Botschafter des Heils in Christo 1873

Die Stellung und der Zustand des Christen - Teil 1/3

Es gibt zwei Dinge, mit welchen jeder, er an Christus glaubt, gut bekannt sein sollte; denn sie sind für die Gläubigen von der größten Wichtigkeit. Wir meinen die Stellung und den Zustand des Christen – seine Stellung vor Gott in Christus, und seinen Zustand, welcher dieser hohen und heiligen Stellung entspricht.

Welcher Gegenstand könnte für die Seele, welche den Herrn kennt, belehrender sein? Vertrauen wir daher in aller Einfalt auf die Gegenwart des Heiligen Geistes welcher allein die Person und die Stellung Christi offenbaren und uns ihren Platz in Ihm bewahren kann. „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir mittelst des Glaubens auch Zugang haben zu dieser Gnade, in welcher mir stehen, und rühmen uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes“ (Röm 5,1–2). In Christus besitzen wir alles. Das sehen wir deutlich aus dieser Stelle. Wir sind gerechtfertigt, haben Frieden und Zugang zu der Gnade und rühmen uns in Hoffnung der Herrlichkeit, ja der Herrlichkeit Gottes. Mit diesen Dingen sind wir jetzt in der gesegnetsten Weise verbunden, indem wir Christus, die Hoffnung der Herrlichkeit, im Herzen haben. „Denen Gott kundtun wollte, welches der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses ist unter den Nationen, welches ist Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol 1,27).

Die Person und das Werk Christi müssen bei einem solchen Thema der gesegnete Gegenstand des Nachsinnens unseres Herzens werden. Seine Erniedrigung und seine Herrlichkeit, als die des geliebten Sohnes des Vaters, erfüllen das Herz ganz und gar. Man freut sich der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Liebe wird im Herzen hervorgebracht durch die Betrachtung seiner Liebe. Wenn wir die Stellung und den Zustand des Gläubigen betrachten, so muss Christus selbst der Mittelpunkt unserer Gedanken und unserer Anbetung sein; das Herz muss durch innige Gemeinschaft mit Ihm von dankbarem Lob überfließen. Wenn wir in seiner Gnade stehen, müssen wir auch seine Stellung kennen, um unsere eigene zu beachten; und wenn wir in Ihm geliebt sind, müssen wir auch die Liebe des Vaters zu dem Sohn kennen, um seine Hiebe gegen uns zu verstehen. Und in dem Maß, wie wir in diese gesegneten Wahrheiten eindringen und uns mit Christus beschäftigen, wird auch unser Zustand hier unten der Abdruck unserer Stellung dort oben sein.

Die zwei Gebete des Apostels Paulus in seinem Brief an die Epheser stellen uns den Gegenstand unserer Betrachtung ganz deutlich und klar vor Augen. Gebe der Herr, dass wir dieses wohl beachten und die wunderbare Tiefe und Höhe seiner Wege und seiner Herrlichkeit, als die des einst leidenden, jetzt aber verherrlichten Jesus ergründen, sowie auch die Lieblichkeit seiner Liebe und die innere Kraft des Heiligen Geistes kennen lernen.

Zunächst sehen wir, dass der Apostel in Kapitel 1,15–23 betet, dass die Heiligen ihren Platz oder ihre Stellung in dem auferstandenen und verherrlichten Haupt, Jesus Christus, kennen und einen tiefen und richtigen Begriff ihres Platzes vor Gott in Ihm, der alles unter seine Füße unterworfen hat, bekommen möchten. Im Zusammenhang hiermit werden die Heiligen in dem letzten Kapitel aufgefordert, ihre Stellung gegen jeden Feind zu behaupten. „So steht nun“, sagt der Apostel; er sagt nicht: „macht Fortschritte;“ denn es gibt keinen höheren und besseren Platz. Deshalb heißt es: „steht nun.“ Wiederum betet Paulus in Kapitel 3,14–21, dass sie sich in dem Zustand befinden möchten, welcher ihrer Stellung entspräche. In diesem Gebet drückt er den Wunsch aus, dass sie mit Macht durch seinen Geist an dem inneren Menschen gekräftigt werden möchten, dass Christus durch den Glauben in ihren Herzen wohnen und sie in Liebe gewurzelt und gegründet seien.

Von sehr großer Wichtigkeit ist auch, dass jedes dieser Gebete auf die beiden Beziehungen, in welchen Gott zu Christus, und folglich auch in Ihm zu uns steht, gegründet sind. Wenn wir dieses einsehen, so werden wir nicht nur die beiden Gebete, sondern auch den ganzen Brief besser verstehen. Der Apostel fängt selbst mit dieser Zweifachen Beziehung seinen Brief an und lässt diesen Gedanken in seinem ganzen Briefe durchstrahlen: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ Er ist unser Gott und Vater in Christus. Sobald unser Herr auferstanden war, machte Er diese köstliche Wahrheit bekannt. Sie ist auf die vollbrachte Erlösung gegründet. „Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, und zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (Joh 20,17). Welch eine gesegnete Frucht des Todes und der Auferstehung unseres Heilands!

Das erste Gebet ist zu „dem Gott unseres Herrn Jesus Christus“ gerichtet; das zweite dagegen „zu dem Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ In jedem Gebet entspricht auch der hauptsächlichste Gedanke vollkommen den beiden verschiedenen Titeln. In ersterem wird uns die Macht und Herrlichkeit, welche sich in dem auferstandenen Christus entfalten, dargestellt; in letzterem finden wir dagegen die Verwandtschaft und die Liebe. Der Vater liebt den Sohn, und als solcher hat Er seinen besonderen Platz, ohne erhöht zu sein. Als Mensch, welcher einst für unsere Sünden erniedrigt wurde und Gott dadurch verherrlichte, dass Er diese hinwegnahm, ist Er erhöht worden, und folglich auch wir in Ihm. Liebe und Herrlichkeit sind die köstlichen Gegenstände der Wahrheit, welche sich jetzt unseren Augen darstellen – Liebe zu dem Sohn, Herrlichkeit für Christus – und also sind auch wir geliebt und verherrlicht in Ihm. Gesegnete Wahrheit! Wie köstlich für unsere Seelen! Welche Gnade! welche Liebe! welche Herrlichkeit! Ist es möglich, dass wir etwas anders tun, als ewig Ihn loben und preisen?

Aber die Fülle und der Reichtum dieser wunderbaren Wahrheiten wird, glaube ich, deutlicher hervortreten, wenn wir die verschiedenen Teile und Bitten der beiden einzeln betrachten.

„Weshalb auch ich, nachdem ich vernommen habe den Glauben an den Herrn Jesus, der in euch ist, und die Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, nicht aufhöre für euch zu danken, euer erwähnend in meinen Gebeten“ (V 15–16). Von welcher Versammlung von Gläubigen würde der Apostel jetzt wohl dasselbe sagen können? Von den Ephesern konnte dies gesagt werden; denn Christus nahm den rechten Platz in ihren Herzen ein, und folglich standen die Heiligen auf dem richtigen Standpunkt. Diese beiden Dinge – Glaube an Christus und Liebe zu den Heiligen – gehen zusammen; das eine ist, so zu sagen, die Frucht des anderen. Wenn Christus nicht seinen Platz in unseren Herzen hat, so werden auch die Gläubigen nur einen sehr geringen Platz darin einnehmen. Die Epheser liebten nicht nur diejenigen der Heiligen, deren Charakter und deren Gewohnheiten ihnen angenehm waren; nein, sie besaßen „Liebe zu allen Heiligen.“ Hieraus soll man aber nicht schließen, dass wir alle Gläubigen in gleichem Maß lieben müssen; dies wäre ganz unmöglich. Wir sollen sie aber alle als Kinder Gottes lieben; von seinem und nicht von unserem Gesichtspunkt aus müssen wir sie betrachten. Wohl können wir unsere besonderen Freunde unter Gottes Kindern haben, ja dies kann oft nützlich für uns sein; aber wir müssen wohl darauf bedacht sein; anderen Christen durch die Offenbarung unserer speziellen Zuneigung keinen Anstoß zu geben.

Aber wie können wir dieses verwirklichen – diese Liebe zu allen Heiligen? Ist es nicht unmöglich für uns, allen Heiligen ohne Ausnahme Liebe zu erweisen? O, nein! wir können ohne Zweifel diese Stellung einnehmen, wenn wir sie in dem Licht des Herrn betrachten, wenn wir seine Gedanken über sie kennen lernen. Nur dieses wird uns über alles das, was nicht liebenswürdig bei den Heiligen ist, hinwegsehen lassen, und wird uns bewahren vor Eigenliebe und Selbstsucht, welche unserer Liebe zu anderen immer so sehr im Wegs stehen. „Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie Er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft mit einander“ (1. Joh 1,7). Gott muss den ersten Platz einnehmen, wenn wir einander als seine Kinder lieben sollen.

Als Paulus, der große Apostel der Heiden, gefangen in Rom saß, als er getrennt von seinen Freunden, abgehalten von dem Besuch der Versammlungen und seiner Arbeit für das Evangelium, und alt und schwach war, als sogar etliche „seinen Banden Trübsal zuzufügen gedachten“, indem sie „Christus nicht lauter verkündigten“, drückten da etwa die Umstände ihn nieder, oder beunruhigten sie sein Herz? O nein! dies war nicht möglich; denn die Ehre Christi und die Bekehrung von Seelen war ihm mehr wert als seine persönliche Freiheit und sein Teil an dem Werk. Deshalb konnte er sagen: „Was ist es denn? Wird doch auf alle Weise, sei es aus Vorwand oder in Wahrheit, Christus gepredigt, und darüber freue ich mich, ja, ich werde mich auch freuen.“ Mochte man Christus aus Vorwand, damit noch Trübsale seinen Banden zugefügt würden, oder in Wahrheit und Lauterkeit verkündigen, stets floss das Herz des Apostels von Freuden über. Seine Freude in Gott und seine Liebe zu den Heiligen war außerordentlich. „Ich danke meinem Gott“, sagte er „bei aller meiner Erinnerung an euch, indem ich allezeit in jedem meiner Gebete für euch alle das Gebet mit Freuden tue.“ Ein Strom von Lieds ergoss sich aus jenem traurigen Kerker zur Erfrischung aller Versammlungen – aller Heiligen; und noch immer erquickt diese unvergleichliche Liebe viele Gläubigen. Statt durch seine Feinde erschreckt oder entmutigt zu werden, hatte er seine Augen auf Christus gerichtet und war von Freuden über seine Brüder in Christus erfüllt. Was anders konnte einen so herrlichen Sieg verleihen, als die innige Gemeinschaft mit dem Herrn? Wohl konnte der Feind ihm seine Frei heil nehmen und ihm einen Platz unter gemeinen Verbrechern bereiten; aber Christus konnte er ihm nicht nehmen, noch seine Liebe zu den Heiligen. Köstliches Vorbild! Gesegnete Lehre für unsere Herzen! Möchten wir es zu verstehen und ihm in treuer Weise nachzufolgen suchen!

„Auf dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst“ (V 17). Hier sehen wir den Apostel als Lehrer, sowie auch als Fürsprecher vor uns. Es herrscht zwischen seinem Gebet und den Wahrheiten, welche er gerade ausgesprochen hat, vollkommene Übereinstimmung. Er betet keineswegs, dass sie Vergebung ihrer Sünden oder den Heiligen Geist empfangen möchten. Weshalb nicht? Weil sein Gebet mit seiner Lehre vollkommen im Einklang war. Oft hört man im Gebet dasjenige wieder zerstören, was bei der Belehrung aufgebaut wurde. Nicht also der Apostel; er sucht vielmehr, was er bei seiner Belehrung gesagt hat, im Gebet kurz zu wiederholen. Nachdem er die Heiligen zu Ephesus als Kinder Gottes und „gesegnet mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus“ angeredet hatte, konnte er unmöglich beten, dass sie die Liebe Gottes und die Vergebung ihrer Sünden erkennen möchten. Er hatte ihnen schon diese gesegneten Wahrheiten gelehrt, ihnen die Versicherung gegeben – ja, er gibt sie den ganzen Brief hindurch allen Heiligen – dass sie Kinder Gottes sind, nach dem Wohlgefallen seines Willens, dass sie die Freude seines Herzens sind; dass sie begnadigt sind in dem Geliebten; dass der Heilige Geist in ihnen wohnt, und zwar als Siegel ihrer Errettung und als Pfand ihrer zukünftigen Herrlichkeit. Diese gesegneten Wahrheiten sind nicht nur dem Glauben offenbart, sondern das Herz des Gläubigen ist auch mit ihnen versiegelt durch den Heiligen Geist, welcher in ihm wohnt. „In welchem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geist der Verheißung; welcher ist das Pfand unseres Erbes, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preis seiner Herrlichkeit.“ In schöner Übereinstimmung mit diesen und anderen großen Wahrheiten bittet er, dass Gott ihnen den Geist der Weisheit geben möge, um diese wunderbaren Offenbarungen seiner Gnade zu verstehen, und dass sie im Glauben wachsen möchten in Betreff seiner wundervollen Gedanken und Ratschläge über sie.

Müssen wir aber als Christen nicht unsere Sünden und Fehler bekennen? Ohne Zweifel; gerade dieses sollten wir beständig tun. Ohne dieses können wir nicht mit Gott wandeln. Aber wir sollen den Boden, auf welchem wir vor Gott stehen, nicht untergraben. Unsere Stellung in der Gegenwart Gottes ist in Christus, nach dem Reichtum der Gnade Gottes; und da auf dieser Seite von keinem Fehlgehen die Rede sein kann, so können wir auch den uns gegebenen Platz nicht verlieren. Wir stehen auf diesem Standpunkt „zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade.“ Obwohl wir unserer Fehler als Gläubige tief bewusst sein sollen, so dürfen wir dennoch nicht den Standpunkt armer, verlorener Sünder einnehmen. Dies würde unserer Stellung ganz und gar widersprechen; denn nach der Aussage des Heiligen Geistes sind wir Kinder Gottes und begnadigt in dem Geliebten. Aber wie sollen wir dann unsere Sünden, unsere bösen Gedanken bekennen? Die Antwort ist sehr einfach: Als Kinder des Vaters, nicht aber als Sünder vor Gott. Unsere Fehler und Übertretungen sind deshalb nicht geringer, im Gegenteil, sie sind für Gott viel schmerzlicher; denn wir sündigen als Kinder trotz all unserer Erkenntnis der Liebe und Gnade. Wir können gewiss sein, dass, je besser wir unseren Standpunkt vor Gott verstehen, desto tiefer auch unsere Demütigung irgendeiner Vergehung sein wird. Des Christen Wandel sollte eigentlich seiner Stellung vollkommen entsprechen, wie geschrieben steht: „Seid heilig; denn ich bin heilig.“ Aber leider ist dies oft nicht der Fall, und dann ist es unsere Pflicht, uns zu demütigen und unsere Fehler vor Gott zu bekennen. –

Die Frage ist daher nicht, ob der Christ besser ist, als er je war, sondern ob sein Standpunkt verändert ist. Seine Stellung vor Gott ist nicht länger in dem ersten Adam, sondern in dem zweiten Adam – dem auferstandenen Christus. Nachdem man gläubig geworden ist, wird ein Gott wohlgefälliger Wandel gefordert. „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, der ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat.“ Dennoch ist ein Christ nicht ohne Sünde, wie wir aus 1. Johannes 2,1 sehen: „Wenn jemand gesündigt hat, so haben wir einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten.“ In solcher Weise spricht die Heilige Schrift von den Geliebten Gottes – von unserer neuen Natur. Wenn hingegen von der alten Natur die Rede ist, so wird gesagt, dass in uns nichts Gutes wohne. Durch diesen Sachwalter – durch sein Blut – werden all unsere Fehler ausgetilgt und kommen nicht vor den Thron Gottes. Welch eine Gnade, dass Christus all, unsere Angelegenheiten in Händen hat! Seinem Namen sei Lob und Dank!

Der Apostel wendet sich in seinem ersten Gebet an den „Gott unseres Herrn Jesus Christus, den Vater der Herrlichkeit.“ Die Macht Gottes, welche in der Erhöhung Christi und des Christen in Ihm dargestellt wird, ist der hauptsächlichste Gedanke in diesem Gebet. Der durch den Ausdruck „Vater der Herrlichkeit“ hervorgebrachte Gedanke ist sehr köstlich für das Herz eines Kindes; denn mit dem Namen „Vater“ ist der Begriff „Liebe“ unzertrennlich verbunden, wie mit dem Titel „Gott“ die „Macht“ verknüpft ist. Diese Liebe des Vaters ist die Quelle all jener Herrlichkeit – all jener vollkommenen Segnungen. Er ist der „Vater der Herrlichkeit.“

Groß und wunderbar entfaltet sich hier in der Tat die Macht Gottes dem Glaubensauge. „Die unüberschwängliche Größe seiner Macht an uns, den Glaubenden, nach der Wirkung der Kraft seiner Stärke, in welcher Er gewirkt hat in dem Christus, da Er Ihn aus den Toten auferweckte und Ihn setzte zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern.“ Aber, möchte einer fragen, stehen diese Dinge – Liebe und Herrlichkeit – nicht mit einander in Verbindung? Ohne Zweifel; nur ist die Liebe größer und schöner als die Herrlichkeit. Die glänzendste Herrlichkeit ist bloß die äußere Offenbarung der Liebe. Beide werden im tausendjährigen Reiche gesehen werden. Dann wird der Himmel, so zu sagen, der Erde näher gerückt werden, wie es bei Jakob der Fall war, der die Erde durch eine Leiter mit dem Himmel verbunden sah; dann wird die Kirche auch mit Christus vereinigt sein, wovon der Herr selbst in Johannes 17 spricht: „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben, auf dass sie eins seien, gleich wie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir, auf dass sie in eins vollendet seien, und auf dass die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt.“

Wunderbare, gesegnete Wahrheit! Die Herrlichkeit, welche der Vater dem Sohn gibt, wird uns von dem Sohn gegeben, damit die Welt einsehe, dass Gott seinen eignen Sohn gesandt, und der Vater uns geliebt hat, wie Er den Sohn liebt. Welch eine Liebe, welch eine Gnade! Die Welt wird uns also in derselben Herrlichkeit mit Christus sehen und wird dann erkennen, dass wir mit derselben Liebe geliebt sind. Wird die Welt auch unsere Freude im Haus des Vaters ebenso erkennen? O nein! dies ist allein der Ort für seine Kinder, die Heimat, wo alle, die hier unten an Christus geglaubt haben, einst ausruhen werden.

Geliebter Leser, ist dies deine gesegnete Hoffnung? Es ist sicher deiner Aufmerksamkeit völlig würdig. Es ist besser alles einzubüßen, als diese Heimat der Liebe – diese ewige Herrlichkeit zu verlieren. „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben, wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“ (Joh 3,35–36). Gebe der Herr, dass alle, welche diese Zeilen lesen, einst für ewig in jener glückseligen Heimat ihren Aufenthalt haben mögen!

„Damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens, wisst, welches die Hoffnung seiner Berufung ist, und welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen, und welches die überschwängliche Größe seiner Macht ist an uns, den Glaubenden“ (V 18–19). Der erste Gedanke, welcher bei dem Lesen dieser Verse bei uns aufsteigt, ist gewiss, dass Gott die Quelle aller Segnungen ist. Wie schön und köstlich ist dieser Gedanke für das Herz!

Wenn der Apostel im Anfang seines Briefes an die Römer von dem Evangelium spricht, nennt er es „das Evangelium Gottes über seinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn.“ Dort haben wir Gott als die Quelle und Christus als den Gegenstand des Evangeliums. Hier aber ist es in den himmlischen Örtern die herrliche Darstellung seiner Gnade und Liebe, welche Er gegen diejenigen, welche durch das Evangelium zu Ihm gebracht sind, erweist. Aber mag es Gnade und Liebe zu Sündern auf Erden, oder zu Heiligen im Himmel sein, die Quelle ist stets dieselbe. Wunderbar und anbetungswürdig, wenn wir daran denken, welche Geschöpfe wir sind!

Was könnte auch köstlicher und ermutigender für das Herz sein, als die Gedanken und Ratschläge Gottes, die Quelle all unserer Segnungen, zu untersuchen? Dieser Boden ändert sich nimmer; er wird nie vor unseren Augen verschwinden. Vor Grundlegung der Welt wurde schon an unsere Erlösung gedacht; und jetzt liegt in dem auferstandenen Christus, und in den Kindern Gottes als den Auferstandenen in Ihm, die vollkommene Antwort auf die ewigen Ratschlüsse der Liebe. „In welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade“ (V 7).

Aber, lasst uns es wohl beachten, die Quelle ist nicht nur der Ursprung der Freude für uns selbst, sondern auch die Triebfeder der reichsten Segnungen für andere. Wenn wir in richtiger Verbindung mit der Quelle stehen, so werden wir ein Kanal des lebendigen Wassers für andere werden; wir werden dann das Vorrecht haben, die Herde des Herrn zu tränken, wo sie sich versammelt hat. Möchten wir doch nahe bei dem geliebten Herrn – der Quelle aller geistlichen Segnungen – bleiben, damit wir auch anderen Heiligen von dem lebendigen Wasser mitteilen können!

Verweilen wir jetzt, geliebte Leser, einige Augenblicke bei der Berufung des Christen, von welcher in Vers 18 gesprochen wird. Wozu hat der Herr alle Christen in dem Reichtum seiner Liebe berufen? Dies ist eine sehr wichtige Frage. Ist es eine Berufung zu der Hoffnung auf Errettung, mit einem gewissen Grad von Ungewissheit? Keineswegs; denn wir haben unsere Erlösung als eine sichere Tatsache, wie der Apostel in dem zweiten Kapitel dieses Briefes sagt: „Durch Gnade seid ihr errettet, durch Glauben.“ Die Hoffnung seiner Berufung ist das, wozu wir in Christus Jesus, als Kinder Gottes, berufen sind. Wir sollen uns freuen in dem auferstandenen Christus, der, über alle Feinde triumphierend, gen Himmel gefahren ist und jetzt zur Rechten Gottes sitzt. Das ist unsere Berufung durch den Glauben.

In diesem Teil seines Gebets denkt der Apostel ohne Zweifel an die Worte, welche er im Anfang des Kapitels gebraucht hat: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, wie Er uns auserwählt hat in Ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor Ihm in Liebe; und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens“ (V 3–5). alles ist hier Gnade – vollkommene, aus der Liebe Gottes hervorgegangene Gnade. Gott wird hier allein als der Segenspender vorgestellt; in seinem Herzen befindet sich die Quelle aller Segnungen; aber Christus ist die Grundlage von allem. In Ihm sind wir gesegnet, durch Ihn ward uns Vergebung aller Sünden.

Das Herz des Apostels ist von diesem köstlichen Gegenstand so erfüllt, dass er lobend und anbetend ausruft: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus.“ Alle unsere Segnungen gehen von dieser zweifachen Verwandtschaft – Gott und Vater – aus. In den ersten Worten, welche der Herr nach seiner Auferstehung seinen Jüngern sagen ließ, entfaltete Er diese gesegnete Wahrheit. „Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, und zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Seine Jünger konnte Er Brüder nennen; Er konnte sie auf denselben Platz stellen, wo Er stand. Wunderbare Wahrheit! Zu der Erkenntnis und dem Glauben dieser Wahrheit – zu der praktischen Offenbarung derselben bist du, christlicher Leser, berufen. Lass es nicht unbeachtet, sondern betrachte es als Gottes Wahrheit; denn es ist nicht nur eine Meinung, ein Gefühl, sondern wahre Wirklichkeit.

„Wie Er uns auserwählt hat in Ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos seien vor Ihm in Liebe“ (V 4). dieser Vers stellt uns die Segnungen der Berufung Gottes in Verbindung mit der göttlichen Natur dar, während uns dagegen im fünften Vers die herrliche Verwandtschaft zwischen dem Vater und uns – seinen Kindern – offenbart wird. „Heilig und tadellos in Liebe“ – nur in einer solchen Gestalt können wir in die Gegenwart Gottes gebracht werden; als ein heiliger und gerechter Gott kann Er nur diejenigen in seiner Gegenwart dulden, welche, wie Er, heilig und ohne Sünden sind. Als Vater aber erinnert Er uns durch den Heiligen Geist an die gesegneten Vorrechte einer innigen Verwandtschaft, Er, der Schöpfer des Himmels und der Erde, nennt uns seine Kinder. Welch eine Gnade! Welche reichen Segnungen! Möchte doch jeder Gläubige einsehen, dass diese zwei Hauptsegnungen – die göttliche Natur und die Sohnschaft – in Ihm vereinigt sind; möchte er doch wünschen, eine vollkommene Kenntnis von dem zu erhalten, wozu seine Gnade uns erwählt hat!

Gott selbst ist es, der uns in Christus zu dieser segensreichen Berufung erwählt hat. Der Vorsatz, die Auserwählung, die Liebe – alles ist von Ihm. Er ist die Quelle und der Ursprung von all diesen Segnungen; ja sogar vor Grundlegung der Welt dachte Er schon an uns – an uns, die von Gott abgefallen und in die Sünde gefallen waren. Mit unseren Sünden können wir aber nicht vor seinem Angesicht bestehen; denn Gott kann keine Gemeinschaft mit dem Bösen haben, von Ihm muss die Sünde weit entfernt sein. Deshalb mussten wir Ihm gleichgemacht und unsere Sünden weit von uns getan werden; seiner Natur mussten wir teilhaftig werden, damit wir vor seinem Antlitz als Heilige und Tadellose in Liebe bestehen könnten.

O! möchte doch der ungläubige und noch ungereinigte Sünder daran denken, dass Gott die Ungerechtigkeit unmöglich dulden kann, dass Er das Böse einmal richten und alle Gottlosen in den See, der mit Feuer und Schwefel brennt, werfen wird (Off 21,8). Jetzt ist noch die Zeit der Gnade, vielleicht wird es bald für ewig zu spät sein. Jetzt fließt die Quelle des Wassers noch für jeden, der mit dem Wunsch naht, von seinen Sünden abgewaschen zu werden. „Ich will dem, der dürstet, aus der Quelle des Wassers des Lebens geben umsonst.“ Geliebter Leser, wenn du dieses lebendige Wasser noch nicht hast, beachte dann doch diese Worte. Aus freier Gnade – umsonst – bietet Gott dir völlige Vergebung all deiner Sünden an; aber wenn du seine einladende Stimme nicht beachtest, so wird dein Teil in dem Feuersee sein, der mit Feuer und Schwefel brennt. Ernste Warnung für jeden, der sich der freien Gnade noch nicht ergeben hat.

Der Gedanke an eine vollkommene Trennung von Gott in diesem Ort der Qual ist furchtbar, überwältigend. Abgeschieden von Gott und Christus, von allen Guten und Heiligen, von allen Reinen und Glücklichen; verurteilt um für ewig seinen Platz bei den Bösen einzunehmen ist mehr, als wir jetzt verstehen können. Wer könnte es ergründen? Wer ist fähig, das Schreckliche der Worte Jesu am Kreuz zu begreifen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieses „Verlassensein“ werden einst alle diejenigen verstehen, welche hier auf Erben die einladenden Worte Jesu nicht beachtet haben. Verlassen von Gott und all seiner Güte, verlassen von Jesu und seiner versöhnenden Liebe, verlassen von dem Heiligen Geist und all seinen Bemühungen, verlassen von aller Liebe und Freude, werden ihre armen, verlorenen Seelen in die äußerste Verzweiflung geraten. Darum, unbekehrter Leser, gehe zu dem liebreichen Heiland, der dich so freundlich einladet: „Kommt her zu mir, alle Mühselige und Beladene, und ich werde euch Ruhe geben“ (Fortsetzung folgt).

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