Botschafter des Heils in Christo 1887

Die Botschaft

Der Apostel Johannes hatte hienieden mit Jesu gewandelt; er hatte Ihn mit seinen Augen geschaut, mit seinen Händen betastet, und er hatte in Ihm die Offenbarung des ewigen Lebens gesehen, „welches bei dem Vater war“; und was er „gesehen und gehört“ hatte, das verkündigte er denen, an welche er schrieb, damit sie mit ihm Gemeinschaft haben möchten, und seine „Gemeinschaft war mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“ Nichts könnte gesegneter und köstlicher sein, als diese wunderbare Verbindung und Gemeinschaft, in welche die Gläubigen gebracht sind. Deshalb schrieb auch der Apostel ihnen diese Dinge, „auf dass ihre Freude völlig sein möchte.“ Wie unendlich groß ist die Gnade Gottes armen Sündern gegenüber! Nicht nur gefällt es Ihm wohl, sie aus den Tiefen ihres Verderbens herauszunehmen und von der Macht Satans und der Herrschaft der Sünde zu befreien; nein, Er gibt ihnen auch ewiges, göttliches Leben, bringt sie in seine Gegenwart und versetzt sie in ein unaussprechlich gesegnetes, ewig unantastbares Verhältnis zu sich selbst. In der Tat, das ist reine, unvermischte Gnade, die Frucht ewiger, göttlicher Liebe.

Aber ach! Das menschliche Herz in seiner unheilbaren Verkehrtheit und Bosheit ist stets bereit, die Gnade zu missbrauchen, ja, die Gnade Gottes selbst in Ausschweifung, Zügellosigkeit und Mutwillen zu verkehren. Wir finden deshalb die göttliche Wahrheit von allen Seiten verwahrt und beschützt. Wenn Gott in seiner unergründlichen Gnade unreine Sünder nimmt und sie in seine Gegenwart versetzt, ja, in Gemeinschaft mit sich selbst bringt, so ist das gewiss eine Ursache zur tiefsten Freude und Dankbarkeit; aber indem Gott dies tut, setzt Er niemals – wie wäre dies auch möglich? – seinen Charakter beiseite. Seine unbefleckte Heiligkeit und unbedingte Reinheit müssen in all seinem Tun in derselben Vollkommenheit ans Licht treten, wie seine Gnade und Liebe. Wenn Gott „Liebe“ ist, so ist Er auch „Licht.“ Licht und Liebe sind die beiden Seiten seines Wesens, seiner Natur. Wenn wir deshalb Teilhaber der göttlichen Natur geworden sind, wenn wir jenes ewige Leben empfangen haben, welches bei dem Vater war und uns in Jesu, dem Sohn Gottes, hienieden offenbart worden ist, so dürfen wir nie vergessen, dass wir die Natur eines Gottes besitzen, welcher Licht ist, und dass infolge der bedingungslosen Reinheit dieser Natur notwendigerweise alles Böse von seiner Gegenwart ausgeschlossen ist. Der Apostel sagt daher: „Dies ist die Botschaft, die wir von Ihm gehört haben und euch verkündigen: dass Gott Licht ist, und gar keine Finsternis in Ihm ist.“

Durch nichts könnte die wesentliche und unbedingte Reinheit Gottes mächtiger dargestellt werden als durch diese Worte. Es ist eine Reinheit, welche das Böse in keinerlei Form und Gestalt duldet. Nicht nur ist Gott „Licht“, sondern es kann auch keine „Finsternis“ mit diesem Licht sich vermengen. Jede Finsternis ist notwendig durch das, was Er als Licht ist, ausgeschlossen. Und wenn wir zu Gott gebracht sind, so sind wir nicht „in der Finsternis“, sondern „in dem Licht“. Das ist der Platz und die Stellung, in welche wir versetzt sind. Wir waren einst Finsternis, sind aber jetzt „Licht in dem Herrn“ (Eph 5,8).

In unserem natürlichen Zustand waren wir „Finsternis“; jetzt, als Erlöste, und als solche, die zu Gott gebracht und zu Teilhabern der göttlichen Natur gemacht worden sind, sind wir „Licht in dem Herrn.“ Welch ein Wechsel! Welch eine Veränderung! Einst fern von Gott; jetzt in Gottes Gegenwart versetzt in Christus Jesus, nahegebracht durch sein Blut! Einst Feinde; jetzt versöhnt und, in dem wolkenlosen Licht der göttlichen Gegenwart stehend, fähig gemacht, in das Antlitz Gottes zu schauen und zu rufen: „Abba, Vater!“ Einst unfähig, auch nur einen einzigen gemeinsamen Gedanken oder Wunsch, ein einziges gemeinsames Gefühl mit Gott zu haben; jetzt Teilhaber der göttlichen Natur, eingeführt in die innigste Gemeinschaft mit Ihm und mit seinem Sohn Jesus Christus!

Sagen wir nun, dass wir zu Gott gebracht sind und Gemeinschaft mit Ihm haben, und wandeln wir zu gleicher Zeit in der Finsternis? Dann ist alles „eine Lüge“, und wir „tun nicht die Wahrheit“.

Gott hat sich in Jesu offenbart, und durch diese Offenbarung sind wir Ihm nahegebracht und haben das Leben empfangen, welches in Jesu offenbart worden ist. So sind wir in die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes eingeführt worden. Nur als solche, welche dieses Leben besitzen, können wir Gemeinschaft mit Gott haben. Und weiter, wenn dieses Leben unser Teil ist und wir uns in dieser Gemeinschaft befinden, so sind wir notwendigerweise in dem Licht. Das Licht ist das, was Gott in der Reinheit und Heiligkeit seiner Natur ist; wir haben teil an dieser Natur und sind somit im Licht. Aber wenn wir sagen, dass wir Teilhaber dieser Natur seien und Gemeinschaft mit Gott haben, und wandeln in der Finsternis, so verbinden wir die Finsternis mit dem Gott, welcher Licht ist. Wir sagen dadurch, dass die Finsternis zu jener reinen und heiligen Natur gehöre, zu jenem göttlichen Leben, welches in Jesu offenbart worden ist. Und das ist eine Lüge, und wir tun nicht die Wahrheit. Wir befinden uns noch in der moralischen Finsternis unserer Natur und kennen Gott nicht.

„Gott ist Licht, und gar keine Finsternis ist in Ihm.“ Welch ein ernstes Wort! Es beweist, wie schon gesagt, dass alles Böse von seiner Gegenwart ausgeschlossen ist. Das Kreuz ist der Maßstab hierfür. Dort sehen wir den schrecklichen Hass und Abscheu Gottes gegen die Sünde, wenn Er seinen geliebten Sohn verlässt und dem Schwert gebietet, wider den zu erwachen, der dort zur Sünde gemacht war. Ans jenem Kreuz von Gott verlassen, wurde dem leidenden Opfer der Kelch des Zornes Gottes wider die Sünde gereicht. Er musste seinen bitteren Inhalt trinken; und der Angstschrei seiner heiligen Seele: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ zeigt, wie völlig unmöglich es ist, dass die Finsternis sich mit dem Licht verbinde, oder dass die Sünde einen Platz habe in der Gegenwart Gottes. Alles das ist unaussprechlich ernst, wenn wir auf das Fleisch blicken, oder auf die alte Natur und auf alles das, was aus ihr hervorkommt; aber zu gleicher Zeit ist es unendlich kostbar, wenn wir verwirklichen, dass wir in dem Sohn sind, und dass unser Leben in Ihm ist. Wir sind in Christus zu Gott gebracht.

„Wie Er ist, so sind wir in dieser Welt.“ Wir sind in dem Licht, und zwar als Teilhaber der göttlichen Natur, so dass wir moralisch in unserer neuen Natur Gott selbst gleich sind; und das ist überaus gesegnet. Aber zu gleicher Zeit erforscht diese Wahrheit unsere Herzen und ist ein ernster Prüfstein für unseren praktischen Zustand. Wandeln wir Tag für Tag in der Furcht Gottes, und verurteilen wir das Fleisch mit seinen Leidenschaften und Lüsten, so dass nichts anderes in unserem Verhalten und Wandel an den Tag tritt, als die Gesinnung Christi? Lebt in unseren Herzen allezeit das Bewusstsein, dass wir in die Gegenwart Gottes versetzt sind? Entsprechen unsere Gedanken und Worte, unser Tun und Lassen der Reinheit und Helligkeit dieser göttlichen Gegenwart? Ist unser Leben in Übereinstimmung mit einem solchen Platze?

Das sind ernste, das Herz erforschende Fragen; und wir sollten dieselben nicht von uns abweisen, umso weniger als die Tage, in welchen wir leben, so ernst und böse sind. Gleichgültigkeit, Trägheit und Weltförmigkeit, das sind die Charakterzüge dieser letzten Zeit. Der Herr wolle geben, dass seine Wahrheit einen mächtigen, gesegneten Einfluss auf unsere Herzen ausübe! Vergessen wir es nie: Wir sind in dem Licht, wir sind in der Gegenwart Gottes. Wir sind nicht heute da und morgen anderswo. Nein, die Gegenwart Gottes ist der Platz, an welchem wir uns als Christen befinden, wohin die Gnade Gottes uns gebracht hat. Möchte diese Wahrheit allezeit unsere Seelen erfüllen und beherrschen, und in uns jene Reinheit des Herzens und jenen Abscheu vor der Sünde hervorrufen, welche sich für einen solchen Platz geziemen, und die der Natur und dem Charakter entsprechen, welche Gott uns als seinen Kindern gegeben hat! Eine wahre Erkenntnis und Verwirklichung dieser Wahrheit wird die beiden gesegneten Resultate hervorbringen, welche der Apostel Johannes bei seinen Kindern zu erreichen suchte:

„Dies schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei.“

„Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass, ihr nicht sündigt.“

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