Botschafter des Heils in Christo 1876

Paulus in dem Brief an die Philipper

Der Apostel Paulus wendet sich in diesem Brief an die Philipper als ein einfacher Diener, als ein liebender Bruder, als eins mit ihnen, und als ein Mitgenosse ihrer Freude. Man hört hier nicht den Ton eines gebietenden und ermahnenden Apostels, sondern vielmehr lässt er seiner Liebe gegen diese Heiligen freien Lauf, weil sie vollkommene Gemeinschaft mit ihm an dem Evangelium hatten.

Der Apostel war bereits seit zwei Jahren in Rom gefangen. Er war berufen, ein Bewahrer der Wahrheit zu sein. Menschlich gesprochen ruhte alles auf seinen Schultern. Vielleicht dachten manche: „Wie traurig ist es, dass jemand, wie Paulus, in seiner Wirksamkeit verhindert und in ein Gefängnis gesperrt ist!“ Vielleicht mögen im Anfang ähnliche Gedanken im Herzen des Apostels aufgestiegen sein. Doch in den zwei Jahren hatte er unendlich mehr gelernt, als er wahrscheinlich je in anderen Umständen gelernt haben würde. Er erfuhr, welche Hilfsquellen in Gott waren, sowohl für ihn selbst, als auch für die Versammlung. Für sich selbst fand er in Gott eine Quelle von Freude, die ihn über alle Umstände erhob, und die ihn in den Stand setzte, aus der Absonderung und der Einförmigkeit seiner Gefangenschaft alle die Liebe, die sein Herz erfüllte, den geliebten Philippern, und mithin auch uns, die wir diesen Brief besitzen, mitteilen zu können. Der Apostel konnte sich in allem erfreuen. Wenn er der Heiligen gedachte und für sie betete, so geschah es stets mit Freuden, indem er auf das vertraute, was Gott für sie tun konnte und wollte, selbst wenn auch er noch im Gefängnis bleiben musste. Wenn er hörte, dass etliche aus Neid und Streit das Evangelium predigten, um seinen Banden Trübsal zuzufügen, so freute er sich dennoch, weil, trotz allem „Christus verkündigt“ wurde. Sollte es ihm vergönnt sein, seine viel geliebten Philipper noch einmal wieder zu sehen, so wusste er, dass dieses zur Förderung und Freude im Glauben sein würde; wenn aber der Herr es anders beschlossen hatte, so dass er, Paulus, „wie ein Trankopfer gesprengt werde über das Opfer und den Dienst ihres Glaubens“, dann sagte er: „So freue ich mich und freue mich mit euch allen.“ Das Geheimnis der Freude des Apostels bestand in der Erkenntnis der Vortrefflichkeit Christi Jesu, seines Herrn. Er hatte die Gerechtigkeit Gottes erkannt, und der Glaube hatte diese vollkommene Gerechtigkeit zu der seinigen gemacht. Darum hatte er von allem, dessen er sich dem Fleisch nach rühmen konnte, Abschied genommen und als Schaden und Dreck geachtet. Christus war nun sein einziger Gegenstand. Gott hatte ihm Christus dargestellt als den Gegenstand seiner Liebe, seiner Wünsche und seiner Bestrebungen. Ihm zu folgen, war das feurigste Verlangen des Apostels. Gott hatte alles für ihn getan; und Paulus konnte sich in allem auf Ihn stützen. Dieses befreite ihn von allem Kummer über sich selbst und über die Versammlung. Er stand fest im Herrn und konnte zu den Gläubigen sagen: „Seid meine Nachfolger!“ Wer von uns würde also sprechen dürfen? Wer würde es wagen, auf sich als ein Vorbild hinzuweisen? Wie oft haben wir Christus nicht vor Augen als den einzigen Gegenstand unserer Herzen! Wir haben oft den einen oder den anderen Gegenstand, der uns beschäftigt; und dieser Gegenstand übt seinen Einfluss auf uns aus. Ist die Welt dein Gegenstand, dann bist du von der Welt. Ist aber Christus dein Gegenstand, so gehörst du Christus an. Darum konnte Paulus in Kapitel 4 sagen: „Steht also fest im Herrn, Geliebte!“ Und während die Freude über die Stellung, in welche Gott ihn berufen hat, sein Herz überwältigt, ruft er aus: „Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum sage ich: Freut euch! Lasst eure Gelindigkeit kund werden allen Menschen; der Herr ist nahe!“ Und dieses bringt er in Verbindung mit der Kraft des Lebens in Christus. In der Erwartung der nahen Ankunft des Herrn konnte er allen alles sein. In derselben Gesinnung wie Jesus, der, „wissend, dass Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehen sollte“, ein leinenes Tuch nahm, um die Füße der Jünger zu waschen, konnte sich auch Paulus über alle Umstände – sei es Mangel, oder sei es Überfluss – erheben; er vermochte alles durch Christus, der ihm Kraft gab.

So ermahnte er auch die geliebten Philipper, um nichts besorgt zu sein, sondern völlig und in allem Gott zu vertrauen; denn nur dieses würde den Frieden Gottes in ihrem Herzen bewahren. Nicht den Frieden mit Gott in der Seele, sondern den Frieden, der in Gott selbst ewiglich wohnt, sollten sie genießen, so dass das Herz, befreit von Sorge und Kummer, welche es nur beunruhigen und zerstreuen, ungehindert im Stande sei, zu erwägen „alles was wahrhaftig, alles was ehrbar, alles was gerecht, alles was rein, alles was liebreich, alles was wohl lautet, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob ist.“ In diesem Fall würde der „Gott des Friedens“ mit ihnen sein.

Hier ist nicht nur die Rede davon, dass man Frieden habe von den Qualen, die ein beunruhigtes Gewissen verursacht; ja, der Apostel geht selbst über den Frieden hinaus, der in Gott wohnt, indem er sagt: „Der Gott des Friedens wird mit euch sein.“ Welch ein unaussprechliches Vorrecht! Möchten wir es alle in reichem Maß genießen! Der Gott des Friedens will auch mit uns sein auf allen unseren Wegen.

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