Botschafter des Heils in Christo 1876

Gedanken über das Kommen des Herrn - Teil 6/6

9. Die Talente

Es bleibt nun noch jener Teil des Gesprächs unseres Herrn zu betrachten übrig, in welchem Er den ernsten Gegenstand der Verantwortlichkeit des Dieners während seiner Abwesenheit wieder aufnimmt. Dass diese Verantwortlichkeit mit der Hoffnung seiner Ankunft in enger Verbindung steht, geht klar aus dem Umstand hervor, dass das Gleichnis von den zehn Jungfrauen mit den Worten schließt: „So wacht nun, denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“ Dann fährt Er fort zu sagen: „Denn gleich wie ein Mensch, der außer Landes reiste, seine eigenen Knechte rief und ihnen seine Habe übergab“ (Mt 25,13–14).

Es besteht ein großer Unterschied zwischen diesem Gleichnis von den Talenten und demjenigen in Kapitel 24,45–51 vom untreuen Knecht. In letzterem haben wir den Dienst im Haus; in ersterem hingegen den Dienst draußen in der Welt. Aber in jedem dieser beiden Gleichnisse finden wir die Grundlage jeglichen Dienstes, nämlich die Gabe und die Autorität Christi. Er rief seine eigenen Knechte und übergab ihnen seine Habe. Die Knechte und die Habe sind sein. Niemand außer dem Herrn kann jemanden in einen Dienst berufen; und niemand außer Ihm kann geistliche Gaben mitteilen. Es ist für irgendjemanden durchaus unmöglich, ein Diener Christi zu sein, wenn Christus ihn nicht berufen und für das Werk befähigt hat. Das steht außer allem Zweifel. Es mag jemand ein Religionsdiener sein; er mag die Lehren des Evangeliums predigen und Theologie lehren; aber er kann nur ein Diener Christi sein, wenn Christus ihn dazu berufen und für das Werk begabt hat. Handelt es sich um den Dienst im Haus, so heißt es: „Den sein Herz gesetzt hat über sein Gesinde“; und handelt es sich um den Dienst in der Welt, so lesen wir: „Er rief seine eigenen Knechte und übergab ihnen seine Habe.“

Diese große Grundwahrheit tritt mächtig hervor in den Worten eines der größten Diener, die je gelebt haben, wenn er sagt: „Ich danke Christus Jesus, unserem Herrn, der mich kräftig gemacht, dass Er mich treu geachtet und in den Dienst gestellt hat“ (1. Tim 1,12).

So muss es, was auch das Maß, der Charakter und die Sphäre des Dienstes ist, in jedem Fall sein. Der Herr allein kann jemanden in den Dienst stellen und ihn befähigen, denselben zu erfüllen. Ist dieses nicht der Fall, so hat sich der Mensch selbst einen Dienst angemaßt, oder andere haben ihn angestellt; und beides ist dem Willen Gottes gleich widersprechend und gegen die Grundsätze der Heiligen Schrift. Lassen wir uns durch das Wort Gottes leiten, so muss es uns klarwerden, dass jeder Dienst in und außer dem Haus göttlicher Berufung und göttlicher Befähigung bedarf; denn wo diese fehlen, da ist der Dienst wertlos. Es mag sich jemand selbst zu einem Diener machen oder er mag durch andere dazu gemacht werden; aber eine solche Berufung ist nicht vom Himmel, nicht von Gott, nicht durch Jesus und wird daher als die traurigste und kühnste Anmaßung ans Licht gestellt und gerichtet werden.

Es ist von höchster Wichtigkeit, dass der christliche Leser diesen großen Grundsatz bezüglich des Dienstes erkennt. Die Sache ist so einfach wie ernst. Sie ruht auf göttlicher Basis und kann unmöglich durch jemanden, der – was jeder Christ tun sollte – sich unter die Autorität des Wortes Gottes beugt, irgendwie in Frage gestellt werden. Der Leser nehme seine Bibel zur Hand und betrachte sorgfältig jede Zeile, die auf den vorliegenden Gegenstand Bezug hat. Wir lesen in dem Gleichnis von dem Haushalter: „Den sein Herr gesetzt hat über sein Gesinde.“ Er hat sich nicht selbst diesen Platz gewählt, noch ist er von anderen dazu eingesetzt worden. Die Berufung ist göttlich. Ebenso wird der Leser in dem Gleichnis von den Talenten finden, dass der Herr seine eigenen Knechte beruft und ihnen seine Habe übergibt. Die Berufung und die Befähigung sind göttlich.

In Lukas 19 tritt uns dieselbe Wahrheit vor Augen. „Ein gewisser hochgeborener Mann zog in ein fernes Land, um ein Reich für sich selbst zu empfangen und wieder zu kommen. Er berief aber zehn seiner eigenen Knechte und gab ihnen zehn Pfunde, und sprach zu ihnen: Handelt bis ich komme.“ Der Unterschied zwischen Matthäus und Lukas scheint darin zu liegen, dass in letzterem mehr die menschliche Verantwortlichkeit, in ersterem aber mehr die göttliche Unumschränktheit in den Vordergrund tritt; aber in beiden finden wir den Grundsatz unwiderlegbar festgestellt, dass jeglicher Dienst durch göttliche Anordnung besteht.

Derselben Wahrheit begegnen wir in der Apostelgeschichte. Als ein anderer bestimmt werden sollte, um die Stelle des Judas Iskariot auszufüllen, wandten sich die Elf an den Herrn mit den Worten: „Du, Herr, Herzenskündiger aller, zeige an von diesen beiden den einen, den du aus er wählt hast, um zu empfangen das Los dieses Dienstes und Apostelamtes.“

Und selbst wenn es sich um einen lokalen Dienst, wie z. B. um den der Diakonen (Kap 6) oder um den der Ältesten (Kap 15), handelte, so geschah die Einführung in denselben durch direkt apostolische Anordnung. Mit einem Wort, alles war göttlich. Niemand konnte sich selbst zu einem Diakon, und noch weniger zu einem Ältesten machen. Da die Diakonen über das Besitztum der Versammlung zu Verwaltern gesetzt waren, war es der Versammlung gestattet, Männer zu wählen, denen sie vertrauen konnte; allein die Bestimmung, sowohl in Bezug auf die Diakonen, als auch in Bezug auf die Ältesten, war göttlich. Kurz alles, mochte es sich um eine Gabe oder um einen lokalen Dienst handeln, stand auf göttlicher Grundlage; und das ist von höchster Wichtigkeit.

Ebenso tritt uns in den Briefen dieselbe Wahrheit in vollem, ungetrübtem Licht entgegen. Wir lesen z. B. in Römer 12: „Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben, einem jeglichen, der unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern so zu denken, dass er mäßig gesinnt sei, wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat. Denn gleich wie wir in einem Leib viele Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Verrichtung haben, also sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber je einer des anderen Glieder. Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben nach der uns verliehenen Gnade“ usw. Wiederum lesen wir in 1. Korinther 12: „Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, ein jedes von ihnen an dem Leib, wie Er gewollt hat.“ ... „Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel usw“ (V 18.28). Endlich in Epheser 4 finden wir die Worte: „Einem jeden aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maß der Gabe des Christus.“

Alle diese und viele andere Schriftstellen, die wir noch anführen könnten, bestätigen die Wahrheit, die wir hier so sorgfältig behandelt haben, nämlich dass ohne Ausnahme jeder Dienst göttlich, von Gott, vom Himmel, durch Jesus Christus ist. Wir finden im Neuen Testament nichts von einer menschlichen Autorität zum Dienst in der Kirche Gottes. Wir mögen jede Zeile des Wortes Gottes prüfen, so finden wir doch nur die gesegnete Lehre, welche in den kurzen Worten unseres Gleichnisses enthalten ist: „Er rief seine eigenen Knechte und übergab ihnen seine Habe.“ In diesen Worten ist die ganze neutestamentliche Lehre in Betreff des Dienstes zusammengefasst: und wir bitten den Leser ernstlich, diese Wahrheit in seine Seele aufzunehmen und ihr die volle Macht einzuräumen, die sie auf sein Leben, auf seinen Wandel und auf seinen Charakter ausüben sollte. 1

Man könnte indessen fragen: „Ist denn das Gefäß den demselben anvertrauten Gaben nicht angepasst?“ – Ohne Zweifel; und gerade diese Anpassung ist deutlich dargestellt in den Worten unseres Gleichnisses: „Und einem gab er fünf Talente, einem aber zwei, einem aber eins, einem jeden nach seiner eigenen Fähigkeit.“

Das ist ein höchst wichtiger Punkt und darf nicht außer Acht gelassen werden. Der Herr weiß, welchen Gebrauch Er von einem Menschen machen kann. Er kennt den Charakter der Gabe, welche Er dem Gefäß anvertrauen will; Er formt das Gefäß und bildet demgemäß den Menschen. Wir zweifeln nicht, dass Paulus für den Platz, den er ausfüllen sollte und für das Werk, welches ihm anvertraut war, ein von Gott besonders zubereitetes Gefäß war. Und also ist es in jedem Fall. Wenn Gott jemanden berufen hat, öffentlich zu reden, so gibt Er ihm eine Stimme, Er verleiht ihm auch die körperlichen Kräfte, die das Werk, für welches er berufen ist, erfordert. Die Gabe ist von Gott, aber sie entspricht stets der Fähigkeit des Menschen.

Wenn wir dieses aus dem Auge verlieren, so wird unser Verständnis über den wahren Charakter des Dienstes höchst mangelhaft sein. Wir müssen stets unsere Blicke auf zwei Dinge richten, nämlich auf die göttliche Gabe und auf das menschliche Gefäß, dem die Gabe anvertraut ist. Es ist die Souveränität Gottes und die Verantwortlichkeit des Menschen. Wie vollkommen und wie wunderbar sind all die Wege Gottes! Aber ach! Der Mensch verdirbt alles; schon die Berührung der Arbeit Gottes durch einen menschlichen Finger trübt den Glanz derselben. Doch lasst uns nicht vergessen, dass der Dienst in seiner Quelle, in seiner Natur, in seiner Kraft und in seinem Ziel göttlich ist.

„Aber“ – könnte vielleicht jemand fragen – „was hat dieses alles mit der Ankunft des Herrn zu tun?“ – Viel, sehr viel in jeglicher Beziehung. Kommt unser Herr nicht immer wieder während seines Gesprächs auf dem Ölberg auf diesen Gegenstand zurück? Und ist die ganze Unterhaltung nicht eine Antwort auf die Frage der Jünger: „Welches ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“ (Kap 34,3) Ist nicht sein Kommen der große hervorragende Punkt dieses Gespräches als eines Ganzen, sowie jedes einzelnen Teiles desselben insbesondere? Wer könnte es leugnen?

Und welches ist das zunächst am meisten hervorragende Thema? Ist es nicht der Dienst? Werfen wir einen Blick auf das Gleichnis von dem Knecht, der über das Gesinde gesetzt ist. Wie hat er zu dienen? Antwort: Im Blick auf die Wiederkunft des Herrn. Der Dienst verbindet sich gleichsam mit dem Scheiden und dem Wiederkommen des Herrn; er steht dazwischen und ist durch diese zwei großen Ereignisse charakterisiert. Und was hat diesen Dienst bei vielen unmöglich gemacht? Die Ursache ist, dass man das Kommen des Herrn aus den Augen verloren hat. Der böse Knecht sagt in seinem Herzen: „Mein Herr verzieht zu kommen;“ und die Folge davon ist, dass er anfängt, „seine Mitknechte zu schlagen“, und dass er „isst und trinkt mit den Trunkenen.“

Ebenso verhält es sich auch mit dem Gleichnis von den Talenten. Das ernste, ergreifende Wort heißt: „Handelt bis ich komme.“ Kurz, wir sehen, dass der Dienst, ob im Haus Gottes oder draußen in der Welt, im Blick auf das Kommen des Herrn ausgeübt werden soll. „Nach langer Zeit aber kommt der Herr jener Knechte und hält Rechnung mit ihnen.“ Alle Diener haben sich der ernsten Tatsache zu erinnern, dass eine Zeit der Abrechnung kommt. Das wird in Bezug auf jeden Teil ihres Dienstes ihre Gedanken und Gefühle in Ordnung halten. Hören wir die wichtigen Worte, durch welche ein Diener den anderen zu ermuntern sucht: „Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christus Jesus, der da richten wird Lebendige und Tote, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich: Predige das Wort, halte darauf in gelegener und ungelegener Zeit; überführe, strafe, ermahne mit aller Langmut und Lehre. Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen werden, sondern nach ihren eigenen Lüsten werden sie sich selbst Lehrer aufhäufen, indem es ihnen in den Ohren kitzelt; und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren und zu den Fabeln sich hinwenden. Du aber sei nüchtern in allem, leide Trübsal, tue das Werk eines Evangelisten, vollführe deinen Dienst. Denn ich werde schon zum Opfer gesprengt, und die Zeit meines Abscheidens ist vorhanden. Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fortan ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tag: nicht allein aber mir, sondern auch allen, die seine Erscheinung liebhaben“ (2. Tim 4,1–8).

Zeigt uns diese rührende und wichtige Stelle nicht, wie enge der Dienst mit dem Kommen des Herrn verbunden ist? – Der gesegnete Apostel – der ergebenste, begabteste und wirksamste Arbeiter, der je in dem Weinberg Christi wirkte, – der geschickteste Haushalter, der je die Geheimnisse Gottes verwaltete – der große Diener der Kirche und der Prediger des Evangeliums – der weise Baumeister – der unvergleichliche Diener – dieses seltene und kostbare Gefäß übt sein Werk aus, erfüllt seinen Dienst und entledigt sich seiner heiligen Verantwortlichkeit im Blick auf „jenen Tag.“ Er schaute und schaut noch immer hinaus nach der feierlichen und herrlichen Gelegenheit, wo der gerechte Richter die „Krone der Gerechtigkeit“ auf sein Haupt setzen wird; und mit rührender Liebe fügt er hinzu: „Nicht allein aber mir, sondern auch allen, die seine Erscheinung liebhaben.“

Das ist in der Tat köstlich. Nicht nur für den begabten, wirksamen und ergebenen Paulus wird an „jenem Tag“ eine Krone der Gerechtigkeit vorhanden sein, sondern auch für einen jeglichen, der die Erscheinung unseres Herrn und Heilands liebhat. Ohne Zweifel werden sich in seiner Krone Edelsteine von besonderem Glänze finden: aber damit nicht jemand denken solle, dass die Krone der Gerechtigkeit nur für ihn da sei, fügt er die lieblichen Worte hinzu: „Sondern auch allen, die seine Erscheinung liebhaben.“ Dank und Preis dem Herrn für solche Worte! Mögen sie in unserem Herzen bewirken, dass wir nicht nur die Erscheinung unseres Herrn lieben, sondern dass wir Ihm im Blick auf jenen herrlichen Tag mit einer innigen und herzlichen Liebe dienen! Dass diese beiden Dinge enge mit einander verbunden sind, sehen wir aus dem Verlauf des Gleichnisses von den Talenten. Nachdem die Knechte die Talente empfangen hatten, wird uns weitergesagt:

„Der aber die fünf Talente empfangen hatte, ging hin und handelte damit und gewann andere fünf Talente. Desgleichen auch, der die zwei hatte, auch er gewann andere zwei. Der aber das eins empfangen hatte ging hin, grub in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. Nach langer Zeit aber kommt der Herr jener Knechte und hält Rechnung mit ihnen. Und es trat herzu, der die fünf Talente empfangen hatte, und brachte andere fünf Talente und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir übergeben, siehe, fünf anders Talente habe ich zu denselben gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Wohl, du guter und getreuer Knecht; über weniges warst du getreu, über vieles werde ich dich setzen; gehe ein in die Freude deines Herrn. Es trat aber auch herzu, der die zwei Talente empfangen hatte, und sprach: Herr, zwei Talente hast du mir übergeben; siehe, andere zwei Talente habe ich zu denselben gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Wohl, du guter und getreuer Knecht; über weniges warst du getreu, über vieles werde ich dich setzen; gehe ein in die Freude deines Herrn“ (V 16–23).

Es ist wichtig und lehrreich, den Unterschied zwischen dem Gleichnis von den Talenten in Matthäus 25 und dem Gleichnis von den zehn Knechten in Lukas 19 zu bemerken. In ersterem handelt es sich um die Souveränität Gottes, in letzterem um die Verantwortlichkeit des Menschen. In Lukas erhält ein jeglicher dieselbe Summe, während in Matthäus der eine fünf, der andere zwei, und der Dritte ein Talent empfängt, wie es dem Herrn auszuteilen gefallen hat. Zur Zeit der Abrechnung finden wir in Lukas eine bestimmte Belohnung, die der Arbeit entsprechend ist, während es in Matthäus heißt: „Gehe ein in die Freude deines Herrn.“ Es wird hier nicht gesagt, was der treue Knecht empfängt und über wie vieles er gesetzt wird. Der Herr ist unumschränkt in seinen Handlungen, sowohl in Betreff der Gaben, als auch der Belohnung, der Zielpunkt aller ist: „Gehe ein in die Freude deines Herrn.“

Für ein Herz, das den Herrn wirklich liebt, gibt es nichts Höheres. In der Tat wird der eine über zehn, der andere über fünf Städte gesetzt werden. Es wird eine der Treue, der geleisteten Dienste und der vollbrachten Arbeit angemessene Belohnung stattfinden; aber über dieses alles hinaus leuchtet das köstliche Wort: „Gehe ein in die Freude deines Herrn.“ Keine Belohnung kann die Hohe dieses Glücks erreichen. Das Gefühl der Liebe, welche diesen Worten entströmt, wird einen jeglichen antreiben, seine „Krone der Gerechtigkeit“ zu den Füßen seines Herrn nieder zu legen. Ja, wir werden mit Freuden selbst diese Krone, welche der gerechte Richter geben wird, zu den Füßen unseres liebenden Herrn und Heilands niederlegen. Ein freundlicher Blick seines Antlitzes wird das Herz tiefer und mächtiger berühren, als die glänzendste Krone, welche uns je aufgesetzt wetzen könnte.

Aber noch ein Wort, bevor wir schließen: Wer weigerte sich zu wirken? Wer verbarg das Geld seines Herrn? Wer zeigte sich als ein „böser und fauler Knecht?“ – Es war jener Mensch, der das Herz, den Charakter, die Liebe seines Herrn nicht kannte. „Es trat aber auch herzu, der das eine Talent empfangen hatte, und sprach: Herr, ich kannte dich, dass du ein harter Mann bist, du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich und ging hin und verbarg dein Talent in der Erde; siehe, du hast das deine. Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe, so solltest du nun mein Geld den Wechslern gegeben haben, und wenn ich gekommen, hatte ich das meine mit Zinsen erhalten. Nehmt nun das Talent von ihm und gebt es dem, der die zehn Talente hat; denn jeglichem, der da hat, wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben; von dem aber, der nicht hat, von dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußere Finsternis; da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen.“

Wie furchtbar ernst ist dieses alles! Wie hervortretend ist der Kontrast zwischen diesen beiden Knechten. Der eine kennt, liebt, vertraut und dient seinem Herrn; der andere verkennt, fürchtet ihn, vertraut ihm nicht und bleibt untätig. Der eine geht ein in die Freude seines Herrn; der andere wird in die äußere Finsternis geworfen – dorthin, wo nur Weinen, Heulen und Zähneknirschen sein wird. Wie ernst! Wie zermalmend! Und wann wird dieses alles stattfinden? – Wenn der Herr kommt.

Anmerkung: Wir können in Verbindung mit den vorhergehenden Bemerkungen über den Dienst hinzufügen, dass jeder Gläubige seinen besonderen Platz und seine besondere Arbeit zu tun hat. Alle sind dem Herrn verantwortlich, ihren Platz zu kennen und auszufüllen, wie auch ihre Arbeit zu kennen und zu tun. Das ist eine einfache praktische Wahrheit und findet ihre volle Bestätigung in dem bereits angeführten Grundsatz, dass jeder Dienst und jede Arbeit aus der Hand des Herrn empfangen und unter seinen Augen, in der Erwartung seines Kommens, ausgeführt werden muss. Das darf nie vergessen werden. 10. Schlussbemerkungen

Bevor wir unsere Betrachtung über diese köstlichen Wahrheiten schließen, können wir es uns nicht versagen, die Aufmerksamkeit des Lesers noch in möglichster Kürze auf das eine oder das andere zu lenken, welches wir bereits flüchtig angedeutet haben. Wir würden dieses nicht tun, wenn wir nicht den wirklich praktischen Wert erkannten, dem Leser ein klares Bild von dem uns vorliegenden wichtigen Gegenstände zu geben.

Zunächst wird sich der Leser, der uns bis in die mannigfachen Verzweigungen unseres Gegenstandes begleitet hat, einen flüchtigen Hinweis auf etwas erinnern, das wir „eine Zwischenzeit, eine Unterbrechung in den Führungen Gottes bezüglich des Volkes Israel und der Erde“ zu nennen wagten. Dieses ist ein Punkt von höchster Wichtigkeit: und wir hoffen im Stande zu sein, dem Leser den Beweis zu liefern, dass wir es hier nicht mit irgendeiner Frage der Neugierde, mit irgendeinem dunklen, geheimnisvollen Gegenstand, oder mit der Lieblingsidee irgendeines Auslegers der Prophezeiung zu tun haben. O nein, gerade das Gegenteil. Wir erkennen darin vielmehr eine Sache, die ein helles Licht auf den Gegenstand unserer Betrachtung wirft; und wir bezweifeln es gänzlich, dass jemand, der jene Zwischenzeit oder Unterbrechung nicht sieht, die Prophezeiung, sowie seine eigene Stellung richtig verstehen könne.

Wir wollen uns direkt an das Wort Gottes selbst wenden und das 9. Kapitel des Propheten Daniel zur Hand nehmen.

Die ersten Verse dieses höchst beachtenswerten Teiles der Heiligen Schrift zeigen uns diesen geliebten Diener Gottes in tiefstem Seelenschmerz wegen des traurigen Zustandes seines viel geliebten Volkes – eines Zustandes, in welchen er, geleitet durch den Geist Christi, völlig einzutreten vermochte. Obwohl er an den Handlungen, die den Ruin über sein Volk gebracht, nicht persönlich Teil genommen hatte, so machte er sich mit diesem Volk doch völlig eins und machte im Bekenntnis und im Selbstgericht dessen Sünden zu seinen eigenen vor seinem Gott.

Wir müssen es uns versagen, das bemerkenswerte Gebet und Bekenntnis Daniels hier anzuführen; aber der Gegenstand, der uns direkt angeht, beginnt mit Vers 30, wo wir lesen: „Und als ich noch redete und betete und meine Sünden und die Sünden meines Volkes Israel bekannte und mein Flehen niederlegte vor Jehova, meinem Gott, für den heiligen Berg meines Gottes, als ich noch redete im Gebet, kam der Mann Gabriel, den ich im Anfang gesehen im Gesicht, mit eilendem Flug, und rührte mich an um die Zeit des Abendopfers. Und er gab Einsicht und redete mit mir und sprach: Daniel, jetzt bin ich ausgegangen, dich im Verständnis zu unterweisen. Im Anfang deines Flehens ist das Wort ausgegangen, und ich bin gekommen, es anzuzeigen; denn du bist ein Vielgeliebter. So merke auf das Wort, und verstehe das Gesicht. Siebzig Wochen sind bestimmt über dein Volk und über deine heilige Stadt, um die Übertretung zu vollenden und mit den Sünden ein Ende zu machen, und die Ungerechtigkeit zu vergeben, und eine ewige Gerechtigkeit zu bringen, und das Gesicht und den Propheten zu versiegeln, und das Allerheiligste zu salben. Wisse denn und verstehe: Vom Ausgang des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen und zwei und sechzig Wochen.“

Wir können uns wegen des beschränkten Raumes dieser Blätter nicht auf weitläufige Beweise einlassen, um klar zu stellen, dass die „siebzig Wochen“ in der soeben angeführten Stelle gerade vierhundert und neunzig Jahre ausmachen. Wir nehmen es vielmehr als eine Tatsache an und glauben, dass Gabriel den Auftrag hatte, den geliebten Propheten zu unterweisen und ihm mitzuteilen, dass von dem Augenblick an, wo das königliche Dekret, Jerusalem wieder auszubauen, erlassen war, ein Zeitraum von vierhundert und neunzig Jahren verfließen muss, bevor das Volk Israel in die Segnungen wieder eintreten kann.

Dies ist so einfach und bestimmt, wie etwas nur sein kann; und sicher – wir können es mit aller Zuversicht behaupten – es ist nicht so gewiss, dass am kommenden Morgen die Sonne zu ihrer bestimmten Zeit wieder aufgehen wird, wie es gewiss ist, dass am Schluss dieses von dem himmlischen Boten bezeichneten Zeitraums das Volk Daniels wieder in seine Segnungen zurückgebracht werden wird. Dieses steht so unerschütterlich fest, wie der Thron Gottes selbst. Keine Macht der Erde oder der Hölle wird die vollkommene Erfüllung des durch den Mund Gabriels gesprochenen Wortes Gottes zu verhindern vermögen. Wenn das letzte Körnchen aus der 490jährigen Sanduhr abgelaufen ist, so wird Israel wieder in den Besitz all seiner Vorrechte und seiner Herrlichkeit eingesetzt sein. Es ist unmöglich, Daniel 9,24 zu lesen, ohne dieses zu sehen.

Vielleicht aber fragt irgendeiner der Leser: „Wie, sind denn diese vierhundert und neunzig Jahre noch nicht verflossen?“ – Unsere Antwort ist: „Nein, sicher nicht.“ Wenn sie verflossen wären, so würde Israel in seinem eigenen Land unter der Regierung seines eigenen geliebten Messias sein. Die Schrift kann nicht gebrochen werden; wir können und dürfen sie nicht antasten. Das Wort ist fest und bestimmt. „Siebzig Wochen sind bestimmt über dein Volk“, Nicht mehr und nicht weniger als „siebzig Wochen.“ Wollten wir dieses in einem buchstäblichen Sinne auffassen, so würde die Stelle gar keinen Sinn haben; und wir würden nur unsere Zeit verschwenden, wenn wir eine solche Torheit bekämpfen wollten. Wenn aber, wie wir fest überzeugt sind, Gabriel von siebzig Jahr Wochen redet, dann haben wir einen bestimmten, festgestellten Zeitraum vor uns – einen Zeitraum, der von dem Augenblick an beginnt, wo Kyrus das Dekret zur Wiederherstellung Jerusalems erließ, und der mit der Wiederherstellung des Volkes und dieser Stadt endet.

„Aber“ – könnte der Leser weiter einwenden – „wie könnte dieses sein? Sind denn nicht schon vier Mal vierhundert und neunzig Jahre verflossen, seit der König von Persien jenes Dekret erlassen hat? Und dennoch sieht man nirgends ein Zeichen von der Wiederherstellung Israels. Darum müssen diese siebzig Wochen doch noch eine andere Bedeutung haben.“

Dennoch aber müssen wir unsere Behauptung wiederholen, dass die vierhundert und neunzig Jahre noch nicht zu Ende sind. Die Geschichte Israels ist unterbrochen worden und wird erst später ihren Lauf fortsetzen; ein langer Zeitraum ist dazwischengetreten. Man lese mit Aufmerksamkeit in Daniel 9,35–36 die Worte: „Wisse denn und verstehe: Vom Ausgang des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen (49 Jahre) und zwei und sechzig Wochen (434 Jahre). Die Straße und die Gräben werden wiederhergestellt werden, und zwar in Drangsal der Zeiten (d. h. in dem Zeitraum von 49 Jahren) Und nach den zwei und sechzig Wochen (434 Jahre nach der Wiederaufbauung Jerusalems) wird der Messias weggetan werden, und wird nichts haben.“

Hier haben wir nun den bezeichnenden, ernsten und merkwürdigen Zeitpunkt erreicht, wo der Messias anstatt angenommen zu werden, verworfen worden ist. Anstatt den Thron Davids besteigen zu können, war das Kreuz sein Teil: anstatt in den Besitz aller Verheißungen einzutreten, empfing Er nichts. Sein Teil war, insoweit es Israel und die Erde anbetrifft, das Kreuz, der Essig, der Speer, das geborgte Grab. Der Messias war verworfen, weggetan und hatte nichts. Was nun? Gott bezeichnete sein Missfallen an dieser Tat dadurch, dass Er für eine Zeitlang seine Führung in Bezug auf Israel einstellte. Der Lauf der Geschichte dieses Volkes ist unterbrochen; es zeigt sich eine große Lücke. Neunundsechzig Wochen oder vierhundert und drei und achtzig Jahre sind vollendet; es bleibt nur noch eine Woche oder sieben Jahre übrig. Diese Woche aber ist zurückgeschoben worden: und die ganze Zeit von dem Tod des Messias an bis zum Beginn jener Woche bildet den bereits erwähnten Zwischenraum, jene Unterbrechung, während welcher Christus in den Himmeln verborgen und der Heilige Geist auf der Erde wirksam ist, um den Leib Christi, die Versammlung, die himmlische Braut zu bilden. Wenn das letzte Glied diesem Leib einverleibt sein wird, dann wird der Herr selbst kommen, die seinigen zu sich nehmen und in das Haus seines Vaters führen, um dort mit Ihm in der unaussprechlichen Gemeinschaft dieser gesegneten Heimat zu sein, während Gott durch seine Heimsuchungen Israel und die Erde zubereiten wird für die Einführung seines Erstgeborenen in die Welt.

Über das, was sich nun während dieser Zwischenzeit ereignen soll, schweigt Gabriel. Ob er selbst ein Verständnis darüber hatte, ist hier nicht die Frage. Es ist klar, dass Er keinen Auftrag hatte, davon zu reden, da die Zeit, es zu tun, noch nicht gekommen war. Er schreitet mit einer wunderbaren und geheimnisvollen Eile über Zeitalter und Generationen hinweg, geht von einer Landspitze auf der prophetischen Karte zur anderen und überspringt in einem oder zwei kurzen Sätzen einen Zeitraum, der sich schon nahe bis zu zweitausend Jahren ausgedehnt hat. Die Belagerung von Jerusalem durch die Römer ist kurz angedeutet durch die Worte: „Ein Volk des kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zertreten.“ Dann hören wir über einen Zeitraum, der jetzt bereits über achtzehn Jahrhunderte gedauert hat, nur die Worte: „Und das Ende wird sein durch eine überströmende Flut, und bis ans Ende Krieg, Festbeschlossenes von Verwüstungen.“

Wir werden dann mit der äußersten Schnelligkeit bis zurzeit des Endes geführt, wo die letzte der sieben zig Wochen, die an den vierhundert und neunzig Jahren noch fehlenden sieben Jahre, ihre Erfüllung finden werden. „Und er wird den vielen einen Bund befestigen eine Woche; und in der Hälfte der Woche wird er aufhören lassen das Schlachtopfer und das Speisopfer, und wegen des Schutzes der Gräuel wird ein Verwüster sein, und bis zur festbeschlossenen Gerichts Vollendung über die Verwüstete ausgegossen werden.“

Hier haben wir nun das Ende der 490 Jahre erreicht, welche über das Volk Daniels beschlossen und verhängt wurden. Ein Versuch, diesen Zeitraum erklären zu wollen, ohne jene Zwischenzeit in Betracht zu ziehen, würde nur eine Verwirrung des Geistes zur Folge haben. Es ist dieses eine totale Unmöglichkeit. Unzählige Theorien sind aufgetaucht, endlose Berechnungen und Spekulationen versucht worden; aber alles war vergebens. Die vierhundert und neunzig Jahre sind noch nicht vollendet: und sie werden auch nicht ihre Erfüllung finden, bevor die Versammlung diesen Schauplatz ganz verlassen haben wird und mit ihrem Herrn in ihre herrliche, himmlische Heimat eingegangen ist. In Offenbarung 4–5 finden wir den Platz, den die himmlischen Heiligen während der letzten der siebzig Wochen Daniels einnehmen werden, während wir von Kapitel 6 bis zu Kapitel 19 die verschiedenen Handlungen Gottes in seiner Regierung haben, wo Er Israel und die Erde zubereitet, um seinen Erstgeborenen in die Welt einzuführen. 2

Wir legen ein großes Gewicht darauf, diese Sache dem Leser klar zu machen. Sie hat uns selbst zum Verständnis der Prophezeiungen verholfen und manche Schwierigkeit beseitigt. Wir sind völlig überzeugt, dass niemand das Buch Daniels, oder überhaupt den allgemeinen Zweck der Prophezeiung verstehen kann, welcher nicht sieht, dass die letzte der siebzig Wochen noch erfüllt zu werden übrigbleibt. Nicht ein Jota, nicht ein Buchstabe des Wortes Gottes kann vergehen; und wenn wir finden, dass Er erklärt hat, dass „siebzig Wochen über das Volk Daniels bestimmt sind“, und dass Israel am Schluss dieser Periode wieder in die Segnung eingeführt sein wird, so ist es klar, dass diese Periode noch nicht abgelaufen ist. Wenn wir aber jene Unterbrechung in der Geschichte Israels, als die Folge der Verwerfung des Messias, nicht sehen, so können wir uns die Erfüllung der siebzig Wochen Daniels oder der vierhundert und neunzig Jahre nicht erklären.

Eine andere wichtige Tatsache, welche der Leser im Auge behalten muss, ist, dass die Versammlung keinen Teil der Wege Gottes in Bezug auf Israel und die Erde bildet. Die Versammlung gehört nicht der Zeit, sondern der Ewigkeit an. Sie ist nicht irdisch, sondern himmlisch. Sie ist ins Leben gerufen während jener Zwischenzeit, jener Unterbrechung der Wege Gottes mit Israel, als die Folge der Verwerfung des Messias. Wenn Israel – um nach Menschenweise zu redenden Messias aufgenommen hätte, dann würden die siebzig Wochen oder vierhundert und neunzig Jahre erfüllt gewesen sein. Aber Israel hat seinen König verworfen, und Gott hat sich zurückgezogen, bis das Volk seine Ungerechtigkeit anerkannt hat. Er hat seine öffentlichen Handlungen in Betreff Israels und der Erde unterbrochen, wiewohl Er alle Dinge durch seine Vorsehung beherrscht und stets auf den um der Väter willen geliebten Samen Abrahams sein Auge gerichtet hat.

Inzwischen beruft Er aus Juden und Heiden jenen Leib, die Versammlung, um die Gefährtin seines Sohnes in himmlischer Herrlichkeit zu sein, – hienieden mit Ihm eins in seiner gegenwärtigen Verwerfung von Seiten dieser Erde und in heiliger Erwartung seiner glorreichen Ankunft.

Dieses alles bezeichnet die Stellung des Christen in der bestimmtesten Weise. Auch sind sein Teil und seine Aussichten in derselben Klarheit festgestellt. Es ist nutzlos, die prophetischen Schriften zu erforschen, um die Stellung, die Berufung und die Hoffnung der Versammlung darin zu finden. Hier haben wir dergleichen nicht zu suchen. Es ist für den Christen durchaus nicht am Platz, sich mit Zeitangaben und historischen Begebenheiten in der Absicht zu befassen, als ob seine Geschichte darin miteingeschlossen wäre. Sicher haben alle diese Dinge, als verbunden mit den Wegen Gottes in Betreff Israels und der Erde, ihren besonderen Platz, ihren Wert und ihr Interesse. Aber der Gläubige darf nimmer die Tatsache aus den Augen verlieren, dass er dem Himmel angehört, dass er unzertrennlich mit einem von der Erde verworfenen, in den Himmel aufgenommenen Christus verbunden, dass sein Leben mit Christus in Gott verborgen, und dass es sein heiliges Vorrecht ist, täglich, ja stündlich die Ankunft seines Herrn zu erwarten. Es gibt nichts, was die Verwirklichung dieser Hoffnung auch nur einen Augenblick verhindern könnte. Nur die Langmut unseres Herrn, der „nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“, ist die Ursache seines Verzugs. Köstliche Worte für eine schuldige und verlorene Welt! Die Errettung ist bereit, um offenbart zu werden; und Gott ist bereit, zu richten. Wir haben nur noch auf die Sammlung des letzten der Auserwählten dann zu warten, und – o gesegneter Gedanke! – wird unser teurer und geliebter Heiland kommen, um uns zu sich zu nehmen, damit wir für immer da seien, wo Er ist.

Dann aber, wenn die Versammlung mit ihrem Haupt in ihre himmlische Heimat hingegangen ist, wird Gott den abgebrochenen Geschichtsfaden wieder anknüpfen und sein öffentliches Handeln mit Israel wiederaufnehmen. Israel wird, wie wir bereits angedeutet haben, während der letzten Woche in große Drangsal geführt werden. Am Ende dieser Periode beispielloser Angst und Not wird aber ihr solange verworfener Messias zu ihrer Hilfe und Befreiung erscheinen. Er wird auf den Schauplatz treten, sitzend auf weißem Pferd und in Begleitung seiner himmlischen Heiligen; Er wird schreckliche Rache nehmen an seinen Feinden und sein Reich mit großer Macht in Besitz nehmen. Die Reiche der Welt werden dann die Reiche unseres Herrn und seines Christus sein; Satan wird tausend Jahre hindurch gebunden sein, und die ganze Schöpfung wird ausruhen unter der gesegneten und milden Herrschaft des Friedefürsten.

Am Ende der tausend Jahre aber wird Satan wieder losgelassen werden: und es wird ihm gestattet sein, noch eine verzweifelte Anstrengung zu machen – eine Anstrengung, die mit ewiger Vernichtung und mit der Überlieferung in den Feuersee endet, um mit dem Tier und mit dem falschen Propheten gepeinigt zu werden Tag und Nacht in die Zeitalter der Zeitalter.

Dann folgt die Auferweckung und das Gericht der gottlosen Toten und ihre Verwerfung in den Feuersee, der mit Schwefel brennt. Schrecklicher Gedanke! Ach! Die Qual des Feuersees – kein Herz vermag sie zu ergründen, keine Zunge vermag sie auszudrücken.

Doch nur einen kurzen Moment lasst uns der Heilige Seher in Offenbarung 18 bei diesem dunklen und schrecklichen Bilde verweilen. Im nächsten Augenblick führt er die unaussprechlichen Herrlichkeiten des neuen Himmels und der neuen Erde vor unsere Seele. Die heilige Stadt, das neue Jerusalem, herniederkommend aus dem Himmel von Gott, tritt vor unser Auge, und wir vernehmen die himmlischen Tone: „Siehe die Hütte Gottes bei den Menschen! Und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott, und Er wird jegliche Träne abwischen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Pein wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“

O geliebter christlicher Leser, welche Szenen sind hier vor uns. Welch erhabene Wirklichkeiten! Welch glänzende Herrlichkeiten! Möchten wir doch in dem Licht und der Macht derselben leben! Möchten wir uns der herrlichen Hoffnung stets erfreuen, Ihn zu sehen, der uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben hat – der diese Herrlichkeit nicht allein für sich genießen wollte, sondern der den Zorn Gottes trug, damit Er uns mit sich vereinigen und all seine Liebe, seine ganze Herrlichkeit auf ewig mit uns teilen konnte! O möchten wir doch für Christus leben und seiner Erscheinung mit Sehnsucht entgegen harren!

Fußnoten

  • 1 Es ist keineswegs unsere Absicht, die Anwendung der „Talente“ aus die besonderen geistlichen Gaben zu beschränken. Wir glauben vielmehr, dass dieses Gleichnis alles umfasst, was den Dienst des Christen anbetrifft, gerade wie das Gleichnis von den „zehn Jungfrauen“ alles in sich schließt, was auf das christliche Bekenntnis Bezug hat.
  • 2 Wir wissen wohl, dass es unter den Auslegern der Offenbarung noch eine offene Frage ist, ob die einzelnen Ereignisse in Offenbarung 6 bis 16 eine ganze oder nur eine halbe Woche einnehmen werden. Wir wollen es nicht versuchen, hier eine Anficht auszudrücken. Etliche sind der Meinung, dass das öffentliche Auftreten Johannes des Täufers, sowie dasjenige unseres Herrn eine Woche oder sieben Jahre ausgefüllt habe, und dass in Folge der Verwerfung beider durch Israel diese Woche als aufgehoben zu betrachten sei und darum noch erfüllt werden müsse. Es ist dieses eine Frage von großem Interesse: aber sie entkräftet in keiner Weise die großen Grundsätze, welche uns hier dargestellt sind, oder die Auslegung des Buches der Offenbarung. Wir fügen nur noch hinzu, dass die Ausdrücke: „Zwei und vierzig Monate“ – „zwölfhundert und sechzig Tage“ – „Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit“ – den Zeitraum von einer halben Woche oder von drei und einem halben Jahre bezeichnen.
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