Botschafter des Heils in Christo 1879

Der Abfall und der Antichrist

„Lasst euch von niemandem auf irgendeine Weise verführen, denn er (der Tag des Herrn) kommt nicht, es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und offenbart sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens“ (2. Thes 2,3). Wenn der Apostel hier von „dem Abfall“ redet, so meint er damit nicht das mehr und mehr um sich greifende Verderben der Christenheit, sondern ihr völliges Verleugnen aller christlichen Grundsätze in den letzten Tagen. Dieser Abfall wird nicht nur hie und da eintreten, wie es ja heute schon der Fall ist, sondern die ganze unzählige Masse der bekennenden Christenheit wird sich demselben anschließen. Vielleicht mögen nach der Aufnahme der Gläubigen in den Himmel die äußeren Formen der Christenheit für eine Zeit lang noch aufrecht gehalten werden. Doch wehe den Ländern, wo das Christentum bekannt und das Licht der göttlichen Wahrheit angezündet worden ist! Der Abfall wird sich überraschend schnell ausbreiten und eine schreckliche Gestalt annehmen. Die Anbetung Gottes, des Vaters in Christus Jesus, wird der Anbetung Satans, des Tieres und des falschen Propheten Platz machen (Off 13). Petrus beschreibt in seinem zweiten Brief das Verderben des Christentums in den letzten Tagen; Judas geht in seinem kurzen Briefe jedoch noch einen Schritt weiter und zeichnet mit scharfen, ausgeprägten Zügen den Abfall der Christenheit.

Fragen wir uns jetzt, wann dieser völlige Abfall eintreten wird, so ist die Antwort: Nach der Aufnahme der Kirche in den Himmel und vor der Ankunft des Tages des Herrn. Beachten wir hier sorgfältig die einfache Beweisführung des Apostels. Er tröstet die beunruhigten Thessalonicher mit „der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus und unserer Versammlung zu Ihm“ (V 1), und beweist zu gleicher Zeit dadurch, dass der Tag des Herrn noch nicht da war. Sie hatten durchaus keine Ursache, durch die jüdischen oder heidnischen Verfolgungen in ihrer Gesinnung erschüttert oder erschreckt zu werden. Der Herr war noch nicht gekommen, und sie waren noch nicht zu Ihm versammelt worden. Unmöglich konnte daher auch „der Tag“, mit welchem die Gerichte in Verbindung standen, schon gekommen sein. Der zweite Beweis des Apostels ist womöglich noch bestimmter und schlagender. Ehe jener schreckliche Tag erscheint, muss zuvor „der Abfall“ kommen und „der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens“, mit anderen Worten der Antichrist, offenbart sein. Wohl werden, wenn „der Tag des Herrn“ kommt, das abgefallene Christentum sowohl, wie auch der Antichrist besondere Gegenstände des göttlichen Gerichts ausmachen, allein der Abfall muss vorher geschehen und der Mensch der Sünde vorher offenbart werden. Fassen wir die Beweisführung des Apostels noch einmal kurz zusammen, so lautet sie: Der Tag des Herrn ist noch nicht da, 1.: weil der Herr noch nicht gekommen und wir noch nicht zu Ihm versammelt sind, und 2.: weil der Abfall und der Mensch der Sünde noch nicht offenbart ist. Eine sorgfältige Betrachtung des weiteren Inhalts des Kapitels wird noch andere und gewichtige Beweisgründe für die Richtigkeit des Gesagten liefern.

Es ist sehr interessant, die verschiedenen Namen und Bezeichnungen, die dem Antichristen in der Schrift beigelegt werden, zu sammeln und zu untersuchen. 1. „Der Antichrist.“ Dieser Ausdruck findet sich nur in den Briefen des Johannes und wird dort gebraucht, um seinen religiösen Charakter, als den Vater und den Sohn leugnend, zu bezeichnen (1. Joh 2,18.22). 2. „Der Mensch der Sünde“ (2. Thes 2,3). Jede Form der Gottlosigkeit wird sich völlig in einem Menschen entfalten. Die Sünde wird gleichsam in einer Person, dem „Menschen der Sünde“, konzentriert sein. 3. „Der Sohn des Verderbens“ (2. Thes 2,3). Diese Bezeichnung drückt seinen schrecklichen Ursprung und sein entsetzliches Ende aus. 4. „Der Gesetzlose“ (2. Thes 2,8). Er ist die Personifizierung des Eigenwillens und steht daher im schroffsten Gegensatz zu Ihm, der niemals seinen eignen Willen suchte, sondern immer tat, was dem Vater wohlgefiel. 5. „Ein anderes Tier“ (Off 13,11–16). Er ist in seiner Macht und in seinem Charakter eine Nachbildung Christi, indem er „Hörner hat gleich einem Lamm“; seine Äußerungen sind jedoch der Ausdruck eines satanischen Einflusses: „er redete wie ein Drache.“ 6. „Der falsche Prophet“ (Off 16,13; 19,20). Ein Titel, der seinen bösen Einfluss auf das abtrünnige Israel ausdrückt, welchem er sich fälschlich als der Mund Gottes darstellt. 7. „Ein törichter und nichtswürdiger Hirte“ (Sach 11,15.17). Anstatt die Herde zu weiden, wird dieser Hirte, der wegen der Verwerfung Jehovas, des wahren Hirten und Königs, über Israel erweckt werden soll, dieselbe mit Grausamkeit behandeln. Doch das Schwert (das Gericht) wird über seine gerühmte Macht und Einsicht, „über seinen Arm und sein rechtes Auge“, kommen. 8. „Der König“ (Dan 11,36) Dieser Titel bezeichnet seinen königlichen Charakter in Palästina. Außerdem gibt es in den Psalmen noch verschiedene Benennungen, die sich auf den Antichristen anwenden lassen und auf ihn angewandt werden, wie z. B. in Psalm 5,6: „Der Mann des Bluts und des Trugs.“ Doch sind dies nicht gerade direkte Bezeichnungen seiner Person.

Zum Schluss möchten wir noch mit einigen Worten des schrecklichen Endes des Antichristen gedenken. In 2. Thessalonicher 2,8 lesen wir, dass der Herr ihn „verzehren wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung seiner Ankunft.“ Das 19. Kapitel der Offenbarung liefert uns noch einige Einzelheiten in Bezug auf sein endliches Gericht. Es heißt dort im 20. Vers: „Und es ward ergriffen das Tier und der falsche Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm tat, durch welche er verführte, die das Mahlzeichen des Tieres annahmen und die sein Bild anbeteten – lebendig wurden die zwei geworfen in den Feuersee, der mit Schwefel brennt.“ Auch im Alten Testament ist an verschiedenen Stellen von dem schrecklichen Endgericht des Antichristen die Rede. Es sei hier nur noch eine derselben angeführt: „Denn das Tophet ist seit gestern bereitet; auch dem König ist es bereitet (wie in Dan 11,36). Er hat es tief und weit gemacht, sein Holzstoß hat Feuer und Holz in Menge; der Hauch Jehovas wird es anzünden wie einen Schwefelstrom“ (Jes 30,33).

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