Botschafter des Heils in Christo 1885

Ein Wort über Gebet und Gebetsversammlungen - Teil 2/2

Wenden wir uns nun zu der Frage, wie wir beten sollen. Wir wollen hier bei der äußeren Form des Betens nicht verweilen. Ist das Herz des Betenden wahrhaft vor Gott, so wird auch die Form eine passende und geziemende sein. Nur möchten wir vorübergehend bemerken, dass das Knien jedenfalls der würdigste und entsprechendste Ausdruck unserer Stellung im Gebet Gott gegenüber ist, und wir sollten es daher, wo und wenn irgend es geht, besonders aber im Gebetskämmerlein und in der Gebetsversammlung, nicht unterlassen. Kniend betete der Herr Jesus, der Schöpfer aller Dinge, als der völlig gehorsame und abhängige Mensch hienieden zum Vater (Lk 22,41); kniend beteten auch die Apostel und ersten Christen (Eph 3,14; Apg 9,40; 20,36; 21,5).

Nötiger schon scheint es, dabei zu verweilen, dass wir nicht nur allem, sondern auch gemeinschaftlich im Gebet und Flehen Gott nahen sollen. Die Notwendigkeit, dieses Vorrecht auszuüben, gemeinsam mit anderen Heiligen, ja, mit der ganzen Versammlung im Gebet vor den Herrn hinzutreten, scheint leider vielen Gläubigen nicht bekannt zu sein, oder wenigstens nicht von ihnen gefühlt zu werden. Doch ich möchte fragen: Wird wohl da die Einheit des Geistes gefühlt, wird man da die Einheit des Leibes offenbaren, wo irgend man hierin säumig ist? Wir finden, dass die ersten Christen auch im Gebet und in der Fürbitte ihre Einheit betätigten. Wie wir bereits oben bemerkten, verharrten sie in der Gemeinschaft und in den Gebeten (Apg 2,42), und selbst schon vor der Ausgießung des Heiligen Geistes „hielten alle einmütig an am Gebet“ (Apg 1,14). Als nachmals einige aus der Mitte der Versammlung vom jüdischen Synedrium bedroht wurden, dass sie nicht mehr im Namen Jesu zum Volk reden sollten, kamen alle im Gebet zu Gott. Wir hören: „Sie erhoben einmütig die Stimme zu Gott“ und flehten, dass Er seinen Knechten Weisheit geben möchte, auf dass sie sein Wort redeten mit aller Freimütigkeit, und dass Er ihr Zeugnis mit Zeichen und Wundern bestätigen wolle; was Er auch tat (Apg 4). Als später der Apostel Petrus vom König Herodes ins Gefängnis gesetzt wurde, verwandte sich die ganze Versammlung stehend für ihn bei Gott. Es heißt: „Petrus nun wurde in dem Gefängnis verwahrt; aber von der Versammlung geschah ein anhaltendes Gebet für ihn zu Gott.“ Selbst noch in der letzten Nacht seiner Haft, als er am folgenden Tage dem Volk vorgeführt werden sollte, „waren viele versammelt und beteten.“ Auch hier antwortete der Herr. Er sandte seinen Engel und errettete seinen Knecht aus der Hand des Herodes und all der Erwartung der Juden (Apg 12). Er tat weit mehr, als sie erbitten und verstehen konnten. Und obwohl der Herr dies oft tut, so hat Er doch seiner Versammlung und dem gemeinsamen Gebet eine kostbare Verheißung gegeben. Wir hören aus seinem eignen Mund die herrlichen Worte: „Wiederum sage ich euch: dass, wenn zwei von euch werden einstimmig sein auf der Erde über irgendeine Sache, um welche sie auch bitten werden, diese ihnen werben wird von meinem Vater, der in den Himmeln ist“ (Mt 18,19). Es war und ist also der Wille des Herrn, dass die geliebten seinen, in dem Bewusstsein ihrer Einheit und Zusammengehörigkeit, auch gemeinsam vor Ihn kommen möchten für alles das, was Ihn und sie selbst betrifft. Auch viele Ermahnungen des Heiligen Geistes in den Briefen zum Gebet und Flehen weisen auf ein gemeinschaftliches Gebet und auf so genannte Gebetsversammlungen hin (vgl. z. B. 1. Tim 2,1–4.8; Eph 6,18–20; Kol 4,2–4; Röm 15,30–31; 1. Thes 5,25; 2. Thes 3,1).

Wie mag es nun kommen, dass trotzdem so viele Kinder Gottes selten oder nie in einer Gebetsversammlung zu finden sind, selten oder nie mit ihren Brüdern und Schwestern gemeinsam ihre Knie beugen und „heilige Hände aufheben“ Zu Gott, unserem Vater, durch Jesus Christus, unseren Herrn? Wir haben die Ursache weiter oben bereits angedeutet: Es fehlt bei solchen Seelen, ja, wir dürfen wohl hinzufügen, bei uns im Allgemeinen, viel an dem verborgenen Umgang mit Gott, an der praktischen Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus. Gewiss, „alle, die das Ihrige suchen, nicht das, was Jesu Christi ist“, und die vielen, von denen Paulus mit Weinen sagte, „dass sie Feinde des Kreuzes Christi sind, die auf das Irdische sinnen“ (Phil 2,21; 3,18–19), haben kein Herz, keine Gefühle, kein Interesse für das Wohl des Volkes Gottes, für das Heil der Sünder, für den Fortgang des Zeugnisses und die Ehre des Namens Jesu. Was sollten solche zu bitten und zu beten haben? Ach, wie groß ist in unseren Tagen die Zahl derer, welche „laufen, ein jeder für sein eigenes Haus“, und das Haus des Herrn liegt wüste (vgl. Hag 1,4.9)! Der Prophet Amos ruft über die, welche an sich und an ihr Fortkommen denken und auf zeitliches Wohlergehen und Wohlleben sinnen, „aber um den Bruch Josephs sich nicht kümmern“, ein „Wehe“ aus (Amos 6,1.4–6); und der Apostel Paulus weinte über solche. Wie traurig steht es da, wo ein solcher Zustand sich findet! Es ist dies der Geist der Versammlung von Laodizea: Gleichgültigkeit gegen die Person und Sache des Herrn. Es mag vielleicht bei vielen, die im Beten säumig sind, noch nicht soweit gekommen sein, aber gewiss ist da, wo Trägheit im Gebet ist und wo man die Gebetsversammlung wenig oder gar nicht besucht, kein guter Zustand vorhanden. Wer mit dem Herrn wandelt, lässt sich leiten vom Geist Gottes, und dieser führt zum Gebet. Wer aber allein im Gebet verharrt, naht Gott auch gern in Gemeinschaft mit anderen. Gewiss hätte Epaphras nie eigenwillig die Zusammenkünfte zum Gebet versäumt.

Wenn wir aber zusammenkommen zum Gebet, so dürfen wir nicht vergessen, dass wir gemeinsam vor Gottes Angesicht treten, um die Anliegen der Versammlung, des ganzen Volkes Gottes, vor Ihm kund werden zu lassen, was natürlich einerseits, (wie auch im Gebet des Einzelnen daheim) stets mit dem aufrichtigen Bekenntnisse unserer Schwachheit und Untreue (vgl. Dan 9; Esra 9; Neh 9) und andererseits mit Lob und Danksagung (vgl. Phil 4,6), verbunden sein wird. Es wäre hier z. B. unpassend, ein vorgelesenes Kapitel auslegen und die Versammlung belehren zu wollen; dazu gibt es andere Zusammenkünfte. Wie unschicklich, ja, das Heilige verletzend ist es ferner, wenn jemand in seinem Gebet gleichsam einen Vortrag hält, den die Versammlung auf den Knien anhören muss! Wie muss dadurch der Geist des Herrn gehindert und das Herz der Gläubigen ermüdet werden! Der eigentliche Zweck des Zusammenkommens geht dann nicht nur ganz verloren, sondern es wird auch den Seelen geschadet. Noch möchten wir hierbei bemerken, was aber eigentlich selbstverständlich ist, dass persönliche Angelegenheiten in das Kämmerlein daheim gehören und nicht in die Gebetsversammlung hineingetragen werden sollten.

Vor allem ist es wichtig, dass der Heilige Geist, wie in jeder Versammlung, so auch in der Gebetsversammlung völlige Freiheit in seiner Wirksamkeit habe, dass Er ungetrübt und ungehindert zum Gebet antreiben und in dem Gebet selbst leiten könne. Sehr verkehrt wäre es daher z. B., wenn man den, der beten soll, dazu aufrufen oder vorher dazu bestimmen würde. Es ist gesegnet, wenn die Brüder sich in jeder Beziehung frei und ungehindert fühlen und durch den Geist, nicht aber durch eigene Gefühle geleitet, den Mund öffnen zum Gebet. Wird der Bittende in der Wahrheit wandeln und nach der Wahrheit bitten, so wird sein Gebet, zu dem alle „Ja und Amen“ sagen können, aufsteigen zu Gott. „Und dies ist die Zuversicht, die wir zu Ihm haben, dass, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, Er uns hört. Und wenn wir wissen, dass Er uns hört, um was irgend wir bitten, so wissen wir, dass wir die Bitten haben, die wir von Ihm gebeten haben“ (1. Joh 5,14–15).

Die Leitung des Heiligen Geistes wird alle unterwürfigen Herzen dahin führen, dass sie in Einheit des Geistes, in Übereinstimmung der Gefühle, Bedürfnisse und Bitten, vor Gott sind. Dieser Einmütigkeit im Gebet hat der Herr besonders Erhörung zugesagt. Wir lesen am Ende von Matthäus 18, wo die Rede ist von der Ausübung der Zucht seitens der Versammlung, die für Ihn hienieden handeln soll, und in deren Mitte Er seinen Platz einnimmt, seien auch nur zwei oder drei in seinem Namen versammelt: „Wiederum sage ich euch: dass, wenn zwei von euch werden einstimmig sein auf der Erde über irgendeine Sache, um welche sie auch bitten werden, diese ihnen werden wird von meinem Vater, der in den Himmeln ist.“ Wie schon oben bemerkt, beteten auch die Gläubigen „einstimmig“ und „einmütig“ in den Tagen, da man getrennt von der Welt lebte und der Heilige Geist infolge dessen sich wirksam erweisen konnte. „Sie hielten einmütig an am Gebet“, „sie erhoben einmütig die Stimme zu Gott“ (Apg 1,14; 4,24). Wie wenig aber wird diese Einmütigkeit und Übereinstimmung der Herzen heute gefunden! Wie sehr wird sie daher auch in so vielen unserer Zusammenkünfte vermisst! Trägheit und Zerfahrenheit werden stets da herrschen, wo die Herzen nicht vor Gott leben, und wo der Geist des Herrn betrübt ist. Wie könnte da Einstimmigkeit und Einmütigkeit gefunden werden, wo gegenseitiges Misstrauen herrscht, und die Herzen nicht in Einfalt und aufrichtiger Liebe mit einander verbunden sind, oder wo gar die Sünde viele verunreinigt hat? Nur dann, wenn die Herzen von alledem frei und in Wahrheit bereit sind, einander zu vergeben (vgl. Mk 11,24–25), kann Vertrauen, Freimütigkeit und Übereinstimmung vorhanden sein.

Möchten wir doch alle persönlich und einzeln völliger getrennt von der Welt, völliger in der Wahrheit und Liebe wandeln! Die Einheit des Geistes würde sich offenbaren. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit würde vorhanden sein, und wir würden als ein Herz und eine Seele mehr von gleichen Wünschen und Gefühlen beseelt sein. Die Zusammenkünfte würden davon Zeugen, und unsere Gebete es kundtun.

Der Betende soll der Mund der Versammlung sein, seine Bitte der Ausdruck und das Begehren aller. Das Gebet steigt dann, getragen von den Herzen der Übrigen, auf zu dem Thron der Gnade. Während der Einzelne betet, wandern dann die Herzen der Anderen nicht umher, weilen nicht in der Ferne, sondern alle wissen sich im Gebet vor Gottes Angesicht und harren betend mit auf seine Hilfe und Erhörung. Wir rufen alsdann „einmütig“ und „einstimmig“, sei es um die Herstellung derer, die gefallen sind, sei es um die Errettung von Sündern, oder um die Auferbauung der Versammlung, oder „um irgendeine Sache, um die wir bitten werden“, und der Vater wird uns erhören. Der Herr hat uns dieses zugesagt. Mag auch alles verfallen und vergehen, sein Wort bleibt.

Möchten wir denn hinfort im einfältigen Vertrauen auf das Wort des Herrn, im Glauben an seine unwandelbare Liebe, Macht und Treue, reichlicher im Gebet vor Ihm sein, und unter der Leitung seines Geistes „einmütig“ und „einstimmig“ unsere Anliegen gemeinsam durch Ihn vor Gott kund werden lassen! Es ist ja der Glaube eine andere sittliche Bedingung, die der Herr an die Erhörung unserer Gebete knüpft, mögen wir nun einzeln oder gemeinschaftlich vor Ihn treten. Jakobus sagt bezüglich der Fürbitte für den kranken Bruder, bei dem des Vaters Hand den segensreichen Zweck der Züchtigung erreicht hat: „Das Gebet des Glaubens wird den Kranken heilen“ (Jak 5,15). Und allgemein sagt derselbe Apostel: „Er bitte aber im Glauben, ohne zu Zweifeln; denn der Zweifelnde ist gleich einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde; er ist ein wankelmütiger Mann, unstet in allen seinen Wegen“ (Jak 1,6–8). Der Glaube rechnet auf das untrügliche Wort des Herrn und verherrlicht Ihn durch ein einfältiges Vertrauen. Der Zweifelnde aber verunehrt Gott, welcher nur den der Seinen ehren kann, der auch Ihn ehrt. Je kindlicher, einfältiger und freimütiger der Glaube bittet, und je größer das Vertrauen ist auf Gottes Huld und Stärke, desto reichlicher findet Gott Gelegenheit, seine Gnade und Macht zu entfalten, zur Verherrlichung seines Namens. Wahrlich, „Seiner Liebe ist allein, nichts zu groß und nichts zu klein!“

Der Herr selbst fordert uns ebenfalls auf, dass wir glaubend und vertrauensvoll beten sollen, und gibt uns die herrlichsten Verheißungen. Wir lesen: „Alles, was irgend ihr im Gebet glaubend begehrt, werdet ihr empfangen“ (Mt 21,22; Mk 11,22.24). Gebete ohne Glauben haben keine Verheißung; sie gelangen nicht zu Gott und führen Ihn nicht in gnadenvoller Dazwischenkunft und Entfaltung seiner Liebe und Macht auf den Schauplatz unserer Leiden und unseres Zeugnisses herab. Gebete ohne Glauben gleichen dem Plappern der Heiden, die Gott nicht kennen. Wir haben aber das Vorrecht, als des Herrn Vielgeliebte, unsere „Anliegen im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden zu lassen“ (Phil 4,6). Und wo wahre Danksagung gefunden wird, da ist der Glaube tätig und eine völlige Zuversicht des Herzens vorhanden.

Ferner verlangt der Herr von uns Ausharren im Gebet. Im Ausharren erweist sich die Wahrhaftigkeit und Wirklichkeit unserer Bedürfnisse. Im Glauben fasst der Bittende den begehrten Gegenstand ins Auge und trägt die Angelegenheit mit schlichten, wenigen Worten Gott vor; und im Ausharren hält er an oder wartet er, bis er das Ziel erreicht, oder doch bis der Herr dem Herzen eine bestimmte Antwort gegeben hat. Das Ausharren erweist sich also einmal in dem Anhalten im Gebet, zum anderen in dem Harren auf die Erhörung. Manches Gebet wird mit solchem Aufwand von Worten vorgetragen und ist so unbestimmt und allgemein gehalten, dass es einem Pfeil gleicht, der ins Blaue abgeschossen wird, ohne auf ein bestimmtes Ziel gerichtet zu sein. Ist dies ein Beten im Glauben? Kann hier von Ausharren die Rede sein? Wird Gott ein solches Gebet erhören? Von welch einer erhabenen Einfachheit sind die Worte, mit denen der Herr in Gethsemane betet! Wie kurz und schlicht sind seine Bitten, aber dennoch wie anhaltend ist sein Flehen! Er fleht: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch vor mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“ Zweimal ging Er weg und weckte seine schlafenden Jünger, „und Er ließ sie, ging wiederum hin, betete zum dritten Mal und sprach dasselbe Wort“ (Mt 26,44). Waren es leere, bedeutungslose Wiederholungen? O, nein; „Er war in ringendem Kampf“ (Lk 22,44).

Durch mehrere Gleichnisse belehrt uns der Herr, wie wir mit Bestimmtheit und mit Ausharren, welche beiden Dinge immer zusammengehen werden, beten sollen. Jener Freund, der um Mitternacht kam und klopfte, sagte kurz und klar, was er begehrte: „drei Brote“, und blieb am Bitten und Klopfen, bis er das Gewünschte empfing. Im Anschluss hieran hören wir: „Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch aufgetan werden“ (Lk 11,9). In dem anderen Gleichnis von dem „ungerechten Richter“ zeigt uns der Herr, dass wir „allezeit beten und nicht ermatten sollen“ (Lk 18). Es ist nicht, als ob der Herr uns nicht sogleich hörte. Er prüft unseren Glauben, und hat ein Recht dazu. Erst als Paulus zum 3.Mal ernstlich gefleht hatte, ward ihm die Antwort: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.“ Auch kann es sein, dass die Zeit noch nicht gekommen ist, obwohl die Hilfe bereit liegt. Daniel, „der vielgeliebte Mann“, der gefastet und zum Herrn gebetet hatte, empfängt erst nach Wochen eine Antwort; aber „vom Anfang seines Flehens“ an war der Herr für ihn tätig (Dan 10).

Wie eindringlich steht Abraham für Sodom und Gomorra; und wie schön ist es zu sehen, wie Jehova gnädig auf seine Bitten lauscht und soweit erhört, als Abrahams Glaube geht. Wie anhaltend und ringend verwandte sich Moses in der Wüste für das Volk, das wider Gott gefrevelt hatte; und Gott erhörte ihn. Wie ernstlich hat auch Elias für Israel vor Gott im Gebet gerungen; und es geschah, was er begehrte: es kam Dürre, und es kam Regen. Ja, „das inbrünstige des Gerechten vermag viel“ (Jak 5,16). Darum werden wir ermahnt, „im Gebet zu verharren“, „im Gebet anzuhalten“ (Kol 4,2; Röm 12,12). Wir hören daher auch von einem „Ringen“ und „Kämpfen“ in den Gebeten (Kol 4,12; Röm 16,30; Lk 22,44). In wie wenigen unserer Gebete wird solcher Ernst, solche Inbrunst und dieses Ausharren im Flehen zu Gott gefunden! Darum machen wir auch wohl so wenig die Erfahrung der Entfaltung seiner Macht und Gnade in Bezug auf uns; darum sehen wir auch wohl oft so wenig Segen von unserer Arbeit und Sieg in unserem Kampf. Es gehört das Gebet ja auch mit zu der vollen Waffenrüstung, welche Gott uns im Blick auf den Kampf wider die Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern anzulegen ermahnt (Eph 6,11–18).

In inniger Verbindung mit der Ermahnung, anzuhalten im Gebet, ruft uns das Wort zu: „Wacht!“ Wir sollen „wachen und beten“, und im Beten selbst wachen. In der eben berührten Stelle im Epheserbrief lesen wir: „Betet zu aller Zeit mit allem Gebet und Flehen in dem Geist, und eben hierzu wacht in allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen.“ An die Kolosser schreibt Paulus ähnlich: „Verharrt im Gebet und wacht in demselben mit Danksagung“ (Kol 4,2). Der Herr rief den Jüngern in Gethsemane zu: „Wacht und betet ...; der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Mt 26,41). Das, was um uns her vorgeht, was uns umgibt in diesem Zeitlauf, ist wider den neuen Menschen und muss ihm schaden, wenn er nicht wacht. Der Geist und die Dinge dieser Welt sind dazu angetan und imstande, uns weltförmig und zerstreut, oder doch matt und mutlos zu machen. Wir haben stets nötig, auf unser Herz zu achten, damit wir nicht befleckt werden. Salomo sagt: „Behüte dein Herz mehr denn alles, was zu bewahren ist, denn von ihm sind die Ausgänge des Lebens. ... Lass deine Augen geradeaus sehen und deine Wimpern stracks vor dich hinblicken. Ebne das Geleise deines Fußes, und alle deine Wege seien Wohl befestigt. Beuge nicht aus zur Rechten und zur Linken, wende ab deinen Fuß vom Bösen“ (Spr 4,23–27). Wie leicht kann uns unser Verhalten die Freimütigkeit zum Gebet rauben! Petrus unterweist z. B. die Männer, wie sie sich ihren Frauen gegenüber verhalten sollen, auf dass „ihre Gebete nicht gehindert würden“ (1. Pet 3,7). Wir müssen wachen und uns freie, von der Welt unbefleckte Herzen und reine Gewissen bewahren, um „besonnen und nüchtern zu sein zum Gebet“ (1. Pet 4,7).

Wie mancher betrübende Fall würde nicht vorgekommen sein, wenn das Herz gewacht und gebetet hätte! Wenn das Herz lässig und träge wird, Gottes Wort zu lesen und im Gebet zu sein, so wird es sich mehr und mehr von dem Herrn entfernen, und der Tag wird kommen, wo traurige Dinge geschehen, durch welche der Herr betrübt und sein Name in trauriger Weise gelästert wird. – „Wacht und betet!“ sagt der Herr deshalb. Manche mögen es vielleicht für Gesetzlichkeit halten, gewohnheitsmäßig den Tag mit einem Gebet zu beginnen und zu beschließen, Gott täglich alles zu befehlen, mit Ihm zu reden, zu Ihm zu stehen für sich und andere und das ganze Werk des Herrn. Wer aber mit dem Herrn wandelt, weiß, wie diese heilige Gewohnheit fern ist von aller toten und drückenden Gesetzlichkeit. Wie gesegnet und erquickend ist vielmehr die Ausübung dieses Vorrechts, regelmäßig vor sein Angesicht zu treten! Wie viel freier bleibt das Auge, wie viel reiner und zarter das Gewissen und Herz! Wir sollten alle danach trachten, „zum Gebet Muße zu haben“ (1. Kor 7,5). In einem Zause, wo der Herr der Mittelpunkt ist, wird das Gebet im Kämmerlein nicht fehlen, noch bei den Mahlzeiten (vgl. 1. Tim 4,4–5) und im Schoß der Familie.

Auch scheint aus der angeführten Ermahnung des Apostels hervorzugehen (Kol 4,2), dass wir nicht nur darüber wachen sollen, dass wir anhalten und verharren im Gebet, sondern auch darüber, dass wir unser Gebet mit Danksagung tun, welches vor dem Herrn sehr köstlich ist. Wie vieles haben wir bereits von Gott, unserem Vater, empfangen, wie vieles hat Er bis heute an uns getan! Ein Herz, das in einem guten Zustand ist, wird dies nicht vergessen, sondern „mit Danksagung seine Anliegen vor Gott kund werden lassen.“

O wie viele Lieb'sbeweise

Ermuntern uns zu deinem Preise,

Wie meinst Du's doch mit uns so gut!

Zugleich wird ein solches Herz auch in Bezug auf die gerade vorliegenden Gegenstände des Flehens fähig sein, Gott zu danken. Sieht es auch noch keine offenbare Erhörung, so weiß es doch, dass der Vater alles wohl machen, alles nach seiner Weisheit und Liebe ordnen wird, und in diesem Bewusstsein ist es völlig getrost und danksagt Gott.

Zum Schluss möchten wir noch ein Wort darüber sagen, was es bedeutet, „im Namen Jesu“ Zu beten. Durch den Tod des Herrn und seine Auferstehung sind die an Ihn Glaubenden in die Stellung von Söhnen gebracht worden, in welcher Stellung die Gläubigen des Alten Testaments nicht waren. So wie nun der Name des Herrn, der Gott über alles verherrlicht hat, derjenige Name ist, vor dem sich einstmals alle Knie beugen müssen, und der allein unter dem Himmel den Menschen gegeben ist, darin sie können errettet werden, so ist es auch jetzt das Vorrecht der Gläubigen, in seinem Namen allein oder gemeinschaftlich vor Gott, den Vater, hinzutreten mit Gebet und Flehen. Am Schluss seines Lebens, als der Herr schon im Geist hinter dem Kreuz stand und das Erlösungswerk vollbracht hatte, sagte Er: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Alles, was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, wird Er euch geben. Bis jetzt habt ihr nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, und ihr werdet empfangen, auf dass eure Freude völlig sei“ (Joh 16,23–24). Bis dahin hatten sie sich mit ihren Bitten an den Herrn selbst gewandt, aber jetzt stand Er im Begriff, zum Vater zurückzukehren, mit welchem sie durch sein vollbrachtes Werk in die innigste Verbindung gebracht waren, und Er belehrt sie, von jetzt ab mit allen ihren Anliegen zu dem Vater zu kommen, und zwar in seinem Namen, der dem Vater über alles teuer und kostbar ist und der die Grundlage ihrer neuen Beziehungen zu Gott bildete.

Beten im Namen Jesu heißt jedoch nicht, am Schluss oder im Lauf des Gebets einfach sagen: „Tue es, o Gott, um des Namens Jesu willen!“ oder auch: „So flehe ich im Namen Jesu!“ Im Namen Jesu beten, ist weit mehr als das. Es handelt sich auch hierbei um unseren praktischen Zustand, obwohl wir, wie schon oben bemerkt, dabei in unserer hohen und herrlichen Stellung als Söhne Gottes dem Thron der Gnade nahen. Nur wenn wir in praktischer „Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn“ stehen, vermögen wir wahrhaft im Namen Jesu zu beten. Nur dann sind seine Bitten unsere Bitten, und was sein Herz begehrt, begehrt auch unser Herz. Wie könnte unser praktischer Zustand beim Gebet im Namen Jesu außer Frage kommen, da demselben solch große Verheißungen gegeben sind? Der Herr sagt: „Was irgend ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde“ (Joh 14,13). Wir wissen aber, dass derjenige nichts empfängt, der da übel bittet (Jak 4,3). Auch der Unaufrichtige kann keine Erhörung erwarten. Der Psalmist sagt: „Hätte ich auf Unaufrichtigkeit gesehen in meinem Herzen, so würde der Herr nicht gehört haben“ (Ps 66,18). Wie leicht aber kann, wenn wir jene Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn verloren haben, der Blick getrübt, das Auge ein Schalk, das Herz betrogen und unbemerkt unaufrichtig werden! Wie manchen Bruder hört man inmitten großer Schwierigkeiten, in die ihn der eigene Wille, die eigenen Wege gebracht haben, sagen: „Und doch habe ich es an Gebeten nicht fehlen lassen; ich habe viel gebetet und gesagt: Der Herr möchte mich leiten und etwas dazwischenkommen lassen, wenn die Sache nicht nach seinem Willen wäre!“ Es ist möglich, dass der Betreffende gebetet, vielleicht auch viel gebetet hat; aber wo stand sein Herz, wie war sein Wille beschaffen? Was nützt es, wenn ich bete, und mein Wille ist nicht gebrochen? Nehmen wir an, ein Bruder bittet den Herrn um Klarheit, ob er dieses oder jenes Geschäft unternehmen, diesen oder jenen Schritt tun solle, ist aber dabei fest entschlossen, den gehegten Plan auszuführen. Was soll da das Gebet? Ist es in solchem Fall nicht mehr als unnütz? Erscheint es nicht fast wie Heuchelei, hier noch zu beten? Ja, und doch mag es sein, dass die Seele so fern von dem Herrn lebt, so verblendet ist, dass sie nicht einmal weiß, dass sie unaufrichtig ist. Verkehrt wäre es vor allen Dingen, wenn ein Gläubiger in einer Sache beten wollte, die ihm durch das Wort Gottes unzweideutig klar sein müsste. Hätte z. B., um einen Fall aus dem täglichen Leben herauszugreifen, ein Kind Gottes das Recht, zu beten, ob es sich mit dieser oder jener ungläubigen Person ehelich verbinden dürfe? Sagt nicht das Wort Gottes, dass es „im Herrn“ geschehen müsse? Die Fälle, wo Gläubige dem offenbarten göttlichen Willen entgegen beten, mögen nicht so selten sein. Der Herr aber sagt: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch geschehen“ (Joh 15,7). Ähnlich schreibt der Apostel Johannes: „Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott, und was irgend wir bitten, empfangen wir von Ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor Ihm Wohlgefällige tun“ (1. Joh 3,21–22).

Wir sehen also, dass beten im Namen Jesu nicht nur heißt, auf Grund dieses Namens und im Bewusstsein seiner Kostbarkeit zu dem Vater reden, sondern auch in lebendiger Gemeinschaft mit Christus, seinem Wort und Willen unterworfen, von Ihm geleitet, Gott im Gebet nahen. Dieses Gebet ist es auch, welches uns der Apostel Judas für unsere Tage neben dem auferbauenden Wort Gottes empfiehlt, zum Segen und zum Schutz: „betend im Heiligen Geist“ (Jud 1,20).

Gott hat also, wie wir gesehen haben, dem Betenden große, herrliche Verheißungen gegeben und uns in seinem Wort zu stetem Gebet viel und oft ermuntert. Möchten wir hinfort mehr, sowohl allein, als auch gemeinsam, vor Gottes Angesicht gefunden werden, anhaltend und ringend im Gebet, betend im Namen Jesu! Der Segen für uns und andere, ja, für das ganze Werk des Herrn wird nicht ausbleiben, sondern wird sich daheim und in unseren Zusammenkünften zum Preis des Herrn reichlich erweisen.

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