Botschafter des Heils in Christo 1882

Der Heilige Geist als Siegel und Unterpfand

„Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung“ (Eph 4,30).

„In welchem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung, welcher ist das Unterpfand unseres Erbes, zur Erlösung des erworbenen Besitzes“ (Eph 1,13–14).

In diesen beiden Versen wird uns der Geist Gottes in zwei verschiedenen Charakteren vorgestellt, und zwar zunächst als das Siegel, welches Gott allen aufdrückt, die in Wahrheit an den Herrn Jesus Christus glauben, und dann als das Unterpfand des Erbes, welches die versiegelten Erben binnen Kurzem besitzen sollen. Alle wahre Gläubige sind mit dem Heiligen Geist versiegelt. Selbstverständlich müssen wir einen Unterschied machen zwischen Erweckt– und Versiegeltsein. Der Heilige Geist weckt tote Seelen auf, aber Er versiegelt lebendige Gläubige, d. h. Er selbst ist das Siegel. Gott versiegelt nicht Sünder, die tot sind in Sünden und Übertretungen; Er erweckt sie und leitet sie zur Buße, und wenn sie durch die Gnade an den Namen Jesu, des gekreuzigten, auferstandenen und zur Rechten der Majestät in der Höhe erhobenen Herrn, glauben, dann versiegelt Er sie, indem Er ihnen den Heiligen Geist gibt, damit Er in ihnen Wohnung mache. Er drückt ihnen gleichsam seinen Stempel auf bis auf den Tag der Erlösung.

Es ist sehr wichtig, diesen Unterschied zwischen Erweckung und Versiegelung klar zu verstehen! Manche finden eine große Schwierigkeit darin, während doch die Schrift so klar wie möglich diesen Gegenstand behandelt. Nehmen wir als Beispiel den ersten Abschnitt von Apostelgeschichte 19. Es heißt dort: „Es geschah aber, während Apollos zu Korinth war, dass Paulus, nachdem er die oberen Gegenden durchzogen, nach Ephesus kam. Und er fand etliche Jünger und sprach zu ihnen: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid? Sie aber sagten zu ihm: Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist ist. Und er sprach: Worauf seid ihr denn getauft worden? Sie aber sagten: Auf die Taufe Johannes. Paulus aber sprach: Johannes hat mit der Taufe der Buße getauft, indem er dem Volk sagte, dass sie glauben sollten an den, der nach ihm käme, das ist an Jesus. Als sie es aber gehört hatten, wurden sie auf den Namen des Herrn Jesus getauft; und als Paulus ihnen die Hände aufgelegt, kam der Heilige Geist auf sie, und sie redeten in Sprachen und weissagten“ (V 1–6).

Hier tritt mit großer Kraft und Klarheit jener Unterschied vor unser Auge. Hier waren zwölf Männer, welche ein gewisses Maß von Wahrheit empfangen hatten und offenbar Jünger genannt werden konnten; allein sie kannten nicht die volle Wahrheit von einer vollendeten Erlösung, von einem auferstandenen und verherrlichten Heiland und von dem Heiligen Geist, als dem göttlichen Zeugen dieser herrlichen Tatsachen. Wir dürfen indessen nicht annehmen, dass sie niemals von dem Dasein des Heiligen Geistes gehört hätten. Johannes der Täufer, dessen Jünger sie waren, hatte von dem Heiligen Geist gesprochen, so dass sie diese göttliche Person kennen mussten. Allein er hatte nicht von Ihm reden können, als von dem Siegel, das alle wahre Gläubige von Gott empfangen sollten; er selbst kannte Ihn nicht also. Auch hatten sie nicht gehört, dass der Heilige Geist persönlich herniedergekommen war, um von der Erhöhung und Verherrlichung des Herrn Jesus der Zeuge und unumstößliche Beweis zu sein.

Trotzdem waren sie wahre Jünger, wirklich erweckte und lebendig gemachte Seelen, aber sie waren nicht versiegelt. Sie befanden sich praktisch in dem Zustand der alttestamentlichen Gläubigen oder der Jünger während des Lebens des Herrn auf dieser Erde. Obwohl der Heilige Geist am Pfingsttag herniedergekommen und seitdem tätig gewesen war, Seelen lebendig zu machen und zu versiegeln, obwohl Tausende von Juden, eine große Zahl der Samariter, die ganze Haushaltung des Hauptmanns Kornelius und viele andere den Heiligen Geist empfangen hatten, war es trotzdem jenen zwölf Jüngern unbekannt geblieben. Sie hatten nicht einmal gehört, dass der Heilige Geist herniedergekommen war.

Es geht hieraus klar hervor, dass jemand erweckt und lebendig gemacht sein kann, ohne versiegelt zu sein. Was von jenen Männern, eine Reihe von Jahren nach dem Tag der Pfingsten, wahr war, kann auch heute noch von manchen Seelen wahr sein. Wie viele von den teuren Kindern Gottes in dem weiten Gebiet des christlichen Bekenntnisses mögen sich in diesem Zustand befinden! Sie wissen nicht, was es heißt, durch den innewohnenden Geist mit einem auferweckten und verherrlichten Haupt in den Himmeln vereinigt zu sein. Sie stehen tatsächlich unter dem Gesetz, entbehren das gesegnete Bewusstsein eines festen, unerschütterlichen Friedens mit Gott und genießen nicht die Freiheit, womit Christus die Seinen freigemacht hat. Sie befinden sich in Knechtschaft und sind mit allerlei Zweifeln und Besorgnissen erfüllt. Viele gehen ihr ganzes Leben in diesem beklagenswerten Zustand einher, und vielleicht erst auf ihrem Sterbebett empfangen sie ein klares Verständnis über die Wahrheit, dass Christus auferstanden und verherrlicht ist, und an Ihn glaubend werden sie erst dann versiegelt und in die herrliche Freiheit des Evangeliums Gottes gebracht. Sie sind während ihres ganzen Lebens ihrer kostbarsten Vorrechte beraubt gewesen; durch Gesetzlichkeit, falsche Belehrung oder aus irgendeinem anderen Grund sind sie unwissend geblieben über die Dinge, welche uns von Gott geschenkt sind. Anstatt die gesegnete Nähe Gottes zu genießen, welche das Teil aller derer ist, die einfach an den Namen seines Sohnes Jesu Christi glauben, sind sie in Finsternis und in einer gewissen Entfernung von Ihm einhergegangen.

Indessen wollen wir uns nicht länger bei diesem interessanten Unterschied zwischen Erweckung und Versiegelung aufhalten, sondern möchten die ernste Aufmerksamkeit des christlichen Lesers auf die inhaltschweren Mahnworte lenken, mit denen wir unsere Betrachtung begannen: „Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.“

Dieses Wort setzt voraus, dass der Christ weiß, dass er mit dem Heiligen Geist versiegelt ist. Alle christliche Ermahnung gründet sich auf die Tatsache und das Bewusstsein, dass wir eine christliche Stellung einnehmen und christliche Vorrechte genießen. Wir würden nicht den Heiligen Geist betrüben können, wenn Er nicht in uns wäre. Doch wenn wir uns bewusst sind, dass eine solch erhabene Person, wie der Heilige Geist Gottes es ist, in uns wohnt und unseren Leib zu seinem Tempel gemacht hat – welch ein mächtiger Beweggrund zu einem heiligen Leben wird das für uns sein! Ach, wie ängstlich sollten wir besorgt sein, Ihn nicht zu betrüben! Wie sollten wir gegen jedes Wort, gegen jeden Gedanken und jede Tat wachen, die dem göttlichen Gast, der seine Wohnung in uns aufgeschlagen hat, anstößig sein könnten! Gereiztheit, unfreundliches Wesen, unnützes Geschwätz, Leichtfertigkeit, Eigenliebe, Weltlichgesinntheit – alles das sollte von uns mit allem Ernst gerichtet werden. Wir sollten uns stets fragen, nicht ob das, was wir tun und reden, für uns, sondern ob es für Ihn, den Heiligen, mit welchem wir für den Tag der Erlösung versiegelt sind, passend ist. Vieles könnte für uns vielleicht paffend scheinen, während es den Heiligen Geist betrübt. Möge der Herr uns befähigen, seine Worte der Ermahnung aufzunehmen und zu beherzigen, damit wir seinen heiligen Namen in unserem täglichen Leben mehr verherrlichen!

Es bleibt uns noch übrig, einige Worte über den Heiligen Geist als „Unterpfand“ zu sagen. „Er ist das Unterpfand unseres Erbes, zur Erlösung des erworbenen Besitzes.“ Das Erbe ist erworben; der Preis ist dafür bezahlt worden. Aber es ist noch nicht erlöst. Auf dies letztere warten wir, und während wir warten, hat uns unser Gott in seiner bewunderungswürdigen Gnade das Unterpfand seines Geistes gegeben, so dass wir des Erbes so sicher sind, als wenn wir es schon in Besitz hätten. Paulus spricht auch in dem 2. Briefe an die Korinther von dem Heiligen Geist als Pfand. Wir lesen dort in Kapitel 1,21–22: „Der uns aber mit euch befestigt in Christus und uns gesalbt hat, ist Gott, der uns auch versiegelt und, das Pfand des Geistes in unsere Herzen gegeben hat.“ – Welch herrliche Worte!

Indessen müssen wir uns wohl hüten, die beiden Begriffe „Erwerben“ oder „Erkaufen“ und „Erlösen“ mit einander zu verwechseln. Viele haben dies getan und sind dadurch in allerlei verhängnisvolle Irrtümer geraten. Unser Herr Jesus Christus hat das ganze Weltall erworben oder erkauft. Er hat den Lösepreis für das Erbe bezahlt, aber Er hat noch nicht seine mächtige Hand in erlösender Kraft auf dasselbe gelegt. Wir finden in Römer 8 eine herrliche Stelle, die mit dem vorliegenden Gegenstand in unmittelbarer Verbindung steht und unserem Verständnis über denselben zu Hilfe kommt. Nachdem der Apostel dort gesagt hat, dass wir nicht einen Geist der Knechtschaft, wiederum zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft empfangen haben, in welchem wir „Abba, Vater!“ rufen, und dass wir Erben Gottes und Miterben Christi sind, wenn wir anders mit Ihm leiden, fährt Er fort: „Denn ich halte dafür, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden wird. Denn das sehnsüchtige Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen worden auf Hoffnung, dass auch selbst die Kreatur freigemacht werden wird von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Kreatur zusammen seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes“ (V 18–23).

Sowohl in Bezug auf den Leib des Gläubigen, als auch in Betreff des Erbes ist der Lösepreis bezahlt worden, aber beide sind bis jetzt noch nicht erlöst; „wir seufzen in uns selbst.“ Wir sehnen uns nach der Erlösung und warten auf den Augenblick unserer Befreiung. Wir erwarten den Herrn Jesus Christus als Heiland aus den Himmeln, „der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit des Leibes seiner Herrlichkeit, nach der Wirksamkeit, mit der Er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil 3,20–21).

Welch eine herrliche Aussicht, welch eine köstliche Erwartung! Wie erquickend für den müden, leidenden Pilger, der die Last seiner armen, zerfallenden Hütte fühlt! Der Herr ist nahe! Bald wird die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes ertönen und das Sterbliche verschlungen werden von dem Leben. Bis dahin sind wir versiegelt mit dem Geist Gottes, welcher ist das Unterpfand – nicht seiner Liebe, denn diese besitzen wir, sondern – des Erbes, welches wir erwarten.

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