Botschafter des Heils in Christo 1873

Die Stellung und der Zustand des Christen - Teil 3/3

Möge darum unser Herz, geliebte Leser, auf Ihn gerichtet sein! Unter dem furchtbaren Gewicht unserer Sünden starb Jesus und wurde ins Grab gelegt. Da schien der Feind gesiegt zu haben, denn der Fürst des Lebens lag in den Fesseln des Todes. Aber welch eine Wirkung hatte dieser Tod! Durch das Vergießen seines Blutes war das mächtige Werk vollbracht, wodurch Er jede Bürde unserer Sünden von unseren Schultern wälzte. Durch jenes Blut wurde Gott befriedigt, die Hölle besiegt und der Mensch durch den Glauben an dieses Blut für ewig gerettet. Aber Christus blieb nicht im Grab. „Der Gott des Friedens“ – „der Vater der Herrlichkeit“ – erweckte unseren Herrn Jesus aus den Toten und setzte Ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern. Aber mit dem Haupt wurden auch die Glieder auferweckt; Er hat uns mitauferweckt und auf denselben gesegneten Platz gestellt. Dort nahm eine neue Sache ihren Anfang – es wurde eine neue Schöpfung, von welcher Jesus Christus, der auferweckte Mensch, das Haupt und der Mittelpunkt wurde. „Das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden.“ Die Welt, Sünde, Satan, Tod, das Grab, alles ist zurückgeblieben und liegt für den Glauben ebenso fern, wie für Christus selbst. Alle, welche jenen gesegneten Namen lieben, sind in Ihm und da, wo Er ist. Gott hat Ihn erhöht „über alle Fürstentümer und Gemalt und Macht und Herrschaft und jeglichen Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles unterworfen unter seine Füße und Ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“

Wir sehen also, dass Gott alle Dinge seinem Sohn unterworfen hat und daher an uns die Aufforderung ergehen lässt, Ihn zu ehren. Mancher tut dieses nicht, sondern pflegt mehr von einer Art Vorsehung zu sprechen. Zwar mag ein solcher, wie man sagt, ein sehr religiöser Mann sein und sogar gern von religiösen Dingen reden, aber mit dem Herzen Christi ist er nicht bekannt, mit diesem gesegneten Heiland pflegt er keine Gemeinschaft, achtet und liebt Ihn nicht. Ach, welch eine Torheit! Denn dasjenige, womit er sich am meisten beschäftigt, ist für unsere Augen mehr oder weniger in Finsternis gehüllt, während Christus völlig offenbart ist. Wie lange wird es, o Herr, so bleiben!

Beachten wir nun noch zum Schluss, dass Christus als Mensch erhöht und verherrlicht wurde. Als Gott war es nicht möglich, dass Er verherrlicht wurde, denn die Herrlichkeit Gottes ändert sich nie. Als Mensch kam Er auf diese Erde, als Mensch starb Er, und als Mensch wurde Er zur Rechten des Vaters im Himmel erhöht. Und dort in den himmlischen Örtern – zur Rechten des Vaters – ist seine Versammlung mit Ihm, dem Haupt, vereinigt. Sie ist eins mit Ihm, der über alles gesetzt ist; sie ist die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt. Obwohl Christus dieses Platzes allein würdig war, so ist doch seine Braut – sein Leib – mit Ihm verbunden. Welch eine wunderbare, gesegnete Stellung! Welch ein herrliches Teil für die Kirche! Ja, das Herz der Gläubigen sollte immer davon erfüllt sein. Es war von aller Ewigkeit her also von Gott bestimmt. Der Herr selbst spricht davon in Johannes 17, wo Er sich mit seinem Vater im Gebet befindet. „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben, auf dass sie eins seien, gleich wie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir, auf dass sie in eins vollendet seien, und auf dass die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt.“

Bevor wir nun diese Betrachtung beendigen, möchte ich die Frage an meine Leser richten, ob der Herr wirklich so köstlich für ihre Herzen ist, dass sie nicht ohne Ihn leben können, dass sie Ihn täglich zu ihrem Frieden und Glück bedürfen. Ist dir, geliebter Leser, wirklich alles wertlos, worauf Er sein Siegel nicht gedrückt hat? Denke doch daran, dass du, sobald du an Ihn glaubst, mit Ihm vereinigt bist und der Heilige Geist in dir wohnt. Verstehen wir dieses, so sind wir fähig, außerhalb der Welt zu leben, obwohl es dennoch unsere Pflicht ist, unsere Geschäfte mit Treue zu besorgen. „Wir sind nicht von der Welt, wie Christus nicht von der Welt war“, sondern durch den Glauben mit Ihm im Himmel vereinigt. Dies ist wahres Christentum und erfüllt das Herz mit himmlischem Frieden und himmlischer Freude. Noch einmal frage ich dich, geliebter Leser, steht es also bei dir? Oder besitzest du den Herrn noch gar nicht? Dies wäre in der Tat schrecklich! Es ist fürwahr traurig, Christus durch die Schrecknisse und Dunkelheit der menschlichen Theologie zu sehen; aber Ihn gar nicht zu haben, sich gar nicht um Ihn zu kümmern, ist in der Tat ein nicht zu beschreibender Zustand – ein Zustand, der dich an den Rand des Feuersees führt, der mit Feuer und Schwefel brennt. O, wenn du wirklich noch in diesem Zustand bist, so gehe doch zu Ihm, glaube an Ihn, der auf Golgatha für Sünder, ja für den vornehmsten der Sünder starb! Denke nicht, dass ein wenig menschliche Religion dir etwas nützen wird. Das Werk Christi allein kann dich erretten. Wenn du nur zu Ihm kommst, Er wird dich sicher in seine Arme nehmen und dir einen Platz, ja einen Thron in seiner Herrlichkeit geben. Welch eine Gnade, welche Liebe! Ach! was muss die Hölle für diejenigen sein, welche eine solche Liebe und Herrlichkeit verworfen haben? Der Gedanke, Christus von sich gestoßen und die Errettung verachtet zu haben, muss ein Wurm sein, der nicht stirbt, und ein Feuer, welches nicht erlöscht. Aber noch ist es die Zeit der Gnade, noch kannst du diesem allem entfliehen. Mit offenen Armen will Jesus dich aufnehmen. Gehe darum zu Ihm und verachte die Gnade Gottes nicht. Höre doch auf diese gesegneten Worte: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde“, und „glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden.“ Beuge deine Knie vor Ihm – bekenne deine Sünden, und Er wird dir völlige Vergebung all deiner Sünden geben und himmlischen Frieden in dein Herz gießen

Wenden wir uns jetzt in unserer Betrachtung zu dem zweiten Gebet des Apostels.

„Deshalb beuge ich meine Knie zu dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, von welchem jede Familie in den Himmeln und auf Erden genannt wird, auf dass Er euch gebe, nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit mit Macht gekräftigt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen“ (Kap 3,14–16). Der Gegenstand und der Charakter dieses Gebetes sind im Allgemeinen sehr von denen des ersten verschieden, obwohl man dennoch ihre moralische Verbindung nicht aus dem Auge verlieren darf. In beiden ist Christus der Mittelpunkt, und in beiden ist der Gläubige mit Ihm, als solchem, verbunden. Der Unterschied aber liegt darin, dass das erste Gebet das Reich Christi und unsere Vereinigung mit Ihm in Herrlichkeit behandelt, während im zweiten von dem Haus der vielen Wohnungen gesprochen wird, wo wir vom Vater geliebt werden, wie Christus selbst geliebt ist. Wir sind also – o wunderbarer Gedanke! – eins mit Ihm als dem verherrlichten Menschen in Liebe und Herrlichkeit, in einem innigen, vertrauten Umgang und in all den äußerlichen Segnungen seines Reiches.

Aber, geliebter Leser, ich möchte gerne die Frage an dich richten, in wie fern du diese so gesegneten Wahrheiten verstanden hast. Erfreust du dich ihrer schon jetzt? Ach, ich bitte dich, betrübe nicht den Heiligen Geist, der in dir wohnt und der dich lehren und unterweisen will. Wenn sich Unglaube in deinem Herzen befindet oder du weltlich gesinnt bist, so werden seine gnadenreichen Wirkungen gestört. Alles, was seiner Wahrheit und Heiligkeit nicht gemäß ist, muss Ihn betrüben. Darm liegt allein der Grund, dass viele solch? einen trüben Begriff von Christus und solch eine schwache Vorstellung von der himmlischen Wahrheit haben. Viele Christen – wenn man nach ihren Worten urteilen soll – sind mehr mit dem Gesetz als mit der Person Christi beschäftigt, und dies ist fürwahr ein großer Fehler und hindert nicht wenig das Glück des Herzens. Es ist unmöglich, dass eine solche Seele sich in einer wahrhaft glückseligen Freiheit befinden kann; denn das Gesetz bewirkt die Knechtschaft. Das Gesetz wurde für die menschliche, der Heilige Geist dagegen für die göttliche Natur gegeben; auch weiß unser Glaube, dass wir der alten Natur nach gestorben sind, und dass das Gesetz auf etwas, das gestorben ist, unmöglich Anwendung finden kann. „Indem wir dieses wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen“ (Röm 6,6). Daher wird uns die Ermahnung gegeben, den Heiligen Geist nicht zu betrüben, mit welchem wir versiegelt worden sind für den Tag der Erlösung. „Wisst ihr nicht“, sagt der Apostel, „dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes unter euch wohnt?“ Ach, leider ist die Religion von vielen die des alten Bundes – man findet in ihr das Wesen des Gesetzes und der menschlichen Natur statt der Wirkung des Heiligen Geistes und des ewigen Lebens in einem auferstandenen Christus. Christus wird zwar als der Gekreuzigte nicht beseitigt; aber es findet sich in jenen Herzen solch eine Mischung von Gesetz und Gnade, von der alten und der neuen Schöpfung, dass der Heilige Geist betrübt wird und traurige Verwirrung die Folge ist.

Aber in wie fern, möchte mancher fragen, kann man sagen, dass wir mit Christus während unseres Daseins in dieser Welt verbunden sind? Denn wenn der Apostel sagt, dass wir in Christus Jesus in den himmlischen Örtern sind, bezieht sich dieses nicht auf die Zukunft, wo wir in Wahrheit bei Ihm im Himmel sein werden? – O nein, mein geliebter Leser; es kann sich nicht auf die Zukunft beziehen, denn der Apostel spricht von solchen, welche lebendig gemacht waren durch den Glauben und jetzt schon in Christus Jesus mitsitzen in den himmlischen Örtern. Später werden wir mit Christus im Himmel sein, jetzt sind wir dort in Ihm. Sobald wir an Ihn glauben, haben wir das köstliche Vorrecht, in den himmlischen Örtern uns aufzuhalten, und sind Kinder Gottes – begnadigt in dem Geliebten. „Denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 3,26). Aber lasst uns auf diese Wahrheit, welche für manchen so viel Schwierigkeiten darbietet, etwas naher eingehen.

In Epheser 2 ist es uns deutlich vor Augen gestellt, dass Gott uns, als wir tot in Sünden und Übertretungen waren, mit dem Christus lebendig gemacht hat. Von diesem Punkt – von unserem toten Zustand müssen wir bei unserer, Betrachtung ausgehen. Wir waren tot in den Vergehungen und Sünden, wir hatten kein Fünkchen von geistlichem Leben in uns. Da starb der gesegnete Heiland für die Sünde auf dem Kreuz und ward ins Grab gelegt. Ja, Er erlitt den Tod für die Sünde, während wir in Sünden tot waren und für den Augenblick alles verschwunden zu sein schien. Es war gleichsam, als ob das Schiff untergegangen sei und man nie mehr etwas von demselben vernehmen werde. Aber in dem feierlichen Augenblicke, wo der Tod alle umschlungen hatte, trat Gott hervor und zwar als ein Gott der Auferstehung. „Er hat uns, weil Er reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit Er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht.“ Wundervolle Gnade! Christus, der Heilige, das fleckenlose Lamm Gottes, starb für uns, ging für uns in das schreckliche Gericht und versöhnte uns mit Gott. Aber blieb Er im Grab? O nein! Gott hat Ihn auferweckt, und mit Ihm sind auch wir auferweckt. So sind wir denn auf die innigste, gesegnetste Weise durch die lebendigmachende Kraft Gottes mit dem auferstandenen Christus vereinigt. Für uns besteht das Vorrecht, mit Ihm, der die Wonne und Freude Gottes ist, in Gemeinschaft zu leben und seine Segnungen zu teilen. Konnte man sich noch etwas Herrlicheres denken? Kann eine Liebe noch großer sein, wenn uns gesagt wird, dass wir nicht nur lebendig gemacht und auferweckt sind, sondern auch mitsitzen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus?

Wenn wir diese wunderbare und segensreiche Wahrheit wirklich verstehen, werden wir auch den wahren Grund des Friedens besitzen; denn dann wissen wir, dass alles, was zu unserer alten Natur gehörte, auf dem Kreuz gerichtet und für immer beseitigt ist; und dass wir in die Gegenwart Gottes ohne unsere Sünden gebracht sind – in einen Zustand von göttlicher Gerechtigkeit. Aber sind wir dann ohne Sünde, besitzen wir eine göttliche Gerechtigkeit? Gewiss, geliebter Leser, aber nicht in uns selbst, sondern in Christus; Er ist unsere Gerechtigkeit, in Ihm stehen wir ohne Flecken vor einem heiligen und gerechten Gott.

Manche wollen zwar eine dunkle Wolke über diese herrliche Szene bringen, indem sie sagen, dass der Gläubige sein ewiges Leben verlieren könne. Aber was sagt uns die Heilige Schrift? Dass wir durch Gnade errettet sind, dass wir eins mit Christus sind, und zwar von dem Augenblick an, wo wir durch den Glauben an Ihn lebendig gemacht wurden. Nicht durch eigenes Verdienst, sondern durch Gnade – gelobt sei sein Name! – haben wir das ewige Leben, sobald wir glauben, ohne dass diese Verheißung je gebrochen werden könnte. Gott hat es gesagt, Gott hat uns mit Christus verbunden, „damit Er erwiese in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen uns in Christus Jesus.“ Ja, Ihm sei dafür Lob und Dank dargebracht! Unsere Errettung ist so sicher, wie sie nur sein kann. Wohl fehlen wir noch oft in manchen Dingen, aber Er ist treu. Das Leben, welches Er uns gegeben hat, ist wie Er – ewig. „Seine Güte gegen uns in Christus Jesus“ dauert ewig fort. Er wird sie zeigen „in den kommenden Zeitaltern.“

Ach! dass doch jeder, der diese Zeilen lieft, diese herrlichen Segnungen besitzen möchte! Haft du, geliebter Leser, dieses ewige Leben noch nicht? Bist du noch nicht durch den Glauben an Ihn errettet? Ach, wirf dich dann doch zu seinen Füßen, höre auf seine Stimme, höre doch auf jene süßen Worte: Komm, komm zu mir! Sie kommen aus einem Herzen, welches von Liebe überfließt, von Lippen, die jetzt nur Gnade kennen. Aber wie schrecklich wäre es, wenn von denselben Lippen einst das Gericht und die Verdammnis über dich ausgesprochen würden! Höre deshalb jetzt auf seine Stimme; wenn du dieses tust, bist du eins der Schafe Jesu. „Meine Schafe“, sagt der Herr, „hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben“ (Joh 10,37–29). Möchtest du bald Ihm dein Herz geben und dich seiner Liebe erfreuen!

Doch kehren wir zu unserer Betrachtung des zweiten Gebetes zurück. In dem ersten Gebet tritt uns, wie wir gesehen, die Herrlichkeit der Person Christi entgegen; aber hier in dem dritten Kapitel wird uns mehr die unendliche Liebe gezeigt, welche der Vater zu Christus und folglich zu uns in Ihm hat. Ach! möchten wir doch mehr diese überströmende Liebe verstehen! Lasst uns doch immer daran denken, dass Gott unsere Sünden in der Person Christi auf dem Kreuz völlig gerichtet und für immer beseitigt hat, ja, dass wir jetzt als „Söhne Gottes“ und geliebt mit einer vollkommenen Liebe in seiner Gegenwart uns befinden! „Geliebte, jetzt sind wir Gottes Kinder“, sagt Johannes; und Paulus spricht: „Wenn aber Kinder, so auch Erben – Erben Gottes und Miterben Christi“ (1. Joh 3,3; Röm 8,17). Könnte eine köstlichere Wahrheit je unsere Gedanken beschäftigen? Ist es wirklich wahr, dass Gott uns in demselben Maße liebt, wie seinen eigenen, viel geliebten Sohn? Ja, geliebte Leser, es ist die Wahrheit; Jesus selbst sagt es, und das ist für uns genug, wie wunderbar es auch sein mag. „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben.“ Beachten wir hierbei aber wohl, dass dieses die Herrlichkeit ist, welche Christus als Sohn des Menschen und nicht als Sohn Gottes besitzt. Und zu welchem Zweck hat Er den Gläubigen eine solche Herrlichkeit gegeben? „Auf dass die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt.“

Möchten doch unsere Herzen mehr mit diesem kostbaren Gegenstand beschäftigt sein! Köstlichere, segensreichere Worte flössen nie von den Lippen Jesu. Nur Gott kann eine solche Liebe entfalten, nur Er allein kann da lieben, wo nichts Liebenswürdiges zu finden ist, wo hingegen sich alles gegen Ihn sträubt und Ihm nicht gehorchen will. Nein, eine solche Liebe können wir nicht begreifen. Vielleicht haben wir einen schwachen Begriff von der göttlichen Weisheit und Allmacht; aber wer könnte begreifen, dass Gott die Gläubigen liebt, wie Er seinen Sohn liebt? Und welche Wirkung hatte diese Liebe! Gott gab seinen eingeborenen Sohn hin, um für unsere Sünden zu sterben; Er hat uns lebendig gemacht mit Christus und gibt uns für die Zukunft die Verheißung der ewigen Herrlichkeit. Ohne diese Liebe gäbe es kein Kreuz, keine Krone, keine Herrlichkeit. Aber die Liebe Gottes ändert sich nicht, „sie vergeht nimmer“ (1. Kor 13,8). Gebe der Herr doch, dass diese Liebe das Licht unserer Augen und die Kraft unserer Herzen sein möchte – und dass wir mehr und mehr uns mit ihr beschäftigen möchten!

Aber darf ich denn, fragt vielleicht einer meiner Leser, dem Gedanken Raum geben, dass der Vater mich armen, schwachen Christen jetzt, in diesem Augenblick, liebt wie seinen eigenen Sohn? Ohne Zweifel darfst du dieses, geliebter Leser, denn es sind seine Worte, und Er wünscht, dass wir diese glauben und uns der köstlichen Wahrheit erfreuen. Zweifeln wir an dieser Liebe, so verunehren wir Ihn und fügen uns selbst Schaden zu. Freilich ist die Offenbarung seiner Liebe oft sehr verschieden, aber dieses hängt von unserer Unterwürfigkeit unter Christus und unserem Gehorsam gegen Ihn ab (Joh 14,21). Aber die Liebe selbst erleidet keine Veränderung, denn „Gott ist die Liebe.“ Ja, eine solche Liebe kann unseren Herzen nie köstlicher sein, als jetzt. Wenn inmitten der zukünftigen Herrlichkeit die Liebe das Herrlichste sein wird, wie vielmehr jetzt inmitten der Sorgen und Leiden dieser Zeit! Lasst uns daher immer zu dieser Liebe unsere Zuflucht nehmen, auf dass wir vor den Angriffen des Feindes geschützt bleiben, und ein steter Friede unser Teil sei!

Der Apostel betet also zu dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, „von welchem jede Familie in den Himmeln und auf Erden genannt wird.“ Dieses sind sehr bemerkenswerte Worte; es ist nicht eine Familie, sondern verschiedene Familien, welche nach Ihm genannt werden. Bei den Juden im Alten Testament zum Beispiel finden wir Gott unter dem Namen Jehova. Als Er sein auserwähltes Volk aus Ägypten führte, als Er es in ein Land, von Milch und Honig fließend, brachte, geschah dieses immer unter dem Namen Jehova. Unter diesem Namen begegnete Er immer seinen Auserwählten, während kein anderes Volk das Vorrecht einer solchen Verbindung und Gemeinschaft genießen konnte. Später, als die Kinder Israel sich schwer gegen ihren Gott versündigt hatten, und Er einem heidnischen König die Herrschaft über alle Nationen gegeben hatte, da trat Er ihm nicht als Jehova entgegen, sondern als „der Gott des Himmels“ (Dan 2,37). Jetzt aber, nachdem Er seinen Sohn für uns hingegeben hat, „den Erben aller Dinge, durch den Er auch die Welten gemacht hat“, hat Er den Namen Vater angenommen, und unter diesem Namen steht Er mit „jeder Familie in den Himmeln und auf Erden“ in Verbindung. Seine Segnungen werden jetzt nicht länger einem einzigen Volk mitgeteilt, nein! „die Zwischenwand der Umzäunung“ ist abgebrochen, und jeder kann sich dieser reichen Segnungen erfreuen. Ja, sein Name sei gelobt und gepriesen, dass Er uns jetzt schon diese Segnung hat zu Teil werden lassen – eine Segnung welche wir aber einst in der ewigen Herrlichkeit vollkommen verstehen werden!

Aber, möchte ich fragen, welchen Platz wird die Kirche in dieser himmlischen Herrlichkeit einnehmen? Wird sie eine hervorragende Stellung dort einnehmen, oder wird ihre Herrlichkeit der Herrlichkeit aller gleich sein? O nein! sie wird einen hervorragenden Platz einnehmen; sie wird in Vereinigung mit Christus, als sein Weib, immerdar vor dem Thron Gottes weilen. Könnte uns eine köstlichere Wahrheit verkündigt werden, geliebter Leser? Hat sich die Liebe Gottes je in treffenderer Weise bewiesen, als da, wo uns durch die inspirierten Schreiber des Neuen Testaments offenbart wurde, dass wir – die Gläubigen – Glieder des Leibes Christi und aufs Innigste mit Ihm vereint sind? Und diese enge Verwandtschaft wird nicht nur im Himmel unser Teil sein, sondern wir besitzen sie jetzt schon durch den Glauben. „Wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit Ihm.“ Dies ist besonders in unserer Zeit von sehr großer Wichtigkeit, da viele diese Wahrheit gar nicht zu kennen oder zu beachten scheinen. Sobald jemand an Christus glaubt, steht er mit Ihm in dem innigsten Verhältnis und macht mit allen Gläubigen auf der Erde einen Leib aus; denn es gibt nur einen Leib und nur einen Geist. Der Herr will nicht, dass seine Kinder getrennt voneinander durch diese Welt pilgern, sondern sie sollen sich „befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ (Kap 4,3–4). Auch in dem Brief an die Korinther finden wir diese wichtige Wahrheit auf dieselbe Weise dargestellt. „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig.“ Diese Verse lassen keinen Zweifel in Betreff der Einheit der Kirche übrig. Sie ist nur ein Leib, berufen, um ihre Einheit zu offenbaren, „auf dass die Welt glaube, dass der Vater seinen eigenen Sohn gesandt hat.“ Möchten doch noch viele diese Wahrheit einsehen und ihr gehorsam folgen! Bald ist die Zeit da, wo der Herr uns zu sich nehmen wird und wir für ewig den köstlichsten Platz in der Herrlichkeit einnehmen werden. Wunderbare Gnade und Liebe! Wir – die armen, verlorenen Sünder von Natur – werden dann ohne „Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen“ in seiner Nähe sein und uns allezeit seiner Liebe freuen! Möchten wir daher seinen Namen, solange wir noch hier sind, stets zu verherrlichen suchen, und möchte der stete Wunsch unseres Herzens sein: Komm, Herr Jesu, komme bald!

„Auf dass er euch gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, mit Macht gekräftigt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen.“ In diesem Vers besonders sehen wir deutlich den Unterschied der beiden Gebote des Apostels. In dem ersten betet er, dass die Heiligen ihren Platz vor Gott in Christus und all die damit verbundenen Segnungen besser verstehen möchten; aber hier handelt es sich um eine praktische Kraft durch den Heiligen Geist. Dort war es eine Frage der Stellung; hier kommt der Zustand in Betracht, hier ist es ein Gebet, um „mit Macht gekräftigt zu werden an dem inneren Menschen.“ Aber was meint der Apostel hiermit? Wodurch können wir immer mehr und mehr gekräftigt werden? Diese Frage ist für das einfältige Herz nicht schwer zu beantworten. Die Liebe Christi soll in unseren Herzen immer mehr Raum gewinnen. Je mehr wir von dieser Liebe erfüllt sind, desto leichter und erträglicher werden uns alle Prüfungen und Mühsale in dieser Welt Vorkommen; je mehr wir uns derselben freuen, mit desto glücklicherem Herzen werden wir uns mit der zukünftigen Herrlichkeit beschäftigen können. Ja, wenn diese Liebe uns erfüllt – wenn sie wirklich in unseren Herzen wohnt, so werden wir auch alles, was uns in dieser Welt lieb und teuer ist, willig für diesen einzigen Gegenstand aufgeben. Denn welche Liebe ist inniger, als seine Liebe? Welcher Liebe können wir uns besser anvertrauen als seiner Liebe? Lasst uns daher mehr auf diese Liebe trauen und unser Herz zu einer Wohnung des Herrn machen! Nur dann werden wir in Wahrheit gekräftigt werden „an dem inneren Menschen“, nur dann wird „der Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnen.“

Aber noch herrlichere Offenbarungen seiner Liebe werden uns in dem, was der Apostel ferner den Heiligen wünscht, vor Augen gestellt. „Dass ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid, auf dass ihr völlig zu erfassen vermögt mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei, und zu erkennen die die Erkenntnis weit übersteigende Liebe des Christus“ (V 17–19). Hier finden wir eine köstliche Wahrheit, die aber Zugleich unsere Seelen mit Bewunderung und Erstaunen erfüllt. Wie wir sogleich beim Lesen dieser Verse sehen, zerfällt diese Bitte des Apostels in zwei Teile; er betet, dass die Heiligen in Liebe gewurzelt und gegründet seien, auf dass sie 1. die Breite und Länge und Tiefe und Höhe völlig erfassen, und 2. die Liebe des Christus erkennen möchten, welche ihre Erkenntnis weit übersteigt. Aber, möchte ich fragen, wovon die Breite und Länge und Tiefe und Höhe? Von der Liebe Christi? O nein! denn davon ist erst im nächsten Verse die Rede. Viele Christen sind zwar der Meinung, dass der Apostel hier an die Liebe Christi denkt, aber wir glauben, dass dieses ein Irrtum ist. Wenn man den ganzen Abschnitt aufmerksam liest, wird man deutlich erkennen, dass mit Beginn des neunzehnten Verses wenn auch nicht ein neuer Gegenstand, so doch ein neuer Gedanke von dem Apostel berührt wird. Dort fängt Paulus erst an, von der Liebe des Christus, die alle Erkenntnis übersteigt, zu sprechen. Wenn aber nicht von der Liebe Christi, wovon ist dann hier die Rede? Ich glaube, dass das „Geheimnis“ oder die Kirche bei diesen Worten in den Gedanken des Apostels gewesen ist. In dem ganzen Briefe hatte er von diesem bis dahin verborgenen Geheimnis gesprochen und jetzt, nachdem er, durch den Heiligen Geist geleitet, uns offenbart hat, dass jede Familie in den Himmeln und auf Erden von dem Vater unseres Herrn Jesus Christus genannt wird, betet er für alle Heiligen, dass sie die Breite und Länge und Tiefe und Höhe dieser köstlichen Wahrheit – dieses offenbarten Geheimnisses – völlig verstehen möchten.

Aber dann betet Paulus, wie schon gesagt, dass wir die Liebe Christi, welche unsere Erkenntnis übersteigt, verstehen und erkennen möchten. Dieses scheint uns auf den ersten Blick ein wirklicher Widerspruch zu sein, denn wie kann man eine Liebe erkennen, die größer ist als alle Erkenntnis? Dennoch ist es nur ein scheinbarer Widerspruch, denn der Heilige Geist will uns hiermit keineswegs sagen, dass wir je diese Liebe völlig erkennen werden, sondern nur, dass wir uns in seine unendliche Liebe vertiefen und immer aus dieser Quelle schöpfen können, welche nie versiegen wird und immer neue Segnungen für uns hervorsprudeln lässt. Durch die Liebe des Christus getrieben, in welcher wir gewurzelt und gegründet sind, werden wir immer mehr diese Liebe ergründen; aber niemals werden wir sie völlig verstehen können, denn sie übersteigt alle Erkenntnis und ist unendlich, wie Gott selbst unendlich ist. Ach! wie sollten unsere Herzen doch stets von Lob und Dank erfüllt sein für eine solche Liebe, die nie aufhören wird, für eine solche Gnade, die unsere Herzen schon hier mit den herrlichsten Wahrheiten trösten – und erfreuen will! Aber leider, ach leider! gelingt es dem Teufel, dem Lügner von Anfang an, nur zu oft, unsere Herzen und Gedanken von dieser Liebe abzulenken, um uns mit uns selbst zu beschäftigen. Gebe der Herr doch in seiner Gnade, dass wir diese Worte nicht unbeachtet lassen und uns wirklich mit seiner Liebe mehr beschäftigen mögen! Dann wird stetes Lob unsere Herzen erfüllen, dann wird ein dauernder Friede unser Teil sein. Ich bete an die Macht der Liebe,

Die sich in Jesu offenbart.

Ich geb mich hin dem freien Triebe,

Womit ich Wurm geliebet ward.

Ich will anstatt an mich zu denken

Ins Meer der Liebe mich versenken. Einige bemerkenswerte. Worte finden wir dann auch noch im neunzehnten Vers: „Auf dass ihr erfüllt seid zu der ganzen Fülle Gottes.“ Höheres als dieses konnte der Apostel nicht erstehen; weiter konnte er nicht gehen. Die Gläubigen sind die Fülle des Christus – „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“ Welch ein Gedanke! Und Er, der alle Dinge erfüllt, erfüllt auch unsere Herzen mit der Fülle Gottes. „Ein Gott und Vater aller, der da ist über alle und durch alle und in uns allen“ (Eph 4,6). Und in Johannes 14,20 lesen wir: „An jenem Tag – an dem Tag, wo der Vater einen anderen Sachwalter, den Geist der Wahrheit, gegeben hat – werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch.“ Welch eine wunderbare Wahrheit! Ja, wenn wir eine Segnung nach der anderen vor unseren Blicken sich entfalten sehen, wenn wir sehen, dass wir von Ihm so geliebt sind, dass wir seine Fülle genannt werden, sollte unser Herz dann nicht stets von Lob und Dank erfüllt sein? Aber lasst uns auch nicht vergessen, dass wir diese Segnungen nicht genießen können, sobald die Welt oder das Fleisch Einfluss auf uns ausgeübt hat. Wenn wir den Heiligen Geist betrübt haben, wenn wir uns nicht einfach seiner Leitung anvertrauen, wird unsere Erkenntnis bald geschwächt werden, und zuletzt werden wir, wenn die Gnade des Herrn uns nicht zurückhält, in allerlei Irrtümer Hineingeraten. Lasst uns daher immer von der Leitung des Heiligen Geistes abhängig sein und uns von Ihm unterrichten lassen! Dann werden wir all diese köstlichen Segnungen, welche der Apostel in diesem Gebet, ja in diesem ganzen Briefe, uns vorstellt, verstehen und uns erfreuen können, womit er im folgenden Verse sein Gebet beschließt: „Dem aber, der weit über das Maß zu tun vermag, über alles hinaus, was wir erbittender erdenken, nach der Macht, die in uns wirkt, ihm sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christus Jesus, auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter! Amen.“

Auch in diesem Schluss des Gebetes lässt sich deutlich der Unterschied zwischen dem Charakter des ersten und zweiten Gebetes erkennen. In dem ersten war der Hauptgegenstand die Macht, welche für uns wirkt. In dem zweiten ist es die Macht, die in uns wirkt. Dort war es eine Macht, welche in Christus wirkte, indem sie Ihn und uns mit Ihm aus den Toten auferweckte. Hier ist es zwar dieselbe Macht, aber dargestellt in praktischer Weise. Gott wollte, dass auch dieses unser Teil werden sollte. Sein Wunsch war es, dass wir, wie im zweiten Kapitel gesagt wird, eine „Behausung Gottes in dem Geist“ werden sollten und durch die Macht dieses Geistes in die gesegneten Offenbarungen der Liebe Christi und der Fülle Gottes eindringen möchten. Ist dies nicht eine bewundernswerte, ja unbegreifliche Wahrheit? In uns armen, schwachen Gläubigen soll eine solche Kraft wirken? Ist dieses möglich; können wir es glauben? Ja, wir können es glauben, denn das Wort Gottes versichert es uns; es ist nur die Frage, ob wir es wirklich glauben; ich meine nicht, ob wir es verstehen und es für wahr halten, sondern ob wir diese herrlichen Worte wirklich glauben. Und wenn wir dies wirklich tun, sollten die Umstände dann nicht weniger Einfluss auf uns ausüben? Wenn wir in Wahrheit glauben, dass die Kraft Gottes in uns wirkt, sollten wir dann wohl so leicht entmutigt und gedrückt sein, sollten wir uns nicht viel mehr oft mit der Liebe des Herrn und der Fülle unseres Gottes und Vaters beschäftigen? Der Herr möge geben, dass wir diese ganze Kraft kennen lernen, und dass wir auch alle lernen möchten, was es sagen will, dass Er „über alles hinaus zu tun vermag, was wir erbitten oder erdenken.“ Aber nicht allein dieses kann uns die Schwierigkeiten und Gefahren dieser Wüste geringschätzen lassen, sondern besonders auch das Bewusstsein unserer zukünftigen Herrlichkeit, die „auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter“ fortdauern wird. Welch ein Vorrecht, welch eine Unterscheidung vor der Welt! Ewig in seiner Nähe, in der Gegenwart unseres Vaters zu verweilen! Herrlicher Gedanke – gesegnete Zukunft! Ja dir, o Herr, sei Preis und Ruhm, Dir „sei die Herrlichkeit in der Versammlung in Christus Jesus, auf alle Geschlechter des Zeitalters der Zeitalter! Amen.“

Nachdem wir nun in dieser Weise der Kirche in ihrer gesegneten Verbindung mit Christus bis in die gesegnete Zeit ihrer ungestörten Herrlichkeit gefolgt sind, möchten wir unsere Betrachtungen über diesen köstlichen Gegenstand mit einigen Worten über ihre Stellung, welche sie kurz vor ihrer Aufnahme einnimmt, beschließen. Dieses finden wir in Offenbarung 22. „Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wer da dürstet, komme; und wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Ihr Auge ist hier auf Ihn – ihren Bräutigam – gerichtet. Sie weiß, dass Er „die Wurzel und das Geschlecht Davids ist, der glänzende Morgenstern“, und mit sehnsüchtigem Verlangen sieht sie seiner Ankunft entgegen. Aber dabei vergisst sie keineswegs, dass Er welcher der einzige Gegenstand ihrer Herzensfreude ist, auch noch immer die Quelle lebendigen Wassers für jeden Durstigen ist, und in Übereinstimmung mit ihrem geliebten Herrn verkündigt sie jedem die freie Gnade: „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ In solcher Weise wird uns die Braut des Herrn in diesem Vers vorgestellt; aber möchte ich fragen, entspricht sie jetzt, wo die Ankunft ihres Bräutigams so nahe ist, wohl immer dieser Berufung? Ach, leider tut sie dieses im Allgemeinen wenig; viele Christen gehen ihren Weg durch diese Welt, ohne sich um das Heil verlorener Sünder viel zu kümmern und ohne sich mit der herrlichen Ankunft des Herrn zu beschäftigen. Indessen können wir sicher davon überzeugt sein, dass je mehr das Verlangen nach seiner Wiederkunft zu unserer Aufnahme in unseren Herzen rege ist, wir uns desto mehr um die Errettung verlorener Sünder kümmern werden. Nie wird das Herz so sehr nach der Bekehrung von vielen Seelen verlangen, als wenn uns der Gedanke beschäftigt: Der Herr ist nahe; nur noch kurze Zeit können wir das Evangelium der freien, unumschränkten Gnade der Welt verkündigen. Und wenn wir die eben angeführte Stelle einige Augenblicke genau betrachten, werden wir finden, dass auch dort hiervon eine Andeutung zu finden ist. Der Ruf zu der Welt: „Komm, nimm das Wasser des Lebens umsonst“, steht in unmittelbarer Verbindung mit dem Verlangen des Geistes und der Braut nach der Ankunft des geliebten Herrn. Das eine folgt so zu sagen aus dem anderen. O, mochten wir doch nie aufhören, für die Errettung der Sünder zu beten, damit noch viele vor seiner Ankunft sich seiner Liebe erfreuen können und Ihn loben, der sie von all ihren Sünden befreit hat! Nicht lange haben wir, geliebte Brüder, mehr Zeit, um Sünder mit der Gnade Gottes bekannt zu machen. Bald wird der Tag da sein, wo Er uns in seine Herrlichkeit aufnimmt. Blicken wir nur um uns her, welche ungeheure Umwälzungen in Kirche und Staat vor sich gehen, welch ein revolutionärer Geist sich überall einschleicht und alle Stände der menschlichen Gesellschaft durchsäuert. Achten wir nur einmal darauf, wie alles sich eilt und anstrengt voranzugehen. Der Schlummer von achtzehn Jahrhunderten ist vorbei; das neunzehnte steht jetzt da und entfaltet die menschliche Große und Herrlichkeit auf eine Weise, bei welcher alle frühere Entwicklung in den Hintergrund tritt. Aber bald wird alle menschliche Große ihren Gipfel erreicht haben, bald wird sie in dem Antichristen, dem Menschen der Sünde, ihren wahren Charakter zeigen. Nach diesem Ziel strebt Satan jetzt, und sein hauptsächliches Mittel dabei ist, die Menschen ganz und gar van Christus abzuziehen und sie auf ihre eigene Vernunft und Erfahrung sich stützen zu lassen. In solchem Zustand befindet sich jetzt die Welt, und wie sieht es in der wahren Kirche aus? Auch sie hat sich aus ihrem Schlummer erhoben, in welchem sie Jahrhunderte lang versunken lag. „Als der Bräutigam verzog, wurden die zehn Jungfrauen alle schläfrig und schliefen ein“, und bis vor einigen Jahren waren alle Gläubigen noch in diesem moralischen Schlafe. Wir vergessen hierbei keineswegs das große Werk des Heiligen Geistes in den Tagen des Mittelalters – in dieser gesegneten Zeit der Reformation. Obwohl der Herr über viele Länder das Licht des lauteren Evangeliums verbreitete, so war doch diese Wahrheit – die Wiederkunft des Herrn zur Aufnahme seiner. Versammlung – nicht bekannt. Auch damals lag die Kirche in tiefem Schlaf versunken. Aber der Herr sei gelobt und gepriesen, dass Er in unseren Tagen seine Kinder auf die Ankunft Christi aufmerksam gemacht hat. Die zehn Jungfrauen sind aufgestanden, das mitternächtliche Geschrei: „Siehe, der Bräutigam kommt!“ ist ertönt und verbreitet sich durch des Herrn Gnade immer weiter und weiter unter seinen Kindern. Hunderte von Verkündigern des Evangeliums sind ausgegangen, um dem Sünder mit der unumschränkten Gnade Gottes bekannt zu machen. Sie sind dem Ruf gefolgt: „Geht hin in die ganze Welt, predigt die gute Botschaft der ganzen Schöpfung.“ Und was ist die Folge? Tausende und aber Tausende haben die frohe Botschaft angenommen und erfreuen sich jetzt ihrer Errettung. Selbst solche Gegenden, wo früher nie das Evangelium verkündigt wurde, sind jetzt mit der freien Gnade bekannt gemacht, und obwohl sich auch viel Feindschaft gegen die Diener des Herrn erhebt, so sind doch auch viele zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen. Ja, die Worte des Herrn, ausgesprochen gegen die Versammlung zu Philadelphia, können jetzt mit Recht Anwendung finden: „Siehe, ich habe vor dir gegeben eine geöffnete Tür, die niemand zu schließen vermag.“ Möchten wir doch von dieser Gelegenheit, die sich jetzt so manchmal darbietet, mehr Gebrauch machen, und lasst uns dann auch nicht vergessen, Ihn zu bitten, dass Er noch viele Türen öffnen möge, denn Er ist „der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel des David hat, der da öffnet, und niemand schließt, und schließt, und niemand öffnet.“

Wir haben also gesehen, dass alles in Schrecken erregender Weise sich seinem Verderben entgegenstürzt, dass die Schranken, in welchen sich die Menschen jetzt noch einigermaßen befinden, bald zerbrochen sein werden und die Worte des Herrn, welche wir in Lukas 21,25–26 finden, bald in Erfüllung treten werden: „Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf der Erde Bedrängnis der Nationen in Ratlosigkeit bei brausendem Meer und Wasserwogen; indem die Menschen verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen; denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden.“ Schon den Anfang hiervon sehen wir jeden Tag im täglichen Leben; nicht lange aber wird es mehr dauern, wo diese Worte vollkommen werden erfüllt werden. – Doch kehren wir noch einige Augenblicke zu dem Zustand der Kirche in den letzten Tagen zurück. Die Stelle in Offenbarung 22,17, welche wir oben schon anführten, bezieht sich natürlich nicht, wie schon jeder eingesehen haben wird, auf die bekennende Kirche in ihrem Ganzen, sondern nur auf solche, welche Glieder des Leibes Christi sind und mit verlangendem Herzen nach seiner Ankunft ausschauen. „Der Geist und die Braut sagen: Komm!“ und jeder, der Frieden im Blut Christi gefunden hat und diesen Ruf hört, wird aufgefordert, mit diesem Ruf einzustimmen und in Erwartung seiner baldigen Ankunft seinen Weg durch diese Wüste fortzusetzen. „Wer es hört, spreche: Komm!“ Wer aber die Gnade noch nicht angenommen hat, möge doch kommen, denn die Zeit ist kurz. „Wer da dürstet, komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Wie lieblich sind die sie Einladungen! O, möchten doch noch viele auf seine freundliche Stimme hören!

Was wird aber, möchte ich noch fragen, aus denen werden, welche jetzt das Evangelium der freien Gnade oft hören und dennoch bei der Ankunft des Herrn noch immer seiner Einladung nicht gefolgt sein werden? Die Antwort ist sehr ernst. Soweit die Heil. Schrift uns hierüber belehrt, wird ihr Zustand dann ohne Hoffnung sein. Wenn man sich weigert die Gnade anzunehmen, was wird dann die Folge sein? „Wie werden wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung vernachlässigen?“ (Heb 2,3) O, möchte doch jeder, der das ewige Leben noch nicht empfangen hat, dieses nicht geringschätzen; möchte er doch die Zeit der Gnade nicht vorbeigehen lassen! Denn der Herr wird offenbart werden mit den Engeln seiner Macht, in flammendem Feuer, um Vergeltung zu geben denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen (2. Thes 1,7–8). Darum, geliebter Leser, wenn du den liebevollen Jesus noch nicht angenommen hast, gehe doch zu Ihm und lass die liebreiche Einladung: „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“ nicht vergeblich für dich sein. Denke nicht: O, es hat noch Zeit; denn Morgen kann der Herr kommen, um seine Braut aufzunehmen, und ach! was wird dann dein Los sein?

Ja, der Herr möge in seiner reichen Gnade geben, dass noch viele sich Ihm zu Füßen werfen, und dass wir, geliebte Brüder, mit der herrlichen Verheißung seiner Ankunft, welche allen Leiden ein Ende machen wird, immer mehr erfüllt sein und mit verlangendem Herzen seiner Erscheinung entgegensehen möchten! Ja, der Herr gebe, dass der Ruf: „Komm, Herr Jesu!“ an allen Orten und Enden unter den Seinen gehört werde!

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