Der Unterschied zwischen dem Ratschluss Gottes und den Wegen seiner Regierung - oder Stellung und Verantwortlichkeit
Botschafter des Heils in Christo 1882

Der Unterschied zwischen dem Ratschluss Gottes und den Wegen seiner Regierung - oder Stellung und Verantwortlichkeit - Teil 5/5

Das Verharren in einem schlechten Zustand, während man sich der Befreiung rühmt, muss stets das Gericht des Herrn nach sich ziehen; denn es steht geschrieben, dass „der Herr Rächer ist über dies alles“ Und wenn wir uns auch nicht gerade solch offenbarer Sünden schuldig machen, auf welche selbst ein Unbekehrter mit Verachtung blickt, so dürfen wir doch nicht denken, dass wir den Züchtigungen des Herrn entgehen werden, wenn wir Härte, Neid, Eitelkeit, Hochmut, Geiz, Habsucht und dergleichen traurige Dinge in unseren Herzen nähren. Der Herr kann – denn Er ist heilig – das Böse bei den Seinen ebenso wenig dulden, wie bei den Ungläubigen; und deshalb hat das Gericht am Haus Gottes angefangen (1. Pet 4,17). Gott erwartet, dass wir unserer Stellung in Christus gemäß in Übereinstimmung mit seiner Natur wandeln. Dies ist und bleibt das Maß unserer Verantwortlichkeit, und Gott kann nach seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit dieses Maß nicht beschränken. Er kann Geduld und Nachsicht haben mit unserer Unwissenheit und Schwachheit, aber Er erwartet, dass wir das Böse in uns selbst richten; wenn wir dies unterlassen, so muss Er es tun. Woher kommen die ernsten Züchtigungen in so manchen Familien der Gläubigen? Sie sind in vielen Fällen der Beweis, dass ein böser, ungerichteter Zustand in den Herzen vorhanden ist. Wir finden ein treffendes Beispiel von diesen ernsten Wegen des Herrn mit den Seinen in dem Propheten Haggai. Das Volk hatte abgelassen vom Bauen des Hauses Gottes und stattdessen angefangen, seine eignen Häuser zu bauen. „So spricht Jehova der Heerscharen: Richtet euer Herz auf eure Wege. Steigt auf das Gebirge und bringt Holz herbei und baut das Haus, und ich werde Wohlgefallen daran haben und verherrlicht werden, spricht Jehova. Ihr seht euch um nach vielem, und siehe, es ist wenig, und wenn ihr es ins Haus bringt, so blase ich es an. Warum das? spricht Jehova der Heerscharen. Meines Hauses halben, das wüste ist, während ihr lauft, ein jeglicher für sein eigenes Haus. Darum verhalten die Himmel ihren Tau, und das Land verhält seinen Ertrag. Und ich habe eine Dürre gerufen über das Land ..“ (Hag 1,5–11).

Indessen dürfen wir nicht vergessen, dass Gott Licht und Liebe ist. Wenn Er harte Wege mit den Seinen gehen muss, so sind und bleiben diese trotzdem die Gegenstände seines Ratschlusses, seiner Wonne und Liebe in Christus. Gerade weil sie dieses sind, geht Er solche Wege mit ihnen. Er hat ihre Glückseligkeit im Auge – eine Glückseligkeit, welche seiner unmittelbaren Nähe und der innigen Gemeinschaft mit Ihm entspringt, deren wirklicher Genuss daher eine praktische Übereinstimmung mit seiner Natur voraussetzt. Seine Wege stehen deshalb nicht nur in vollkommenem Einklang mit seinem Ratschluss, sondern haben auch einen vierfachen Zweck, nämlich erstens: die Aufrechthaltung des Zeugnisses seiner Ehre, Helligkeit und Majestät, zweitens das Zeit und Glück der Seinen, drittens ihre praktische Reinigung und viertens ihre Bewahrung. Die Züchtigungen bewirken daher, wenn sie ihren Zweck bei uns erreichen, zunächst eine heilige Furcht, indem sie uns fühlen lassen, wer der Gott ist, mit dem wir es zu tun haben. „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“; und wir sind ermahnt, „die Gnade fest zu halten, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mit Ehrfurcht und Frömmigkeit“ (Heb 12,28–29). Wir sollten stets in dieser Furcht Gottes wandeln, in dem Bewusstsein, dass wir es mit einem heiligen Gott zu tun haben, vor dessen Augen alles bloß und aufgedeckt ist. „Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht“ (1. Pet 1,17). „Die Furcht ist der Weisheit Anfang.“ In diesem Sinn ist die Furcht immer gut. „Glückselig der Mensch, der sich immer fürchtet; wer aber sein Herz verhärtet, wird ins Unglück fallen“ (Spr 28,14). In dem Fall von Hananias und Saphira sehen wir, dass die Züchtigung ihren Zweck bei der Versammlung erreichte: „Und es kam große Furcht über alle, die es hörten ... und es kam große Furcht über die ganze Versammlung und über alle, die dies hörten“ (Apg 5).

Aber leider können die Zustände so ungeistlich sein, dass die Züchtigung nicht einmal verstanden wird. So musste der Apostel die Versammlung in Korinth daran erinnern: „Deshalb sind viele unter euch schwach und krank und ein gut Teil entschlafen“ (1. Kor 11,30). Mancher Gläubige wird gezüchtigt, ohne nur daran zu denken, dass es eine Züchtigung vom Herrn ist, indem er den Grund derselben in den Umständen, anstatt in seinem Herzen sucht. Einem solchen gilt die Ermahnung: „Mein Sohn, achte nicht gering des Herrn Züchtigung.“ Andererseits liegt die Gefahr nahe, an der Liebe des Herrn zu zweifeln, wenn wirklich verstanden wird, dass es seine Hand ist, die da schlägt. Darum lesen wir weiter: „noch ermatte, wenn du von Ihm gestraft wirst; denn wen der Herr liebt, den züchtigt Er“ (Heb 12,5–6). Selbst wenn Gott die Seinen züchtigt, so tut Er es immer als Vater – in diesem köstlichen Namen, dem Ausdruck unseres innigsten Verhältnisses zu Ihm, dem Inbegriff all seiner zärtlichen Zuneigungen und vollkommenen Liebe zu uns. Und diese Liebe ist es, die den unter seinen Schlägen Gebeugten mit unwiderstehlicher Macht anzieht und ihn nötigt, die Hand zu küssen, welche ihn schlägt. Zugleich aber reinigt sie uns, damit wir dieses köstliche Verhältnis zu Ihm, ja Ihn selbst genießen können. Er „züchtigt uns zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden.“ Wie gesegnet sind die Wege des Herrn, selbst wenn sie hart und ernst erscheinen! Aber nicht nur sind wir, also gereinigt, praktisch fähig gemacht, seine Gemeinschaft zu genießen, sondern auch in den Stand gesetzt, mehr Frucht zu bringen. Das Herz ist wiederhergestellt und glücklich und findet seine Freude darin, Gott zu dienen, und also ist der Zweck der Wege Gottes erreicht. „Und jegliche Rebe, die Frucht bringt, die reinigt Er, auf dass sie mehr Frucht bringe“ (Joh 15,1).

Indessen sind die Züchtigungen nicht immer die unmittelbaren Folgen eines schlechten Zustandes oder begangener Untreuen, sondern oft auch in der Hand des Herrn ein Mittel zur Bewahrung. So kann es sein, dass der Herr selbst mit solchen tiefe und ernste Wege geht, deren Zustand ein guter und deren Wandel ein treuer genannt werden kann. Aber Er sieht drohende Gefahren für sie voraus, von denen sie vielleicht keine Ahnung haben mögen. Sie finden daher diese Wege oft unbegreiflich und umso unerträglicher, je beharrlicher der Herr, trotz all ihrem Bitten und Flehen, mit ihnen darin vorangeht. Nichtsdestoweniger müssen sie später erkennen, dass dieser scheinbaren Härte des Herrn nur seine unendliche Liebe zu Grund lag, welche sie mittels jener ernsten und unbegreiflichen Wege an ungeahnten Abgründen vorüber führte und deshalb auch ihrem Bitten und Flehen kein Gehör schenken konnte. Ein treffendes Beispiel von diesen Wegen der unerforschlichen Weisheit und Liebe des Herrn finden wir in der Geschichte seines treuen Dieners Paulus. Er konnte demselben, trotz seiner Ergebenheit, den Dorn im Fleisch nicht ersparen, da Paulus sich anders in Folge der hohen Offenbarungen überhoben haben würde (2. Kor 12). Bei Hiob sehen wir etwas Ähnliches; jedoch handelte es sich bei ihm mehr um Reinigung. Gott wollte ihn mehr segnen, und deshalb musste Er ihn mittelst ernster Züchtigungen von seiner eigenen Gerechtigkeit reinigen.

Von welcher Seite wir die Wege des Herrn mit den Seinen auch betrachten mögen, so haben sie doch immer denselben Zweck und das gleiche Resultat: das Heil, das Glück und die Segnung der Gläubigen. Dieses Resultat steht mit seinem Ratschluss in vollkommenem Einklang und wird zurzeit der Erfüllung des letzteren in einem Licht gesehen werden, welches die Herzen aller Erlösten zu Lob und Preis und Anbetung stimmen wird. Sie werden alsdann erkennen, dass die Wege, welche der Herr einen jeden von ihnen geführt hat, nötig und passend, und dass gerade die schwersten die gesegnetsten für sie waren.

Indessen sind dieses noch nicht die einzigen Ergebnisse der Wege des Herrn. Obgleich es nach dem Ratschluss Gottes eine Herrlichkeit gibt, die allen Gläubigen gemeinsam ist, so hat Er nach den Wegen seiner Regierung doch noch für einen jeden, je nach der Treue seines Wandels, eine besondere Belohnung. Diese Wahrheit wird von vielen Christen übersehen oder wenigstens nicht nach der Wichtigkeit beachtet, welche ihr das Wort Gottes beilegt. Aber gerade diese Wahrheit ist es, welche unseren Weg durch die Wüste so wichtigmacht, und worin sich die Wege Gottes von seinem Ratschluss unterscheiden. Während es im Blick auf die Herrlichkeit, welche Gott für alle die Seinen vor Grundlegung der Welt bestimmt und bereitet hat, keinen Unterschied geben wird, wird in anderer Beziehung ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen bestehen. Paulus zum Beispiel wird eine viel höhere Belohnung haben, als wir, nach dem Maß er viel mehr gearbeitet hat und weit treuer und aufopfernder gewesen ist, als wir. Der eine Knecht wird über zehn, der Andere über fünf Städte gesetzt werden (Lk 19). „Ein jeder aber wird seinen eignen Lohn empfangen nach seiner eignen Arbeit“ (1. Kor 3,8). Man wird vielleicht einwenden, dass sich diese Stellen nur ans die Arbeiter im Werk des Herrn beziehen. Allerdings; aber sie zeigen Ans, dass es eine besondere Belohnung gibt, die von der allen Gläubigen gemeinsamen Herrlichkeit verschieden ist, indem sie einem jeden nach dem Maß seiner „eignen Arbeit“ zuteilwird, während jene Herrlichkeit ausschließlich auf die unumschränkte Gnade gegründet ist.

Andre Stellen zeigen uns deutlich, dass jeder Christ berufen ist zu dem Vorrecht, dem Herrn zu dienen und für Ihn zu arbeiten. Es kommt hierbei gar nicht darauf an, in welchem Verhältnis oder in welcher Stellung wir uns befinden. Wir haben überall zu dienen, ein jeder in seinem besonderen Wirkungskreis und nach seiner besonderen Befähigung. Die Thessalonicher waren von den Götzenbildern zu Gott bekehrt worden, „um zu dienen dem lebendigen und wahren Gott“ (1. Thes 1,9). Und in Kolosser 3,23–24 lesen wir, dass der Apostel die Knechte ermuntert: „Alles, was ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisst, dass ihr vom Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes; ihr dient dem Herrn Christus.“ Der Herr will jegliche Arbeit, die ein Christ tut, sei es als Knecht oder Herr, als Mann oder Weib, als Jüngling oder Greis, sei es in einer niedrigen oder in einer hohen Stellung, als einen Ihm erwiesenen Dienst betrachten, vorausgesetzt natürlich, dass sie für Ihn wirklich getan wird. Und jeden Dienst, wie geringfügig und unscheinbar er auch in den Augen der Menschen sein mag, will Er belohnen. „Und wer irgendeinen dieser Kleinen nur mit einem Becher kalten Wassers tränken wird in eines Jüngers Namen, wahrlich, ich sage euch, er wird seinen Lohn nicht verlieren“ (Mt 10,41–42). Ohne Zweifel bedürfen wir für jeden, auch den geringsten Dienst, der Gnade; aber diese ist in vollkommener Fülle für uns in Christus vorhanden, und es ist nur die Frage, ob wir sie benutzen oder vernachlässigen. Paulus konnte sagen: „Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin; und seine Gnade gegen mich ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet, denn sie alle, nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war“ (1. Kor 15,10). Es gibt Christen, welche aus falscher Demut auf den Lohn verzichten und sich, wie sie sagen, mit dem letzten Platz im Himmel begnügen wollen, aber sie verraten dadurch nur ihren schlechten Zustand oder doch wenigstens große Unwissenheit und Gleichgültigkeit bezüglich dessen, was der Herr den Seinen zu ihrer Ermunterung verheißen hat. Die Apostel führten eine ganz entgegengesetzte Sprache: „Seht auf euch selbst, auf dass wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangen“ (2. Joh 8). Und wie sehr Paulus an diese Belohnung dachte, zeigen uns die Worte: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fortan ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tag“ (2. Tim 4,7–8). Jener Tag wird es offenbar machen, dass die Apostel sich nicht getäuscht haben, und dass ihre Arbeit und ihre Treue nicht vergeblich gewesen ist; aber er wird auch zeigen, dass ein jeder Tag und eine jede Stunde, die nicht dem Herrn gewidmet war, unwiderruflich verloren sind. Nicht dass die Belohnung der Beweggrund unserer Treue und Hingebung sein sollte – denn dies hieße uns zu Lohndienern machen – sondern sie soll denen zur Ermunterung dienen, welche bereits aus Liebe für Christus ihr Leben seinem Dienst und seiner Verherrlichung widmen. Der wahre Beweggrund kann nur Christus selbst sein; und alles, was diesem Beweggrund entspringt, ist kostbar in seinen Augen, auch wenn es nicht den Beifall der Menschen findet. Er wusste die Tat der Maria zu schätzen, indem Er sagte: „Sie hat ein gutes Werk an mir getan. ... Wahrlich, ich sage euch: wo irgend dieses Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, wird auch gesagt werden, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (Mt 26,6–13). Und ohne Zweifel wird diese Tatsache, so wie alles, was für Ihn von irgendeinem der Seinen getan worden ist, auch an jenem Tag vor dem gerechten Richter angesichts des ganzen Weltalls offenbart werden. Derselbe, der dafür gesorgt hat, dass die Tat der Maria bis heute aufbewahrt worden ist zu ihrem Gedächtnis, wird auch dann alles in Erinnerung zu bringen wissen. „Denn Gott ist nicht ungerecht, zu vergessen eures Werkes und der Liebe, die ihr gegen seinen Namen bewiesen, da ihr den Heiligen gedient habt und dient“ (Heb 6,10).

Möchten wir deshalb der Worte des Apostels stets eingedenk bleiben: „Daher, meine geliebten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werk des Herrn, da ihr wisst, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn“ (1. Kor 15,58). Aber lasst uns auch nicht vergessen, dass jeder Dienst, der nicht Christus zum Beweggrund und Gegenstand hat, wertlos ist vor Ihm, mag er auch in den Augen der Menschen einen noch so schönen Schein und eine noch so große Wichtigkeit haben. Wir haben gesehen, dass Christus den ersten Platz einnimmt in dem Ratschluss Gottes; und insoweit dies auch der Fall ist in unseren Herzen, sind wir in Übereinstimmung mit dem Ratschluss Gottes sowohl, als auch mit den Wegen seiner Regierung.

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