Botschafter des Heils in Christo 1873

Wie bewirken wir unsere eigene Errettung?

Wir müssen uns stets daran erinnern, dass das Werk Gottes in Bezug auf sein Volk von zweifacher Art ist: Sein Werk für uns auf dem Kreuz und sein Werk in uns durch den Geist. Die angeführte Stelle belehrt uns durchaus nicht über den Weg, Frieden zu erlangen. Sie wendet sich an solche, bei denen die Erkenntnis ihrer Annahme bei Gott durch das Gesegnete Werk Jesu Christi vorausgesetzt wird. Wollen wir sie benutzen, um das Gewissen zu beruhigen oder um Frieden zu erlangen, so wird sie nur dazu dienen, gesetzliche Anstrengungen zur Erreichung eines Zieles hervor zu rufen, welches wir, wenn anders das Gewissen aufrichtig vor Gott ist, auf diesem Weg nimmer erreichen werden. Um Frieden zu erlangen und das schuldige Gewissen zu befriedigen, haben wir vor Gott nichts anders nötig, als „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, welches von aller Sünde reinigt.“ Auf dem Kreuz, wo sich Christus ohne Flecken Gott zu einem wohlriechenden Opfer geopfert hat, findet unsere Sünde ihre Beantwortung, so dass alle ihre Folgen für immer beseitigt sind. Hier ist Gott vollkommen verherrlicht und befriedigt, indem Christus für mich starb, der ich ein Sünder und als solcher ungöttlich und ohne Kraft war. Ich habe also, wie der Apostel Petrus sagt, „die Errettung meiner Seele“ (1. Pet 1,9). Allein die Seligkeit ist nicht ganz vollständig, obwohl sie meine Sicherheit ist. Die Seligkeit nach den Gedanken Gottes ist, dass wir bei Christus und Ihm völlig gleich sind, „damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Röm 8,29). In Betreff unserer Stellung und Annahme ist jetzt alles vollkommen; denn „wie er ist, sind auch wir in dieser Welt und haben daher Freimütigkeit am Tag des Gerichts“ (1. Joh 4,17). Und dieses ist in zweifacher Weise wahr. Nicht nur sind unsere Sünden für immer beseitigt, sondern wir befinden uns auch in einem neuen Leben. Nach den Briefen des Paulus sind wir durch den Tod und die Auferstehung Christi in diese Stellung eingeführt; nach denen von Johannes sind wir aus Gott geboren; so dass wir mit Paulus sagen können: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20), und mit Johannes: „Ein jeglicher, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“ (1. Joh 3,9). Was daher unsere Stellung vollkommen macht, ist, dass für alle mit dem Leben und dem Zustand des alten Adams verbundene Sünden eine Versöhnung geschehen ist, dass sie alle für immer beseitigt sind und wir uns in einem reinen Leben befinden, welchem sich vor Gott keine Sünde anhaften kann, sowie der hochgelobte Herr zu Petrus sagt: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, denn sich die Füße zu waschen“ (Joh 13,10). Welch ein gesegneter Platz! Wir sind befähigt, uns der Strahlen des Angesichts Gottes zu erfreuen, welches „besser ist als das Leben.“

Aber ist das alles? Ich wage kaum es zu verneinen; doch die angeführte Stelle in Philipper 2 gibt uns eine vollständige Antwort. Gerade die Vernachlässigung dieser Seite der. Wahrheit ist es, welche oft bei denen, die ihrer Annahme gewiss sind, einen höchst traurigen Wandel, und darum auch einen Verlust des vollen Bewusstseins ihrer Annahme und des Genusses ihrer Vorrechte verursacht. Richten wir daher für einen Augenblick unseren Blick auf diese Seite des Werkes Gottes in uns. Gerade auf diesem Grund zeigt uns unser Brief, dass wir völlige Sicherheit haben; denn „Der, welcher in euch angefangen hat ein gutes Werk, wird es vollführen bis auf den Tag Jesu Christi“ (Phil 1,6). Aber wiewohl wir uns stets erinnern müssen, dass alles – sowohl das Werk für uns als Sünder, als auch in uns als Gläubige – aus Gott ist, so haben wir doch als Gerettete unsere Verantwortlichkeit, nicht etwas Großes zu tun, sondern uns Gott zu unterwerfen. In der angeführten Stelle sagt uns nun der Apostel, was Gott in uns wirkt; es ist „das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.“ Von Natur hatten wir unseren eigenen Willen, welcher uns zu „Kindern des Zorns, wie auch die Übrigen“ machte. Der erste Adam, mit welchem wir verbunden waren, fiel durch Ungehorsam und ruinierte sein ganzes Geschlecht. Der zweite Adam, „der Herr vom Himmel“, tat nie seinen eignen Willen als im Gegensatz zu dem Willen seines Vaters, sondern fand seine Speise und seinen Trank darin, dass Er den Willen dessen tat, der Ihn gesandt hatte. Nun ist es gerade dieser Wille des ersten Adams in uns, welchen Gott zu brechen hat, um uns in unseren Wegen, in unserem Wandel und in unserer Gesinnung seinem Sohn gleichförmig zu machen, wie wir Ihm hinsichtlich unserer Stellung – mit Ausnahme seiner Gottheit – gleichförmig sind. Aber wie oft vergessen wir dieses und begnügen uns damit, dass wir uns von anerkanntem Übel fernhalten! Doch dieses steht tief unter den Gedanken Gottes in Betreff unserer. Wir haben gewöhnlich viel zu niedrige Begriffe von dem, was Sünde ist. Wenn wir aber die Heilige Schrift zur Hand nehmen, so werden wir finden, dass der in einer Kreatur wirkende Wille Sünde ist. So lesen wir in 1. Johannes 3,4: „Ein jeglicher, der die Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit;“ – das ist, der ganze Wille ist Sünde, selbst wenn auch seine Ausbrüche nicht die Form einer Übertretung des Gesetzes in offenbarer Bosheit annehmen. Kein Geschöpf hat ein Recht auf einen unabhängigen Willen; und daher sind wir geheiligt „zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“ (1. Pet 1,2). Es mag nichts in unserem Wandel sein, was unser Gewissen beunruhigt; aber unser Trachten sollte sein, unseren Willen Gott zu unterwerfen und in der Tat keinen eigenen Willen zu haben, und nicht nur uns vom Bösen zu enthalten, sondern auch im Gehorsam zu wandeln; denn „Gehorsam ist besser als Opfer, und Aufmerken besser, denn das Fett der Widder.“ Gott erwartet nicht das Vollbringen eines großen Werkes. Es mag jemand einen Eifer und eine Tätigkeit entwickeln, welche die höchste Achtung und Bewunderung der Menschen hervorrufen; aber gehorsam gegenüber dem zu sein, was vor Gott wohlgefällig ist, das ist es, wodurch der schwächste Heilige, auf welchen Platz ihn auch Gott gestellt haben mag, seinen Namen verherrlichen kann.

In diesen Tagen des Wollens und des Wirkens der Menschen bedürfen wir der gänzlichen Unterwürfigkeit unter den Willen Gottes, sowie des völligen Vertrauens auf seine Macht. „Aber wo finde ich seinen Willen?“ fragt vielleicht jemand. Nur und ganz sicher in seiner. Worte. Wir haben nicht nötig, den Eingebungen unserer Herzen blindlings zu folgen, sondern wir bilden, in dem Maß wie wir aus dieser kostbaren Wahrheit schöpfen, unser Verständnis und unser Urteil nach den Gedanken Gottes. „Wir haben den Geist Christi“, und wir leben „nicht vom Brot allein, sondern von jeglichem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht“ zu leben. In der Tat, nur auf diesem Weg, vermögen wir in unserem täglichen Wandel durch diese Wüste Freude und Frieden zu finden. Blicken wir auf unseren gesegneten Herrn, wie Er uns in Matthäus 11 dargestellt wird. Sein Pfad durch diese Welt hatte Ihm nichts als Trauer gebracht. „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen Ihn nicht auf.“ Er musste ein Wehe ausrufen über jene Städte, wo Er die mächtigsten Wunderwerke verrichtet hatte. Nach den sichtbaren Resultaten zu urteilen, musste Er sagen, wie wir in Jesaja 49,4 lesen: „Vergeblich habe ich mich bemüht; unnütz und umsonst meine Kraft verzehrt.“ Insoweit es sich auf diese Szene bezog, gab es für Ihn nichts als Trauer und Hindernisse; und dennoch sagte Er gerade in dieser Stunde: „Ich preise dich, Vater. Herr des Himmels und der Erde, dass du dieses vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Und ebenso konnte Er als der, der alles völlig in sich selbst hatte, ausrufen: „Kommt her zu mir, alle Mühselige und Beladene, und ich werde euch Ruhe geben;“ – sowie zu denen, welche bereits gekommen waren: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“

Was aber war sein Joch? Es war die Unterwerfung unter den Willen seines Vaters, welchen Er auf Erden, umgeben von Schwierigkeiten, stets erfüllte, und in welchem Er seine Ruhe fand. Und darum fügte Er hinzu: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht!“ Dieses wird uns in Johannes 4 klar vor Augen gestellt, wo Er selbst, während sich die Ströme lebendigen Wassers in eine arme dürstende Seele ergossen, eine solche Erquickung fand, dass die vorhergehende Müdigkeit gänzlich verschwunden war. Denn als seine Jünger sagten: „Rabbi iss!“ antwortete Er ihnen: „Ich habe Speise zu essen, die ihr nicht kennt. Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat und sein Werk vollbringe“, Wir nun sind berufen, Ihm auf diesem Pfad zu folgen – einem Pfad, auf welchem das Fleisch, wie sehr es sich dazu auch den Schein geben mag, keinen Schritt zu tun vermag, und auf dem wir nur solange wandeln können, als wir bereit sind, die Unterweisungen, welche das Kreuz gibt, zu lernen und, um seinen Willen zu tun, unseren natürlichen Willen und die eitlen Wünsche unseres Herzens bei Seite zu setzen. Aber unsere Kraft wird nicht darin gefunden werden, dass wir gute Entschlüsse und Vorsätze fassen, sondern darin, dass wir einen wahren Gegenstand haben, der uns anzieht und fesselt. Wenn das Ich der Gegenstand unserer Beschäftigung ist, so wird uns alle Kraft fehlen, wie sehr wir auch unsere Mängel und Gebrechen beklagen, und unsere Gewissensbisse uns drängen mögen, einen neuen Anlauf zu nehmen um das Böse zu überwinden. Ein aufrichtiges Gewissen zu haben, ist durchaus nötig; aber es reicht uns keine Kraft dar. Wir mögen lernen, dass wir keine Kraft haben und dass „in uns, das ist in unserem Fleisch, keine Kraft ist“ – wirklich eine nützliche Lektion; aber unsere Kraft finden wir darin, dass wir mit einem Gegenstand beschäftigt sind, welcher uns erfüllen und befriedigen kann. Und dieses ist der Grund, dass der Apostel uns in diesem Brief Christus in zwei Charakteren darstellt. Wenn meine Gedanken erfüllt sind mit jemandem, der vom Himmel herabstieg, um als Mensch den niedrigsten Platz einzunehmen, so wird dieses auch mich in dem Maß demütig machen, als ich aus der Quelle moralischer Schönheit trinke, die der Geist Gottes mir in Christus darstellt. Einen anderen Weg gibt es nicht. Wenn ich an Ihn denke, Ihn bewundere, so werde ich unbewusst mehr und mehr in sein Bild verwandelt werden. „Diese Gesinnung sei in euch“, sagt Paulus. Aber wie? Wenn ich in mein Inneres blicke und das, was ich dort entdecke zu ordnen suche, so sehe ich mich außer jeglicher Macht, um das Böse wieder gut zu machen, wie sehr ich dasselbe auch verurteilen und betrauern mag. Allein der Apostel fährt fort, die Gesinnung Christi, als in seiner Erniedrigung gesehen, zu entfalten, und sagt: „Blickt auf Ihn!“ Während uns indessen im zweiten Kapitel unseres Briefes der Herr in seiner Erniedrigung gezeigt wird, und zwar damit seine Schönheit in uns wieder hervorgerufen werden möge, wird Er im dritten Kapitel in seiner Erhabenheit und Herrlichkeit gesehen, damit diese Herrlichkeit seinen Heiligen Kraft verleihe, Ihm und zwar mit der gesegneten Gewissheit nachzueilen, dass am Ende seine Wünsche gänzlich erfüllt sein werden. Denn Christus wird als Heiland kommen und „unseren Leib der Niedrigkeit zur Gleichförmigkeit seines Leibes der Herrlichkeit umgestalten, nach der Wirkung, mit der Er vermag, auch alle Dinge sich untertänig zu machen“ (Phil 3,21).

Möge Er uns doch mit jedem Tag mehr verstehen lassen, was es heißt, „mit Furcht und Zittern unsere Seligkeit zu bewirken“, und zwar mit dem Bewusstsein, dass Gott es ist, welcher „Beides in uns wirkt, das Wollen und das Wirken, nach seinem Wohlgefallen!“

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel