Botschafter des Heils in Christo 1873

Gedanken über die Leiden Christi

Wenn es etwas gibt, uns zur Anbetung zu stimmen, so sind es die Leiden unseres gesegneten Herrn, und dieses umso mehr, als wir wissen, dass wir diesen Leiden alles verdanken. Sie sind ernst und heilig, und die Seele, welche weiß, was aus ihnen für uns hervorgegangen ist, beugt sich in Anbetung. Sie sind Nahrung für die Seele; wir genießen Christus, indem wir seine Leiden betrachten; sie rufen unsere Liebe zu Ihm wach, sie befestigen unsere Herzen und halten uns durch das Bewusstsein, dass unsere Sünde die Ursache seiner Leiden war in einer demütigen Stellung; sie lassen uns die Sünde verabscheuen, Ziehen uns ab von der Welt und stimmen die Seele zu einem heiligen Ernste. Es ist unmöglich, dass durch die Betrachtung der Leiden Christi, wenn sie mit Einfalt des Herzens geschieht, nicht die tiefsten und heiligsten Gefühle in uns erweckt und wir mit Christus erfüllt werden; und gesegnet ist es, Ihn vor unserem Auge zu haben, von Ihm erfüllt zu sein.

Es gibt manche unserer Brüder, welche mit tiefen Gefühlen der Frömmigkeit über die Leiden Christi erfüllt sind, ohne viel Licht und Klarheit darüber zu besitzen; und obwohl diese Frömmigkeit wertvoller ist, als die Klarheit, so ist doch Letztere ein Mittel, bei treuen und aufrichtigen Herzen die Gefühle für Christus zu erhöhen und die Liebe zu Ihm zu stärken. Sie lässt Christus mehr in den Vordergrund treten, erfüllt das Herz mit Ihm, und macht, dass wir uns vergessen und uns in diese wunderbare Liebe versenken. Würden wir Ihn völliger kennen, und seine Liebe, die Ihn drang, einen solchen Pfad der Leiden zu wandeln, mehr verstehen, um wie viel mehr würde dieses seinen Namen unseren Herzen köstlich machen, und uns bewegen, für Ihn und nur für Ihn zu sein!

Nie können wir zu tief fühlen, dass alle seine Leiden für uns waren. Welch süßes Bewusstsein, dass Er an unserer Stelle litt, auf dass wir Frieden hätten; aber Zugleich auch wie demütigend für uns, zu sehen, dass es eines solchen Leidens, einer solchen Erniedrigung bedurfte, um uns zu helfen! So tief waren wir gefallen, so tief mühte der gepriesene Herr herabsteigen, um bis zu uns elenden Sündern zu kommen. Angebetet sei sein Name! Er ist so tief herabgestiegen; Er ist zu uns gekommen, hat unseren Platz im Tod und Gericht eingenommen, um uns einen Platz im Vaterhaus bereiten zu können. Seine Menschwerdung und seine Leiden sind der Kanal seiner Liebe zu uns geworden.

Wäre Er als Gott erschienen, so hätten wir seine Nähe nicht ertragen können, Er wurde ein Mensch und war doch der Abglanz der Herrlichkeit Gottes, Gott von Ewigkeit. In diesem menschlichen Kleid konnte Er uns, und wir konnten Ihm nahen; Er konnte seine Hand auf den Aussätzigen legen, ohne selbst verunreinigt zu werden; Er konnte dem Sünder nahen und in alle seine Leiden und Mühsale eingehen. Seine Liebe kam uns so nahe, als es möglich war, und gerade darin bestand die göttliche Segnung und Vollkommenheit seines Werkes. Kein anderer als Gott konnte so in Gnade dem Sünder begegnen; seine Heiligkeit, unveränderlich in ihrem Charakter, konnte sich mit unserem Schmutz beschäftigen, ohne davon berührt zu werden; und je größer unser Elend war, umso herrlicher ist diese Liebe, die unser Elend nicht verabscheute, sondern sich damit beschäftigte.

Betrachten wir den Herrn als den Menschen, Gott gegenüber, so löste Er die Frage eines vollkommenen Wandels. Er blieb während seines ganzen Lebens der, an dem der Vater sein ganzes Wohlgefallen hatte. Satan und seine Engel, sowie die Menschen hatten ihren ursprünglichen Zustand verlassen; aber Christus im Gegenteil büßte trotz der Versuchungen des Feindes als Mensch nichts von seinem ursprünglichen Zustand ein; Er hielt inmitten der Mühsale und Absonderung seinen Platz der Gemeinschaft und des Gehorsams ununterbrochen aufrecht. Er besiegte den Starken und beraubte ihn, indem Er ohne Sünde wandelte in Gemeinschaft mit seinem Vater. Das wahre Wesen Christi ist, dass Er immer blieb, was Er war – der Heilige. Abhängigkeit, Vertrauen, Gemeinschaft, Gehorsam dem Geist der Heiligkeit gemäß – alles dieses charakterisierte hienieden das Leben Christi vor Gott. Gleichwie Er seine Schafe kannte, und seine Schafe Ihn kannten, also auch kannte Er den Vater, und der Vater Ihn. Das Wesen seiner Stellung im Gegensatz zu dem ersten Adam ist, dass Er mit Gott war, dass Er sich nie von Gott trennte, und dass Er ohne Unterbrechung diese Verbindung mit Gott genoss.

Während der erste Adam zeigte, was die Sünde war, zeigte der Herr durch die Macht eines gottgemäßen Lebens und eines siegreichen Wandels, inmitten des Bösen, was die Gerechtigkeit war, indem Er alle Versuchungen überwand und in heiliger Abhängigkeit von Gott blieb.

Indem ich nun gedenke auf die Leiden des Herrn einzugehen, bemerke ich zunächst, dass dieselben sich ihrer Natur und ihrem Charakter nach unterscheiden. Er litt durch die Menschen, und Er litt durch Gott.

Er wurde von den Menschen verachtet und verlassen – ein Mann der Schmerzen und mit Leiden bekannt. Die Welt hasste Ihn, bevor sie seine Jünger hasste; sie hasste Ihn, weil Er zeugte, dass ihre Werke böse waren. Er war das Licht und jeder, der Arges tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, weil seine Werke böse sind. Mit einem Wort: Christus litt um der Gerechtigkeit willen.

Es ist dies von Anfang so gewesen, und die Geschichte Abels zeigt uns vorbildlich die Geschichte unseres Herrn. Kain tötete Abel, weil seine Werkeböse und die seines Bruders gerecht waren.

In Bezug auf den Herrn kann man hinzufügen, dass seine Liebe, welche kam um dem Menschen zu dienen und von seinem Zustand zu zeugen, diese Leiden erntete. Seine Liebe zu dem verlorenen Sünder war aber – gepriesen sei sein Name! – so groß, dass Er freiwillig auf diesen Platz kam, wohl wissend, was der Lohn seiner Liebe sein würde, nämlich der bittere Hass des Menschen. Dieser Hass des Menschen verminderte aber bis zu seinem Tod niemals seine Liebe. Mochten die Menschen in ihrem Wahn ausrufen: „Ha! Ha!“ mochten sie unter seinem Kreuz rufen: „Andere hat Er gerettet, sich selber kann Er nicht retten“, oder: „Wenn du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuz“, – ja, hätte der Mensch wenn möglich, weiter in seiner Bosheit gehen können: nichts, nichts würde diese unergründliche Liebe, welche der Herr für den armen, elenden Sünder hatte, vermindert haben. Gerade die Heiligkeit und Liebe des Herrn riefen diesen unbeugsamen Hass hervor, und der Mensch zeigte denselben gegenüber, was er ist – ein Feind Gottes.

Der Herr litt aber auch durch die Hand Gottes. Jehova gefiel es, Ihn zu zerschlagen; Er hat Ihn leiden lassen. „Wenn du seine Seele zum Schuldopfer gestellt haben wirst, so wird Er seinen Samen sehen“ (Jes 53,10). „Ihn, der Sünde nicht kannte, hat Er für uns zur Sünde gemacht“ (3.Kor 5,21). „Er ist um unserer Übertretungen willen verwundet, und um unserer Ungerechtigkeiten willen ist Er zerschlagen; die Strafe unseres Friedens war auf Ihm“ (Jes 53,5). Er, der Gerechte, litt für den Ungerechten; das heißt, Er litt nicht, weil Er gerecht war, sondern weil wir Sünder waren, und Er unsere Sünden an seinem Leib auf dem Kreuz trug. Wenn Gott Ihn verließ, konnte Er in Bezug auf sich selbst sagen: „Warum hast du mich verlassen?“ Denn in Ihm selbst gab es keine Ursache dazu.

Wir können anbetend sagen: Er litt in Gnade, der Gerechte für die Ungerechten; Er ist zur Sünde für uns gemacht worden. Also litt Er um der Gerechtigkeit willen in seinem Leben durch die Menschen, und als ein sterbender Heiland um der Sünde willen durch die Hand Gottes.

In dem 20. und 21. Psalm sehen wir den Messias prophetisch betrachtet, als auf der Erde durch die Menschen leidend. Es war der Tag der Trübsal; Er bittet aber um Leben und empfängt – „Länge der Tage immer und ewiglich!“ Ehre und Majestät sind auf Ihn gelegt, und die Folge seiner Verherrlichung ist, dass seine Hand alle seine Feinde finden und also das Gericht über die Welt stattfinden wird (Ps 21,8). „Gleich einem Feuerofen wirst du sie setzen zurzeit deiner Gegenwart“ (V 9), so wie Er sagte in Lukas 19: „doch jene, meine Feinde, die nicht wollten, dass ich über sie herrschen sollte, bringt her und erwürgt sie vor mir.“ Dieselbe Sache wird in Psalm 69,1–24 gesehen. Die Folge seines Leidens durch die Hand gottloser Menschen ist, dass sie das Gericht auf sich laden.

Im 22. Psalm finden wir neben dem Leiden durch die Menschen auch seine Leiden durch die Hand Gottes; und während bei ersteren Gott seine einzige Zuflucht war, sieht Er sich bei letzteren von Ihm verlassen. Doch was ist die Folge dieser Leiden von Seiten Gottes? Christus trug die Sünde; Er war in dem Gericht und unter dem Zorn, den wir verdient hatten; aber Er kam, um die Sünde wegzutun durch das Opfer seiner selbst. Daher ist die Folge dieser Leiden nur freie, unvermischte, vollkommene Gnade. Christus hat den Kelch des Vaters getrunken, auf dass statt der Strafe, Friede unser Teil würde. Gott hat Ihn auferweckt und Ihm Herrlichkeit gegeben, weil Er Ihn in Betreff der Sünde vollkommen verherrlicht hat; und sogleich nach seiner Auferstehung verkündigte Er den Namen seines Gottes und Vaters seinen Brüdern indem Er sagte: „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, und zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Dieses Zeugnis war nur Gnade. In Vers 22 leitet Jesus die Lobgesänge seiner Erlösten; dann folgt Vers 25 das Lob Jehovas von ganz Israel, der großen Versammlung, und Vers 27 das Lob der Nationen. „Alle die Fetten der Erde werden sich vor seinem Angesicht bücken;“ und wenn diese Zeit des Friedens gekommen sein wird, so wird auch „das Volk, welches geboren wird“, die wunderbare Geschichte hören von dem, was Er getan hat (V 31). Es ist ein unvermischter Strom von Gnade und Segnung, welcher sich bis zu den Enden der Welt ausbreitet, und sich bis zurzeit jenes Geschlechts fortwälzt, welches geboren werden wird. Das ist der Erfolg des Kreuzes. Kein Wort von Gericht folgt den Leiden, die Christus Gott gegenüber erduldete. Die Sünde fand dort ihre Strafe; sie ist weggetan für ewig; und diese Leiden, öffneten den Kanal der Liebe und Gnade Gottes für verlorene Sünder. Ja selbst wenn wir offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, so hat der, vor welchem wir erscheinen, selbst unsere Sünden weggetan, und uns geholt, um da zu sein, wo Er selbst ist. Mit einem Wort: Christus hat auf dem Kreuz von Seiten Gottes gelitten, und dieses war das Leiden für die Sünde. Als Er in seinem Leben durch die Menschenlist, war Er während seines ganzen Zeugnisses unter ihnen, selbst bis an den Tod, nicht in der Ausübung und Offenbarung seiner Liebe behindert; aber die Folge dieser Leiden ist Gericht bei seiner Rückkehr. In der Zerstörung Jerusalems hat es seinem Anfang nach schon stattgefunden, wird sich aber völlig bei seiner Rückkehr erfüllen. Wenn dagegen der Herr um der Sünde willen litt, so war es um uns für ewig von jedem Gericht zu befreien. Den Zorn, den Jesus trug, hat Er allein getragen, damit wir völlig frei ausgehen, und nie einen Tropfen seines furchtbaren, bitteren und uns unerträglichen Kelchs schmecken sollen. Müssten wir ihn trinken, so konnte das nur sein als verdammte Sünder.

An den Leiden Christi um der Gerechtigkeit willen, sowie an denen, die Er für die Arbeit seiner Liebe ertrug, können wir teilnehmen, obgleich unser Glaube arm und schwach ist, indem es uns gegeben ist, „nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden.“ Wenn wir nun um der Gerechtigkeit willen leiden, wie glückselig sind wir! Noch gesegneter aber ist es, wenn wir um seines Namens willen leiden; „der Geist der Herrlichkeit und Gottes ruht auf uns.“ Wir können uns freuen, wenn wir Teilnehmer seiner Leiden sind, damit, wenn seine Herrlichkeit offenbart werden wird, wir uns mit überschwänglicher Freude freuen.

Ich möchte noch auf andere Arten von Leiden unseres Herrn aufmerksam machen. Zunächst muss sein liebendes Herz durch den Unglauben unglücklicher Menschen und durch die Verwerfung von Seiten des Volkes viel gelitten haben. Wir lesen, dass Er seufzte, als Er des Tauben Ohr öffnete und das Band seiner Zunge löste (Mk 7,34), und dass Er in seinem Geist tief seufzte, als die Pharisäer von Ihm ein Zeichen begehrten. So auch in Johannes 11 weinte Er und war betrübt am Grab des Lazarus, als Er die Macht des Todes über den Menschen sah, so wie ihre Unfähigkeit sich selbst zu befreien. Auch weinte Er über Jerusalem, als Er die geliebte Stadt sah, die im Begriff war. Ihn zu verwerfen. Alles das war das Leiden einer vollkommenen Liebe. Er war in die Mitte dieses armen Volkes gekommen, um zu wirken nach der Macht dieser Liebe; aber Er fand nur Verkennung, Verachtung und verschlossene Herzen. Obschon die Felder weiß zur Ernte waren, konnte Er dennoch nichts tun; und der Zustand des Volkes bildete für Ihn eine stete Quelle von Kummer und Schmerz. Auch noch ein Gewicht von tiefster Betrübnis lastete ohne Zweifel während seines Lebens auf seiner Seele, obwohl Er sicherlich stets in Vollkommenheit und Hingabe in den Willen des Vaters geblieben ist, nämlich jenes Gewicht, welches Ihn an das Kreuz, wenn die Zeit dafür da sein würde, erinnerte. Wie oft werden wir zum Voraus von unseren kleinen Kümmernissen beunruhigt! Auf seinem Weg lag der Tod! Er konnte sich auf der Erde mit niemandem, und mochte er Ihm noch so lieb, noch so teuer sein, in Verbindung setzen und niemanden in die Seligkeit einführen, ohne durch den Tod zu gehen; nur durch den Tod, als den Lohn der Sünde, musste Er gehen, um der Hand des Richters zu begegnen.

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fiel, so blieb es allein. Und für Ihn war der Tod die gänzliche Schwachheit des Menschen, die unumschränkte Kraft Satans und der gerechte Zorn Gottes, ohne irgendwelches Mitgefühl, verlassen von denen die Er gepflegt hatte, und nur Feindschaft findend bei allen Übrigen. Als Messias wurde Er den Heiden übergebender Richter wusch seine Hände, als er den Unschuldigen verurteilte, und die Obersten waren gegen den Schuldlosen statt gegen die Schuldigen. – Alles war dunkel, ohne einen Lichtstrahl von Gott. Hier war vollkommener Gehorsam, nötig und, Gott sei gepriesen! dieser Gehorsam ist dort vollkommen erwiesen worden. Wir können aber in etwa verstehen, was die Aussicht auf ein solches Leiden für eine Seele gewesen sein muss, die dasselbe im Voraus kannte, die es betrachtete mit den Gefühlen eines Menschen, und Zwar eines solchen Menschen, der alles nach dem himmlischen Licht, das in Ihm war, vollkommen verstand.

Auch die Sünde in der Welt muss für die Seele des Herrn eine fortwährende Quelle des Schmerzes gewesen sein. Wenn Lot seine gerechte Seele durch das, was er sah und hörte, quälte – und doch war dieser durch seinen Wandel soweit von Gott getrennt – was muss der Herr gelitten haben, als Er durch diese Welt ging! Immer in Gemeinschaft mit dem Vater, war diese Welt stets finster für Ihn; und die Gefühle, die Er über diese arme Welt hatte, waren ganz andere, als diejenigen des Gerechten von Sodom. In Markus 3,5 sehen wir, dass Er auf sie umher blickte mit Zorn, betrübt über die Verstockung ihres Herzens. Seine vollkommene Liebe war hier ohne Zweifel ein Trost für Ihn, indessen fühlte Er seinen Schmerz, wenn die Liebe denselben auch erleichterte. Wenn Er zu den Worten: „O! du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, bis wann soll ich euch ertragen?“ (Lk 9,41) hinzufügte: „Bringe deinen Sohn her“, so fühlte Er den Unglauben doch nicht weniger, wenn auch seine Liebe denselben überstieg. Er war in einem dürren, trockenen Land, wo kein Wasser war, und Er fühlte es, obgleich seine Seele wie mit Mark und Fett erfüllt war. Je mehr heilig und liebend Er war, desto schrecklicher war die Sünde vor Ihm; die Sünde, in welcher sein geliebtes Volk wandelte, wie Schafe die keinen Hirten hatten.

Auch die Leiden der Menschen fühlte Er wie seine eigenen. In Jesaja 53,4 lesen wir: „Fürwahr, Er hat unsere Leiden getragen und unsere Schmerzen hat Er auf sich geladen.“ Es gab unter den Menschen, die Ihm auf dem Weg begegneten, keine Leiden, welche Er nicht wie die Seinen auf seinem Herzen trug. In alle Trübsale des Volkes ging Er ein, um sie wie seinen eigenen Kummer zu fühlen. Er war nicht gleichgültig wenn Er durch seine Macht die Leiden wegnahm; sondern das Mitgefühl seiner Liebe trieb seine Macht zur Hilfe an.

Aber alles, was Er sah, war die Folge der Sünde im Menschen; und obwohl Er aus Mitleid half, so fühlte seine Seele dennoch, was die Sünde und ihre Folgen waren. Hier sehen wir die Arbeit seiner Liebe, welche, durch den unglücklichen Zustand des Menschen bewegt, Ihn in Tätigkeit setzte. Er fühlte für andere, und wie oft ist dieses Gefühl Kummer gewesen in einer Welt, wo die Sünde war. Es ist sehr köstlich für unsere Herzen, den Herrn also in seinem vollkommenen Mitgefühl, so wie in seiner tätigen Liebe kennen zu lernen.

Noch eine andere Quelle des Kummers, – denn wo gab es in dieser Welt eine Bitterkeit, die der Herr nicht geschmeckt hatte? – war vielleicht mehr in menschlicher Weise, aber darum nicht weniger für Ihn vorhanden; ich meine die Verletzung des Zartgefühls, dessen seine vollkommen rein gestimmte Seele fähig war. „Sie schauen und sehen mich an“ (Ps 22,17). Beleidigung, Spott Betrug, Anstrengungen, um Ihn in der Rede zu fangen, Unmenschlichkeit, grausame Verhöhnung und dazu der Schmerz, dass seine Jünger Ihn verließen, Petrus Ihn verleugnete und Judas Ihn überlieferte– alles dieses fiel, wie göttlich geduldig Er auch war, auf keinen unempfindlichen Geist. „Er hat auf Mitleid gewartet, aber da war keins, und auf Tröster, aber Er hat sie nicht gefunden“ (Ps 69,20). Hier spreche ich nur davon, was Er nach dem zarten Gefühl seiner Natur als Mensch empfand. Der Hohn brach sein Herz; Er war „das Saitenspiel derer, die starkes Getränk trinken“, Ohne Zweifel sah Gott dieses alles, und der Herr konnte sagen: „Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen;“ (Ps 69,9.11) aber Er musste durch dieses alles hindurchgehen; und Er fühlte nach seiner göttlichen Vollkommenheit all diesen Kummer. Ich glaube nicht, dass es ein einziges, menschliches Gefühl gab – und in Ihm waren alle die zarten Gefühle einer vollkommenen Seele – welches in Christus – nicht verletzt und unter die Füße getreten war und ohne Zweifel war das Benehmen des Volkes Kummer und Schmerz für seine Seele.

Wenn wir Psalm 69,27 betrachten, so finden wir darin die Leiden des Herrn zurzeit der Kreuzigung. Statt des Mitgefühls ging der Mensch in seinem Hass soweit, dass er, indem der Herr von Seiten Gottes litt, nicht aufhörte, Ihn die Bitterkeit dieses Hasses fühlen zu lassen; denn „Ihn, den du geschlagen, verfolgen sie.“ Der Mensch tritt in seiner Bosheit hinzu, um, wenn es möglich wäre, die Leiden unseres Herrn zu vermehren, und zwar in einem Augenblick, wo Er schon die Bitterkeit eines Kelchs schmeckte, der Ihn zu dem Ruf brachte: „Mein Gott, mein Gott! warum hast du mich verlassen?“ Wenn sich jemals der Hass des Menschen in seinem hässlichsten, bittersten und schlechtesten Charakter offenbart hat, so war es unter dem Kreuz Christi, und dies ist geeignet, uns tief zu demütigen, wenn wir dort unser Bild, das Bild des gefallenen Menschen sehen. Wenn ich indessen von verschiedenen Arten der Leiden unseres hochgelobten Herrn gesprochen habe, so schließt das nicht aus, dass Er noch auf viele andere Weise gelitten; wir können sagen, dass Er in dieser Welt der Sünde nichts anderes finden konnte, als was zu Ihm, dem heiligen, himmlischen Menschen, im Gegensatz stand, und welches alles auf seine heilige Seele drückte.

Wenn ich nur daran erinnere, dass seine Jünger darum stritten, wer unter ihnen der Größte sei, in der Zeit, als Er im Begriff war, der allerverachtetste zu werden, so verstehen wir, dass alles was Ihn umgab, Schmerz für Ihn war; aber, Gott sei gelobt! Seine Vollkommenheit und Liebe hat sich im Erdulden aller Leiden vollständig erwiesen.

Betrachten wir jetzt etwas näher seine Leiden, die Er Gott gegenüber für unsere Sünden erdulden sollte, so begannen dieselben sich dadurch vorzubereiten, dass der Herr in die Hände der Menschen, in die Gewalt der Finsternis überliefert wurde, um die Ratschlüsse und die Herrlichkeit Gottes zu erfüllen. Vorher lesen wir: „Niemand legte die Hand an Ihn, weil seine Stunde noch nicht gekommen war.“ Der Herr verkündigte seinen Jüngern, dass der Sohn des Menschen vieles leiden und verworfen werden müsse von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten ... und dass Er in der Menschen Hände überliefert werden würde (Mk 8,31; Kap 9,31).

Solange seine Stunde nicht gekommen war, konnte, wie groß die Feindseligkeit der Bösen auch sein mochte, dies nicht geschehen. Der Herr sagte auch seinen Jüngern: „Als ich euch ohne Börse und Tasche und Sandalen sandte, mangelte euch etwas? Sie aber sagten: Nichts! Er sprach nun zu ihnen: Aber jetzt, wer eine Börse hat ... denn ich sage euch, dass noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muss: Und Er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden“ (Lk 22,35.37). Und wiederum: „Als ich täglich unter euch im Tempel war, habt ihr die Hände nicht gegen mich ausgestreckt; aber dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis“ (Lk 22,53). Vorher, als die Leute von Nazareth Ihn am Rand des Berges hinabstürzen wollten, ging Er, durch die Mitte hindurchgehend, weg; es war noch nicht die Stunde der Finsternis.

Ohne Zweifel gab Er sich freiwillig hin; denn Johannes erzählt uns, dass die ganze Schar, die gekommen war, Jesus zu fangen, zurückwich und zu Boden fiel, und teilt uns Zugleich die für uns so köstlichen Worte mit: „Wenn ihr denn mich sucht, so lasst diese gehen“ (Joh 18,6–8). Bis zu diesem Augenblick war in der Erfüllung der Ratschlüsse Gottes eine Hand, welche den Willen oder die Gewalt des Volkes zurückhielt. Jetzt aber sollte der Sohn des Menschen in die Hände der Menschen überliefert werden. Dies war nicht der Augenblick seiner Leiden auf dem Kreuz; aber es war der Weg? der dahin führte; es war die Stunde des boshaften Menschen und die Gewalt der Finsternis. Es handelte sich noch nicht um Versöhnung, sondern um Leiden für den gepriesenen Sohn Gottes, als Er im Begriff war, sich den Händen der Menschen, als den Werkzeugen der Gewalt der Finsternis zu überliefern, um den Leiden, die Er in dieser Lage unter der Gewalt der Finsternis finden sollte, entgegen zu gehen. Christus trank noch nicht den Kelch; aber Er ging dieser schrecklichen Stunde entgegen, und Er –war beengt bis sie vollbracht war (Lk 12,50). Er war in der Stunde, die alles in sich barg; diese Stunde hatte ihre eigene Schmerzen, und die Seele des Herrn war betrübt. Er betete vorher, von dieser herannahenden Stunde befreit zu werden, danach unterwirft Er sich ihr, als der Stunde, für die Er in diese Welt gekommen war (Joh 12,27); dann wünscht Er mit Sehnsucht, dass es schnell geschehe. Seine Seele ist sehr betrübt bis zum Tod, weil Er, im Begriff in der. Menschen Hände überliefert zu werden, dem Unwillen und dem Zorn entgegenging. Was in diesem Augenblick seine Leiden so tief machte, war, dass Er wusste, was Ihm bevorstand. Die Bosheit der Menschen war herzlos und gewissenlos, und sie führte Schritt für Schritt zum Kreuz, zu dem Kelch, den Er trinken sollte. Als Sohn des Menschen wurde er in der Menschen Hände überliefert, um von den Ältesten, Hohepriestern und Schriftgelehrten, den Führern Israels verworfen zu werden. Die Schrecken des Kreuzes kamen schon über Ihn, obwohl Er noch nicht den Kelch trank. In dieser Lage erwartete Er Mitgefühl, und forderte seine Jünger auf, mit Ihm zu wachen. Er lernte den Gehorsam an dem, was Er litt, und opferte mit starkem Geschrei und Tränen, Bitten und Flehen zu dem, der Ihn aus dem Tod zu erretten vermochte (Heb 5,7). Wie tief die Leiden unseres Herrn in solchen Augenblicken waren, kann niemand verstehen; aber Er hat sie gefühlt nach dem ganzen Gewicht ihrer Schwere. Wir haben keine Worte, um solche Leiden vorzustellen; aber wir können in etwa verstehen, was es für Ihn war, in eine solche Stunde der Finsternis hineinzugehen, und können den bewundern und anbeten, der einen solchen Pfad freiwillig für Sünder ging.

Vor dem Herrn stand der Weg zur Herrlichkeit, aber dieser Weg ging durch den Tod; und der Tod mit seiner ganzen Bedeutung stand vor seiner Seele. Wir hören Ihn sagen: „Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater rette mich aus dieser Stunde.“ Er konnte sich unmöglich sehnen nach dem Verlassensein von Gott und nach dem Kelch des Todes, den Er zu trinken hatte. Um seiner Furcht willen ist Er erhört worden (Heb 5,7); dies war wahre Frömmigkeit im Angesicht des vor Ihm liegenden Weges. So in Gethsemane, als der Tod näher und näher rückte und der Fürst dieser Welt kam, als seine Seele sehr betrübt war bis zum Tod, und als der Kelch – obschon Er ihn noch nicht genommen, denn Er wollte ihn nur aus der Hand seines Vaters nehmen – Ihm, so zu sagen, gebracht wurde, da erreichte dieser Charakter von Betrübnis und Prüfung seine höchste Höhe. Der Versucher, welcher zurzeit seines Eintritts in den Dienst in der Wüste Ihn versucht hatte, um Ihn für diesen Dienst unfähig zu machen, kehrte jetzt zurück. In der Wüste hatte er Ihn verlocken wollen, indem er Ihm alles Angenehme vorstellte und Ihm die ganze Welt als Gabe anbot. Jetzt aber kam er, um Ihn mit allem zu versuchen, was der menschlichen Seele und überhaupt für den Herrn schrecklich war, wenn Er in seinem Gehorsam und Werke bis zum Ende ausharren wollte.

Als Messias, als Befreier Israels war der Herr gekommen, aber der Mensch wollte nicht den Befreier haben. Sollte jetzt noch ein so schlechtes und elendes Volk befreit werden, so konnte dies nicht durch die Macht eines Messias, sondern nur durch den Gehorsam eines sterbenden Heilands geschehen. Dies war nun sein Weg, ein Weg des Gehorsams und der Liebe. Der Fürst dieser Welt kam; aber der Herr konnte sagen: „und hat nichts in mir; aber auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe, und dass ich also tue, wie mir der Vater geboten hat“ (Joh 14,30). Wir können bemerken, dass in den Fällen, wo die Leiden des Herrn ihre Quelle in seiner Liebe hatten, so wie in denen, wo diese Leiden Ihn als Vorgeschmack des Kelchs, den Er trinken sollte, trafen, wir den Herrn immer in Gemeinschaft mit seinem Vater finden. Überall leuchtet der Gehorsam des Herrn hindurch; und dieser Gehorsam blieb bis in den Tod. In Gethsemane, wo alles sich verdunkelte und die Todesangst des Herrn sich in wenigen aber deutlichen Worten, so wie auch in dem wie große Blutstropfen rinnenden Schweiße offenbarte, war der Gehorsam vollkommen.

Der Versucher war gänzlich überwunden, und der Name Jesu genügte, um zu machen, dass alle seine Gegner zu Boden fielen. Jesus war frei, sowohl in Bezug auf die Menschen, als in Bezug auf Satan. Nur der Vater gab Ihm den Kelch; und der Herr ging freiwillig hin, um ihn zu trinken, und zeigte wie immer dieselbe ungeschwächte Kraft, damit Er keinen von denen verliere, die Ihm gegeben waren. Welche wunderbare Szene des Gehorsams und der Liebe! Wie groß aber auch das Leiden sein mochte, (und wer könnte es beschreiben!) so finden wir hier doch das freie Handeln eines Menschen in Gnade, und eines Menschen in vollkommenem Gehorsam gegen Gott. Sollte Er den Kelch, den Ihm sein Vater gegeben hatte, nicht trinken? Die unglücklichen Werkzeuge der Macht des Bösen verschwinden hier gänzlich vor dem freiwilligen Opfer Christi in Gehorsam und Liebe; durch die Macht des Todes, wie auch durch die des Feindes geht Er mit seinem Vater, und in gesegnetem und freiwilligem Gehorsam nimmt Er jetzt den Kelch aus der Hand seines Vaters. Niemals können wir zu viel bei diesem Pfad des Herrn verweilen. Wer sollten wir stille stehen, um Ihn zu betrachten und zu lernen, was keine andere Szene und kein anderer Augenblick lehrt – eine Vollkommenheit, die nur von Ihm, und von Ihm allein gelernt werden kann.

Wir sehen also deutlich, dass die Leiden des Herrn verschieden waren. Er litt von den Menschen, und Er litt von Seiten Gottes. In den Ersteren ist es unser Vorrecht mit Christus zu leiden, in den Letzteren konnte Er nur ganz allein sein. Wenn es sich um das Tragen des Fluches, um das Trinken des Kelchs handelte, so litt Er für uns, an unserer statt. Er litt dort, damit wir niemals auf diese Weise leiden möchten. Er trug den Zorn Gottes, damit wir davon nichts zu tragen haben sollten; aber niemand konnte Ihm darin folgen. Das einzige Hilfsmittel seiner Jünger war, wenn diese Stunde in ihrer wahren Kraft herannahte, zu entfliehen. Später sollten sie Ihm folgen, wie der Herr zu Petrus sagte; aber jetzt konnten sie es nicht.

Er nahm den Kelch nicht aus der Hand des Menschen, noch aus der Hand Satans, obwohl beide vorhanden waren, um Ihn niederzudrücken; Er nahm den Kelch aus der Hand des Vaters in vollkommenem Frieden in Betreff des Menschen und der Macht der Finsternis. Er opferte sich selbst freiwillig; hätte Er das nicht in gesegnetem Gehorsam getan, so wäre Er frei gewesen und hätte durch die Mitte seiner niedergeworfenen Feinde gehen, oder um Legionen Engel bitten können, um Ihn aus ihren Händen zu retten; aber wie wären die Schriften erfüllt worden? Auf dem Kreuz aber ist alles vollendet; Gott verlässt Ihn, und der ganze Zorn Gottes schüttet sich über den aus, der keine Sünde kannte, der aber zur Sünde für uns gemacht war.

Er war das unbefleckte Opfer, auf welchem kein Joch gewesen war, und Er, der sich selbst unbefleckt Gott opferte, wurde zur Sünde für uns gemacht, damit wir Gerechtigkeit Gottes in Ihm würden. Wir standen unter Gericht und Verdammnis, aber Gott sei gepriesen! der Tod Christi auf dem Kreuz ist die göttliche Antwort in Versöhnung gewesen. Alles, was Gott in seiner Natur war, das war Er gegen die Sünde, und obwohl Er die Liebe war, so findet doch die Liebe im Zorn gegen die Sünde keinen Platz; und der Verlust der Empfindung dieser Liebe, das Bewusstsein in der Seele, von Gott verlassen zu sein, ist das furchtbarste aller dieser Leiden des Herrn. Welch ein unaussprechlicher Schauder musste dieses für den sein, der diese Liebe kannte; und der Herr kannte sie in ihrer ganzen Vollkommenheit. Die Majestät Gottes, seine Heiligkeit, seine Gerechtigkeit, seine Wahrheit, alle diese Charaktere Gottes waren in ihrer Natur selbst gegen den für uns zur Sünde gemachten Christus. Kein Trost der Liebe schwächte den Zorn. Nie war der gehorsame Christus so köstlich; aber Er sollte zu einem Opfer für Sünde gemacht werden, um im Gericht die Sünde vor Gott zu tragen. Hier hat der Herr gelitten, damit kein einziger Tropfen dieses Kelchs für uns übrigbleibe und der Erfolg dieser Leiden wird nie aufhören; er ist eine Ewigkeit unvermischter Gnade für uns, wie ich schon gesagt habe. Wer aber vermochte in die Tiefen solcher Leiden hinab zu schauen! Geschlagen, verlassen und gerichtet zu werden von dem, der in Ewigkeit mit dem Herrn in dem innigsten Verhältnis der Liebe und in der köstlichsten Gemeinschaft gestanden hatte – ein solches Leiden geht viel weiter, als dasjenige eines verdammten Sünders. Letzterer empfängt was seine Taten wert sind, und empfängt dies aus der Hand eines Richters, den er niemals recht gekannt, noch weniger mit ihm in Gemeinschaft gelebt hat; während der Herr fremde Sünden tragen musste und einem Richter begegnete, der bis zu dem Augenblick des Gerichts in vollkommener Liebe mit Ihm verbunden gewesen war.

Auf dem ganzen Wege seines Lebens, vom Anfang bis zum Ende seines Dienstes, mit Einschluss von Gethsemane, hat der Herr sich nie an Gott unter Anrufung dieses Namens gewandt. Er sagte immer „Vater“. Nur auf dem Kreuz rief Er: „Mein Gott, mein Gott!“ Während seines Lebens würde dieser Titel nicht an seinem Platz gewesen sein, gewiss nicht! Nur der Vatername drückte die unbewölkte Verwandtschaft und die bewusste Seligkeit der Sohnschaft aus, in welcher unser teurer Herr immer stand. Wenn der Herr aber am Kreuz „Mein Gott, mein Gott!“ ruft, so –bezeichnen diese vom Herrn gebrauchten Worte klar und eindringlich den Unterschied der beiden Stellungen, in denen Er sich befand.

Bis zum Kreuz wandelte der Herr im Genüsse der Verwandtschaft eines Sohnes gegenüber seinem Vater, und zwar eines eingeborenen Sohnes, welcher weiß, dass der Vater ihn immer erhört; auf dem Kreuz aber muss dem zur Sünde gemachten Christus alles begegnen; Er muss dort alles fühlen und dulden, wie Gott gegen die Sünde handelt; Er muss eine andere Stellung, einen anderen Platz nehmen; Er ruft nicht mehr: „Vater!“ Er ruft: „Gott, mein Gott!“ Aber nachdem die Erlösung vollbracht, und Er in die volle Freude alles dessen eingegangen ist, was sein Gott und Vater, war, bringt Er. Seine Jünger in den Genuss und die Freude dieser beiden Titel: „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“

Wir können nie ein zu tiefes Gefühl von den Leiden des Herrn in seinem büßenden Werk haben. Keine menschliche Rede ist fähig auszudrücken, was es für den Herrn war, diesen Kelch des göttlichen Zornes zu trinken; denn in menschlicher Rede drücken wir unsere eigenen Gefühle aus.

Mit diesen Leiden kann nichts verglichen oder vermischt werden. Es ist eine ganz einzige Tat, dass der göttliche Zorn gegen die Sünde wirklich und wahr in der Seele dessen gefühlt wurde, der durch seine vollkommene Heiligkeit, durch seine Liebe zu Gott und durch die Kenntnis des unendlichen Wertes der Liebe Gottes wissen konnte, was der göttliche Zorn war, und was es war von Gott zur Sünde gemacht zu werden; doch auch Er allein war fähig, diesen Zorn zu tragen, und ich wiederhole es, diese Tat steht einzig für sich allein da.

Ohne Zweifel war der Vorgeschmack dieser Dinge schon schrecklich; aber der Vorgeschmack war nicht die Erfüllung selbst. Der Tod, wie er an und für sich betrachtet für den Fürsten des Lebens war, noch weniger irgendein menschliches Leiden kann mit dem Tragen des Zornes Gottes verglichen werden; und doch war dieses Tragen des Zornes Gottes beim Herrn die völligste Wirklichkeit. Nicht ein Blick des Mitleids, und nicht ein Herz, welches für den Leidenden fühlte, milderte diese Schrecken. Auf dem Kreuz musste die Ausübung seiner Liebe dem Gehorsam im Tod Platz machen; der Hass und die Bosheit des Menschen wurden vergessen und traten in den Hintergrund, wenn es sich um das Tragen des Zornes Gottes handelte. Dort wurden alle seine Verheißungen, die Rechte zur königlichen Herrlichkeit – die Er freilich danach unfehlbar wieder aus der Hand seines Vaters empfangen sollte und in die Er dann als Mensch eintrat – bei Seite gesetzt. Darum spricht der Herr selbst auch im Psalm 22 von der Gewalttätigkeit und Bosheit der Menschen, dann von seiner eigenen Schwachheit, und schließlich, dass andere auf Gott vertrauende Gläubige gerettet wurden; nur Er – Er war verlassen.

Was auch ein Mensch, und wäre es auch der Sünde wegen, bis in den Tod leiden könnte, ja, wenn auch die Macht, die ganze Macht des Todes auf ein menschliches Herz drückte, so würde dieses doch nimmer verglichen werden können mit dem, was unser gepriesener Herr unter dem Zorn Gottes gelitten hat. Die Leiden des Menschen, mögen sie auch die höchste Höhe erreichen, haben ihre Grenze: Er allein konnte den Zorn Gottes tragen.

Man kann indes nicht die Leiden des Herrn betrachten, ohne an die Resultate erinnert zu werden, die aus ihnen hervorgegangen sind.

Ohne Blutvergießen gab es keine Vergebung, und so ist Er in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zum Wegtun der Sünde durch das Schlachtopfer seiner selbst. Wer aber kann den Wert des Todes Christi hoch genug schätzen? Habe ich Erlösung nötig? Wir haben eine ewige Erlösung durch sein Blut. Habe ich Vergebung nötig? diese Erlösung ist die Vergebung der Sünden. Habe ich Frieden nötig? Er hat Frieden gemacht durch das Blut seines Kreuzes. Bedarf ich einer Versöhnung mit Gott? Wer hat uns versöhnt in dem Leib seines Fleisches durch den Tod um uns heilig und untadelig und unsträflich vor sich hinzustellen.

Wünsche ich der Sünde tot zu sein? Ich bin mit Christus gekreuzigt. Fühle ich das Bedürfnis des Gnadenstuhls? Christus ist dargestellt als der Gnadenstuhl durch den Glauben an sein Blut. Denke ich an Rechtfertigung? Ich bin durch sein Blut gerechtfertigt. Möchte ich Teil mit Christus haben? Ich werde sein Miterbe sein.

Wie haben wir Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum? Durch das Blut Jesu. In wessen Kraft ist der große Hirte der Schafe aus den Toten wiedergebracht worden? In dem Blut des ewigen Bundes.

Wie ist der Fluch des Gesetzes weggenommen von denen, die darunter waren? Indem Christus zum Fluch für sie geworden. Wie sind wir von unseren Sünden gewaschen? Er hat uns geliebt und uns von unseren Sünden in seinem Blut gewaschen. Wenn ich wünsche von der Welt befreit zu werden, so ist es durch das Kreuz, durch welches mir die Welt und ich der Welt gekreuzigt bin. Wenn ich in göttlicher Kraft leben will, muss ich an meinem Leib das Sterben des Herrn Jesus tragen. Wenn Christus ein besonderes Gedächtnis; stiften wollte, um uns seiner zu erinnern, so war es ein gebrochener Leib und ein vergossenes Blut, und Er ist ein Lamm wie geschlachtet, welches wir inmitten des Thrones finden werden. Alles war ohne Zweifel Liebe, wünsche ich sie aber kennen zu lernen, so ist die Antwort: „Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns sein Leben dargelegt hat“ (1. Joh 3,16).

Wir sind nun mit unserer Betrachtung beim Schluss des Lebens unseres geliebten Herrn angelangt, und nicht ohne Interesse ist es, einen kleinen Rückblick auf sein Erscheinen als Mensch in dieser Welt zu werfen.

Bis Er ungefähr 30 Jahre alt war, ist Christus in der Verborgenheit eines geduldigen und vollkommenen Lebens geblieben, die Berufung von Gott erwartend. Die einzige Ausnahme war, dass Er in seinem zwölften Jahr nach Jerusalem ging und sich mit den Lehrern Israels unterhielt, um ohne Zweifel den Charakter dessen zu offenbaren, was Er in seiner Person und Gnade war, und um zu zeigen, dass seine Verwandtschaft mit dem Vater von keiner außerordentlichen Salbung zum Dienst durch den Heiligen Geist abhing. Danach verbindet sich Christus öffentlich mit dem Überrest. Er wird von Johannes getauft, vom Vater anerkannt, vom Heiligen Geist versiegelt und gesalbt; und nun bevor Er in seinen öffentlichen Dienst eintritt, geht Er in die Wüste, um vom Teufel versucht zu werden. Er überwindet und bindet den Starken, und Satan entfernt sich von Ihm für eine Zeitlang. Dann geht Er umher, Gutes tuend, und alle heilend, die vom Teufel geplagt sind; denn Gott ist mit Ihm, und Er weiß, dass Ihn der Vater allezeit erhört.

Danach kommt Satan zurück als Fürst dieser Welt und Besitzer der Macht des Todes, und zeigt Ihm durch diese Macht und die Folgen des Gerichts der Menschen, welch ein Pfad dem Herrn bevorstand, wenn Er die Sache der Menschen als die seinige auf sich nehmen wollte. Dies geschah zurzeit seines letzten Besuchs in Jerusalem. Endlich trinkt Er den Kelch, den Er demütig und freiwillig aus der Hand des Vaters nahm und erwirkte auf dem Kreuz Erlösung für alle, welche an Ihn glauben.

Wie gesegnet ist es unseren Herrn in seinen Wegen auf dieser Erde zu betrachten; was könnte das Herz stiller, demütiger und geduldiger machen, als die Betrachtung seiner Leiden, und wie schwach ist unsere Vorstellung von dem, was der Herr erlitten hat! Unsere Begriffe sind nur der Schatten von dem, was diese Leiden in Wirklichkeit waren.

Es ist nicht ohne Absicht, dass der Herr uns das Gedächtnismahl seines Todes hinterlassen hat; mochten wir aber nicht allein am Tisch des Herrn, sondern überhaupt viel über seine Leiden denken, und durch die Gnade bereitet werden, mehr davon zu verstehen.

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