Botschafter des Heils in Christo 1885

Paulus und Felix

Wir begegnen in diesem Kapitel zwei Männern von völlig verschiedenem Charakter, so verschieden, wie es bei zwei Menschen überhaupt möglich ist; und der Unterschied ist dieser: der Eine war ein wirklicher, wahrer Christ, der Andere nicht; der Eine hatte sein Herz und seine Blicke dem Himmel zugewandt, der Andere war ein weltlicher, die Ehre und die Gunst der Menschen liebender Mann; der Eine lebte in dem Licht des Wortes Gottes und der Ewigkeit, der Andere wandelte nach seinem eigenen Willen und nach den Lüsten seiner Natur; der Eine hatte an Gott geglaubt und Ihn erkannt, der Andere besaß nur eine äußere Kenntnis Gottes und des Weges der Wahrheit. Und so verschieden die Charaktere dieser beiden Männer waren, so völlig verschieden waren auch die Endpunkte ihrer Wege. „Welche Frucht hattet ihr denn damals von den Dingen, deren ihr euch jetzt schämt? denn das Ende derselben ist der Tod“ – das ist das Ende des Weges, auf welchem Felix sich befand. „Jetzt aber, von der Sünde freigemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligung, das Ende aber ist ewiges Leben“ – das ist das Ende des Weges, welchen der Apostel Paulus ging. Welch ein Unterschied! Vielleicht gab es manches, worin Paulus und Felix sich glichen. Beide waren von Natur Sünder; ja, Paulus war einst ein noch heftigerer Gegner Christi gewesen, als Felix es war; denn Felix kümmerte sich wenig um göttliche Dinge. Wahrscheinlich hoffte er, wie so manche es heute noch tun, dereinst einen guten Platz im Himmel zu erlangen und sich nach und nach darauf vorzubereiten; aber wir erblicken ihn am Ende des Kapitels in demselben Zustand wie im Anfang, als einen durchaus unbekehrten Menschen, vor dessen Augen keine Furcht Gottes ist.

Es gibt besonders drei Dinge, die sich in dem vor uns liegenden Kapitel vor unseren Augen entfalten, und diese sind: der Glaube, die Hoffnung und die Handlungsweise eines Christen, und der Glaube, die Hoffnung und die Handlungsweise eines Weltmenschen. Betrachten wir zunächst den Apostel. Wir sehen ihn als einen Gefangenen vor den Schranken des Gerichtshofes stehen; ein gewandter Ankläger ist gewonnen worden, um ihn bei dem Landpfleger zu verklagen und sein Verhalten in dem schlimmsten Licht darzustellen. Derselbe bringt zwei Lügen gegen ihn vor, die er durch nichts beweisen kann. Aber was ist das, was er außerdem von Paulus sagt? Er nennt ihn einen „Hauptanführer der Sekte der Nazaräer.“ Leugnet der Apostel dies in seiner Verteidigungsrede? O nein. Doch was bedeuten jene Worte? Sie bezeichneten einen Menschen, für welchen Christus alles geworden war, vor dessen Seele Christus stand als der Einzige, welchen zu kennen und zu besitzen Wert hat. Dieser verachtete Nazarener, der von den Menschen verworfen und verhöhnt worden war, von dem die Welt gesagt hatte: „Hinweg mit diesem!“ war der eingeborene, geliebte Sohn Gottes. Es war derselbe, von welchem man gesagt hatte: „Nicht diesen, sondern Barabbas!“ als Pilatus Ihn loszugeben suchte, weil er nicht unschuldiges Blut über sich bringen wollte. Er hatte zwei Gefangene: einen Mörder und den Herrn der Herrlichkeit, und er stellte beide vor die Menge hin mit der Frage, welchen von ihnen er losgeben solle. Er hoffte, auf diese Weise Jesus retten zu können. Doch hören wir, welch eine Antwort die Volksmenge gibt! Sie ruft einstimmig: „Nicht diesen, sondern Barabbas!“ Mit völliger Übereinstimmung gab die Welt ihr Urteil ab. Sie zog einen Mörder ihrem Herrn und Heiland vor.

Vielleicht möchte der eine oder andere unbekehrte Leser dieser Zeilen sagen: „Aber wir, die wir heute leben, tragen doch keine Schuld an dieser Missetat! Wir haben doch nichts damit zu tun!“ Nun, mein Freund, so sage mir: Hast du dich eins gemacht mit jenem Unschuldigen und Reinen, der damals in so schrecklicher Weise behandelt wurde? Oder stehst du noch in Verbindung mit der Welt, welche Ihn ermordete? Du musst deinen Platz entweder mit Ihm oder gegen Ihn nehmen. Es gibt da keinen Mittelweg, keinen neutralen Boden; entweder bist du eins mit Ihm, oder mit seinen Mördern. O, wenn du es bisher noch nicht getan hast, so schäme dich nicht, deinen Platz unter der verachteten Schar der Nazarener einzunehmen. Lieber, tausendmal lieber möchte ich neben Paulus vor den Schranken des Gerichtshofes, als ein Gefangener für Jesus, stehen, als mit Felix auf dem Richterstuhl sitzen. Paulus konnte sagen: „Dies bekenne ich, dass ich nach dem Weg, den sie eine Sekte nennen, also dem Gott meiner Väter diene, indem ich allem glaube, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht.“

Das also war der Glaube des Paulus. Er glaubte einfältig allem, was geschrieben steht. „Das tue ich auch“, höre ich den Leser sagen. Nun, mein lieber Freund, lass mich dann fragen: Glaubst du, dass Jehova unser aller Ungerechtigkeit auf Ihn gelegt hat? Glaubst du, dass der Herr durch seinen Kreuzestod einen Rettungsweg für dich bereitet hat? Glaubst du, dass Er um unserer Übertretungen willen verwundet worden ist? Kannst du sagen: Um meiner Übertretungen willen? Glaubst du, dass wir durch seine Striemen geheilt sind? Bist du geheilt? Glaubst du dem Wort des Herrn: „Gleich wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, also muss der Sohn des Menschen erhöht werden, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe?“ (Joh 3,14–15) Ich meine: Hat deine Seele diese gesegnete, kostbare Wahrheit erfasst? Ist sie das Eigentum deines Herzens geworden? Hast du dem Herrn den Glaubensgehorsam entgegengebracht, der Ihm gebührt und den Er fordern muss? Hast du ewiges Leben empfangen? Du antwortest vielleicht: „Ich hoffe es.“ Aber, mein Freund, es gibt keine wahre Hoffnung ohne einen lebendigen Glauben an den Herrn Jesus Christus. Der Glaube streckt seine Hand aus und ergreift das, was die Liebe Gottes ihm darbietet; und die Liebe Gottes gibt einen Heiland, ein vollkommenes Heil und ewiges Leben. Der Glaube sagt: „Ich will das ergreifen, was die Liebe für mich bereitet hat; ich will glauben, was Gott sagt, weil Er es sagt.“ Manche nennen das „Anmaßung.“ Aber ist es Anmaßung, dem Wort Gottes zu glauben? Ein Christ ist ein Mensch, der einfältig allem glaubt, was Gott geredet hat. Du erwiderst vielleicht: „Ich dachte bisher, ein Christ sei ein Mensch, der an Christus glaubt.“ So ist es in der Tat; allein das Wort Gottes stellt stets Christus vor unsere Augen, es redet nur von Ihm. Der Herr selbst sagt: „Die Schriften sind es, die von mir zeugen.“ Er war von jeher der Mittelpunkt aller Ratschlüsse und Wege Gottes.

Wenden wir uns jetzt für einen Augenblick zu dem Glauben des Landpflegers Felix. Wir lesen im 25. Verse: „Als er aber über Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und das kommende Gericht reden hörte, ward Felix mit Furcht erfüllt und antwortete: Für jetzt gehe hin; wenn ich aber gelegenere Zeit habe, werde ich dich rufen lassen.“ Felix glaubte an eine gelegenere Zeit. „Für jetzt gehe hin“, so sagte er, und ach! wie manches unbekehrte und ungläubige Herz sagt heute dasselbe! Der Mensch hört nicht gern von Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und dem kommenden Gericht reden; es langweilt ihn. Zu einer anderen gelegeneren Zeit will er sich gern einmal mit diesen Dingen beschäftigen, nur heute nicht, O, möchte doch jeder unbekehrte Leser dieser Zeilen bedenken, dass er auf dem Weg ist zur Ewigkeit, zu dem Feuer, das nicht erlischt, und zu dem Wurme, der nicht stirbt, und dass jede Stunde ihn diesen schrecklichen Wirklichkeiten um einen Schritt näherbringt!

Gott kann die Sünde nicht leichthin behandeln, noch kann Er eine solche Gleichgültigkeit unbestraft lassen. Ein jeder wird auf der Waagschale göttlicher Heiligkeit und Gerechtigkeit gewogen werden, und wie schrecklich, „zu leicht“ erfunden zu werden! Als Paulus über Gerechtigkeit redete, begann Felix zu zittern. Er wusste, dass er keine Gerechtigkeit besaß. Doch der Apostel erwähnte noch mehr als das. Er sprach von Enthaltsamkeit, von der Niederhaltung der Lüste und Begierden des Fleisches, und von dem kommenden Gericht. Wenn du das Evangelium von dir stößt, mein Leser, so wird das Gericht Gottes dich ereilen. Zitterst du, wie Felix? Wünschest du, den Gedanken an den Feuersee, der mit allen seinen Schrecken vor dir liegt, aus deiner Seele zu verbannen? Fühlst du, dass du nicht vorbereitet bist auf die Ewigkeit, nicht vorbereitet, um vor dem Antlitz eines heiligen und gerechten Gottes zu erscheinen? O, so sage nicht, gleich Felix: „Es passt mir nicht, heute bekehrt zu werden; es würde alle meine Aussichten für dieses Leben Zerstören. Die Welt mit allen ihren Reizen liegt noch vor mir; lass mir noch etwas Zeit; wenn einmal eine gelegenere Stunde kommt, so will ich an diese Dinge denken.“ Ach, mein Freund, wann wird diese gelegene Zeit sein? Felix glaubte auch an eine gelegenere Zeit, aber so viel wir wissen, kam sie niemals für ihn, niemals!

Wie mancher hat gedacht, eine solch gelegene Zeit abzuwarten, eine Zeit, die niemals kommt! Die einzig gelegene Zeit, von der ich weiß, ist jetzt, ist heute. Darum bitte ich dich: Komme jetzt, komme heute noch zu Jesu! „Siehe, jetzt ist die Zeit der Annahme; siehe, jetzt ist der Tag des Heils.“ Jetzt ist die gelegene Zeit für dich, zu Jesu zu kommen, an Ihn zu glauben und errettet zu werden. Vielleicht ist dein Herz schon manches Mal mit Furcht erfüllt gewesen; aber das genügt nicht, mein Freund; du musst als ein verlorener Sünder, in aufrichtigem Bekenntnis deiner Schuld, zu Jesu eilen und an Ihn glauben, dessen kostbares Blut für Sünder geflossen ist. Darum schiebe nicht auf, warte nicht auf eine gelegene Zeit, sondern mache dich heute auf zu Jesu! Du weißt nicht, ob nicht der kürzeste Aufschub für dich verhängnisvoll werden kann. Diese Nacht kann Gott deine Seele von dir fordern, und du würdest dann eine finstere, schreckliche, nie endende Ewigkeit hindurch deine Torheit zu bereuen haben.

Werfen wir jetzt einen Blick auf die Hoffnung jener beiden Männer. Die Hoffnung des Apostels gründete sich auf Gott. Sein Glaube stützte sich auf das ewig bleibende Wort des lebendigen Gottes, seine Hoffnung auf Gott selbst. Mag man mich auch töten, so sagt er gleichsam, so verzage ich dennoch nicht; denn ich habe die Hoffnung zu Gott, dass eine Auferstehung der Toten sein wird – eine Auferstehung der Gerechten bei der Ankunft des Herrn, eine Auferstehung der Ungerechten am letzten Tage, wenn das tausendjährige Reich vorüber ist und der große, weiße Thron aufgestellt werden wird; eine Auferstehung der Gerechten, um dem Herrn entgegengerückt zu werden und für ewig bei Ihm zu sein, eine Auferstehung der Ungerechten, um hinzugehen in den See, der mit Feuer und Schwefel brennt. Die Stimme des Sohnes Gottes wird in alle Gräber hineindringen, und die Einen werden hervorkommen zur Auferstehung des Lebens, die Anderen zur Auferstehung des Gerichts. Zu welcher dieser beiden Klassen gehörst du, mein Leser?

Der Hass der Juden war gegen Paulus erregt worden, weil er gepredigt hatte, dass Jesus aus den Toten auferweckt worden sei, und dass alle, die an Ihn glauben, gleich Ihm aus den Toten auferweckt werden würden, aus der Mitte derer, die ohne Christus gestorben sind und in ihren Gräbern zurückbleiben. Allerdings werden auch sie auferstehen, aber erst zu der von Gott bestimmten Zeit, am Ende aller Dinge, und zwar nur, um verurteilt und in den Feuersee geworfen zu werden. Lass dich nochmals fragen, mein Leser: Willst du es darauf ankommen lassen? Willst du gleichgültig und sorglos vorangehen, bis es vielleicht für ewig zu spät ist? Sage nicht: Ich hoffe, auch einmal errettet zu werden. Felix glaubte an eine gelegene Zeit, die niemals kam; er hoffte auf eine Geldsumme, die er nie erhielt. Du hoffst auf eine Errettung, die dir vielleicht niemals zuteilwerden wird. Du hoffst, dereinst einen Platz im Himmel zu finden, und du hoffst von einem Tag zum anderen, bis du plötzlich da erwachst, wo es keine Hoffnung mehr gibt, wo nur Weinen und Zähneknirschen gehört wird. Ohne wahren Glauben gibt es keine lebendige Hoffnung, keine Gewissheit, keinen Frieden, keine Ruhe. Der Gläubige ist „wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten“, und zwar „Zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil“, welches in den Himmeln von Gott selbst für ihn aufbewahrt wird.

Es bleibt uns noch übrig, einen Blick auf die Handlungsweise der beiden Männer zu werfen, mit denen wir uns beschäftigen. Wie handelte Felix? Er behielt einen unschuldigen Menschen in völlig ungerechter Weise, nur in der Hoffnung auf Gewinn und um sich bei den Juden in Gunst zu setzen (V 26–27), im Gefängnis zurück. Siehe hier die Handlungsweise eines Weltmenschen. Reichtum und Ansehen bei den Menschen – das sind die beiden großen Triebfedern, die den Menschen dieser Welt in seinem Tun und Lassen leiten. Er glaubt nicht an Gott, er hofft nicht auf Gott, und er handelt nicht nach dem wohlgefälligen Willen Gottes. Erblickst du hierin ein Bild von dir selbst, mein Leser? Oder gleichst du dem Apostel Paulus? Höre, was er sagt: „Darum übe ich mich auch, allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen“ (V 16). Er übte sich jahraus, jahrein, ein gutes Gewissen vor Gott und den Menschen zu bewahren. Er wandelte in dem Licht Gottes. Was ist es, das ein gutes Gewissen vor Gott gibt? Das Blut Christi. Was ist es, dass das Gewissen ohne Anstoß vor Gott und den Menschen erhält? Ein göttlicher, treuer und demütiger Wandel.

Es gibt kaum einen größeren Gegensatz als zwischen dem Glauben, der Hoffnung und der Handlungsweise eines Christen und denjenigen eines Weltmenschen. Wessen Glaube, wessen Hoffnung und Handlungsweise willst du folgen, mein Leser? O bedenke, dass du über kurz oder lang in die Ewigkeit hinübergehen und all das Gold und die Ehre dieser Welt dahinten lassen musst! Bedenke, dass du dereinst mit allen deinen Sünden vor dem Richterstuhl Christi stehen musst, wenn du sie nicht in dieser Zeit der Gnade in dem kostbaren Blut des Lammes ohne Fehl und ohne Flecken abwaschen lässt. Darum entscheide dich heute für Christus, lass einen jeden wissen und erfahren, dass du den Herrn Jesus liebst und ein Gegenstand seiner Liebe bist, dass dein Herz von Ihm erfüllt ist, und dass du dich in all deinem Tun durch Ihn leiten lässt. Und wenn du den Herrn bereits kennst und sein ewiges Eigentum geworden bist, möchtest du dann immer mehr erfahren, was es heißt, ein wahrer, hingebender und entschiedener Nachfolger Jesu zu sein. Ja, der Herr gebe uns, die wir sein sind, in diesen letzten bösen Tagen, mit wahrem Herzensentschluss bei Ihm zu bleiben, in unserem Ausharren nicht müde zu werden, sondern auf einander acht zu haben zur Anreizung zur Liebe und zu guten Werken und einander zu ermuntern, und zwar umso mehr, je mehr wir den Tag herannahen sehen! „Noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen“ (Heb 10).

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