Botschafter des Heils in Christo 1879

Betrachtungen über den Brief des Jakobus - Teil 1/6

Einleitung

In dem Brief des Jakobus ist nicht die Lehre von der Gnade entfaltet, obwohl die freie, göttliche Gnade deutlich in derselben anerkannt wird (Kap, 1,18). Wir finden in derselben die Form des Werkes Gottes in uns, nicht seines Werkes für uns – der Erlösung durch das kostbare Blut Christi. Es ist ein praktischer Brief, der heilige Gurt unserer Lenden; sie will, das; das praktische, äußere Leben des Christen seinem göttlichen, inneren Leben entspreche, und dass der Wille Gottes ein Gesetz der Freiheit für ihn sei. Sie spricht weder von der Erlösung, noch auch von dem Glauben, als dein Mittel zur Teilnahme an der Frucht dieser vollbrachten Erlösung. Es bekannten sich schon viele zu dem Namen Christi, und deshalb drang Jakobus darauf, dass die Wahrhaftigkeit dieses Bekenntnisses sich durch die Werke zeige, weil diese für andere der einzige Beweis der Wirksamkeit des wahren Glaubens im Herzen sind; denn der Glaube wirkt durch die Liebe (Gal 5,6), d. h. „in der neuen Schöpfung“ (Gal 6,15). Diese neue Schöpfung und ihr Charakter, sowie die Art und Weise ihrer Kundgebung in dem gegenwärtigen und sichtbaren Leben vor den Augen der Menschen ist es nun, was Jakobus in seinem Brief vorstellt.

Jakobus blieb in Jerusalem, um die dortige Herde zu weiden, und zwar ganz besonders den jüdischen Teil der Kirche. Wir finden ihn öfters in der Geschichte des Evangeliums, und Zwar als Leiter der jüdischen Herde, bevor dieselbe von der Nation getrennt war. In dem Brief an die Hebräer befiehlt der Geist Gottes den Christen, auszugehen außerhalb des Lagers, d. h. sich von den ungläubigen Juden zu trennen (Heb 13,10–13). Aber zu der Zeit, als Jakobus seinen Brief schrieb, waren sie noch nicht getrennt; die Christen brachten Opfer dar nach dem Gesetz. Es gab sogar eine große Menge Priester, die dem Glauben gehorsam waren (Apg 6,7). Es mag uns schwer sein, dies zu glauben, aber es ist in der Schrift klar bewiesen, auch waren sie alle Eiferer für das Gesetz.

Verfolgen wir einen Augenblick die Fußstapfen des Jakobus, wie uns dieselben in der Apostelgeschichte aufgezeichnet sind. Freilich hören wir zum ersten Mal in dem Brief an die Galater von ihm (Kap 1,19), wo uns gerade in Bezug auf ihn gesagt wird, dass Paulus ihn gesehen habe, zu einer Zeit, da dieser noch mit keinem anderen Apostel zusammengetroffen war, es sei denn mit Petrus. Hernach finden wir ihn in Apostelgeschichte 15, wo er in der Zusammenkunft der Apostel und Ältesten, um zu entscheiden, ob die Nationen dem Gesetz Moses unterworfen sein sollten, den Vorsitz hatte, wenn man so sagen darf. Sein Ausspruch war endgültig, obwohl Petrus und Paulus, sowie auch alle die übrigen Apostel – mit Ausnahme des Jakobus, des Bruders des Johannes, den Herodes getötet hatte – anwesend waren. Wie dem nun auch sei, jedenfalls waren die durch die Apostel und Ältesten geschehenen Aussprüche ein Zeugnis der jüdischen Versammlung. Gott erlaubte nicht, dass die Frage in Antiochien durch Paulus und Barnabas entschieden wurde. Eine solche Entscheidung würde die Streitfrage nicht gelöst, sondern vielmehr zwei Versammlungen hervorgerufen haben. Sobald aber die Christen aus den Juden und die Versammlung in Jerusalem die Nationen vom Gesetz frei liehen, konnte sich niemand ihrer Freisprechung widersetzen. Es war also nicht ein Punkt, den die Apostel durch ihre apostolische Autorität entschieden, obwohl diese Entscheidung durch jene bestätigt worden ist. Anfänglich war viel Wortwechsel in der Zusammenkunft, dann aber kamen die Apostel, die Ältesten und die ganze Versammlung zu einem einstimmigen Beschluss. Das Judentum sprach die Nationen vom jüdischen Joch frei, und es war Jakobus, der die Beratung zu Ende brachte, indem er sagte: „Deshalb urteile ich, dass man diejenigen, die sich von den Nationen zu Gott bekehren, nicht beunruhige“ (Apg 15,19). Es ist nicht gewiss, ob er ein Apostel war; vermutlich war er es nicht. Er war das Haupt der Versammlung in Jerusalem. Deshalb sagt Petrus, nachdem ihn der Engel des Herrn aus dem Gefängnis geführt und befreit hatte, zu denen, die versammelt waren, um für ihn zu beten: „Verkündet dies Jakobus und den Brüdern“ (Apg 12,17). Und in Galater 2,12 sagt Paulus über das Verhalten des Petrus in Antiochien: „Bevor etliche von Jakobus kamen, hatte er mit denen aus den Nationen gegessen, als sie aber kamen, zog er sich zurück.“ Man sieht, wie sehr Jakobus in den Gedanken der Christen sogar des Petrus, wiewohl dieser ein Apostel war, verbunden ist mit den jüdischen Ideen, welche die Herzen der Christen aus den Juden, besonders derer in Jerusalem, beherrschten. Ferner lesen wir in Apostelgeschichte 21,18, als Paulus zum letzten Mal nach Jerusalem hinaufging: „Des folgenden Tages ging Paulus mit uns ein zu Jakobus, und alle die Ältesten kamen dahin.“ Er war augenscheinlich das Haupt der Versammlung zu Jerusalem und vertrat in seiner Person die Kraft des jüdischen Grundsatzes, der die Versammlung zu Jerusalem noch beherrschte, und den Gott in seiner Langmut noch ertrug. Sie glaubten an Jesus, sie „brachen das Brot zu Haus“, aber sie waren alle Eiferer für das Gesetz. Im Tempel brachten sie Opfer dar und überredeten auch Paulus, dieses zu tun (Apg 21). Sie waren gar nicht von der Nation getrennt. Obwohl dieses alles in dem Brief an die Hebräer verworfen wurde, so hatte es doch seinen Fortgang bis zu den letzten Tagen des Judentums.

In dem Brief des Jakobus finden wir jenen Grundsatz wieder. Sie gibt uns ein treues Bild von dem Zustand der Juden Christen, indem Jakobus selbst in seiner Person der Stellvertreter und die Verkörperung dieses Systems war. Solange Gott dasselbe duldete, konnte sein Geist darin Wirten. Wir lesen in der Weltgeschichte, dass Jakobus von den Juden, unter denen er den Namen „der Gerechte“ trug, getötet worden ist, und der jüdische Geschichtsschreiber Josephus sagt, dass dieses Verbrechens wegen Jerusalem zerstört worden sei. Nach diesem Ereignis verschwand jenes System; doch dürfen wir wohl annehmen, dass die wahren Christen die Ermahnungen der Brief an die Hebräer befolgt haben. Wie dem auch sein mag, es blieben nur eine oder zwei kleine Sekten übrig, die dem Judentum formell anhingen und deshalb bald verschwanden. Man nannte sie Nazarener und Ebioniten. Doch haben wir uns hiermit jetzt nicht zu beschäftigen.

Diese Stellung des Jakobus und der Zustand der Versammlung in Jerusalem, d. h. der äußerlich mit den ungläubigen Juden verbundenen Christen, die gleichwohl das Brot brachen und für sich Gottesdienst hielten, erleichtert das Verständnis dieser Brief. Ihre göttliche Eingebung steht nicht in Frage, sondern es handelt sich um ihren Charakter. Die Güte Gottes hat uns alle Formen darstellen wollen, die das Christentum angenommen hat; also neben den Anderen, auch diese erste jüdische Form, zu einer Zeit, da die Christen noch nicht von dem jüdischen Volk getrennt waren. Wir haben hier daher weder die Geheimnisse der Ratschlüsse Gottes, wie in den Schriften des Paulus, noch die Erlösung, wie wir sie sowohl in den Briefen des Paulus, als auch des Petrus finden, noch endlich das göttliche Leben des Sohnes Gottes, in Ihm und dann in uns, wie dieses in den Schriften des Apostels Johannes dargestellt ist. Sein Gegenstand ist das praktische Leben der Armen der Herde, welche noch die Synagoge, wo es eine solche gab, besuchten, sowie die Strafreden wider die ungläubigen Reichen, welche die Armen bedrückten und den Namen des Herrn lästerten.

Kapitel 1 – Der Brief ist an die zwölf Stämme gerichtet. Das Volk wird noch nicht als endgültig von Gott verworfen betrachtet. Jakobus schreibt denen aus der Zerstreuung, d. h. den überall unter den Nationen zerstreuten Israeliten. Der Glaube erkannte das ganze Volk an, wie Elias und Paulus es taten (1. Kön 18,31; Apg 26,7); er erkannte es an, bis das Gericht Gottes vollzogen war. Um Gottes Ratschlüsse, seinen Willen, seine Versammlung, die Herrlichkeit Christi, unsere gegenwärtige Stellung in Christus und unsere spätere mit Ihm kennen zu lernen, müssen wir die Schriften des Paulus lesen. In dem vorliegenden Brief entfaltet sich die Geduld Gottes seinem alten Volk gegenüber, obwohl Jakobus dasselbe warnt: „Siehe, der Richter steht vor der Tür“ (Kap 5,9). Er unterscheidet ohne Zweifel die Gläubigen (Kap 2,1), wenn diese auch noch nicht von dem Volk getrennt waren; aber ihre Vorrechte finden wir nicht. Sie konnten dieselben nicht in Gemeinschaft mit den ungläubigen Juden genießen, wohl aber in deren Mitte den Unterschied des christlichen Lebens zeigen; und hiervon spricht Jakobus. Er nennt sich nicht Apostel, aber er war praktischer Weise – nicht als ein eingesetzter Ältester, wohl aber durch seinen persönlichen Einfluss – das Haupt der vom Judentum nicht getrennten Christen. Er ist stets mit den Christen beschäftigt, sowie mit dem Wandel, der ihnen inmitten des Volkes geziemt. Petrus, der an einen Teil der zerstreuten Juden schreibt, spricht nicht vom Volk; er nennt die Gläubigen das Volk und spricht von ihnen als solchen, die sich inmitten der Nationen befinden (1. Pet 2,10–11). Der Wandel wird von Jakobus mit Worten beschrieben, die selten über das hinausgehen, was sich für einen Gläubigen des alten Bundes geziemte. Man sieht, dass er an die Christen denkt, jedoch an solche, welche auf der untersten Stufe jener Leiter stehen, die bis an den Himmel reicht. Da wir uns nun auf der Erde befinden, so ist dieser Brief überaus nützlich, um uns den Weg und den Geist zu zeigen, der unseren Wandel charakterisieren soll, wie groß auch unsere himmlischen Vorrechte sein mögen. Wenn das Licht für unsere Herzen droben ist, so ist eine Leuchte für unsere Füße nicht zu verschmähen, und dies umso weniger, als wir uns inmitten eines christlichen Bekenntnisses solcher Leute befinden, die sich Gläubige nennen. Unser Brief stellt die Wahrhaftigkeit dieses Bekenntnisses auf die Probe.

Welcher Art nun auch die Verbindung der Gläubigen mit dem Volk sein mochte, so setzt doch der Schreiber der Brief das Vorhandenem des Glaubens bei denen voraus, an welche er sich richtet – eines Glaubens, der sich möglicher Weise praktisch in einem Juden vorfinden konnte, ehe dieser an Jesus glaubte obwohl (jetzt dieser Glaube an Jesus hinzugefügt war) – eines wahren Glaubens, den die Wirkung Gottes in ihren Herzen hervorgebracht hatte. Ähnlich sehen wir, wie selbst Paulus, nachdem er von der Höhe der ihm von Gott gewordenen Offenbarungen hinabgestiegen ist, den Glauben der Lois und der Eunike anerkennt und den Glauben des Timotheus demjenigen dieser Frauen gleichstellt.

Betrachten wir jetzt der Brief selbst. Schon im Anfang finden wir die „Versuchungen zur Bewährung des Glaubens“ – die Züchtigung Gottes zu Nutzen der Gläubigen (V 2–3.12). Ihre Stellung ist, wie gesagt, mit dem Volk verbunden; und der Zustand, den der Schreiber vor Augen hat, ist das Bekenntnis des Glaubens und die Erkenntnis des Herrn Jesus Christus, Er warnt die Gläubigen vor dem Geist, in welchem jene, womit sie verbunden waren, wandelten, und straft diese letzteren. Die Juden–Christen befanden sich in einer Prüfung, sie wurden verfolgt. Dasselbe finden wir in der Brief des Petrus, der die Gläubigen ermuntert, mit Geduld zu leiden. Jakobus ermahnt sie, wie es auch Paulus in Römer 5 tut, die Versuchungen für lauter Freude zu achten, und er gibt hierfür denselben Grund an wie dieser. Die Bewährung des Glaubens bewirkt Ausharren: der Wille des Menschen wird gebrochen; er muss warten, bis Gott wirkt; er fühlt, dass er von Gott abhängig ist und auf einem Schauplatz lebt, wo Gott allein das vollbringen kann, was wir begehren, nämlich die Macht Satans zu besiegen und zurückzuhalten. Wir wünschen oft und Zwar in guter Meinung, dass das Werk schneller vorangehe, dass die Schwierigkeiten verschwinden, und wir von der Verfolgung befreit werden, doch der Wille Gottes ist gut und weise und nicht der unsrige. Die Werke, die auf Erden geschehen, tut Er. Das Ausharren ist die vollkommene Frucht des Gehorsams. So lesen wir auch in Kolosser 1,11: „Gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit“, welch (große Werke muss eine solche Kraft hervorbringen!) „zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden.“ Es bedarf aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit, um alles ohne Murren, ja mit Freuden zu ertragen, weil es aus der Hand Gottes kommt. Sein Wille und nicht der unsrige stärkt unser Herz. Wenn Paulus in 2. Korinther 12,12 die Zeichen eines Apostels aufzählt, so nennt er zuerst das Ausharren (das Wort Ausharren bedeutet in beiden Stellen: das Übel mit Ausharren ertragen). In Römer 5 zeigt uns Paulus den gesegneten Erfolg dieses Ausharrens in den Versuchungen: „Wir rühmen uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, wissend, dass die Trübsal Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Erfahrung, die Erfahrung aber Hoffnung; die Hoffnung aber beschämt nicht, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist“ (Röm 5,25).

Wenn die Liebe Gottes gekannt und der eigene Wille gebrochen ist, so ist Vertrauen auf Gott vorhanden; wir wissen, dass alles von Ihm kommt, und dass Er alles zu unserem größten Segen mitwirken lässt. So bewirkt denn die Bewährung des Glaubens Ausharren; das Ausharren aber muss ein vollkommenes Werk haben, sonst wacht der Wille wieder auf, sowie das Vertrauen auf uns selbst, anstatt uns auf Gott zu stützen. Man handelt ohne Gott und fragt nicht nach seinem Willen; man wartet nicht ans Ihn, oder wenigstens zeigen sich die Ungeduld und das Fleisch in uns. Hiob unterwarf sich lange Zeit, aber sein Ausharren hatte nicht ein vollkommenes Werk. Saul wartete lange auf Samuel, aber er verhielt sich nicht ruhig, bis dieser kam, und in Folge dessen verlor er das Reich. Er wartete nicht auf den Herrn in dem Bewusstsein, dass er ohne Gott und mit seinem eigenen Willen nichts zu tun vermöchte. Sein Ausharren hatte nicht ein vollkommenes Werk. Die Trübsal ist die Bewährung des Ausharrens; sie ist das Werk Gottes, der durch seine Gnade äußerlich für uns und in uns wirkt; und ist dieses Werk vollbracht, sind wir Gott vollkommen unterworfen, so dass sein Wille unser einziger Wunsch ist, dann sind wir vollkommen und vollendet und haben in nichts Mangel. Nicht als hätten wir hinsichtlich der Erkenntlich seines Willens nicht mehr zu lernen Vers 5 beweist das Gegenteil wohl aber ist der Zustand der Seele bezüglich des Willens und unserer Verbindungen mit Gott vollkommen; Er kann uns seinen Willen offenbaren, und das ist das einzige, was wir wünschen (Siehe 1. Pet 1,6–7).

Bei dem Herrn hatte das Ausharren sein vollkommenes Werk. Das Elend, durch welches Er in dieser Welt ging, empfand Er tief, weit tiefer als wir. Er konnte weinen über Jerusalem (Lk 19,41) sowie beim Anblick der Macht des Todes auf die Herzen der Menschen (Joh 11,33–36); und die Verwerfung seiner Liebe war für Ihn eine beständige Ursache des Schmerzes. Er schilt die Städte, in welchen seine meisten Wunderwerke geschehen waren, aber Er ist vollkommen in seiner Geduld und sagt zu jener Zeit: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart“ (Mt 11,25). Er dankt zu derselben Zeit, da Er schelten muss. Dasselbe können wir in Johannes 12 sehen. In beiden Fällen ist seine Seele dem Willen seines Vaters vollkommen unterworfen; sie öffnet sich mit Freuden beim Anblick alles dessen, was durch die Unterwürfigkeit bewirkt wurde. Christus ermangelte nie der Weisheit Gottes; bei uns mag es wohl an Weisheit fehlen, selbst wenn unser Wille unterworfen ist und wir den Willen Gottes zu tun wünschen. Daher folgt die Verheißung: „Wenn aber jemandem von euch Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft“ (V 5). Das Nichtvorhandensein eines Willens, der Gehorsam und der Geist des Vertrauens in der Abhängigkeit, welche auf Gott blickt, kennzeichnen das neue Leben. In der Welt gehen wir durch Trübsale, und dieses neue Leben entwickelt seine Eigenschaften; wenn aber jenes Vertrauen nicht in Tätigkeit ist, so empfangen wir nichts. Gott misstrauen, heißt nicht Ihn ehren. Ein Mensch, der solches tut, ist wankelmütig; er gleicht der Woge des Meeres, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird. Er ist unstet, weil sein Herz nicht in Gemeinschaft mit Gott ist; er lebt nicht so, dass Er Gott kennen kann, und folglich ist er unstet in allen seinen Wegen. Wenn ein Gläubiger sich in der Nähe Gottes hält, so kennt er Ihn und wird seinen Willen verstehen; er wird keinen eignen Willen haben noch haben wollen, und zwar nicht nur ans Gehorsam, sondern weil er mehr Vertrauen in die Gedanken Gottes in Bezug auf sich selbst setzt, als in seinen eignen Willen. Der Glaube an die Güte Gottes gibt Mut, nach seinem Willen zu forschen und ihn zu tun. Wir haben in Christus selbst ein vollkommenes und schönes Beispiel von diesen Grundsätzen des göttlichen Lebens. Als Er von Satan versucht ward, hatte Er keinen eignen Willen; Er handelte nicht, sondern bezeugte, dass der Mensch von jedem Wort lebt, das aus dem Mund Gottes hervorgeht. Das war unbedingter und vollkommener Gehorsam. Für Ihn war der Wille Gottes nicht nur die Regel, sondern der einzige Beweggrund seiner Tätigkeit. Und als hernach der Versucher Ihn aufforderte, sich vom Tempel hinabzustürzen, um zu sehen, ob Gott seinen Verheißungen treu bleiben würde, wies Er selbst diesen Versuch zurück. Er war der Treue Gottes gewiss und erwartete ruhig die Kraft Gottes, wenn sich die Gelegenheit zur Kundgebung derselben auf dem Weg des Gehorsams darbieten würde. Dieser Glaube und dieses Vertrauen bezeugten, dass seine Seele nahe bei Gott war und in inniger Gemeinschaft mit Ihm lebte. In einem solchen Zustand ist eine jede Seele der Erhörung von Seiten Gottes gewiss, und das ist es, was sie innerlich durch die Schwierigkeiten und Prüfungen des jetzigen Lebens zubereitet, um sagen zu können: „Glückselig der Mann, der die Versuchung erduldet!“

Die Verse 9–11 bilden gleichsam einen Zwischensatz. Der neue Mensch gehört der neuen Schöpfung an; er ist die Erstlingsfrucht derselben, allein er befindet sich hienieden in einer Welt, deren Herrlichkeit wie des Grases Blume vergeht. Es ist also der niedrige Bruder bis zur Gemeinschaft mit Christus, bis zur Teilnahme an seiner Herrlichkeit erhoben. Selbst in dieser Welt wird er, so niedrig er auch sein mag, der Mitgenosse aller Brüder. „Gott hat die Armen der Welt auserwählt, reich zu sein im Glauben, und zu Erben des Reiches, welches Er verheißen hat denen, die Ihn lieben“ (Kap 2,5). Die Reichen erkennen sie als Brüder an und versammeln sich mit ihnen am Tisch des Herrn als Teilhaber derselben Vorrechte. Andererseits kann der Reiche, wenn Er treu ist, nicht in der Größe, in dem Stolz und der Eitelkeit einer Welt wandeln, die den Herrn verworfen hat. Er macht sich Christus selbst hat es sogar getan zum Bruder des Armen oder des Niedrigen, der den Herrn liebt, und sie genießen zusammen die Gemeinschaft des Geistes und haben Teil an den köstlichsten und herrlichsten Dingen des Lebens. Sie freuen sich zusammen, der Arme in seiner Hoheit; Christus schämt sich nicht, ihn Bruder zu nennen. Und dieses Titels rühmt sich der Reiche vielmehr als aller anderen Titel, die ihm in dieser Welt angehören. In der Welt aber wird dieser Titel misskannt und für nichts geachtet. Doch weiß er, dass die Herrlichkeit dieser Welt vergeht wie des Grases Blume, und er freut sich der Genosse derer zu sein, welche der Herr der Herrlichkeit als die Seinen anerkennt. Die Welt wird vergehen, und das Wesen dieser Welt ist schon jetzt für das Herz des geistlichen Christen vergangen. Derjenige, welcher für sich selbst den letzten Platz einnimmt, wird groß sein im Reich Gottes. Dies ist weit entfernt von dem Geist des Neides und der Missgunst, welcher alles, was über ihm steht, erniedrigen möchte. Es ist auch nicht Eigenliebe, sondern der Geist der Liebe, der sich erniedrigt, um mit denen zu wandeln, die klein sind, jedoch nicht klein in den Augen Gottes. Er handelt wie Christus, welcher gewiss ein Recht hatte, zu herrschen und der Erste zu sein, der aber sich selbst erniedrigte, um unter uns wohnen zu können, und sich inmitten seiner Jünger zum Diener machte. Was uns betrifft, so ist die Herrlichkeit dieser Welt nur Eitelkeit und Lüge. Die Liebe begehrt zu dienen, die Eigenliebe dagegen, sich bedienen zu lassen (Fortsetzung folgt).

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