Botschafter des Heils in Christo 1876

Gedanken, gesammelt aus Vorträgen von George Vicesimus Wigram - Teil 17/18

Beim Rückblick auf begangene Fehler wirst du in vielen Fällen die Quelle darin finden, dass du deine Wege nach den Umständen einzurichten trachtetest und den Glauben den Umständen unterordnetest, was nimmer zu etwas Gutem führen kann. Wenn wir in der Gegenwart des Herrn wandeln, so werden wir sein Licht haben und werden nach seinem Wohlgefallen geleitet werden. Es ist unaussprechlich köstlich zu wissen, dass wir im Himmel, hoch erhoben, einen Menschen, den Herrn Jesus Christus, haben, der stets mit den Seinen beschäftigt ist und ihnen immer aushilft. Oder nimmt Er etwa weniger Anteil an uns, wie an Stephanus?

In dem glänzenden Licht der Verklärung war Jesus und nicht die Herrlichkeit der Hauptgegenstand, der den Jüngern dargestellt wurde. Der, welcher auf dem Berg umgestaltet wurde, war eine göttliche Person und Zugleich ein Mensch, der schöner war, denn alle Menschensöhne, ausgezeichnet vor Zehntausenden. Für einen Augenblick hat Er sich auf Erden mit Herrlichkeit bekleidet und dann seinen Jüngern einen Blick in die Herrlichkeit seines Reiches gestattet. Doch was war die Herrlichkeit des Reiches im Vergleich mit der Herrlichkeit seiner Person?

Zwei Dinge sind bei den Gläubigen enge miteinander verbunden! Das neue Leben und das irdene Gefäß, das dieses Leben enthält. Daher kommen Schwachheiten von innen, und Schwierigkeiten von außen. Die Erfahrung des Paulus zeigt uns beides (2. Kor 12,7). Der Herr wusste, welchen Schaden das irdene Gefäß dem darin enthaltenen Schatz des ewigen Lebens zufügen könne; denn das Fleisch ist schwach: das Böse ist vorhanden: und um diesem Schaden vorzubeugen, gab Er, zum Besten seines Dieners, demselben einen Dorn für das Fleisch. Paulus sollte durch dieses Mittel vor Überhebung bewahrt werden. Wie konnte er, ein von Christus aufgelesenes Stück Ton, ein Diener des Herrn werden? Wie konnte er wissen, was er tun sollte? Nur dadurch, dass er Gehorsam lernte; und dazu sollte er in der Hand des Herrn gebildet werden, wie der Ton in der Hand des Töpfers. Erst dann konnte er unter der Leitung seines Herrn wandeln und ein Werkzeug in seinen Händen werden. Erst nachdem er völlige Abhängigkeit gelernt und des Herrn Sinn erkannt hatte, konnte er Ihm dienen und seinen Fußstapfen nachfolgen. Der Herr hatte hienieden seinem Vater gedient und hatte nie einen anderen Willen gekannt. Aber Paulus hatte einen eigenen Willen. Der für sein Fleisch gegebene Dorn, der ihn innerlich und äußerlich berührte, musste dazu dienen, ihn seine stete Schwachheit und Abhängigkeit fühlen zu lassen.

Es liegt etwas ungemein Schönes in dem Gedanken, dass Christus zuerst das Leben in ein irdenes Gefäß legt und dann für dieses Leben Sorge trägt. Es ist, als ob Er sagte: „Ihr selbst seid nicht fähig, dieses Leben zu bewahren und richtig zu behandeln: darum muss ich Sorge für dasselbe tragen.“ Man kann nicht einen Tag in der Kraft dieses neuen Lebens wandeln, ohne unsere Abhängigkeit von Christus zu fühlen, welcher diesem Gefäß das Leben mitgeteilt hat, und welcher die Kraft darreicht, um das Leben nach außen offenbaren zu können. „Meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.“ Wir offenbaren das Leben nur in dem Maß, als Christus es leitet: und wir entdecken es in uns, weil es unsere Gedanken und Gefühle auf Ihn richtet, der es uns gegeben hat.

Wir alle lieben die Wüste nicht. Überall finden wir Schwierigkeiten und Gefahren, überall sengende Sonnenhitze und tiefen Sand; das Herz will oft ermatten. Aber vergessen wir nicht, dass wir es mit einem Gott zu tun haben, der die Toten auferweckt, und der uns nur hienieden zurückfasst, um uns zur Erkenntnis unseres eigenen Ichs Gelegenheit zu geben. Richten wir unsere Blicke nicht nach der natürlichen Seite hin, wo Dornen und Steine unseren Fuß verletzen, sondern lasst uns nach jener Seite schauen, wo Gott ist, der während der Reise durch die Wüste das Herz des Pilgers mit Frieden und Glückseligkeit erfüllt. Es ist der wohlgefällige Wille des Herrn, dass wir nicht einen einzigen Tag vergeben, ohne sagen zu können: „Ich weiß, dass die Kraft Christi in meiner Schwachheit vollbracht wird.“

Der Braut geziemt es, sich nach dem Kommen dessen zu sehnen, der ihre Liebe besitzt; und der Heilige Geist ist es, der diese Liebe, diese Sehnsucht hervorruft. „Der Geist und die Braut sprechen: Komm!“ Vielleicht hat sie auf ihrem Weg durch diese dunkle Nacht, in welcher diese Welt liegt, schmerzliche Augenblicke durchzumachen: aber nicht um das Ende ihrer Mühsal zusehen, harrt sie dem Kommen Jesu entgegen: nein, sie sehnt sich danach um seiner selbst willen. Sind eure Gedanken im Einklang mit diesem Verlangen der Braut? Stimmt ihr ein in den Ruf: „Komm, Herr Jesu?“

Die Herzen der Jünger waren mit Jesu verbunden, während Er auf Erden war; und diese Herzen folgten Ihm in den Himmel, als Er emporfuhr. Seit diesem Augenblick ist das Auge der Heiligen nach oben gerichtet, von woher sie Ihn erwarten. Jesus ist der glänzende Morgenstern, der in ihrem Herzen aufgegangen ist. Inmitten der Nacht dieser Welt haben sie den ersten Schimmer seines Kommens entdeckt.

Das Kind Gottes hat in seiner Seele dieselben Neigungen, wie Christus; und diese Neigungen offenbaren sich, wenn wir entweder mit Christus im Himmel beschäftigt sind, oder wenn wir uns auf Erden mit demjenigen beschäftigen, womit sich Christus beschäftigt.

Wenn das Licht der Wiederkunft des Herrn in die Seele dringt, dann erwacht eine Menge Bedürfnisse und Pflichten. Man macht sich bereit, Ihm zu begegnen; aber man denkt auch an solche, welche nicht bereit sind. Wenn ihr wüsstet, dass der Herr morgen käme, würdet ihr dann nicht tätig sein, die Dürstenden zu jener Quelle zu führen, die in das ewige Leben quillt? Sicher, ihr würdet einstimmen in den Ruf: „Wer da dürstet, komme!“ Es kann Augenblicke geben, in welchen diese Hoffnung, ohne von ihrem Wert etwas einzubüßen, in der Seele nicht in so mächtiger Weise empfunden wird. Bei dem Herrn aber ist keine Veränderung; Er wird seine Verheißung, bald zu kommen, sicher erfüllen. Er hat gesagt: „Ich komme bald!“ Die Aussicht auf sein Kommen, als auf etwas nahe Bevorstehendes, erfüllt die Seele mit Kraft.

Als Christus in den Himmel einging, wurde uns der Zugang in denselben durch den zerrissenen Vorhang seines Fleisches geöffnet; und der Thron, auf welchem Er sitzt, ist ein Gnadenthron, welchem wir mit Freimütigkeit nahen können. Das Blut Christi ist dort vor den Augen Gottes.

Aus den Zeugnissen vieler Stellen des Neuen Testaments ersehen wir, dass die Seele des Apostels Paulus in dem Genuss großer Freude war – eine Folge seiner Gemeinschaft mit dem Herrn und seines Glaubens, der stets alles von dem Standpunkt Gottes aus betrachtete. Welch einen himmlischen Einfluss übte er auf andere aus! O glücklich die Seelen, die Ihm gleichen! Keine Wolke vermag vor ihren Blicken Christus zu verhüllen. Wer könnte aber auch das Angesicht des Herrn Jesus anschauen, ohne in der Seele eine Wirkung davon zu verspüren! „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Kor 3,18). „Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt ist“ (2. Kor 5,15). Welch eine Stellung wird uns dadurch angewiesen! Wir sind nicht nur aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen worden, sondern wir haben auch das ewige Leben empfangen und sind in Gemeinschaft mit den Gedanken Christi gebracht. Paulus war sich dessen bewusst; und er war beflissen, ein Zeugnis davon abzulegen, wie Christus hienieden die Offenbarung der Liebe des Vaters war. Leider denken wir nicht genug an das, was wir in Christus besitzen, in Ihm, welcher jede Spur der Sünde ausgetilgt hat, und der uns bald in das Haus des Vaters einführen wird. Und diese überschwängliche Gnade ist eine Wirklichkeit.

Die Macht, welche Christus auf die Seele ausübt, ist wunderbar. Paulus fand in Christus den Mittelpunkt seines ganzen Wirkens. Trotz seiner Bande war es überall, wo er sich befand, sein einziger Gedanke, den Herrn zu verherrlichen. Die Liebe Christi erfüllte seine Seele. Er hatte die Unerschütterlichkeit dieser Liebe am Tag der Gefahr erfahren, und es war eine Freude für ihn, um Christi willen sich selbst zu vergessen (2. Tim 41,7; Phil 1,12–15).

Welch ein köstlicher Gedanke, zu wissen, dass alles, was ich habe, in Christus ist! Der Vater ist es, der mir alles geschenkt und es den Händen Christi anvertraut hat; und der Heilige Geist, den Er gesandt, versiegelt es in meinem Herzen.

Wie auch der Schein sein mag, so wird doch jedes Werk nur dann bestehen, wenn es die Verherrlichung Christi zum Zweck hat und das Leben Christi sich darin offenbart. Die Umstände mögen verschieden sein; aber die Grundlage des Werkes muss gleich sein. Der eine Christ mag krank sein und auf einem Schmerzenslager sich befinden; der andere mag von Ort zu Ort reisen, um die Botschaft des Heils zu verkündigen: der dritte mag um des Evangeliums willen in Ketten und Banden liegen, – doch ein jeder von ihnen befindet sich gerade dort, wo Christus am besten sein Leben in ihm entfalten kann (Schluss folgt).

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