Botschafter des Heils in Christo 1873

Jeremia als Beispiel zur Nachahmung

Es ist für uns von Wichtigkeit, die Werkzeuge zu beobachten, deren sich Gott bedient, um seine Ratschlüsse zur Ausführung zu bringen. Diese Werkzeuge sind meistens von solcher Art, dass der durch die Sünde verdorbene Mensch sie sicher als ungeeignet bei Seite stellen würde, während dieselben, wenn Gott sie für seine Zwecke zubereitet hat, seine Macht ins Licht stellen und seinen Namen verherrlichen.

Hierfür liefert Jeremia ein treffendes Beispiel. Wie ängstlich und zurückhaltend er auch von Natur sein mochte, so verlieh ihm doch der Herr den unerschrockensten Mut und setzte ihn in den Stand, eine Arbeit auszuführen, vor welcher selbst das mutigste Herz zurückgeschreckt wäre.

Es ist in der Tat stets eine mühevolle Arbeit, gegen das Böse zu zeugen, um die Bosheit der Menschen, in deren Mitte wir leben, bloß zu stellen und die Sünde eines Volkes zu bekämpfen. Schon der Gedanke an eine solche Arbeit macht uns zittern. Ganz natürlich; denn welche Kraft hat das irdene Gefäß in sich selbst? Doch wenn der Herr mit einem solch schwachen Gefäße ist und es zu seinem Gebrauch zurichtet, dann wird es in seiner Hand „zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer“ (Jer 1,18). in einem solchen Zustand wird man gegen den Strom der Gedanken und Meinungen der Welt geleitet; ja man nimmt eine Stellung gegen die Regeln und Gewohnheiten derer ein, die, was ihr öffentliches Bekenntnis auch sein mag, sich wider Gott erheben und unter der Macht und Autorität des größten Feindes Gottes stehen. „Die Freundschaft der Welt ist Feindschaft wider Gott.“ Es ist das Werk des Glaubens; und dieses Werk zeugt von der Ohnmacht des Geschöpfs und von der Macht Gottes. Wenn wir auf unsere eigene Macht vertrauen und den Sieg von unserer Stärke erwarten, dann trachten wir nach keiner anderen Hilfe; wenn wir hingegen fühlen, dass die Arbeit, zu welcher wir berufen sind, unsere Kräfte übersteigt, dann können wir nur in der Kraft eines anderen unseren Weg fortsetzen. Wendet sich dann das Geschöpf von allen irdischen Quellen ab, um nur auf Gott zu sehen, so wandelt es durch den Glauben. Der Wandel des Glaubens ist geradezu das Gegenteil von dem, was der natürliche Mensch zur Schau stellt, – ein Wandel, der gerade das tut, was weltliche Klugheit vermeiden würde.

Jeremia wird, als der göttliche Befehl zu ihm kam, wie ein schwaches und schüchternes Kind vor unsere Augen gestellt. „Ach Herr, Jehova! siehe, ich weiß nicht zu reden, denn ich bin jung“ (V 6). So lauten die ersten Worte des künftigen Propheten. Er entsetzt sich vor der ihm aufgetragenen Arbeit. Er, der „den Völkern zum Propheten gestellt“ war, sagt: „ich bin jung.“ Wusste denn der Herr dieses nicht? Sicher; denn der Herr hatte bereits gesagt: „Ehe ich dich bildete im Mutterleib, habe ich dich gekannt, und ehe du hervorkamst aus der Mutter, habe ich dich geheiligt, habe dich den Völkern zum Propheten gestellt.“ Das ihm aufgetragene Werk war kein Gedanke, der in ihm erwacht war. Er, der ihn zu den Völkern sandte, hatte ihn schon vor seiner Geburt für dieses Werk gebildet und abgesondert. Bevor Jeremia die Laufbahn seines prophetischen Dienstes betrat, hatte der Herr ihn geheiligt und den Völkern zum Propheten gestellt.

Wie trostreich und ermutigend eine solche Ankündigung für jemanden auch sein mag, welcher gelernt hat, sein Vertrauen auf den lebendigen Gott zu setzen, so blieb sie doch bei Jeremia wirkungslos. Er war nur mit seiner Schwachheit beschäftigt; diese hatte er vor Augen; diese fühlte er; und darum konnte er kein Ohr haben für die Worte: „ich habe dich gekannt; ich habe dich geheiligt.“ Er macht den Einwurf: „ich bin jung.“ Seine Jugend und sein Mangel an Beredsamkeit sind in seinen Augen Grund genug, dass Gott ihn nicht senden dürfe; und dennoch hatte ihn Gott von seiner frühesten Kindheit an für dieses Werk zubereitet.

Wie oft begegnen wir einer ähnlichen Handlungsweise, bei Kindern Gottes; ja, vielleicht haben wir bei uns selbst solche Erfahrungen gemacht. Wir tun oft, als könnten es Schwierigkeiten geben, die Gott übersehen habe, und die uns in der Tat verhinderten, dem Willen Gottes Gehör zu geben. Gott ruft, und wir machen allerlei Einwendungen. Wir denken an unsere Jugend, oder an den Mangel unserer Beredsamkeit, wie Jeremia und wie Mose. Hat denn Gott sich in Bezug auf unsere Unfähigkeit etwa getäuscht? Wie könnte dieses möglich sein? Er hat sie gekannt. Es ist gut, von der eigenen Schwachheit überzeugt zu sein und zu fühlen, dass wir aus uns selber nichts vermögen. „Bin ich schwach, so bin ich stark.“ Jedoch ist es nie gut, unsere Schwachheit zum Vorwand für unseren Ungehorsam gegen Gott zu gebrauchen. Wir können sicher nicht tief genug unsere Nichtigkeit erkennen; aber wir bedürfen auch ebenso sehr des Bewusstseins, dass Gott in allem genug ist. Gehorsam gegen den Herrn geziemt sich allezeit. Gott hatte den Propheten zu einem Dienst berufen, wie unfähig sich dieser auch dazu fühlen mochte. Und menschlich gesprochen war er auch wirklich unfähig genug dazu. Hätten die Menschen jemanden auswählen müssen, dann wäre sicher Jeremia nicht gewählt worden. Auch Isai dachte nicht daran, den kleinen David vor Samuel zu bringen; und Samuel hielt den Eliab für den Auserwählten Gottes. Jedoch konnten sie nichts beschließen, bevor David eingetreten war; und als dieser kam, stand der Gesalbte des Herrn vor ihnen. Jeremia beging einen Irrtum, als er dem bestimmten Befehle Gottes widersprach. Und was hatte er auch damit gewonnen? Konnte er die Absicht Gottes vereiteln? Früher oder später musste er dennoch gehorchen. Jonas trachtete, über das ihm aufgetragene Werk entmutigt, nach Tarsis zu flüchten, um sich der Ausführung desselben zu entziehen. Durch seinen Ungehorsam konnte er das Werk verzögern, jedoch nicht den Rat Gottes verändern. Er musste gehen, und er ging auch später. Israel in der Wüste schrak zurück vor dem Kampf mit den Kanaanitern. Ja, man verschob diesen Kampf vierzig Jahre lang, aber dennoch musste er ausgeführt werden; und dieselben Feinde, vor denen die Väter sich gefürchtet hatten, mussten von den. Kindern überwältigt werden. – Vergeblich bemühte sich Jeremia, den Sinn des Herrn zu verändern (Jer 14), „Denn der Herr der Heerscharen hatte es in seinem Rat beschlossen, wer wird es brechen?“ Die Schwachheit des Propheten gibt Gelegenheit zur Offenbarung der Gnade des Herrn, der durch die Zusage seiner Hilfe und Beschirmung den ängstlichen Diener zu ermutigen trachtet. „Sprich nicht: ich bin jung; denn zu allen, wohin ich dich senden werde, sollst du gehen, und alles, was ich dir gebieten werbe, sollst du reden. Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin mit dir, dich zu erretten, spricht Jehova“ (V 7–8). Weder seine Jugend, noch der Mangel an Beredsamkeit waren in den Augen des Herrn in Bezug auf Jeremia triftige Gründe zur Weigerung der Übernahme des Prophetenamtes. „Und Jehova streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an, und. Jehova sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich bestelle dich an diesem Tag über die Nationen und über die Königreiche, um auszurotten und abzubrechen und zu verderben und zu zerstören, um zu bauen und zu pflanzen.“ – (V 9–10) Welch ein Befehl! Entsetzlich für die Natur des Menschen! Der Glaube erkannte hier den Willen Gottes; und das ist stets genügend.

Doch hiermit endigte nicht das Werk des Propheten. Er hätte die Pflichten seines Dienstes gegenüber den Völkern erfüllen können, ohne mit dem Gegenstand seiner Prophezeiungen selber in Berührung zu kommen; er Hütte diese Prophezeiungen an die betreffenden Völker durch Boten senden können, wie er dieses in einzelnen Fällen auch tat (Siehe Kap 27,2; 51,59–64). Doch ein solches zurückziehen, ward ihm hier abgeschnitten; er musste vor dem Angesicht der Menschen erscheinen; er musste über Juda weissagen und über Jerusalem Gericht ankündigen. „Du aber umgürte deine Lenden und mache dich auf und rede zu ihnen alles, was ich dir gebieten werde; sei nicht verzagt vor ihnen, damit ich dich nicht vor ihnen verzagt mache. Und ich, siehe, ich mache dich heute zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer wider das ganze Land, wider die Könige von Juda, ihre Fürsten, ihre Priester und das Volk des Landes. Und sie werden wider dich streiten und nichts wider dich vermögen; denn ich bin mit dir, spricht Jehova, dich zu erretten“ (V 17–19). Hier war also kein Ausweichen möglich. Trat er zurück, dann wollte der Herr ihn vor ihren Augen beschämen, schritt er vorwärts, so begegnete er ihrem Widerstand und ihrem Hass. Ein Stillstehen war also unmöglich; an ein zurückkehren konnte nicht gedacht werden; ein Vorwärtsgehen war daher das Einzige, was zu tun übrigblieb, und: „ich bin mit dir, dich zu erretten“ – das Einzige, worauf er vertrauen konnte. Doch dieses war das Wort seines Gottes.

Seine Botschaft enthielt die Ankündigung von Bestrafung und Gerichten; es war eine Ankündigung des zukünftigen Zorns, wiewohl vermischt mit einzelnen ausgezeichneten Verheißungen. Es gibt Menschen, die ein Vergnügen daran finden, das Böse unter ihren Mitmenschen ans Licht zu stellen und die über ihrem Haupt schwebenden Gerichte zum Voraus anzukündigen. Hätte nun Jeremia zu ihrer Zahl gehört, so würde er für seine Mühsal in der Voraussicht der Verwirrung und des Elends seiner Widersacher ein Gegengewicht gefunden haben. Allein er war nicht ein Mann von dieser Art. Zwar konnte er, dem Charakter der jüdischen Haushaltung gemäß, um die Bestrafung seiner Feinde bitten (siehe Kap 15,15), aber wir finden ihn von Herzen betrübt über das Übel, welches durch seine Dazwischenkunft angekündigt wird (Kap 4,19–26; 8,18–22; 9,1; 13,17). Sein prophetischer Dienst stand daher in keinerlei Weise mit seinen natürlichen Gefühlen in Übereinstimmung. Von Natur schüchtern, sträubte er sich gegen den Streit mit den Missetätern; und als er das Wort des Herrn aussprach, wodurch er das Elend und die Gerichte, die über sein Volk kommen sollten, ankündigte, litt darunter sein zartes Gemüt nicht wenig, so dass seine aus der Tiefe seiner Seele aufsteigende Fürbitte nur durch den bestimmten Befehl des Herrn, davon abzustehen, zurückgehalten wurde (Kap 7,16; 11,14–15; 14,11; 15,11).

Vom Anfang bis zum Ende seines Dienstes musste er dem gottlosen Teil seines Volkes gegenüberstehen; ja selbst das Haus des Königs mühte er betreten, um den kommenden Jammer anzukündigen. Er wurde beständig in den Vordergrund gestellt und durch den Herrn geleitet, um einen in die Augen fallenden Platz in der Geschichte seines Landes einzunehmen. Und wie verhält sich Jeremia in dieser nicht von ihm gewünschten Stellung?

Er beginnt seine öffentliche Laufbahn damit, dass er zu dem Gewissen der Volksmenge redet und sie von der Große ihrer Schuld zu überzeugen trachtet. Vom zweiten bis zum zwölften Kapitel stellt er ihnen ihre Ungerechtigkeiten vor Augen, die in drei Punkten zusammengefasst werden; – er zeigt ihnen ihr allgemeines Verderben, ihre Abgötterei und ihre Bundbrüchigkeit.

In den Kapiteln 2–6 entfaltet er ihre allgemeine Verdorbenheit, indem er Jerusalem an all das Gute erinnert, welches Gott dem Volk seit dem Tag seines Bestehens erwiesen habe, aber welches ihrerseits stets mit Undank belohnt worden sei. Hatten doch die Kinder Israel ihn, „die Quelle des lebendigen Wassers, verlassen, um sich selbst Gruben auszuhauen, geborstene Gruben, die kein Wasser halten.“ Hatten sie sich doch von dem Herrn ab und zu den Assyrern hingewandt und schließlich, als diese sich gewalttätig erwiesen, die Hilfe der Ägypter gesucht. In ihrer Mitte hatte die Abgötterei samt den damit verbundenen Untugenden eine feste Stätte gefunden (Kap 2,27; 3,9; 5,7–9), während das Wort des Herrn keinen Glauben fand. Dazu Zeigten sie sich aufrührerisch. Alle Stände waren verdorben. Die Handlungen Gottes in seiner Vorsehung blieben wirkungslos (Kap 3,3). „Gleichwie ein Born sein Wasser quillst, so quillst sie ihre Bosheit. ... Sie schämen sich gar nicht; ja, sich zu schämen, kennen sie nicht. ... Man nennt sie ein verworfenes Silber; denn Jehova hat sie verworfen“ (Kap 6,7.15.30). inmitten eines solchen Zustandes war Jeremia als „Warte und Beste“ aufgestellt.

In den Kapiteln 7–10 wird der Prophet zu den Männern von Juda in das Haus des Herrn gesandt, um ihre scheußlichen Sünden ans Licht zu stellen – Sünden, die sie begingen unter dem Ruf: „Jehovas Tempel, Jehovas Tempel ist dies!“ Sie waren Scheinheilige, konnten stehlen, morden, Hurerei treiben, auf den Altären Baals räuchern, und dennoch das Haus des Herrn betreten unter dem Vorgeben, dass sie erlöst seien, um all diese Dinge zu tun. Sie trieben Abgötterei, wie auch die Nationen, zu denen durch ihn, der „den Völkern zum Propheten gestellt war“, die Botschaft gesandt wurde: „Die Götter, die den Himmel und die Erde nicht gemacht haben, werden vertilgt werden von der Erde und hinweg unter dem Himmel“ (Kap 10,11). Dann wird der Herr Gott den Abgöttern gegenübergestellt (V 14–15), und der Grimm Gottes über die Nationen herabgerufen! „Denn sie haben Jakob gefressen, ja, sie haben ihn gefressen und ihn verzehrt und seine Wohnung verwüstet“ (V 25).

Doch außer der mit den Nationen gemeinsamen Abgötterei und den damit verbundenen Sünden gab es eine Sünde, die nur auf Rechnung der Kinder Israel kam. Sie hatten den Bund gebrochen. Dieses wird ihnen in dem elften und zwölften Kapitel vorgehalten. Darum hatte Gott sein Haus verlassen und sein Erbe verworfen (Kap 12,7). Doch danach verheißt Er, sich ihrer zu erbarmen. Das Volk sollte wiederhergestellt werden, während diejenigen, welche seinen Zorn erweckt hatten, ausgerottet werden sollten.

Nachdem nun diese drei Punkte den Kindern Israel zur Last gelegt sind, wird dem Propheten unter verschiedenen Bildern die Gewissheit der Verwerfung des Volkes von Seiten des Herrn angedeutet. Der verdorbene Gürtel am Ufer des Euphrat (Kap 13) bezeichnet die erniedrigte Hoffart. „Ich werde sie zerschmettern einen gegen den anderen, Väter und Kinder Zugleich, spricht Jehova.“ Der Herr wird niemanden verschonen und sich ihrer nicht erbarmen. Bei Gelegenheit einer Dürre muss der Prophet nochmals erfahren, dass der Herr keine Fürbitte annehmen will. Schwert, Hunger, Tod und Gefängnis sollten das Los der Gesetzlosen sein, während für die Treuen nichts anders übrigblieb, als sich von jenen zu trennen (Kap 14,15). Die beiden folgenden Kapitel zeigen, wie weit diese Absonderung gehen muss; nicht nur mit dem Herzen, sondern auch durch die Tat müssen sie sich von ihnen trennen (Kap 16,1–8). Solch ein Pfad wird sicher stets ein mühevoller sein. Jedoch werden die Treuen gestärkt durch die Zusicherung des Segens, der auf jedem ruhen wird, dessen „Vertrauen Jehova ist“, während der Fluch denen folgt, welche auf Menschen vertrauen (Kap 17,5–8). Das Gefäß, das unter der Hand des Töpfers verdorben, sowie der Krug, der durch den Propheten vor den Augen der Ältesten des Volkes und der Ältesten der Priester zerbrochen wird, bezeichnen die Macht Gottes und sein Recht, mit seinem Volk zu machen, was Er will (Kap 18,1–6; 19,1).

Die Kapitel 21–24 beschäftigen sich mit dem königlichen Haus Davids, mit dessen Züchtigungen und der zukünftigen Herrlichkeit, die sich an dieses Haus knüpft. Sallum, der Sohn Josias, soll nimmer wiederkehren, noch sein Vaterland wiedersehen (Kap 22,11). Jojakim soll mit eines Esels Begräbnis begraben werden (V 19). Chonja, ein verachtetes, zerbrochenes Gefäß (V 28), soll in Babel kinderlos sterben; aber dennoch sollte das Haus Davids nicht für immer abgeschnitten werden. „Siehe, Tage kommen, spricht Jehova, dass ich David einen gerechten Spross erwecken werde, der wird als König regieren und verständig handeln, und Recht und Gerechtigkeit ausüben im Land. In seinen Tagen wird Juda errettet werden, und Israel in Sicherheit wohnen; und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: Jehova, unsere Gerechtigkeit“ (Kap 23,5–6). Doch dieses gehört der Zukunft an und ist noch nicht erfüllt. Wie ganz verschieden war die Szene in den Tagen Jeremias! inmitten der Ungerechtigkeit der Könige, der Propheten und der Priester erscheint diese Weissagung als ein Lichtpunkt in der alles umringenden Finsternis. Bevor sie jedoch verwirklicht werden und die Herrschaft der Gerechtigkeit beginnen konnte, musste ein allgemeines Gericht über die Völker ausbrechen. Der Becher, der zunächst durch Juda getrunken wurde, musste danach durch alle Völker, und selbst durch Babel – dieser Rute, deren sich Gott zur Ausführung seiner Ratschläge bediente – geleert werden (Kap 25).

Jetzt beginnt ein anderer Teil des Buches. Die Herrschaft, die von Juda gewichen war, musste den Händen der Nationen überliefert werden; und alle mussten sich unterwerfen, weil Gott es also wollte. Der Prophet befand sich daher in einem höchst beschwerlichen Zustand; er musste seine Landsleute – sowohl die, welche sich noch in Judäa befanden, als auch die, welche bereits gefangen weggeführt waren – samt den umliegenden Nationen ermahnen, sich der Herrschaft Nebukadnezars zu unterwerfen. Jedoch sollte dieses nur für eine bestimmte Zeit sein. Später sollte Israel wiederhergestellt werden, seine eigenen Herrscher haben, und David, der König Israels, wieder, in seiner Mitte sein. Dieses ist der Inhalt der Kapitel 26–33. In den Kapiteln 35–45 finden wir das verschiedene Laos derer, die nur zum Schein, und derer, die in Wirklichkeit gehorsam sind, aufgezeichnet. Jene werden vertilgt, diese retten ihr Leben. Die letzten Kapitel unseres Buches beschäftigen sich mit Weissagungen über etliche Völkerschaften.

Wir sehen also, dass Jeremia während seines ganzen Dienstes eine in die Augen fallende Stellung bekleiden mühte, eine Stellung, deren Folgen für ihn nicht schwer zu erraten sind. Viermal war sein Leben in Gefahr (Siehe Kap 13,19–21; 36,11; 36,26; 38,4), Einmal finden wir ihn im Gefängnis (Kap 30). Zweimal wird er in das Haus der Grube und in die Zellen, dann in die Grube Malchins, und schließlich in den Hof des Gewahrsams gebracht, „bis auf den Tag, da Jerusalem eingenommen ward“ (Kap 37,16; 38,6.13; 39,14). das Buch endet mit der gesanglichen Wegführung des Propheten nach Ägypten, wohin er mit dem Überrest des Volkes durch Johanan geführt wurde. In der Tat, Jeremia war ein Mann von Schmerzen. „Wehe mir, meine Mutter, dass du mich geboren, einen Mann des Haders und einen Mann des Zankes dem ganzen Land! ich habe nicht auf Wucher gegeben, auch habe ich von niemandem Wucher bekommen; doch flucht mir ein jeglicher von ihnen“ (Kap 15,10).

Welch eine Stellung hatte er einzunehmen! Von dem 13. Jahre des Königs Josia an bis zur Flucht Johanans nach Ägypten, also während eines Zeitraums von vierzig Jahren, hatte Jeremia, strafend und vor den kommenden Gerichten warnend, seinem Volk gegenübergestanden. Bei verschiedenen Gelegenheiten brach die Wut seiner Landsleute in hellen Flammen gegen ihn aus; aber dennoch blieb er standhaft. In Kapitel 36,14 wird uns ein herrliches Beispiel von seiner Unerschrockenheit und Treue gezeigt. Wir sehen dort sein Leben durch die Priester, sowie durch die Propheten und ihre Anhänger in der größten Gefahr. Nirgends zeigt sich bei ihm ein zurückgehen, nirgends eine feige Unterwürfigkeit, nirgends ein Nachgeben. „Aber ich, ich bin in euren Händen, tut mir, wie es gut, und wie es recht ist in euren Augen.“ Er will lieber in den Tod gehen, als seine Worte zurücknehmen, oder sich weigern, das auszusprechen, was Gott befohlen hat. Wie sehr unterscheidet sich jetzt seine Sprache von derjenigen, die wir in Kapitel 1 finden. Damals fürchtete er das Angesicht der Menschen; jetzt fürchtet er Gott allein. Er spricht ohne Scheu alles aus, was ihm zu sagen aufgetragen ist, und überlässt die Folgen dem Herrn. Er hatte vieles zu leiden. Er litt durch die Voraussicht der Leiden, die über sein Land kommen sollten; er litt durch das Hinweisen auf diese Leiden; er litt unter der Hand seiner Landsleute, die ihm das Gute mit Bösem, die Liebe mit Hass vergalten. Von Seiten des heidnischen Monarchen, dem er die Verwüstung seines Reiches und die Einnahme seiner Hauptstadt vorhergesagt hatte, wurde er mit Güte behandelt (Kap 39,11–12; 40,4), während seine eigenen Mitbürger, mit Ausnahme etlicher ausgezeichneten Personen, wie Ahikan und Ebed–Melech, ihm nur mit Bitterkeit, Feindschaft und Verfolgung begegneten.

So wird uns also in Jeremia die Schwachheit des Geschöpfs und die Kraft, die Gott schenken kann, vor Augen gestellt. Zuweilen strauchelte er. Nur einer lebte auf Erden, der seinen Pfad, ohne zu straucheln, wandeln konnte. Wenn wir aber auf die Schwachheiten des Propheten unsere Blicke richten, so geschieht es nicht, um über ihn ein Urteil zu fällen, oder um menschliche Gebrechen zur Schau zu stellen. Vielmehr geben uns seine Fehler, seine Schwachheit und natürliche Schüchternheit nur Gelegenheit, um desto deutlicher die Kraft Gottes anschaulich zu machen. Wir sehen, wie Gott selbst ein Werkzeug, welches in den Augen der Menschen höchst untauglich ist, zu befähigen vermag, um das größte Werk zu verrichten; und wie eine dem Schein nach gänzlich ungeeignete Person für ein solches Werk tatkräftig zubereitet werden kann.

Und welches war das Geheimnis der Kraft, die wir bei dem Propheten entdecken? Er gehorchte Gott ohne Säumen und brachte alle seine Schwierigkeiten mit kindlicher Einfalt vor ihn. Anfangs freilich, als er berufen wurde, brachte er, bevor er gehorchte, seine Zweifel zur Sprache; später aber gehorchte er sofort und sprach hernach über seine Schwierigkeiten. Den Weg des Gehorsams hatte er also beim Beginn seiner Laufbahn gelernt. Sind auch wir im Gehorsam geübt? Oft verwundeten die Aufträge, die er zu überbringen hatte, sein Herz, jedoch überbrachte er sie, wie sie ihm aufgetragen waren. Das war das Geheimnis seiner Sündhaftigkeit. Überzeugt, dass er das Wort Gottes besaß, trat er dem Widerstand der Priester, der Propheten, der Könige und des Volkes entgegen. Wer ihm auch widerstehen, wer ihn auch bedrohen mochte – gleichviel, er musste sprechen, und er sprach. Man beobachte ihn in dem Augenblick, als er aus dem Gefängnisse geholt wurde, in welches ihn, weil er die Verwüstung der Stadt geweissagt, Pashur, der Oberaufseher des Hauses des Herrn, geworfen hatte (Kap 20). Er hatte bereits wegen seiner Treue gegen Gott die Macht der Menschen erfahren; aber kaum entlässt man ihn am folgenden Tage aus dem Gefängnis, so wiederholt er jene unangenehme Wahrheit, beschuldigt den Pashur, mit Lügen geweissagt zu haben, und nennt ihn deshalb „Magor–Miffabib“ Schrecken (ringsum). Doch nachher beobachte man den Propheten Gott gegenüber. „Jehova, du hast mich beredet, und ich habe mich bereden lassen, du hast mich ergriffen und überwältigt. Ich bin zum Gelächter den ganzen Tag; alles spottet meiner. Denn so oft ich rede, schreie ich; ‚Gewalt und Zerstörung!‘ rufe ich; denn das Wort Jehovas ist mir zur Schmach und zum Spott den ganzen Tag. Und ich sprach: ich will seiner nicht erwähnen und nicht mehr reden in seinem Namen. Aber in meinem Herzen ward es wie ein brennendes Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen; und ich bemühte mich, es auszuhalten, und vermochte es nicht“ (V 7–9). Vor dem Herrn entfaltet er seine Gedanken und seine Furcht, während er, mutig wie ein Löwe, gleich einer ehernen Mauer und einer eisernen Säule, den Menschen gegenübersteht. Vor Gott schüttet er seine Klagen aus, bekennt sein Säumen und nennt seine Beschwerden. Dem Herrn öffnet er sein Herz. Dieses weckt Vertrauen; denn der Herr, vor dem und zu dem er redet, war mit Jeremia „wie ein gewaltiger Held;“ und darum konnte er ausrufen: „Meine Verfolger werden straucheln und nichts vermögen; sie werden beschämt werden, denn sie haben nicht vollständig gehandelt; es wird eine ewige Schande sein, sie wird nicht vergessen werden“ (V 11).

In diesem Vertrauen kann er den Herrn preisen und andere ermahnen, dasselbe zu tun, und zwar auf Grund einer beschlossenen Befreiung. Er sagt: „Singt Jehova, preist Jehova? denn Er hat die Seele des Dürftigen befreit aus der Hand der Übeltäter“ (V 13). Für Jeremia ist der Pfad des Gehorsams der einzig sichere; und im Glauben wandelt er auf demselben. Der Gehorsam treibt ihn vorwärts; der Glaube hält ihn aufrecht. Aber der Weg des Gehorsams bringt ihm keinen Zustand von Ruhe und Gemächlichkeit. Seine Schwierigkeiten werden nicht hinweggeräumt; vielmehr scheinen sie dadurch umso mehr hervorgerufen zu werden. Doch allezeit öffnet ihm der Glaube den Weg, um die Schwierigkeiten zu überwinden; er stützt sich auf den Gott, der ihn berufen, und überlässt sich selbst und alles seiner weisen und gütigen Hand.

In früheren Tagen wurde beim roten Meere den Kindern Israel, selbst als sie von diesem Meer und von den Feinden auf allen Seiten eingeschlossen waren, der Befehl gegeben, vorwärts zu schreiten. Ihr Gehorsam wurde darin auf die Probe gestellt; es war die Frage, ob sie dem Herrn vertrauten, dass Er ihnen den Weg öffnen werde. Ebenso war es mit Jeremia; und ebenso ist es mit dem ganzen Volk Gottes. Der einzig sichere Grundsatz ist der auf dem Glauben gegründete Gehorsam. Jeremia hatte vielen Schwierigkeiten Trotz zu bieten; er musste ins Gefängnis wandern; seine Füße wurden gefesselt; er musste einige Zeit in einer Grube zubringen, wo er tief in den Morast hineinsank; und dieses alles und noch viel mehr hatte er wegen seines Gehorsams gegen Gott durchzumachen. Aber er konnte dem Herrn vertrauen und daher jeder Schwierigkeit ins Auge sehen und seinen Weg fortsetzen. Nicht als ob nicht sein Glaube mitunter schwach gewesen wäre; vielmehr liefert uns dieses Kapitel ein Beispiel von dieser Schwäche (Siehe V 14–13). Doch der Grundsatz, der ihn in Tätigkeit setzte, war der Gehorsam; und dieser Grundsatz ließ ihn erfahren, dass Kraft genug vorhanden war, um jede Probe, der er unterworfen war, zu bestehen. Man beobachte ihn nur bei der Gelegenheit, als er den Auftrag erhielt, von Hanameel, dem Sohn Sallums, seinem Oheim, ein Feld zu kaufen (Kap 33). Jeremia begreift den Auftrag nicht; aber er kauft den Acker nach dem Wort des Herrn; und erst, nachdem er ihn gekauft hat, befragt er den Herrn diesbezüglich; und der Herr, Gott, der allezeit dem Glauben seiner Kinder begegnet, antwortet ihm mit Worten des Trostes, indem Er mit ihm über die Segnungen redet, die für das Volk und für das dem Propheten so teure Land vorhanden waren.

All diese Dinge sind sehr lehrreich für uns. Ist der Prophet gehorsam, so begegnet er stets der Treue Gottes. Der Herr hatte ihm verheißen, dass seine Feinde nicht die Oberhand über ihn haben sollten; und dieses wird stets erfüllt. Sie konnten ihn bedrängen, ihm Schmerzen bereiten, ihn bedrohen und gefangen nehmen; sie konnten ihm nach dem Leben trachten, aber sie vermochten ihm nicht das Leben zu nehmen. Pashur sollte in Babel sterben. Hananja sollte in demselben Jahr, in welchem er fälschlich geweissagt hatte, das Leben einbüßen; und in der Tat starb er zwei Monate nach seiner Prophezeiung, weil er Aufruhr gegen den Herrn gepredigt hatte (Kap 28,1–17). Semaja, der Nehelamit, sollte das Gute nicht schauen, welches der Herr den Kindern Israel verheißen hatte, und niemand von seinem Samen sollte in der Mitte des Volkes wohnen (Kap 29,32). Doch die unserem Propheten selbst gegebene Verheißung: „ich bin mit dir, dich zu erretten, spricht Jehova“, – erfüllte sich vollständig. Es sind dieses nur wenige, aber bedeutungsvolle Worte; denn sie versichern ihm die Gegenwart Gottes, um ihn zu erretten. Er musste in ein fremdes Land gehen. Er musste mit dem Überrest seines Volkes die Leiden der jüdischen Nation teilen. Doch wer konnte „das Eisen des Nordens und das Erz zerbrechen?“ (Kap 15,12) Der Herr machte ihn zu einer ehernen Mauer, die nicht zerbrochen werden konnte.

In der Tat, Jeremia war ein Mann von Schmerzen. Und dennoch, trotz der Umstände und selbst inmitten seiner schwersten Prüfungen, genoss er Freude. Diese Freude hatte in dem Wort seines Gottes ihre Quelle. Was dem äußeren Auge eine Ursache seiner Beschwerden zu sein schien, das eben brachte ihm Linderung unter den Leiden. „Waren deine Worte vorhanden, ich habe sie gegessen; und dein Wort ist mir zur Wonne und zur Freude meines Herzens gewesen; denn dein Name ist über mich angerufen, Jehova, Gott der Heerscharen“ (Kap 15,16). War nun aber einerseits das von ihm in seinem Herzen aufgenommene Wort Gottes eine Quelle von Freude, so war es auch andererseits das Mittel, wodurch er sich von dem ihn umringenden Bösen trennen musste. „ich saß nicht im Rat der Spötter und frohlockte; deiner Hand wegen saß ich allein; denn du hast mich mit Grimm erfüllt“ (V 17). Als Repräsentant des treuen Überrestes drückt er hier seine Leiden aus. Doch welchen Kummer er auch in seiner Stellung durchzumachen hatte, so war diese Stellung doch der Platz des Zeugnisses. Dieses wird uns klar in den Worten: „Wenn du das Köstliche absonderst vom Schlechten, so sollst du wie mein Mund sein; sie sollen zu dir umkehren; aber du sollst nicht zu ihnen umkehren. Denn ich habe dich diesem Volk zu einer ehernen Mauer gestellt; und sie werden wider dich streiten, aber dich nicht überwältigen; denn ich bin mit dir, dich zu erretten und dich zu befreien, spricht Jehova; ja, ich werde dich befreien aus der Hand der Bösen und dich erlösen aus der Faust der Gewaltigen“ (V 19–21).

Wir sehen also, was das Wort des Herrn für Jeremia war. Nach diesem Wort wandelte er in Gehorsam; aus demselben empfing er Trost und Freude, und mittelst desselben bestand eine Scheidung zwischen ihm und der Sünde, die ihn umringte. Und was das Wort des Herrn für den Propheten war, das ist es zu allen Zeiten für das Volk Gottes. Steht es also bei uns? Jeremia wandelte nicht nach seinen eigenen Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen. Er wandelte nach dem offenbarten Worte, sobald er versichert sein konnte, dass es Gottes Wort war. Nichts anders wird von uns gefordert. Wir haben auf das Wort und die Lehre zu achten; auf die Lehre, die nach der Gottseligkeit ist, auf das Wort der Gnade Gottes. Das Wort machte eine Trennung zwischen dem Propheten und dem Bösen, das ihn umringte. Übt es auch bei uns diese Kraft aus? Es sollte also sein; dann wollen wir in Gehorsam gegen das Wort Gottes wandeln, dann kann es nur geschehen, wenn wir von allem, was mit diesem Wort im Widerspruch steht, getrennt sind. Das Wort wird immer eine Quelle des Trostes sein durch die Versicherung der Nähe des Herrn und durch die Freude, die das Herz genießt und womit die Seele genährt wird. Doch eine Trennung von jeder Art des Bösen muss stattfinden. Wie ernst sind die Worte: „Wenn du das Köstliche absonderst vom Schlechten, so sollst du wie mein Mund sein“ (V 19). „Wenn sich mm jemand von diesen reinigt, der wird zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet“ (2. Tim 2,21). Doch dieses vermag nur der, welcher sich von allem fernhält, was gegen den Willen Gottes ist. Gehorsam gegen Gott ist die einzige Beschirmung in bösen Tagen und führt zur Trennung von vielen Dingen. Ein solcher Pfad ist beschwerlich. Doch inmitten der Schwierigkeiten wird eine Freude aus dem Wort Gottes gehen, die das Herz früher nicht kannte. Sicher wir können nur dann glücklich und stark sein, nur dann einen gesegneten Einfluss haben, wenn wir in kindlichem Gehorsam gegen den offenbarten Willen des Herrn unseren Pfad wandeln.

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