Betrachtung über Offenbarung (Synopsis)

Kapitel 1

Betrachtung über Offenbarung (Synopsis)

Die Offenbarung gehört Jesu Christo, sie ist Ihm von Gott gegeben, und Er zeigt sie dem Johannes. Wiewohl Er Gott über alles ist, gepriesen in Ewigkeit, wird Er hier doch als der Sohn des Menschen gesehen, als der verworfene Messias oder das Lamm, und somit als das Haupt über alle Dinge. Die genannte Tatsache, dass die Offenbarung eine Ihm anvertraute Sache ist, ist von Bedeutung; denn sie wird dadurch sofort zu dem Zeugnis Jesu und dem Worte Gottes, indem Jesus sie mitteilt, und Gott sie Ihm gegeben hat. Dieses Zeugnis Jesu und Wort Gottes gelangt zu Johannes als ein Gesicht und er berichtet alles, was er sieht. Das Ganze trägt einen prophetischen Charakter. Der Geist Gottes redet nicht zu der Versammlung in der ihr eigentümlichen Stellung von dem Vater und der Gnade des Sohnes, es ist nicht eine unmittelbare, vom Geiste Gottes eingegebene, an die ihren wahren Platz einnehmende Versammlung gerichtete und für sie bestimmte Mitteilung, sondern eine an Johannes gerichtete prophetische Offenbarung über sie, so wie sie in der Welt gesehen wird, und über die Welt selbst.

Da die Versammlung bereits im Verfall war und hinweg getan werden sollte, war, wie viel Frist die Gnade ihr inzwischen auch noch gewähren mochte, doch „die Zeit nahe“, und die Verwerfung der Versammlung in ihrer irdischen Gestaltung musste zum Ausgangspunkt der Darstellung genommen werden. Eine andere Ordnung der Dinge sollte eingeführt werden. Beachten wir, dass der Apostel den Versammlungen nicht das Gesicht, sondern den Rücken zukehrt. Der Sinn des Geistes ist auf die Errichtung des Reiches durch Christum gerichtet. Indes befindet Sich Christus immer noch inmitten der Versammlungen, jedoch in dem Charakter als Sohn des Menschen, in welchem Er die Welt richten und als Erbteil haben wird. Der Apostel wendet sich um und erblickt Ihn. Doch war es am Platze, wenn er über die der Welt bevorstehenden Gerichte Mitteilungen machen wollte, nebenher auch das, „was ist“, zu erwähnen. Das geschieht durch sieben damals bestehende Versammlungen oder Gemeinden; sie stellen das, „was ist“, dar, wodurch, wie bereits bemerkt, dem Gedanken vorgebeugt wird, dass vor dem Ende noch irgendwelche Zeit vergehen müsste. Die den Abschluss bildenden Ereignisse werden dadurch als unmittelbar bevorstehend hingestellt, denn man befand sich in den letzten Tagen; zugleich aber wurde für den Fall, dass noch ein Aufschub stattfinden sollte, Gelegenheit geboten, ein vollständiges sittliches Gemälde von der gesamten Geschichte der Kirche zu entwerfen. Ich erblicke darin nur die Weisheit des Geistes Gottes sowie das, was dem Charakter des Dienstes Johannes genau entsprach; „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme.“

Ich zweifle daher keinen Augenblick daran (obwohl die Sendschreiben sich bekanntlich an jeden wenden, der ein Ohr hatte zu hören, und nicht einen Weckruf an das Gewissen der Versammlung in ihrer Gesamtheit bilden), dass die sieben Versammlungen die Geschichte der Christenheit, der Kirche als unter der Verantwortlichkeit des Menschen stehend, darstellen, nach deren Abschluss erst das Gericht der Welt erfolgt (denn die Versammlungen sind das, „was ist“), und dass hier zugleich der Charakter der Ereignisse geschildert wird, die damit ihren Anfang nahmen, dass die Versammlung ihre erste Liebe verließ, und damit enden werden, dass ein Teil derselben das Empfangene festhält, bis Er kommt, während das übrige aus dem Munde Christi ausgespieen wird. Die Benutzung der Zahl sieben, welche Vollständigkeit anzeigt, nicht aber eine Vollständigkeit, die Gleichzeitigkeit in sich schließt, da die Zustände, von denen die Rede ist, verschiedenartig waren; ferner die Erwähnung des Kommens des Herrn, der Hinweis auf die große Drangsal, die über den ganzen Erdkreis kommen soll, in dem Sendschreiben an Philadelphia; endlich der deutlich erkennbare Zweck, die Versammlungen zu warnen, ehe Christus kommen würde, da dann das Gericht über die Welt erfolgen sollte: alle diese Erwägungen lassen keinen Zweifel bezüglich des Schlusses, dass die sieben Versammlungen ebenso viele Entwicklungsstufen in der Geschichte der bekennenden Kirche darstellen, die eine nach der anderen eintreten würden, wobei jedoch die früher eingetretenen auch nach dem Eintritt neuer Zustände noch fortdauern können. So geht z. B. die vierte bis ans Ende fort, während neue Entwicklungsstufen beginnen, die neben jener ebenfalls bis zum Ende fortlaufen 1.

Aber wiewohl hier von der Versammlung die Rede ist, wird doch Gott Selbst, auch wenn Er zu der Versammlung redet, als Der gesehen, in dessen Händen die Regierung der Welt liegt; und Christus erscheint als Mensch, in Abhängigkeit von Gott, um Dessen Absichten bezüglich der Welt zur Ausführung zu bringen. Der Heilige Geist endlich wird als der Träger der göttlichen Kraft dargestellt, durch welchen sie sich unmittelbar wirksam erweist, und zwar in der siebenfältigen Vollkommenheit, in der sie zur Ausübung kommt. Wir hören hier weder von dem Vater noch von dem Sohne, sondern von Gott, der da ist, dessen Wesen jedoch Vergangenheit und Zukunft in sich begreift, der nie mit Sich Selbst im Widerspruch stehen kann, indem Er zu Seiner Zeit alles das zur Ausführung bringt, was Er Selbst in der Vergangenheit angekündigt hat. Die Art und Weise, wie das hier dargestellt wird, ist jedoch bemerkenswert. Es wird uns hier nicht einfach Jehova vorgestellt, der da war und ist und kommen wird. Er wird zuerst als Der bezeichnet, welcher ein gegenwärtiges, durch nichts bedingtes Dasein besitzt, als Der, „der da ist“, der „Ich bin“, Gott Selbst, und der dann, um an Offenbarungen, die früher von Seiner Seite geschehen waren (nicht an gegenwärtig bestehende Beziehungen), anzuknüpfen, erklärt, dass Er Der ist, „der da war“ (welcher sich in vergangenen Zeiten der Erde oder den Menschen, dem Abraham und Mose vor alters, geoffenbart hatte), der gleichzeitig aber auch „der Kommende“ ist, welcher alles von Ihm und durch Ihn Geoffenbarte zur Ausführung bringen wird. Jesus Christus wird zuletzt erwähnt, und zwar als der Mensch, der mit dem Zeugnis, das Gott an die Welt richtet, und mit Seiner Regierung derselben in engster Verbindung steht. Er erscheint als der getreue Zeuge Gottes (was Er persönlich auf Erden war), und weiter als auferstanden aus den Toten (ohne dass jedoch die Himmelfahrt oder Seine Stellung als Haupt der Versammlung erwähnt würde), der als Auferstandener, nicht als im Fleische auf Erden lebend, alles in Besitz nehmen wird; und endlich als der Fürst der Könige der Erde, ein Titel, der in der tatsächlichen Ausübung der Regierung noch nicht verwirklicht ist.

Nach diesem bringen die Heiligen zum Ausdruck, dass sie sich dessen bewusst sind, was Er für sie getan hat; doch tun sie dies unter Bezugnahme auf das Reich, nicht als der Leib oder die Braut Christi; die Freude, welche sie äußern, betrifft nicht ihr himmlisches Teil, wenngleich sie so erhaben ist wie möglich, sondern die Herrlichkeit und den Platz, die ihnen zuteil geworden sind. Solche Empfindungen müssen notwendigerweise aus dem bewussten Genuss eines nahen und gesegneten Verhältnisses entspringen. Mag die Herrlichkeit Dessen, zu dem wir in Beziehung stehen, noch so groß sein, dennoch tritt, wenn von dieser Herrlichkeit die Rede ist, zunächst das, was Er für uns ist, das nahe Verhältnis, in welchem wir zu Ihm stehen, vor den Geist. Wenn ein General im Triumph seinen Einzug in eine Stadt hielte, so würde sein Kind oder seine Frau dabei das Gefühl haben: „Das ist mein Vater“, „das ist mein Mann.“ Einen ähnlichen Charakter trägt das Gefühl, dem hier Ausdruck gegeben wird, nur ist es noch selbstloser: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blute.“ Die Liebe, die Er zu uns hat, wird gepriesen, jedoch verbunden mit dem persönlichen Gefühl: Diese Liebe gilt „uns“. Die Heiligen wissen, was Er für sie getan, aber auch, wozu Er sie gemacht hat. Seine Liebe ist vollkommen. König und Priester sind die höchsten Charaktere, in denen Christus hier gesehen wird; Er ist Gott am nächsten, sowohl in Offenbarung der Macht nach unten hin als auch des Nahens zu Ihm nach oben hin. Und Er hat uns Seinem Gott und Vater zu Königen und Priestern gemacht. Ihm sei die Herrlichkeit! Das sind die Gedanken, welche die Heiligen erfüllen, wenn von Ihm die Rede ist. Er liebt uns, hat uns gereinigt und uns dort einen Platz gegeben, wo Er Selbst ist. Diese Worte entströmen dem Munde, sobald Sein Name genannt wird. Es ist der Widerhall, den die Erwähnung Seiner Person im Herzen hervorruft, bevor noch irgendwelche Mitteilung erfolgt ist. Was im Vordergrund steht, ist nicht so sehr die Tatsache, dass Er jene Dinge getan hat, sondern vielmehr, dass die Heiligen sich dessen bewusst sind 2.

Der nächste Gegenstand, zugleich der erste, der angekündigt wird, ist Seine Erscheinung für die Welt. Es ist nicht eine Mitteilung, die der Versammlung um ihrer selbst willen gemacht wird, solche Mitteilungen finden sich in diesem Buche nicht. Die Versammlung kennt hier, wie wir gesehen haben, diese Dinge und ist sich ihrer bewusst. Siehe, Er kommt mit den Wolken; jedes Auge wird Ihn sehen, auch die Juden, die Ihn durchstochen haben, und wehklagen werden Seinetwegen alle Stämme des Landes. Es handelt sich um Seine Erscheinung zum Gericht.

Dann finden wir, was so beachtenswert bei Johannes ist, dass er sich so ausdrückt, als wenn zwischen Gott und Christo kein Unterschied bestände. Man kann nicht bestimmt sagen, welcher von beiden im 8. Verse gemeint ist. Es ist Christus, aber es ist Christus-Jehova, der Allmächtige, der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Erste und der Letzte (vgl. Off 22,12+13). Zunächst also begegnen wir hier den Heiligen der gegenwärtigen Zeit, dann haben wir die Erscheinung Christi zum Gericht, und schließlich wird uns gesagt, dass Er Gott ist, der Erste und der Letzte, das Alpha und das Omega. Es wird uns somit ein kurzer, aber vollständiger Überblick gegeben von den Tagen, in welchen Johannes lebte, bis zur Zeit des Endes. Die Stellung, welche Johannes mit allen Heiligen in praktischer Beziehung einnimmt, wird bezeichnet als „das Königtum und das Ausharren in Jesu“. Das Königtum gehört ihm; er muss aber ausharren, solange Christus noch wartend ausharrt, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt werden. Der eigentliche Name, der hier dem Zeugnis gegeben wird: „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu“, ist ebenso wohl auf den ganzen Dienst des Johannes als auch auf die Weissagung anwendbar; nur würde man den letzten der beiden Ausdrücke vielleicht nicht auf die Weissagung bezogen haben, da dieselbe nicht seitens des Hauptes der Versammlung an diese gerichtet wurde, sie auch nicht zum Gegenstand hat; doch ist der Geist der Weissagung das Zeugnis Jesu.

So weit die Einleitung zu dem Buche der Offenbarung; wir kommen jetzt zu dem Inhalt desselben. Johannes war an des Herrn Tag im Geiste. Mit dem Ausdruck „des Herrn Tag“ wird an den Platz und das Vorrecht erinnert, deren Johannes sich als Christ erfreute; wir dürfen nicht etwa an die prophetische Zeit denken, in die er versetzt wurde. Es war der erste Tag der Woche, der Tag der Auferstehung, welcher der Stellung entsprach, die Johannes einnahm, der Tag, an welchem Christen sich zu versammeln pflegen. An diesem Tag durfte der Apostel, der fern von anderen Christen zu bleiben gezwungen war, in seiner Einsamkeit dennoch in besonderer Weise die erhebende Kraft des Heiligen Geistes erfahren. In solcher Lage wird er von Gott benutzt, der ihn gerade zu dem Zweck in die Verbannung hatte senden lassen, um ihm dort Mitteilung zu machen, die Er der Versammlung auf gewöhnlichem Wege zu ihrer Erbauung nicht hätte zukommen lassen können. Der Kaiser, der den Befehl zur Verbannung des Apostels ergehen ließ, ahnte nicht, welchen Dienst er uns damit erwies, ebenso wenig wie der Kaiser Augustus, als er in Verfolgung seiner politischen Pläne das ganze Reich schätzen ließ, etwas davon wusste, dass er auf diesem Wege einen armen Zimmermann samt seinem verlobten Weibe nach Bethlehem sandte, damit Christus daselbst geboren werden möchte, oder wie die Juden und die Kriegsknechte des Pilatus, als sie, ihren abergläubischen Meinungen oder ihren Satzungen folgend, in grausamer Weise dem Räuber die Beine brachen, etwas davon wussten, dass sie ihn geradewegs in den Himmel sandten. Gott ist im Verborgenen hinter den sich äußerlich abspielenden Vorgängen wirksam und lenkt dieselben so, dass sie zur Erreichung Seiner Zwecke dienen müssen. Wir müssen das lernen und Ihn wirken lassen und nicht soviel von dem geschäftigen Treiben des Menschen halten. Dieses muss nur dazu dienen, die Absichten Gottes zur Ausführung zu bringen. Alles, was nicht diesem Zwecke dient, wird zunichte werden und verschwinden. Unsere einzige Aufgabe ist, im Frieden Seinen Willen zu tun.

Dieselbe Stimme, welche Johannes nachher in den Himmel hinauf ruft, hört er hier auf Erden hinter sich - die Stimme des Sohnes des Menschen. Sie ertönt mit Macht, um seine Aufmerksamkeit auf Sich zu ziehen; und als er sich umwendet, um die Stimme zu sehen, ähnlich wie Mose sich einst dem Busch zuwandte, da erblickt er nicht wie dieser das Bild der Gegenwart Gottes in Israel, sondern die Gefäße, deren Gott Sich bedient, um Sein Licht hier auf Erden ausstrahlen zu lassen; ja, es wird ihm eine vollständige Gesamtansicht derselben gegeben, und in ihrer Mitte erblickt er Christum als Sohn des Menschen. Demzufolge finden wir in der Offenbarung die gesamte Geschichte der Welt, wie Gott sie schreibt, oder vielmehr die Geschichte dessen, was in der Welt von Ihm ist, und zwar von dem Beginn des Verfalls der Kirche an bis zur Erschaffung des neuen Himmels und der neuen Erde. Indem Gott diese Geschichte schrieb, konnte Er aber unmöglich die Erwartung, dass Christus jeden Augenblick wiederkommen könne, beiseite setzen, noch die Versammlung in ihrer sorglosen, aber sündhaften Denkweise „Mein Herr verzieht zu kommen“, rechtfertigen. Wie immer, so wird deshalb auch hier diese Geschichte (und namentlich die der Versammlung) in einer Weise vorgetragen, welche die Zeit völlig außer acht lässt. Die innere Entwicklung der Versammlung, von ihrem ersten Abweichen bis zu ihrer völligen Verwerfung, wird uns vor Augen geführt, und zwar in bildlichen Darstellungen der Zustände damals bestehender und zu diesem Zweck besonders ausgewählter Versammlungen. Da die Versammlung hier als aus einzelnen Gemeinden bestehend gesehen wird, kommt der allgemeine Grundsatz der Verantwortlichkeit zur Geltung, und sie erscheint hier nicht als der unwiderruflich gesegnete Leib Christi, sondern als etwas, das auf Erden verworfen und beseitigt werden kann; denn dies kann mit einer örtlichen Versammlung ebenso gut wie mit dem ganzen äußerlichen sichtbaren Körper geschehen.

Diese Versammlungen (Gemeinden) werden hier als ebenso viele Lichtträger gesehen, d. h. sie erscheinen an dem Platz des Dienstes, oder vielmehr in der Stellung eines Zeugnisses in der Welt. Sie sind von Gold, das will sagen: sie werden in dem ihnen eigentümlichen Charakter, den sie als von Gott herrührend, als von Ihm in die Welt gestellt, besitzen. Er kann sie zwar hinweg tun, wofern sie ein trübes oder kein wahres Licht oder Zeugnis für Ihn abgeben; aber das, was hinweg getan wird, war ursprünglich in göttlicher Gerechtigkeit und durch eine göttliche Hand aufgerichtet.

Der Geist beschäftigt Sich indes zunächst mit dem Charakter Dessen, der in der Mitte der Leuchter steht. Als erstes wird uns gezeigt, welche Stellung Er gegenwärtig einnimmt, dann, was Er ist. Er steht da als Sohn des Menschen. Wir erblicken den Herrn hier nicht als das Haupt des einen Leibes noch als den himmlischen Sachwalter, und selbstverständlich auch nicht als den Christus, d. h. in Seinem jüdischen Charakter. (Es ist bemerkenswert, dass gerade diese Charakterzüge Christi auch in dem ersten Kapitel des Evangeliums Johannes ausgelassen werden.) Johannes sieht Ihn in dem Charakter von weit reichender Bedeutung, in welchem Er über alle Werke der Hände Gottes gesetzt und, göttlicher Gerechtigkeit zufolge, Erbe alles dessen ist, was Gott dem Menschen verheißen oder im Blick auf ihn Sich vorgesetzt hat. Er erscheint nicht als der Sohn des Menschen in dienender Stellung. Sein Gewand reicht bis zu Seinen Füßen hinab, und Er trägt den Gürtel göttlicher Gerechtigkeit um Seine Brust. Das ist Sein Charakter.

Hierauf folgen Seine Eigenschaften oder Attribute. Zunächst ist Er der Alte an Tagen. Bei Daniel (Dan 7) tritt dieselbe Wahrheit ans Licht. Der Sohn des Menschen wird zu dem Alten an Tagen gebracht; im weiteren Verlauf des Kapitels sehen wir aber, dass der Kommende Selbst der Alte an Tagen ist. Der Sohn des Menschen ist Jehova. Das kennzeichnet alle von Ihm abgelegten Zeugnisse. Der König der Könige und der Herr der Herren wird die Erscheinung unseres Herrn Jesu Christi zeigen (1. Tim 6,15); wenn Jesus aber kommt, so finden wir, dass Er Selbst der König der Könige und der Herr der Herren ist. Doch in Verbindung mit dieser Herrlichkeit besitzt Er die Eigenschaften, die Ihn zur Ausübung des Gerichts befähigen: Augen von Feuer - das, was alles durchdringt und erforscht. Feuer ist im Worte Gottes stets das Zeichen des Gerichts. Durchdringend, alles erforschend ist also der Charakter des Gerichts, das Er ausüben wird. Füße gleich glänzendem Kupfer: die Festigkeit, mit welcher Er der Sünde entgegentritt. Kupfer oder Erz ist das Bild der Gerechtigkeit, nicht als das Wesen Gottes bildend, eine Gerechtigkeit, der wir nahen sollen, sondern so wie sie mit dem Menschen in seiner Verantwortlichkeit als Mensch handelt. Der Gnadenstuhl in der Stiftshütte war von Gold, Brandopferaltar und Waschbecken waren von Erz. Dort erschien das Kupfer in Gestalt eines Altars, d. h. es handelte sich um eine Beschäftigung mit der Sünde zugunsten des Menschen, um ein Opfer, das gebracht wurde, wiewohl unter Anwendung von Feuer; hier aber haben wir einen brennenden Ofen des Gerichts. Die laute Stimme deutet Macht und Majestät an.

Weiter haben wir amtliche Oberhoheit. Der Herr hält alles das, was als untergeordnete Autorität zur Darreichung von Licht und zur Aufrechthaltung der Ordnung dient (hier betrachtet als in Verbindung mit der Kirche), in Seiner rechten Hand, d. h. Er hat es in Seiner Gewalt. Er hat die Macht, das Gericht durch Sein Wort auszuführen, und besitzt - dies drückt die Sonne aus - die höchste Autorität in der Fülle ihres erhabensten Charakters. So haben wir denn zunächst Seine persönliche Herrlichkeit als Jehova, dann Seine Eigenschaften als göttlicher Richter und schließlich die Oberhoheit, die Er in amtlicher Beziehung besitzt.

Nicht weniger als das alles ist Er aber auch der Erlöser, der in Seiner Gnade die Segnung der Seinigen sicherstellt. Johannes fällt (wie wir das immer sehen, wenn Jehova Sich in einem prophetischen Gesicht offenbart, denn es handelt sich hier nicht um den Geist der Sohnschaft) wie ein Toter zu Seinen Füßen nieder. So war es einst mit Daniel, im Geiste auch mit Jesaja (Jes 6); die Macht des Herrn richtet aber den Heiligen auf, sie zerschmettert ihn nicht. Er legt Seine rechte Hand auf Johannes, gibt Sich ihm als den Ersten und den Letzten, als Jehova Selbst zu erkennen, zugleich aber auch als Den, der aus Liebe Sein Leben dahingab und völlige Gewalt hat über Tod und Hades, und zwar nicht, um andere diesen Mächten zu unterwerfen, sondern um sie von ihnen zu befreien. Er ist aus dem Tode und dem Hades auferstanden und hat die Schlüssel derselben, d. h. Er besitzt volle Gewalt über sie; Er kann ihnen gegenüber göttliche Kraft oder Hilfe darreichen. Und Er, der gestorben und wieder auferstanden ist, und der jetzt Selbst als Mensch auf immerdar lebt, tut das nicht einfach in der Kraft eines göttlichen Lebens im Menschen, sondern aufgrund des Sieges, den Er über alles das errungen hat, dem der Mensch infolge von Sünde und Schwachheit unterworfen war.

Das ist die Stellung, die Er hier einerseits Seinem Diener Johannes, andererseits den Versammlungen gegenüber einnimmt. Wir werden nachher sehen, dass der Zustand der zuletzt genannten Versammlungen Veranlassung gibt, noch andere Seiner Charaktere zu offenbaren, die nur dem geöffneten Auge des Glaubens bekannt sind. Die hier genannten waren das, was Johannes „gesehen hatte“, und sie sollte er niederschreiben. Wenn es sich dann um prophetische Tatsachen handelte, sollte er das niederschreiben, „was ist“, nämlich die Zustände jener sieben Gemeinden in Kleinasien, um durch dieselben geschichtlich die verschiedenen Zustände, wie sie in der Versammlung auf Erden nacheinander eintreten würden, darzustellen - also eine Geschichte -, und schließlich das, „was nach diesem geschehen wird“, wenn nämlich die Geschichte der Kirche auf Erden abgeschlossen sein würde. Diese Geschichte, als Ganzes betrachtet, ist demnach für den Heiligen Geist gegenwärtige Zeit - „das, was ist“. Die Zukunft ist das, was hernach kommen wird, d. h. die Wege und Handlungen Gottes mit der Welt. Bei dieser Darstellung blieb der Eindruck ungeschwächt, dass das Kommen des Herrn oder einleitende prophetische Ereignisse jederzeit erwartet werden konnten; falls jedoch ein Aufschub eintreten würde (wie es tatsächlich der Fall sein sollte), blieb die Dauer desselben unbestimmt, und die Erwartung, selbst wenn sie sich hinauszog, blieb immer eine gegenwärtige.

Beachten wir, dass uns hier die persönliche Herrlichkeit Christi vor Augen gestellt wird, und in Verbindung damit die Stellung, die Er den Versammlungen gegenüber einnimmt. Er wird nicht persönlich als Sohn des Menschen geoffenbart, d. h. Er nimmt hier nicht den Platz des Sohnes des Menschen ein; nur wird Er, der der Alte an Tagen ist, hier so gesehen, dass wir erkennen können: es ist Einer, der diesen Platz hatte, der des Menschen Sohn war. Wenn weiterhin in der Offenbarung von Ihm die Rede ist, wird Er nie in Seinem wesentlichen persönlichen Charakter, sondern stets in irgendeinem Charakter oder einer Stellung gesehen, die Er anderen gegenüber einnimmt. Erst dann, wenn der Bericht über zukünftige Dinge seinen Anfang nimmt, finden wir etwas, das der vorliegenden Stelle entspricht. Da es sich dort um die Welt handelt, erscheint Er als das Lamm, als Einer, den die Welt verworfen hat, der aber Lösungsrecht in Bezug auf sie hat. Zugleich erblicken wir Ihn dort mit sieben Hörnern und sieben Augen, wodurch Seine Macht über die Welt dargestellt wird, ähnlich wie Er hier als Sohn des Menschen mit den sieben Sternen erscheint.

Nachdem wir so das betrachtet haben, was Johannes gesehen hatte, kommen wir jetzt zu dem, „was ist“. Die Sterne sind in Christi Hand, von ihnen spricht Er zuerst; inmitten der Versammlungen wandelt Er. Letztere erscheinen als Lichtträger, das heißt: die einzelnen Gemeinden oder die ganze Versammlung werden betrachtet als in einer gewissen, ihnen von Gott verliehenen Stellung vor Gott stehend. Man sieht hier nicht, was aus den einzelnen geworden ist, sondern nur, was die Versammlung in den Augen Gottes ist, geradeso wie Israel immer Sein Volk blieb, was auch aus den Israeliten als solchen geworden sein mochte. Die Sterne sind das, was sich in der Hand Christi befindet, um Licht zu verbreiten und Autorität auszuüben, und was Er Ihm gegenüber hierfür verantwortlich macht. In gewissen Sinne umschließt dieser Ausdruck daher alle, welche die Versammlung ausmachen, und in dieser Weise wird in den Sendschreiben oft zu den Versammlungen gesprochen; in besonderem Sinne müssen wir aber an diejenigen denken, welche infolge ihrer Verbindung mit dem Herrn Ihm als die Sterne, die Er in Seiner Hand hält, verantwortlich sind. Sie sollten, ein jeder an seinem Platze, während der Nacht Licht verbreiten, Einfluss ausüben und Ihn darstellen. dass die so genannte Geistlichkeit allmählich diesen Platz eingenommen hat und aus diesem Grunde auch für die Ausführung desselben verantwortlich ist, ist gewiss wahr; aber es ist ihre Sache, sich im Blick hierauf vor dem Herrn zu verantworten. Der Heilige Geist stellt die Sache hier nicht so dar. Jene nehmen ihren Platz als eine ihnen zukommende Ehre in Anspruch; daher tragen sie auch die Verantwortlichkeit für denselben. Sollten sie zu irgendwelchen Zeit „Engel“ genannt worden sein, so geschah das offenbar infolge solcher von ihnen erhobener Ansprüche, und die Bezeichnung ist wohl der vorliegenden Stelle entnommen worden. Andererseits kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Führer, Älteste oder andere einen Platz besonderer Verantwortlichkeit innehatten, vorausgesetzt dass sie in rechtmäßiger Weise Führer usw. waren. In Apostelgeschichte 20 wird in dieser Weise zu ihnen geredet; hier aber erkennt der Heilige Geist sie nicht so an. Christus wendet Sich nicht an Älteste, auch nicht an eine Person, die unserer heutigen Vorstellung von einem Bischof entspräche; denn etwas Derartiges bestand damals noch gar nicht. Auch hat man in diesem Sendschreiben nicht an so genannte „Diözesen 3“ zu denken. Ich wiederhole also: Wir finden hier weder die Autoritäten, von denen die Schrift an anderen Stellen redet, d. h. Älteste, deren es an einem Orte stets mehrere gab, noch ist dieser Schriftabschnitt auf Einrichtungen, wie sie heute bestehen, anwendbar.

Was ist dann aber der „Engel“? Wir dürfen dabei nicht an ein Symbol im eigentlichen Sinne des Wortes denken. Der Stern ist das Symbol, und er wird hier in der Hand Christi erblickt. Der „Engel“ ist (wie überall da, wo das Wort nicht einen wirklichen himmlischen oder irdischen Boten bezeichnet) der geheimnisvolle Vertreter einer nicht tatsächlich sichtbaren Person. In diesem Sinne wird das Wort in Verbindung mit Jehova, mit Kindern, wie auch mit Petrus gebraucht (vgl. 2. Mo 23,20+21; Ri 6,11+14+20 und viele andere Stellen; Mt 18,10; Apg 12,15). Älteste mögen in praktischem Sinne infolge ihrer Stellung besonders verantwortlich gewesen sein; der Engel stellt jedoch die Versammlung dar, und namentlich solche Personen, die sich in der Nähe des Herrn, in Gemeinschaft mit Ihm befinden, oder die durch die Wirksamkeit des Geistes in ihnen zu Seinem Dienst befähigt sind, die daher eine erhöhte Verantwortlichkeit für den Zustand der Versammlung vor dem Herrn tragen, und an welche, weil sie solche sind, der Herr Sich betreffs dieses Zustandes hält. Ohne Zweifel ist die ganze Versammlung verantwortlich, daher wird auch der Leuchter hinweg getan, wenn sie der Untreue überführt wird; aber die soeben beschriebenen Personen sind es, mit denen der Herr unmittelbar bezüglich der Versammlung verkehrt - ein ernster Gedanke für alle, denen das Wohl der Versammlung am Herzen liegt.

Die Weise, wie die Engel und die Versammlungen als eins betrachtet werden, sowie die Unterschiede in dem Grade oder der Art, wie dies geschieht, bedürfen noch einer etwas eingehenderen Erörterung. dass die zu den Engeln gesprochenen Worte sich an die Versammlungen in ihrer allgemeinen Verantwortlichkeit richten, ist klar zu ersehen; denn es heißt: „Was der Geist den Versammlungen sagt.“ Es handelt sich nicht um Mitteilungen, die einer einzelnen, mit Autorität bekleideten Person, wie einem Timotheus oder Titus, gemacht werden, um ihr Verhaltungsmaßregeln zu geben, sondern es wird zu den Versammlungen geredet; das heißt: der Engel einer Versammlung stellt die Verantwortlichkeit derselben dar. Wir sehen deshalb auch, dass in den Schreiben einzelne Teile der Versammlungen namhaft gemacht werden, wie z. B.: „Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst, siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen“; „aber ich habe ein weniges wider dich, dass du solche dort hast“; „mein treuer Zeuge, der bei euch ermordet worden ist“; „euch aber sage ich, den übrigen, die in Thyatira sind“. Doch der Engel und die Versammlung (oder der Leuchter) werden unterschieden: „Ich werde deinen Leuchter aus seiner Stelle wegrücken.“ „Du duldest das Weib Jesabel.“

Diese Unterscheidung zwischen dem Engel und der Versammlung findet man nicht in den Sendschreiben an die letzten drei Versammlungen. In ihnen wird durchweg der Engel angeredet. In Bezug auf diese Versammlungen wird auch nur gesagt, dass Christus die sieben Sterne habe, nicht dass Er sie in Seiner Rechten halte. Den Versammlungen in Smyrna und Philadelphia wird kein Gericht angekündigt; sie müssen als solche, die treu sind, durch Prüfungen gehen und werden darin ermuntert. Bezüglich der Gerichtsankündigungen oder besser der Warnungsrufe in den Sendschreiben sei folgendes bemerkt: Ephesus, welches die allgemeine Tatsache des ersten Abirrens der Versammlung darstellt, wird angedroht, dass, falls es nicht Buße tue, sein Leuchter weggenommen werden würde. dass die Versammlung nicht Buße getan hat, geht sowohl aus der Schrift als auch aus den geschichtlichen Tatsachen hervor. Die verschiedenen Zustände der einzelnen Versammlungen, wenn wir sie als eine fortlaufende Geschichte betrachten, beweisen dasselbe. Bei Pergamus und Thyatira werden denen, die Böses tun, besondere Gerichte angekündigt. Bei Thyatira sind es furchtbare Gerichte, welche Jesabel und diejenigen, die mit ihr in Verbindung stehen, treffen würden; sie hatte Zeit gehabt, Buße zu tun, aber sie hatte nicht Buße getan, indes wird hier der Blick auf die große Umwälzung gerichtet, die bei dem Kommen des Herrn im Blick auf alles stattfinden würde. Aus alledem ist ersichtlich, dass die Engel als die Vertreter der Versammlungen, jedoch in sittlichem Sinne, zu betrachten sind; ferner, dass die Warnungen Christi an sie gerichtet werden mussten, denen Er diesen Platz anvertraut hatte (wie begreiflicherweise an alle, denen das Wohl der Versammlung am Herzen lag); dass diese Engel aber insoweit als eins mit den Versammlungen dargestellt werden mussten, dass das Geredete der Gesamtheit galt, während einzelnen schuldigen Teilen besondere Gerichte angekündigt wurden.

Wir wollen uns nun der Reihe nach mit den einzelnen Versammlungen beschäftigen, aber nur kurz, in ihrer Verbindung mit dem Aufbau des ganzen Buches, ohne auf die belehrenden Einzelheiten in den Sendschreiben einzugehen, da ich dies schon anderswo in einer Reihe von Vorträgen getan habe 4.

Fußnoten

  • 1 Der Inhalt der einzelnen Sendschreiben liefert uns überdies sittliche Gründe für das Gesagte, Auch wird es, wie wir weiterhin sehen werden, durch die Gliederung des ganzen Buches bestätigt.
  • 2 Dasselbe finden wir am Schluss des Buches, wenn die Weissagung beendet ist. Hier handelt es sich um das, was Er jetzt für die Heiligen ist und was Er für sie getan hat, dort um das, was Er im Blick auf die Zukunft für sie ist (siehe Off 22,17).
  • 3 Außer in der neuen Welt sind die den Titel „Bischof“ tragenden Personen immer Bischöfe einer Stadt, was auch den geschichtlichen Beweis liefert, dass Diözesen erst in späterer Zeit eingerichtet worden sind. „Engel“ war auch nicht eine Bezeichnung für Synagogenvorsteher.
  • 4 „Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen in Kleinasien.“ (www.bibelkommentare.de/index.php?page=comment&comment_id=202&structure_id=340)
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