Botschafter des Heils in Christo 1882

Warum sind wir so schwach?

Diese wichtige Frage sollte die Herzen der Gläubigen ernstlich beschäftigen. – Wir sind wiedergeboren worden; der Heilige Geist wohnt in uns; wir besitzen viel Schriftkenntnis, kennen Gottes Ratschlüsse und Wege, und doch kennzeichnet Schwachheit, geistliche Schwachheit uns in hohem Grad. Wenige werden geneigt sein, das zu leugnen; ja, lasst uns alle Gewissen fragen, ob es nicht so ist. Werden wir uns nicht häufig unserer Schwachheit bewusst im täglichen Leben und im Umgang mit der Welt? Wir sehen unsere Brüder in den Schlingen der Welt liegen oder in Verbindung mit dem Bösen und gehen oft an ihnen vorüber in dem Bewusstsein, dass wir selbst so schwach sind, und versuchen es nicht, sie zu befreien. Wir sehen andere, die von einem Fehler übereilt wurden, und fühlen uns vielfach nicht „geistlich“ genug, solchen im Geist der Sanftmut wieder aufzuhelfen; und wie oft müssen wir bekennen, dass wir nicht stark genug sind, den Schwierigkeiten in der Versammlung auf die rechte Weise zu begegnen! Ja, in allem, im Wandel und Dienst, geheim und öffentlich, zeigt sich dieselbe Schwäche im geistlichen Leben. Woher kommt sie? Es ist wahr, dass der Herr sagt: „Außer mir außerhalb (der Gemeinschaft mit mir) könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5); aber ebenso wahr ist, dass Paulus sagt: „Alles vermag ich in Christus, der mich kräftigt“ (Phil 4,13), und im Brief an Timotheus: „Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim 1,7). Wenn uns auf der einen Seite gesagt wird, „dass wir nicht tüchtig sind, von uns selbst etwas zu denken“, so hören wir von der anderen Seite zugleich: „Unsere Tüchtigkeit ist von Gott“ (2. Kor 3,5). Woher also unsere Schwachheit? – Es ist Grund vorhanden zu fürchten, dass wir nicht genug auf den Herrn harren. „Die auf Jehova harren, werden ihre Kraft erneuern; si e werden auffahren mit Flügeln wie Adler; sie werden laufen und nicht ermatten, wandeln und nicht müde werden“ (Jes 40,31). Diese Stelle ist klar; sie zeigt uns, dass die geistliche Kraft die unmittelbare Folge des Harrens auf Gott ist. Indem wir auf Gott harren, bekennen wir unsere eigene Schwachheit und unsere Abhängigkeit von Ihm; und nur, wenn wir von Gott abhängig sind, kann Er seine Kraft durch uns offenbar machen. Hier liegt also das Geheimnis unserer Kraft. Möge ein jeder von uns daheim und in der Versammlung völliger auf Gott harren, mit aller Geduld und Treue im Gebet. Die Frucht hiervon wird sich bald überall erweisen. Unser Dienst, unsere Anbetung, unsere Gebetsversammlungen, unser Wandel, unser Zeugnis, kurz alles wird in der Kraft des Heiligen Geistes sein. Es wird uns dann keine Schwierigkeit beängstigen, kein Widerstand niederbeugen; vielmehr werden wir, trotz des Bewusstseins unserer eignen Schwäche, uns allezeit der allesvermögenden Kraft unseres Gottes erfreuen und sie offenbaren. „Harre auf Jehova! sei stark, und er wird dem Herz stärken; harre auf Jehova!“ „Seid stark, und er wird euer Herz stärken, euch allen, die ihr auf den Herrn harrt“ (Ps 27,31; 31,24). – Nur in praktischer Verbindung mit dem Auferstandenen lernen wir die „Kraft seiner Auferstehung“ kennen; nur in beharrlicher Gemeinschaft mit Ihm erfahren wir, dass wir nicht nur Überwinder, sondern „mehr als Überwinder“ sind. In Ihm allein sind alle unsere Quellen, während in uns nur Schwachheit und Ohnmacht ist. Harren wir auf Ihn, so erweist sich an uns, dass seine Kraft in Schwachheit vollbracht wird. „Darum“, sagt Paulus, „will ich am allerliebsten mich vielmehr meiner Schwachheit rühmen, auf dass die Kraft Christi mir einwohne“ (2. Kor 12,9).

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