doch dies anzunehmen, wäre eine Lästerung seines heiligen Namens.

„Und Josua sandte Männer von Jericho gen Ai, die bei Beth–Aven liegt, östlich von Bethel, und sprach zu ihnen und sagte: Geht hinauf und kundschaftet das Land aus. Und die Männer gingen hinauf und kundschafteten Ai aus. Und sie kehrten zurück zu Josua und sprachen zu ihm: Lass nicht das ganze Volk hinaufziehen, bei zweitausend Mann oder bei dreitausend Mann mögen hinaufziehen und Ai schlagen“ – dies war leichter gesagt als getan – „bemühe nicht das ganze Volk dahin, denn ihrer sind wenig“ – doch viel zu viel für Israel mit einem Achan im Lager. „Und es zogen vom Volk hinauf bei dreitausend Mann, aber sie flohen vor den Männern von Ai. Und die Männer von Ai schlugen von ihnen bei sechs und dreißig Mann und jagten ihnen nach bis vor das Tor bis Sebarim und schlugen sie am Abhang. Da zerschmolz das Herz des Volkes und ward wie Wasser. Und Josua zerriss seine Kleider und fiel auf sein Angesicht zur Erde vor der Lade Jehovas bis an den Abend, er und die Ältesten Israels, und sie warfen Staub auf ihre Häupter“ (V 2–6).

Das war eine unerwartete, niederschmetternde Erfahrung. „Und Josua sprach: Ach Herr, Jehova, warum hast du dieses Volk je hinüberziehen lassen über den Jordan, um uns in die Hand der Amoriter zu geben, um uns zu Grund zu richten? O, hätten wir es uns gefallen lassen und wären jenseits des Jordans geblieben! Bitte, Herr, was soll ich sagen, nachdem Israel den Rücken gekehrt hat vor seinen Feinden? Und werden es die Kanaaniter und alle Bewohner des Landes hören, so werden sie uns umzingeln und unseren Namen ausrotten von der Erde. Und was willst du deinem großen Namen tun?“ (V 7–9)

Josua, der treue und geehrte Knecht Gottes, verstand nicht, dass gerade die Herrlichkeit dieses „großen Namens“ die Niederlage zu Ai nötig machte. In dieser Herrlichkeit gab es noch andere Elemente als Macht. Da gab es auch Heiligkeit, und gerade diese machte es für Gott unmöglich, da zu sein, wo ungerichtetes Böses vorhanden war. Josua hätte schließen können und sollen, dass in dem Zustand des Volkes etwas nicht in Ordnung sein musste. Dieselbe Gnade, welche ihm vor Jericho den Sieg verliehen hatte, würde sicher auch zu Ai nicht gefehlt haben, wenn alles in Ordnung gewesen wäre. Aber ach! Dies war nicht der Fall, und daher gab es Niederlage anstatt Sieg. Wie konnten sie siegen mit einem „Bann“ in ihrer Mitte? Unmöglich. Entweder musste Israel das Böse richten, oder Jehova sah sich genötigt, Israel zu richten. Die göttliche Gegenwart erforderte ein unbedingtes Gericht über das Böse; und ehe dieses Gericht ausgeübt war, konnte von der weiteren Eroberung Kanaans keine Rede sein. „Deinem Haus geziemt die Heiligkeit, Jehova, für lange Tage“ (Ps 93,5).

„Und Jehova sprach zu Josua: Stehe auf! Warum liegst du da auf deinem Angesicht? Israel hat gesündigt“ – nicht bloß Achan – „und auch haben sie meinen Bund übertreten, den ich ihnen geboten habe, und auch haben sie von dem Verbannten genommen und auch gestohlen und es auch verleugnet und es auch unter ihre Geräte gelegt. Und die Kinder Israel werden nicht vermögen, zu stehen vor ihren Feinden; sie werden den Rücken kehren vor ihren Feinden, denn sie sind zum Bann geworden. Ich werde fortan nicht mehr mit euch sein, wenn ihr nicht den Bann vertilgt aus eurer Mitte“ (V 11–12).

Dies ist äußerst ernst. Die ganze Versammlung wird für das Böse verantwortlich gemacht. „Ein wenig Sauerteig durchsäuert die ganze Masse.“ Der Unglaube mag fragen, wie denn die Sünde eines Einzelnen alle angehen konnte, aber das Wort Gottes entscheidet die Frage in ganz unzweideutiger Weise. „Israel hat gesündigt“ – „sie haben meinen Bund übertreten“ – „sie haben gestohlen“ – „sie haben verleugnet.“ Die Versammlung war eins – eins in ihren Vorrechten und eins in ihrer Verantwortlichkeit. Die Sünde des Einzelnen war die Sünde aller, und alle waren berufen, sich zu reinigen, indem sie den Bann aus ihrer Mitte hinwegtaten. Nicht ein einziges Glied jener großen Gemeinde blieb von der Sünde Achans unberührt. Dies mag der Natur unerklärlich erscheinen, aber es ist die göttliche Wahrheit. Und so wie es einst in der Versammlung Israels war, so ist es sicherlich auch heute in der Kirche Gottes. Keiner konnte sich in Israel auf einen unabhängigen Boden stellen, und noch viel weniger ist dies in der Kirche Gottes möglich. Da waren sechs Mal hunderttausend Männer, die, menschlich gesprochen, gar nichts davon wussten, was Achan getan hatte, und doch sagte Gott zu Josua: „Israel hat gesündigt.“ Alle waren eingeschlossen, alle waren verunreinigt und hatten sich zu reinigen, ehe Jehova wieder mit ihnen Ziehen konnte. Die Gegenwart Gottes in der Mitte der Gemeinde machte die Einheit aller aus, und ebenso ist die Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche Gottes, dem Leib Christi auf der Erde, das Band einer göttlichen, unauflöslichen Einheit. Wer daher von Unabhängigkeit redet, leugnet die Grundwahrheit der Kirche Gottes und beweist ohne alle Frage, dass er nichts von ihrem Charakter, noch von ihrer Einheit versteht.

Doch wenn sich nun Böses in eine Versammlung eingeschlichen hat, wie ist demselben zu begegnen. Hören wir, was Jehova zu Josua weiterredet. „Stehe auf, heilige das Volk und sprich: Heiligt euch auf morgen. Denn so spricht Jehova, der Gott Israels: Ein Bann ist in deiner Mitte, Israel, du wirst nicht vermögen, zu stehen vor deinen Feinden, bis ihr den Bann hinweg tut aus eurer Mitte“ (V 13). Waren sie eins in ihren Vorrechten? Waren sie eins in dem Genuss der Herrlichkeit und Macht, welche die Gegenwart Gottes verlieh? Eins in dem glänzenden Triumph zu Jericho? Niemand wird dies in Frage stellen. Aber warum wollen wir dann zweifelnd fragen, ob sie auch eins waren in ihrer Verantwortlichkeit, eins im Blick ans das Böse in ihrer Mitte und auf alle seine demütigende Folgen? Sicher, wenn es eine Einheit gab in dem Einen, so gab es auch eine Einheit in dem Anderen, ja in allem. Wenn Jehova der Gott Israels war, so war Er der Gott von allen, der Gott eines jeden Einzelnen, und diese herrliche Tatsache bildete die Grundlage ihrer hohen Vorrechte sowohl, als auch ihrer Verantwortlichkeit. Unmöglich konnte es einen Bann in ihrer Mitte geben, ohne dass jedes Glied der Gemeinde dadurch verunreinigt wurde. Nichts kann die ernste Wahrheit aufheben, dass ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert.

Doch wie ist das Übel zu entdecken? Die Gegenwart Gottes macht es offenbar. Dieselbe Macht, welche die Mauern von Jericho umgeworfen hatte, enthüllte und richtete die Sünde Achans. Die Gegenwart Gottes hat stets diese doppelte Wirkung.

2.: In den Wegen Gottes mit seinem Volk sind also Vorrecht und Verantwortlichkeit unzertrennlich und innig mit einander verbunden. Es ist ein trauriger, verhängnisvoller Fehler, von Vorrechten zu reden und sie genießen zu wollen, während man die daraus entspringende Verantwortlichkeit aus dem Auge verliert. Wie groß waren z. B. die Vorrechte Israels! Wer könnte das hohe Vorrecht würdig schätzen, Jehova in der Mitte wohnend zu haben? Bei Tag und bei Nacht war Er dort, um sie zu bewachen und zu schützen, um jedem ihrer Bedürfnisse zu begegnen, ihnen Brot aus dem Himmel zu geben und Wasser aus dem Felsen hervorzubringen. Mit Gott in ihrer Mitte hatten sie nichts zu fürchten. Er sorgte für alle ihre Bedürfnisse; Er sah nach ihren Kleidern, dass sie nicht veralteten, und nach ihren Füßen, dass sie nicht schwollen; Er bedeckte sie mit seinem Schild, dass kein Pfeil sie treffen konnte, und Er stand zwischen ihnen und jedem Feind. Niemand konnte sie antasten.

So groß waren ihre Vorrechte; aber beachten wir auch wohl, welch eine Verantwortlichkeit damit verbunden war! „Denn Jehova, dein Gott, wandelt inmitten deines Lagers, um dich zu retten und deine Feinde vor dir dahinzugehen; und es soll dein Lager heilig sein, dass Er nichts Scham würdiges unter dir sehe und sich abwende von dir“ (5. Mo 23,14). Hatte sich Jehova in seiner unendlichen Gnade herabgelassen, inmitten seines Volkes zu wohnen und ihr Reisegefährte zu sein, so durften sie nie vergessen, dass Er nicht nur ein gnädiger, sondern auch ein heiliger Gott war, und dass seine Gegenwart eine heilige Reinheit und Absonderung von dem Bösen erforderte. Nichts durfte in dem Lager geduldet werden, was mit der Heiligkeit und Reinheit, die der Gegenwart des Heiligen Israels geziemte, im Widerspruch stand. „Gott ist gar sehr schrecklich in der Versammlung der Heiligen und furchtbar über alle, die um Ihn her sind“ (Ps 89,7). Hätte Achan daran gedacht, so würde es ihn gelehrt haben, die Habsucht seines Herzens im Keim zu ersticken und so die ganze Gemeinde vor vielem Schmerz zu bewahren. Wie schrecklich ist der Gedanke, dass ein Mann, um eines kleinen persönlichen Gewinnes willen, das ganze Volk in die tiefste Trauer stürzte und – was noch schlimmer ist – den heiligen Gott entehrte und betrübte, der in seiner wunderbaren Güte seine Wohnung unter ihnen aufgeschlagen hatte! O, möchten wir doch alle, wenn wir uns versucht fühlen, irgendeine verborgene Sünde zu begehen, uns fragen: „Wie kann ich so etwas tun? Wie kann ich den Heiligen Geist betrüben, der in mir ist, und Sauerteig in die Versammlung Gottes bringen?“ Lasst uns nie vergessen, dass unser persönlicher Wandel einen unmittelbaren Einfluss auf alle die Glieder des Leibes ausübt! Entweder wir befördern oder wir hindern die Segnung aller. Wir sind nicht unabhängige, selbständige Teile, sondern Glieder eines Leibes, der durch die Innewohnung des Heiligen Geistes zu einem unauflöslichen Ganzen verbunden ist; und wenn wir in einer weltlichen, fleischlichen und gleichgültigen Gesinnung wandeln, so betrüben wir den Geist und fügen allen Gliedern Schaden zu. „Aber Gott hat den Leib zusammengefügt ... auf dass keine Spaltung in dem Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge für einander haben. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit“ (1. Kor 12,24–26).

Vielleicht fällt es uns schwer, diese wichtige Wahrheit zu erfassen; aber entweder müssen wir sie annehmen, oder jener traurigen Irrlehre beistimmen, dass jeder Christ für sich selbst unabhängig sei und mit dem ganzen Körper der Gläubigen in keiner Verbindung stehe. Wenn ich in Wahrheit ein Glied an dem Leib Christi bin, dessen Glieder alle durch die persönliche Innewohnung des Heiligen Geistes mit dem Haupt verbunden sind, so folgt notwendig daraus, dass mein Wandel und Verhalten auf die übrigen Glieder Einfluss haben muss, ebenso wie alle Glieder des menschlichen Körpers es fühlen, wenn ein Glied leidet. Ist die Hand krank, so fühlt das auch der Fuß. Und woher kommt dies? Weil das Haupt es fühlt. Der Schmerz teilt sich zunächst dem Haupt und von dort aus den Gliedern mit.

Achan war nicht ein Glied eines Leibes, wie der Gläubige es ist; aber dennoch sehen wir, wie sein Verhalten die ganze Versammlung berührte. Dieses ist umso treffender, weil die Wahrheit von dem einen Leib noch nicht offenbart war. Diese konnte erst offenbart werden, nachdem das große Werk der Erlösung vollbracht war, das Haupt sich auf den Thron Gottes gesetzt und den Heiligen Geist hernieder gesandt hatte, um den Leib zu bilden. Wenn nun die verborgene Sünde Achans Einfluss hatte auf das fernste Glied der Gemeinde Israels, wie viel mehr, dürfen wir sagen, berührt die verborgene Sünde eines Gliedes am Leib Christi alle die übrigen Glieder. Möchte diese ernste Wahrheit stets vor unseren Augen und Herzen stehen!

Wir kommen jetzt zu der Art und Weise, wie die Sünde Achans enthüllt und ihm selbst vor Augen gestellt wurde. Auch dieses ist sehr ernst. Achan hatte wenig daran gedacht, wessen Auge auf ihm ruhte, als er seine Missetat, verborgen vor seinen Brüdern, ausführte. Er hatte jedenfalls geglaubt, dass alles in bester Ordnung sei, als er das Geld und den Mantel im Innern seines Zeltes verbarg. Unglücklicher, bedauernswerter Mann! Wie schrecklich ist die Sucht nach Geld, wie schrecklich die verblendende Macht der Sünde! Sie verhärtet das Herz, tötet das Gewissen, verfinstert den Verstand und verdirbt die Seele und brachte in dem vorliegenden Fall Trauer und Schmerz über sechshunderttausend Menschen.

„Und Jehova sprach zu Josua: Stehe auf! warum liegst du da auf deinem Angesicht?“ Alles hat seine bestimmte Zeit. Da ist eine Zeit, auf dem Angesicht zu liegen, und eine Zeit, auf den Füßen zu stehen – eine Zeit demütigen Niederbeugens und eine Zeit entschiedenen Handelns. Die unterrichtete Seele wird die richtige Zeit für beides kennen. „Israel hat gesündigt, und auch haben sie meinen Bund übertreten, den ich ihnen geboten habe ... Stehe auf, heilige das Volk und sprich: Heiligt euch auf morgen. Denn so spricht Jehova, der Gott Israels: Ein Bann ist in deiner Mitte, Israel, du wirst nicht vermögen, zu stehen vor deinen Feinden, bis ihr den Bann hinwegtut aus eurer Mitte.“ Das Volk Gottes, das seinen Namen trägt und seine Wahrheit bekennt, muss heilig sein und sich unbefleckt von der Welt erhalten; anders muss Er die Zuchtrute nehmen und ernstlich mit ihnen reden. „Und ihr sollt herzutreten am Morgen nach euren Stämmen; und es wird geschehen, der Stamm, den Jehova treffen wird, soll herzutreten nach den Geschlechtern, und das Geschlecht, das Jehova treffen wird, soll herzutreten nach den Häusern, und das Haus, das Jehova treffen wird, soll herzutreten nach den Männern“ (V 17).

Welch eine Aussicht für den armen, unglücklichen Achan! Er mochte vielleicht die Hoffnung hegen, unter den vielen Tausenden Israels zu entrinnen. Aber wie sehr täuschte er sich! Seine Sünde musste ihn finden. Dieselbe Gegenwart, welche persönliche Segnungen brachte, enthüllte auch mit erschreckender Treue die verborgensten persönlichen Sünden. Ein Entrinnen war unmöglich. Gott selbst brachte den Sünder ans Licht; Er zog ihn aus seinem Schlupfwinkel hervor, damit er die Strafe für seine Bosheit fände.

Wie wunderbar sind die Wege Gottes! Zunächst werden die Zwölf Stämme herbeigerufen, und der Stamm Juda wird durch das Los getroffen. Allein dieser Stamm war so zahlreich, dass nach menschlichen Begriffen immer noch ein Herausfinden des Täters höchst unwahrscheinlich war. Ja, bei Menschen war es unmöglich, aber nicht so bei dem allsehenden und allwissenden Gott, dessen „Augen die ganze Erde durchlaufen.“ „Und Josua ließ die Geschlechter Judas herzutreten, und es ward getroffen das Geschlecht der Serahiter.“ Der Kreis zieht sich immer enger zusammen; das Los Jehovas trifft mit untrüglicher Sicherheit. „Und er ließ das Geschlecht der Serahiter herzutreten, und es ward getroffen Sabdi.“ Immer näher kommt das Verhängnis. Die Familie ist bestimmt, und jetzt treten die Haushaltungen herzu, „nach den Männern.“ „Und es ward getroffen Achan, der Sohn Charmis, des Sohnes Sabdis, des Sohnes Serahs, vom Stamm Juda.“ So fand das durchdringende Auge Jehovas den Sünder unter sechshunderttausend Männern heraus und stellte ihn vor der ganzen versammelten Menge seines Volkes bloß. O, was wird während dieser Handlung in dem Herzen Achans vorgegangen sein! Wer könnte die Gefühle beschreiben, die den unglücklichen, schuldbewussten Mann bestürmt haben müssen, der, im Bewusstsein des ernsten Urteilsspruches Jehovas, die Möglichkeit des Entrinnens immer mehr schwinden sah? Der Herr hatte zu Josua gesagt: „Und es soll geschehen, wer getroffen wird mit dem Bann, der soll mit Feuer verbrannt werden, er und alles, was er hat, weil er den Bund Jehovas übertreten, und weil er eine Schandtat in Israel verübt hat“ (V 15).

„Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“ Er kann das Böse bei den Seinen nicht dulden. Dieses erklärt die ernste Szene vor uns. Der natürliche Verstand mag darüber nachgrübeln und sich verwundert fragen, wie denn das Wegnehmen einer geringen Menge Silbers und Goldes und eines Mantels aus der Beute einer eroberten Stadt solch schreckliche Folgen nach sich ziehen und eine so furchtbare Strafe auf den Schuldigen bringen konnte. Doch wir müssen uns erinnern, dass der natürliche Verstand ganz und gar unfähig ist, die Wege Gottes zu verstehen. Aber nicht allein das; wir können auch mit Recht fragen: Wie konnte Gott das Böse in seinem Volk gutheißen? Wie konnte Er damit vorangehen? Wenn Er im Begriff stand, Gericht über die sieben Völker Kanaans zu bringen, konnte Er da gleichgültig sein gegen die Sünde inmitten seines Volkes? Sicherlich nicht. „Dich allein habe ich gekannt von allen Geschlechtern der Erde, deshalb werde ich dich züchtigen für deine Ungerechtigkeiten.“ Gerade die Tatsache, dass Gott sich mit Israel verbunden hatte, war die Ursache, dass Er mit ihnen handeln musste in heiliger Zucht.

Es ist die größte Torheit, wenn der Mensch über die. Strenge des göttlichen Gerichts oder über den scheinbaren Mangel eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Sünde und der Strafe zu klügeln und zu rechten beginnt. All solches Klügeln ist falsch, ja schlecht und gottlos. Was war es, das Elend, Trauer, Armut, Krankheit, Schmerz und Tod in diese Welt hineinbrachte? Was war die Quelle aller dieser traurigen Erscheinungen? Nichts anders als jene kleinliche Sache – wie der Mensch es nennen würde – dass Eva von der verbotenen Frucht nahm und aß. Aber gerade diese kleine, geringfügige Sache war schrecklich in den Augen Gottes – sie war Sünde, Sünde wider Gott! Und was war nötig, um diese Sünde zu sühnen? Was steht ihr gegenüber als der einzig passende Ausdruck des Gerichts Gottes? Der Brand in dem Tal Achor, oder die ewigen Flammen der Hölle? O nein, etwas weit Höheres und weit Ernsteres! Das Kreuz des Sohnes Gottes! Der Tod Christi, dieses reinen und fleckenlosen Lammes! Der schreckliche Schrei aus der Tiefe seiner geängstigten Seele: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Daran möge sich ein jeder erinnern und aufhören, zu klügeln und mit Gott zu rechten (Schluss folgt).

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