Botschafter des Heils in Christo 1873

Die zwei Häuser

Ein reicher, mir wohlbekannter Mann beschloss, sich ein großes und schönes Haus zu bauen. Er kaufte sich einen Platz im schönsten Teile der Stadt und scheute keine Kosten, um seinen Plan in der prachtvollsten Weise auszuführen. Er ließ geräumige Zimmer und große Salons einrichten und trug dabei Sorge, dass dieselben im Winter eine wohltuende Wärme und im Sommer eine erfrischende Kühle darboten. Kurz, nichts wurde gespart, um das Haus so schön und so bequem als nur eben möglich herzustellen; und sicher hoffte er, einen jahrelangen Genuss von seiner neuen und eleganten Wohnung zu haben.

Inzwischen ließ er während des Baus dieser großen Familienwohnung Zugleich noch ein anderes Gebäude errichten. Wie verschieden aber waren diese beiden Häuser! Während das eine Gebäude eine Menge prachtvoller Gemächer enthielt, zeigte das zweite für die ganze Familie nur ein kleines Zimmer und zwar unter der Erde. Und ob auch die Mauer von glänzendem Marmor aufgeführt wurde, so fand man doch außer einer kleinen eisernen Tür nirgends eine Öffnung. Sonderbar! Beide Wohnungen waren für dieselben Personen bestimmt; jedoch das eine Haus – ein hohes, geräumiges und prachtvolles Gebäude – für die Lebenden, das andere – eine kleine, enge und niedrige Gruft – für die Toten dieser reichen Familie, falls sich das eine Glied derselben nach dem anderen aus diesem Leben zurückgezogen haben würde. Lange vor der Vollendung des großen Hauses war bereits die Gruft fertig. Und in welchem von beiden Häusern, dünkt euch, hielt der reiche Bauherr zuerst seinen Einzug? Wie seltsam! Er war fertig für die Gruft, bevor die schöne Wohnung für ihn fertig war; und lange bevor die geräumigen Gemächer des neuen Hauses wohnlich eingerichtet waren, befand sich der Eigentümer schon in dem engen, dunklen und kalten Raum, welchen er nicht eher verlassen wird, als bis die Stunde kommt, in welcher alle, die in den Gräbern sind, die Stimme des Sohnes Gottes hören werben.

Das ist, lieber Leser, eine Geschichte, die deine Aufmerksamkeit fesseln sollte. Viele Dinge im Leben können heiter und glänzend scheinen und reiche Genüsse versprechen. Wie leicht aber wird das Ende derselben außer Acht gelassen oder gar aus den Gedanken verbannt und in die Ferne gerückt! Das „Haus der Lebenden“ ist so groß und so herrlich, dass es in deinen Augen das „Haus der Toten“ verbirgt und überdeckt. Aber vergiss nicht, dass du, gleich dem Mann in unserer kleinen Erzählung, ins Grab gelegt werden kannst, bevor du in den Genuss der erwarteten Lebensfreuden gekommen bist. Der Heiland sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, ob er schon gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit“ (Joh 11,25–26). Das ist wahr in jedem Sinn. Der wahre Gläubige, dessen Sünden vergeben sind, und der in Christus angenommen ist, hat die Verheißung eines Hauses, welches nicht mit Händen gemacht, sondern ewig, welches nicht in dieser vergänglichen Welt, sondern in den Himmeln ist; und sein Übergang aus diesem in jenes Leben ist kein Sterben, sondern ein Entschlafen auf der Erde, um beim Herrn wieder zu erwachen.

« Vorheriges Kapitel