Betrachtungen über den Römerbrief
Botschafter des Heils in Christo 1882

Betrachtungen über den Römerbrief - Teil 4/8

Kapitel 5

Mit dem 17. Vers schließt der Zwischensatz, und der Apostel nimmt im 18. den im 12. Vers unterbrochenen Gedankengang wieder auf. Die Folgen des Sündenfalls Adams beziehen sich auf alle Menschen; ebenso bezieht sich durch das Werk Christi die freie Gabe auf alle Menschen. Das Evangelium kann also auf alle angewandt werden; es richtet sich an die ganze Welt, an alle Sünder. In Vers 19 haben wir die tatsächliche Anwendung. Durch den Ungehorsam eines Menschen befinden sich die vielen, die mit ihm in Verbindung sind, d. h. alle Menschen, in dem Zustand dieses einen, d. h. in einem sündhaften Zustand. Durch den Gehorsam eines Menschen befinden sich alle, die mit ihm in Verbindung sind, d. h. alle Christen, in der Stellung dieses einen, d. h. in der Stellung der Gerechtigkeit vor Gott. Adam war das Vorbild des zukünftigen Menschen. In dem Einen sind wir verloren gegangen, in dem Anderen sind alle, welche mit ihm verbunden sind, errettet, gerecht vor Gott. Die Schuld eines Menschen hängt davon ab, was er getan hat, sein wirklicher Zustand dagegen von dem, was der eine Adam getan hat. Adam und Christus sind die Häupter von zwei Geschlechtern; der Eine ist das Haupt eines sündhaften, der Andere das Haupt eines vor Gott gerechten Geschlechts, und hier sind das Leben und die Stellung unzertrennlich. Das Gesetz trat als Nebensache zwischen den ersten und zweiten Adam. Die Wurzel des gefallenen menschlichen Geschlechts war Adam, der erste Mensch. Das Haupt und die Lebenswurzel des gesegneten, erretteten Geschlechts ist Christus. „Das Gesetz aber kam daneben ein“, als der Maßstab dessen, wie es bei der gefallenen Menschheit hätte sein sollen, aber nie wirklich geworden ist. Das Gesetz war nie das Mittel des Lebens oder der Errettung, sondern die Regel dessen, was der Mensch hienieden hätte sein sollen, verbunden mit einer Verheißung des Lebens: „wer diese Dinge getan hat, wird durch sie leben“ (vgl. Gal 3,12); aber es gebot einem sündhaften Menschen, nicht zu sündigen! Sein Zweck war, wie der Apostel hier sagt, die Übertretung überströmend zu machen – nicht die Sünde, denn Gott kann nichts tun, um die Sünde zu vermehren; aber Er konnte eine Regel geben, als die Sünde schon da war, um die Früchte derselben ans Licht treten zu lassen. Obgleich also das Gesetz die vollkommene Regel für den Wandel eines Kindes Adams bildete, so war es doch tatsächlich stets eine Nebensache. Der Mensch war schon ein verlorener Sünder, und das Gesetz stellte die Frucht des faulen, verdorbenen Baumes aus Licht. Später werden wir finden, dass es noch mehr als dieses tat. An dieser Stelle aber wird uns nur gesagt, dass es die Übertretung überströmend machte. Wir erblicken wirklich die Wege Gottes im ersten wie im Zweiten Adam. Der Mensch war ein Sünder, ein verlorener Sünder – Christus ein Erretter. Als Beweis dessen, was der Mensch war, war das Gesetz nützlich, weil es die Gerechtigkeit von dem Menschen forderte nach dem Maß seiner Verantwortlichkeit. Der Zweck des Gesetzes nach der Regierung Gottes war, den eignen Willen des Menschen im Ungehorsam, in den Übertretungen offenbar zu machen, weil es ohne Gesetz keine Übertretung gibt. Das setzt aber, wie es auch im Gesetz selbst zu sehen ist, die Sünde voraus. Das Gericht Gottes wird ausgeübt nach der Verantwortlichkeit des Menschen, nach dem, was er getan hat, sei es ohne Gesetz oder unter dem Gesetz. Sein verlorener Zustand ist eine andere Sache. Verloren gegangen ist er in Adam; den Beweis dafür liefert die Welt in schrecklicher Weise, und ebenso sehr unsere eignen Herzen, wenn wir sie anders kennen. Der Ungehorsam des Einen hat allein den Zustand gebracht. Dieser Zustand ist nicht ein zukünftiges Gericht, sondern eine gegenwärtige Tatsache: wir sind in die Stellung von Sündern gesetzt. Die ganze Familie ist durch ihren Stammvater mit ihm in demselben Zustand: von Gott getrennt, ja vertrieben, in Feindschaft gegen Ihn, aus seiner Gegenwart ausgeschlossen und auch ohne Verlangen, in dieselbe einzutreten. Der Mensch zieht Vergnügungen, Geld, Eitelkeit, weltliche Macht, schöne Kleider, kurz alles und jedes, Gott vor, selbst wenn er darstellt als einen solchen, der glaubt, dass der Sohn für ihn in Liebe gestorben ist. Es gibt nur einen Gegenstand, der in der Welt unzulässig ist, nämlich Christus und die Offenbarung Gottes in Ihm, obwohl diese Offenbarung die Liebe ist. Durch den Ungehorsam des Einen sind die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt. Die wichtige Wahrheit also, die uns hier vor Augen gestellt wird, ist nicht die durch die schlechten Werke hervorgebrachte Schuld und die Gnade, wodurch dieselbe beseitigt worden ist, sondern der Zustand der gefallenen Kinder Adams, als allgemeiner Grundsatz. Dadurch (wird das Gesetz als Nebensache bei Seite gesetzt, obwohl es für das Gewissen des Juden gültig war und stets eine vollkommene Regel der menschlichen Gerechtigkeit bildete und diese Regel auch abgab, wo es, gestützt auf die Autorität Gottes, angewandt wurde) In Verbindung damit steht die Einführung einer neuen oder zweiten Wurzel der selig gemachten Menschen, und zwar in dem Auferstandenen, so wie Adam die Wurzel der gefallenen Menschen ist. Adam wurde erst dann die Wurzel eines Geschlechts, als er sündhaft geworden war, und Christus ist in der Tat nicht eher das Haupt der neuen Schöpfung gewesen obgleich (Gott durch seinen Geist von Anfang an wirksam war), als bis die göttliche Gerechtigkeit sich in seiner Verherrlichung erwiesen hatte. Erst als die Gerechtigkeit Gottes sich offenbart hatte – und zwar anwendbar auf uns, indem Christus verherrlicht wurde, nachdem Er unsere Sünden getragen und Gott vollkommen verherrlicht hatte, als Er zur Sünde gemacht worden war, – erst da ist Christus das Leben gebende Haupt des neuen, von Gott aufgenommenen Geschlechts geworden, und alles, von Anfang bis zu Ende, ist die Frucht der unermesslichen, unendlichen und unaussprechlichen Gnade Gottes. Die Gnade herrscht, aber weil sie auf das Werk Christi gegründet ist, so herrscht sie durch die Gerechtigkeit. Das Ziel ist das ewige Leben, und zwar in seinem vollen und wahren Charakter nach dem Ratschluss Gottes, in der Herrlichkeit, in welche Christus, dieser Gerechtigkeit nach, als Mensch schon eingegangen ist. Die Gerechtigkeit herrscht noch nicht; sie wird herrschen am Gerichtstag. Dann aber wird die menschliche Gerechtigkeit, nämlich das, wozu der Mensch verpflichtet war, den Maßstab des Gerichts bilden; der Mensch wird dann gerichtet werden nach den Pflichten, die ihm gegen Gott und seinen Nächsten, nach dem Recht Gottes, auferlegt waren. Die Urquelle des Heils für den Menschen aber ist die Gnade, weil Gott die Liebe ist und wir Sünder sind; denn die Gnade ist die Ausübung der Liebe gegen die, welche kein Verdienst, keine Würdigkeit besitzen. Und darin hat sich die Liebe offenbart, so dass die Engel sie kennen lernen müssen aus den Wegen Gottes gegen uns. Gott ist aber auch gerecht und muss die Gerechtigkeit aufrecht halten, und seine Heiligkeit kann die Sünde nicht für immer in seiner Gegenwart dulden. Dass alle Menschen unter der Sünde liegen und schuldig sind, hat Er bewiesen, und dann ist Er wirksam gewesen nach seiner unumschränkten Liebe, nicht allein um Sünden zu vergeben wovon (wir schon gesprochen haben), sondern um eine ganz neue Stellung zu bereiten, nach seinem ewigen Ratschluss und für seine ewige Verherrlichung, nach dem, was Er ist in seinem Wesen. Die Ausführung dieses Ratschlusses, und zwar kraft des Werkes Christi nach seiner vollkommenen Gerechtigkeit, ist der Ausdruck und die Offenbarung seiner unendlichen Liebe. Die Liebe hat sich darin offenbart, dass Er seinen Sohn gesandt und Ihn für uns in Tod und Fluch dahingegeben hat. Die Gerechtigkeit ist darin offenbart, dass Er Christus, der Ihn vollkommen verherrlicht hatte, als Mensch zu seiner Rechten in die göttliche Herrlichkeit gesetzt hat, in die Herrlichkeit, welche Er als Sohn Gottes mit dem Vater schon vor Grundlegung der Welt besaß, die Er aber als Menschensohn verdient hat, so dass die göttliche Gerechtigkeit Ihm diesen Platz notwendigerweise geben musste. Und wir haben Teil an dieser Herrlichkeit Gottes, weil das Werk, durch welches Gott vollkommen verherrlicht worden ist, zugleich für uns vollbracht wurde. Wir sind ein Teil der Herrlichkeit Christi in der Ewigkeit. Er würde nicht die Frucht der Mühsal seiner Seele sehen, wenn Er seine Erlösten nicht bei sich in der Herrlichkeit hätte. Kapitel 6

Aber das Fleisch, das seine Gerechtigkeit haben will, und die Welt, die sich als Hüterin der Sittlichkeit darstellt, bringen hier – um der Wahrheit und der Gnade, welche die Menschen als durch die Sünde verloren hinstellen, Widerstand zu leisten – einen Einwand vor. Sie sagen: wenn wir durch den Gehorsam des Einen in die Stellung von Gerechten gesetzt sind, so ist es also gleich, ob wir gehorsam oder ungehorsam sind. Dieser Einwand beweist nur, dass der, welcher ihn macht, nichts von der Wahrheit kennt, dass er von seinem schon verlorenen Zustand gar nichts versteht, noch von dem neuen Leben, welches der Glaubende empfangen hat und das, weil es von Gott ist, die Sünde nicht ertragen kann.

Beachten wir hier, welch wichtige Wahrheiten die Veränderung des Grundes, auf dem das Verhältnis des Menschen zu Gott beruht, in sich schließt. Der Wendepunkt ist das Kreuz, der Tod Christi. Der alte Mensch, das Geschlecht Adams, ist geprüft worden ohne Gesetz, unterm Gesetz, und dann unter der Offenbarung der Gnade und der Wahrheit, als der Sohn Gottes als Mensch in dieser Welt war. Gott selbst war gekommen, offenbart im Fleisch, nicht um die Sünden zuzurechnen, sondern „die Welt mit sich selbst versöhnend“; und wenn die Segnung des Geschlechts des ersten Adam möglich gewesen wäre, so hatte sie damals stattfinden müssen. Aber sie war unmöglich. Man spricht viel von einem Anknüpfungspunkt, den Gott in dem Menschen finde; aber selbst der in Gnade und Wahrheit offenbarte Gott fand keinen. Im Gegenteil; der Tod Christi ist der tatsächliche, bestimmte und entscheidende Bruch zwischen dem Menschen und Gott. Nicht allem war der Mensch ohne Gesetz unter der Sünde, nicht allein war er unter dem Gesetz in offenem Ungehorsam gegen dasselbe, sondern er wies auch die in Christus erschienene Gnade Gottes durch seine Verwerfung zurück. Der Herr sagt (Joh 12,31), wenn Er von seinem Tod spricht: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt“, und in Johannes 15,24: „Sie haben gesehen und gehasst beide, mich und meinen Vater.“ Daher wird in Hebräer 9,26 gesagt: „Er ist einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden.“ Das Kreuz war moralischerweise das Ende der Menschheit. Doch wurde zu derselben Zeit und in derselben Tatsache, in dem Tod Christi, der Grund der neuen Schöpfung nach der Gerechtigkeit Gottes gelegt. Dieselbe Tatsache, die von Seiten Gottes mit dem ersten Adam ein Ende gemacht hat, indem sein Geschlecht den Sohn Gottes verwarf, hat auch den Grund gelegt für den neuen Zustand der Menschheit im zweiten Adam. Christus war am Kreuz zur Sünde gemacht – die Sünde wurde dort gerichtet, und der alte Mensch für immer beseitigt. Jetzt ist der Zugang zu Gott durch den Glauben möglich gemacht; in der Auferstehung ist das neue Leben, selbst dem Körper nach, wirklich ans Licht gebracht, und der zweite Mensch hat seinen Platz in der Herrlichkeit eingenommen. Wie der erste Mensch aus dem Garten vertrieben wurde, um dann die Wurzel eines sündhaften und verlorenen Geschlechts zu werden, so ist der zweite Mensch in das himmlische Paradies eingegangen als Wurzel und Haupt des erretteten Geschlechts, als die Gerechtigkeit Gottes, die für die Menschen gültig ist, und so sind das Leben und die Gerechtigkeit untrennbar geworden. Die Vergebung durch das Blut Christi ist der stärkste Beweggrund für einen aufrichtigen Wandel; die Auferstehung Christi vereinigt in sich die Gerechtigkeit und das Leben. Es ist eine „Rechtfertigung des Lebens“ (Kap 5,18).

In dem Brief an die Römer wird die Wahrheit, dass wir mit Christus auferstanden sind, nicht weiterentwickelt. Von dem Anteil, den wir an seinem Tod und seiner Auferstehung haben, wird nur gesagt, dass wir uns durch den Glauben der Sünde für tot halten, dass der verherrlichte Christus unser Leben und der Heilige Geist uns geschenkt ist.

Wenn wir also durch den Gehorsam des Einen in die Stellung von Gerechten gesetzt sind, und wenn da, wo die Sünde überströmend war, die Gnade noch überschwänglicher geworden ist, sollten wir dann in der Sünde verharren, auf dass die Gnade überströme? „Das sei ferne!“ sagt der Apostel. Doch stellt er uns in seiner Antwort auf diese Frage nicht von neuem unter das Gesetz. Das würde nichts anderes gewesen sein, als den alten Menschen, das Fleisch, anzuerkennen, und nachdem wir schon verloren gegangen sind, die Verantwortlichkeit und die Verdammnis von neuem hervorzubringen; denn das Fleisch ist dem Gesetz nicht untertan, es vermag es auch nicht. Die Antwort des Geistes weist vielmehr auf den Tod Christi hin; alles aber, was Er getan hat, ist für uns gültig. Der alte Mensch hat sich erwiesen als unveränderlich schlecht, und zwar hat sich dieses im Tod Christi gezeigt. Ich, der ich mit Ihm gekreuzigt bin, kann jetzt unmöglich denselben Menschen, der Christus getötet hat, anerkennen. Ich bin zu Christus gekommen, weil der Mensch (ich selbst in meinem alten Zustand) cm solcher war, und weil ich jetzt ein neues Leben empfangen habe: Christus, den aus den Toten Auferstandenen. Doch dies müssen wir etwas näher betrachten.

Indem wir auf Christus Jesus getauft worden sind unser (wahres Glaubensbekenntnis), sind wir nicht getauft worden auf einen Christus, den die Welt angenommen hat, oder der einen Anknüpfungspunkt in dem ersten Adam fand. Im Gegenteil; die Welt, der Mensch, hat Ihn ganz und gar zurückgewiesen und von der Erde vertrieben, und auf diese Weise zeigte es sich, wie schon gesagt, dass eine Vereinigung zwischen Gott und dem Menschen, als Kind Adams, völlig unmöglich war. Da hat denn Gott von neuem angefangen: wir sind neu geboren. Christus hat, Gott sei Dank! als Verworfener das Versöhnungswerk vollbracht; Er hat die Rechtfertigung, die Vergebung und die Herrlichkeit erworben für die, welche an Ihn glauben. Er ist aber der zweite Mensch, und in Ihm befindet sich der Mensch in einer ganz neuen Stellung vor Gott, sowie in einem ganz neuen Zustand. Ein auferstandener Christus ist unser Leben, ein auferstandener Christus unsere Gerechtigkeit; der alte Mensch ist für immer verdammt. Wer Christus besitzt als sein Leben, hat Teil an allem diesem, weil Er Teil hat an seinem Tod und an seiner Auferstehung. Im Römerbrief wird nur der erste Teil entwickelt: wir sind mit Ihm tot, starben mit Ihm. Wohl wird Er auch als unser Leben dargestellt, aber unsere Auferstehung mit Ihm wird nicht behandelt, weil der Heilige Geist hier die Christen als auf der Erde lebende Menschen betrachtet. Christus ist gestorben und auferstanden; wir sind auf seinen Tod getauft. Wir haben Teil an seinem Tod, indem Er unser Leben ist. Der, welcher mein Leben ist, starb, und Er starb der Sünde. Ihn allein erkenne ich als mein Ich an, und als dieses neue Ich halte ich mich dem alten Ich für tot. Diesem neuen Leben nach bin ich Gott lebend, aber in Betreff meines alten Menschen mit Christus gestorben; wie sollte ich das Leben des alten Menschen noch leben, wenn ich als solcher gestorben bin? Deshalb, begraben mit Christus durch die Taufe auf den Tod, geziemt es uns, in Neuheit des Lebens zu wandeln. Wenn wir Teil haben an seiner Stellung, als tot der Sünde, so werden wir auch Teil haben an seiner Auferstehung. Der Apostel sagt nicht, dass wir daran Teil haben, sondern Teil haben werden. Dieses Auferstehungsleben wird in der Herrlichkeit vollendet sein, drückt sich aber schon jetzt in einem neuen Wandel aus, ebenso wie sich die Kraft des Lebens Christi, welche auf bestimmte Weise in seiner Auferstehung zu Tage trat, auch in seinem Wandel auf der Erde wirklich offenbart hat. „Indem wir dieses wissen“, sagt der Apostel (V 6), „dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei“, (d. h. auf dass die Sünde in uns als ein Ganzes vernichtet sei) „dass wir der Sünde nicht mehr dienen. Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen (oder gerechtfertigt) von der Sünde.“ Doch dies erfordert eine nähere Auseinandersetzung.

Zunächst muss betont werden, dass der Christ nicht noch erst der Sünde sterben muss, sondern dass er gestorben ist, indem er mit Christus gekreuzigt ist. Weil er nun Christus als Leben bekommen hat, so halt er den alten Menschen für tot. Es sind nicht einzelne Sünden oder Lüste allein, wovon er befreit worden ist, sondern der ganze alte Mensch ist beseitigt, tot, und für tot zu halten durch den Glauben, der nach dem neuen Menschen tätig ist. Wohl ist die Natur des alten Menschen noch in uns vorhanden; unser Gestorbensein mit Christus hat nicht seine Abwesenheit von unserem Wesen zur Folge; aber er herrscht nicht; „dass wir der Sünde nicht mehr dienen.“ Es ist gar nicht nötig, auch nur einen schlechten Gedanken zu haben, obwohl die Natur, aus welcher dieselben hervorgehen, immer noch vorhanden ist; aber wir dienen dieser Natur in keinem Stück, selbst nicht in Gedanken, wenn das neue Leben und die Kraft des Heiligen Geistes in uns wirksam sind. Der Christ ist befreit, nicht weil seine Sünden für immer vergeben sind, sondern weil er der Sünde tot ist, mit Christus gekreuzigt. Er ist, als gestorben mit Christus, gerechtfertigt von der Sünde, eben weil er tot ist; aber er ist auch lebendig in Christus. Es ist nicht mir wahr, dass die Sünde nicht mehr herrscht, sondern der Christ ist auch frei, sich hinzugeben; er besitzt eine neue Natur, ein neues heiliges Leben. Wem aber wird er sich nun hingeben? – Der Gerechtigkeit und Gott. Diese Hingabe der Seele ist nicht Sache des Sünders, wie dies sehr oft fälschlich behauptet wird, sondern der befreiten Seele. Der Christ, indem er gereinigt, gerechtfertigt, der Liebe und Gunst Gottes versichert ist und durch das Blut Christi ein vollkommen gemachtes Gewissen besitzt, indem ihm keine Sünde mehr zugerechnet wird – ist frei, freimütig vor Gott. Derselbe Schlag, der den Vorhang zerriss, schaffte auch alle seine Sünden hinweg. Durch den zerrissenen Vorhang strahlt jetzt das Licht Gottes unverhüllt auf ihn, um zu zeigen, dass seine Kleider weiß sind, wie Schnee. Er ist frei von der Kraft der Sünde, weil Christus sein Leben ist, und, mit Christus gekreuzigt und jetzt durch Ihn allein lebend, hält er sich in Betreff des Fleisches für tot. Er ist frei vor Gott und auch frei von der Sünde. In dieser Freiheit gibt er sich Gott hin.

So gewinnt das neue Leben, das also mit Gott wandelt, schon etwas auf dem Weg: wir haben Früchte, noch ehe wir die Herrlichkeit erreichen, und diese Frucht ist die Heiligkeit. Gesegnete Frucht! Zunächst der Natur Gottes teilhaftig gemacht, wachsen wir auch in praktischer Gemeinschaft mit Gott dadurch, dass die Heiligkeit in uns wächst. Dieses Wachstum hebt die Wahrheit nicht auf, dass die neue Natur, die wir empfangen haben, in sich selbst vollkommen ist. Wir gehören ganz und gar Gott an, sind um einen Preis erkauft, von der Sünde und der Welt abgesondert. Wir gehören Gott an nach dem Wert des Opfers Christi, nach der neuen Natur und nach der Kraft des Heiligen Geistes. Dem inwendigen Menschen nach gehören wir schon zu der neuen Schöpfung, obgleich wir „diesen Schatz in irdenen Gefäßen haben.“ – Wir sind in Christus und sind in Ihm vollkommen angenommen. Er ist unsere Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit, die passend ist für die Herrlichkeit, denn Er ist in der Herrlichkeit nach dieser Gerechtigkeit. Aber Er ist auch in uns, als unser Leben und nach der Kraft des Geistes. Dieses Leben ist in sich selbst vollkommen und kann nicht sündigen; doch müssen wir auch einen objektiven Gegenstand der Heiligung haben. Deshalb nimmt der Heilige Geist das, was in Christus ist, und offenbart es uns; ja Er offenbart uns alles, was droben ist, wo der Christus und wo auch der Vater ist. Dadurch wachsen wir in objektiver Weise in dem, was himmlisch ist, werden von der Welt entwöhnt, wohnen im Geist in den himmlischen Örtern, genießen die Liebe des Vaters und werden so in praktischer Hinsicht heilig.

Wir sind geheiligt nach dem Ratschluss Gottes des Vaters durch das Opfer Christi, durch sein Blut; wir sind es dem Wesen nach, weil wir eine neue Natur, ein neues Leben besitzen; wir sind es durch die Gegenwart und die Wirkung des Heiligen Geistes, und wir können hinzufügen, durch das Wort Gottes. Die Heiligung des Geistes ist gewirkt dadurch, dass wir aus Gott geboren sind. Wir müssen aber, wie gesagt, einen Gegenstand haben, und die geistliche Natur, das Leben, welches wir empfangen haben, ist fähig, diesen Gegenstand – Gott selbst – zu genießen. Der Heilige Geist teilt uns durch das Wort die Gegenstände mit, die heilig und göttlich sind. Wir sind durch das Wort zunächst neu geboren worden mittels des Glaubens, dann werden wir durch dasselbe ernährt, und das Herz wird gereinigt, ebenfalls mittels des Glaubens, und zwar das Eine wie das Andere durch die Offenbarung Christi im Herzen. „Heilige sie durch die Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit. Und ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit“ (Joh 17,17.19).

Wenn wir genau sein wollen, so können wir nicht sagen, dass der neue Mensch, das Leben, welches wir von Gott empfangen haben, geheiligt wird; denn das neue Leben selbst ist heilig, und indem wir es empfangen haben, sind wir für Gott geheiligt; daher werden die Gläubigen in den apostolischen Briefen Heilige genannt. Die Heiligkeit ist aber in uns eine beziehungsweise, d. h. sie bezieht sich auf Gott, weil wir nicht unabhängig sein können. Ohne Zweifel ist dadurch in uns ein wirklicher Zustand hervorgebracht; aber wir sind nicht heilig als Unabhängige, denn für eine Kreatur ist es Sünde, unabhängig zu sein, sie kann auch nicht wirklich unabhängig sein. Also ist die Heiligkeit in uns objektiv; dies ist ein wichtiger Grundsatz.

Alles, was der Heilige Geist uns offenbart hat: die Liebe des Vaters und des Christus, die Heiligkeit Gottes, die Vollkommenheit Christi, seine Person, die uns geschenkt und für uns hingegeben ist, seine gegenwärtige Verherrlichung im Himmel – alles dieses wirkt in uns und bildet das Herz, die Gedanken, den inneren und dadurch auch den äußeren Menschen nach dem Gegenstand, den wir anschauen. Alles, was Christus getan und gelitten hat, hat seinen Anteil daran; nicht allein, weil sein Wandel und seine Handlungen ein Muster für uns sind, sondern weil sie das Herz für Ihn einnehmen. Die Liebe des Herzens ist mit Christus und mit seiner Vollkommenheit beschäftigt, und Er erfüllt unsere Herzen. Das ist Heiligung; denn dies erfüllt auch das Herz des Vaters. „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse“ (Joh 10,17). Der Vater schätzt, was Christus getan hat und was Er war in diesem seinem Tun. Und es ist für uns getan worden! Wir haben heilige Gedanken, weil wir lieben und schätzen, was Er getan hat und was Er war. Dadurch ist die Gesinnung in uns, die in Christus war. Es ist eine Seite des christlichen Charakters.

Doch wird die Kraft der Heiligung besonders durch das Anschauen der Herrlichkeit Christi bewirkt. Wohl wird das Herz ernährt durch alles, was Er hienieden war: wir essen sein Fleisch und trinken sein Blut, genießen auch das Brot, das aus dem Himmel herniedergekommen ist; doch was uns nach seinem Bild verwandelt (2. Kor 3,18; 1. Joh 3,2–3), ist die Herrlichkeit, in welcher Er jetzt wohnt. Diese Herrlichkeit anschauend, werden wir in dasselbe Bild verwandelt. Die Herrlichkeit Christi bewirkt in uns die Energie des Lebens, indem wir alles andere nur für Verlust achten. Das Leben und die Leiden Christi nehmen das Herz für Ihn ein (Siehe Phil 3 und 2).

Er hat sich selbst um unsertwillen geheiligt, auf dass wir durch das Wort geheiligt würden. Wunderbare Gnade! Wunderbare Verbindung! Dies trennt uns von der Welt, verbindet uns mit dem, was himmlisch ist, und führt uns zur Ähnlichkeit mit dem Himmlischen. Das Ende ist das ewige Leben in dieser Herrlichkeit selbst, nachdem auch unser irdisches Gefäß in das Bild dieser Herrlichkeit umgewandelt sein wird.

Bezüglich der Heiligkeit werden wir ferner in Hebräer 12,10 belehrt, dass die Zucht Gottes den Zweck hat, uns seiner Heiligkeit teilhaftig zu machen. In dieser Stelle entdecken wir nicht allein die unaufhörliche Fürsorge Gottes, sondern lernen auch den köstlichen Charakter dieser Heiligkeit verstehen.

Wir haben den Tod verdient, als den traurigen Lohn für traurige Arbeit; das ewige Leben, die Gabe Gottes, ist uns durch Jesus Christus, unseren Herrn, zu Teil geworden; das ist lauter Gnade. Wer konnte uns anders Leben, ewiges Leben, göttliches Leben geben, als Gott allein? Christus selbst ist dieses Leben, vom Vater in die Welt gesandt und hier in der Menschheit offenbart; wer jetzt „den Sohn hat, hat das Leben“; „wer an Ihn glaubt, hat das ewige Leben“ (1. Joh 1,1–2; 5,12; Joh 3,36). Obgleich in der letzteren Stelle mehr auf das Resultat in der Herrlichkeit hingedeutet wird, weil das ewige Leben im Ratschluss Gottes vollkommene Gleichheit mit Christus in der Herrlichkeit bedeutet, so ist es uns nichtsdestoweniger schon gegeben als Leben, wenn wir auch noch nicht in der Herrlichkeit sind. Es ist wichtig für uns zu bemerken, dass es die Gabe Gottes ist. Den Tod hatte der Mensch für sich erworben durch die Sünde; das Leben, das ewige Leben, worin wir fähig sind, Gemeinschaft mit Gott zu haben, muss Gott geben. Dieses Leben ist Christus selbst (1. Joh 1). Er ist das Leben, das bei dem Vater war und herniedergekommen ist. In Ihm war das Leben; wer den Sohn hat, hat das Leben, und dieses Leben wird bald in der Herrlichkeit völlig offenbart werden. Das ist der Grundsatz der neuen Stellung. Wir sind mit Christus der alten Stellung gestorben, und Christus ist unser Leben geworden (Fortsetzung folgt).

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