Botschafter des Heils in Christo 1883

"Ich warte auf Christus"

„Ich warte auf Christus“, so sagt heute so mancher Christ. Aber ach! Wie sehr ist zu befürchten, dass dieses Warten bei vielen keine lebendige Wirklichkeit, kein herzerhebender Gedanke mehr ist! Wartest du wirklich auf Christus, mein lieber Leser? Wenn ich auf der Reise bin zur Heimat und mein Herz sehnt sich nach dem Anblick der Meinen, so bekümmert es mich wenig, ob ich unterwegs hie und da eine unbequeme Herberge finde. Vielleicht wünsche ich, dass sie besser sein möchte; aber ich bin nicht unglücklich darüber, weil ich weiß, dass ich nur wenige Tage bleiben und bald das ersehnte Ziel erreichen werde, wo die Liebe der Meinen mich alles erlittene Ungemach vergessen lässt.

Gehst du so durch diese Welt? Wartest du jeden Tag auf die Erscheinung unseres Herrn und Heilands Jesu Christi, des Sohnes Gottes vom Himmel, der uns dorthin führen wird, wo ein unverwesliches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil unser wartet, wo die Liebe eines Vaterherzens uns empfängt und der Herr uns für immer und ewig bei sich selbst haben wird? Nichts ist von größerer praktischer Wichtigkeit für unser Tagewerk und unseren Dienst hienieden, als ein stetes Warten auf den Sohn Gottes vom Himmel, ein unverrücktes Ausschauen nach dem hellen, glänzenden Morgenstern. Ist dies in Wirklichkeit bei uns vorhanden, so drückt es unserem ganzen Tun und Lassen, unserem Denken und Fühlen seinen Stempel auf und gibt unserem Leben einen ganz besonderen Charakter. Dasselbe wird dann zu einem Gegenstand, den Gott benutzt „zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi.“

Doch fragen wir uns aufrichtig: Welch eine Wirkung würde die Ankunft Christi auf unsere Seelen ausüben? Würde sie uns bereitfinden, um mit jubelndem Herzen aus einer Welt voll mannigfacher Versuchungen zu Ihm zu gehen, der uns zuerst geliebt und uns so teuer erkauft hat? Oder würde sie uns überraschen? Würde sie uns beschäftigt und verwickelt finden in allerlei Dinge, die wir dahinten lassen müssten? Was sind die Gefühle unseres Herzens, wenn von der Ankunft des Herrn Jesus die Rede ist? Wallt es über von Freude und Sehnsucht nach Ihm? Oder bleibt es kalt und unberührt? Jung oder alt – würde die Ankunft des Herrn uns in Verbindung finden mit Dingen, die wir über Bord zu werfen hätten? Oder mit diesem Gefühl: Er, auf den ich solange gewartet habe, kommt jetzt, um mich zu sich zu nehmen; alle Versuchungen, alle Herzensübungen haben jetzt ein Ende? Hierin liegt die Ursache des großen Unterschiedes zwischen den Christen. Ist die Erfüllung des Willens des Herrn der Zweck meines Lebens, das, was mein ganzes Tun und Lassen regiert, so werde ich hienieden die für mich notwendigen Übungen und Prüfungen erfahren, aber seine Ankunft wird dann auch für meine Seele nichts anders sein, als die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches. Er kommt, um mich zu sich zu nehmen. Nichts ist dann köstlicher für mich, als dieser Gedanke.

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