Botschafter des Heils in Christo 1867

Glaube und Demut

Die Geschichte des Hauptmannes zu Kapernaum zeigt uns nicht nur eine Handlung der Gnade im Allgemeinen, sondern eine Handlung der Gnade, die einem Heiden zu Teil wird. Doch ist dieses nicht alles. Wir finden hier auch eine sehr verständliche Erklärung jenes Grundsatzes, den uns der Apostel durch die Worte bezeichnet: „Deshalb ist es aus Glauben, auf dass es nach der Gnade sei, dass die Verheißung dem ganzen Samen fest sei“ (Röm 4,15). Hier ist der Glaube, als der einzige große Wendepunkt, eingeführt. Es ist keine bloße Lehre; es ist der lebendige Glaube, und zwar ein solcher Glaube, wie derselbe in Israel noch nicht gesehen worden war.

Der heidnische Mann zeigt in seinem Verhalten nicht eine Spur von jener Vermessenheit, die dem Stolz des menschlichen Herzens entspringt; im Gegenteil stellt sein ganzes Wesen die tiefste Demut seines Herzens ins Licht. Er erkennt die Vorrechte an, die Gott seinem Volk geschenkt hat; er erblickt auf den Stirnen der Kinder Israel das sie ehrende Zeichen Gottes und lasst sich selbst durch ihren niedrigen, tiefgesunkenen und in jeder Beziehung unwürdigen Zustand nicht irremachen. Wie verachtet und verworfen sie auch sein mochten, so liebte er sie dennoch als das Volk Gottes; und um seinetwillen erbaute er ihnen ihre Synagoge. Seine Demut war ungeheuchelt, wiewohl sein Glaube ihn weit über die stellte, welche er ehrte. Er hatte eine weit höhere Vorstellung von der göttlichen Macht und Herrlichkeit der Person Jesu, als alle Juden zusammen. Er wandte sich nicht an den Herrn als den Messias, sondern erkannte in Ihm die Macht Gottes in Liebe. Das war jener gesegnete Glaube, der in der Erhöhung seines Gegenstandes sich selbst vergisst. Er hatte, wie es scheint, Jesus nicht gesehen; aber er hatte aus dem, was „er hörte“, den Schluss gezogen, dass Krankheiten für Ihn nur eine Gelegenheit seien, um seine unumschränkte Autorität und seine grenzenlose Barmherzigkeit an den Tag legen zu können. Er war ein Fremdling, während die Kinder Israel das Volk Gottes bildeten, – mussten nicht sie die passendsten Boten sein, um diese wunderbare Person in sein Haus zu bringen? Denn er setzte sowohl in seine Macht, als auch in seine Barmherzigkeit das vollste Vertrauen; und sein Knecht, „der ihm wert war, war krank und lag im Sterben.“

„Und Jesus ging mit ihnen. Als Er nun aber nicht ferne von dem Haus war, sandte der Hauptmann Freunde zu Ihm und sagte zu Ihm: Herr, bemühe dich nicht; denn ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach kommst! Deshalb habe ich mich selbst auch nicht würdig geachtet, zu dir zu kommen; aber sprich ein Wort und mein Knecht wird gesundwerden“ (V 6–7). das war in der Tat ein Ausdruck der tiefsten Hochachtung und Ehrerbietung. Wie unwissend er auch in anderen, den Ratschluss Gottes betreffenden Dingen sein mochte, so fühlte er doch mit voller Stärke die Vortrefflichkeit der Person Christi, und zwar verbunden mit einer Demut, die mit dem Maß, in welcher seine Herrlichkeit gesehen wurde, in Übereinstimmung war. Diese Botschaft der Freunde des Hauptmannes schildert uns in einer bewundernswürdigen Weise seinen Charakter und seine Gefühle. Er selbst sagte Jesu nichts von seinem Dienst, den er den Juden geleistet hatte, er sprach nichts über seine eigene Person, als dass er unwürdig sei; und dieses Letztere sagte er mit einer bewundernswürdigen Bestimmtheit, so dass er sogar Jesus bat, nicht in sein Haus zu kommen, weil er zu unwürdig sei, Ihn empfangen zu können. In dieser Seele findet man gerade das Gegenteil von dem, was man leider so oft in anderen Seelen gewahrt, die, weil sie an Christus glauben. Ihm eine Ehre anzutun meinen; er war offenbar weit von der Anmaßung entfernt, Christus in seinem Herzen aufzunehmen, um sich dadurch zu erheben. Die Einfalt seines Herzens tritt hier ebenso hell an den Tag, als sein starker Glaube. In Israel wurde ein solcher Glaube nicht gefunden; und dennoch war derselbe in jemandem, welcher Israel liebte. In der Tat, wir finden hier in jeder Beziehung, sowohl für die Menge, welche Jesus folgte, als auch vor allem für uns eine höchst lehrreiche Unterweisung der Gnade.

Wenn wir unsere Betrachtung weiterverfolgen, so finden wir, und zwar in Verbindung mit der den Heiden erwiesenen Gnade, den Beweis der Macht, Tote ins Leben zu rufen – ein Zeugnis, dass Gott sein Volk besucht hat (V 11–17). Es war die Macht der Auferstehung, eine Macht, die sich einmal in voller Glorie entfalten wird und die den Menschen in Verbindung mit dem Gott bringt, welcher Tote auferweckt. Es war ein höchst wunderbares Beispiel des Charakters seiner Wirksamkeit, indem Er umherging, außerhalb der Sphäre des Gesetzes und der Satzungen. „Denn das Gesetz herrscht über den Menschen, solange er lebt“ (Röm 7,1). Was nützt das Gesetz einem Menschen, der gestorben ist? Aber „das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem Er seinen eigenen Sohn in der Gleichheit des Fleisches der Sünde und (als Opfer) für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte, auf dass das Recht des Gesetzes erfüllt würde in uns“ (Röm 8,3–4). Es war in der Tat Gnade und göttliche Energie, aber Zugleich entfaltet in Ihm, der Mitleiden mit unseren Schwachheiten hatte. Und in welcher Klarheit wird uns dieses in seinen Einzelheiten gezeigt! „Der Tote war der einzige Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe. ... Und als der Herr sie sah, ward Er innerlich bewegt über sie und sprach zu ihr: Weine nicht! ... Und der Tote setzte sich auf und fing an zu reden; und Er gab ihn seiner Mutter“ (V 12–15). Welch eine göttliche Macht und Gabe!

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