Botschafter des Heils in Christo 1867

Gedanken über den Gottesdienst und das Amt des Heiligen Geistes

1 1. Die Gegenwart Gottes in der Versammlung

Die Lehre von der Innewohnung des Heiligen Geistes in den „Leib“, der Kirche, sowie von seiner Gegenwart und Obergewalt in den Versammlungen der Heiligen erschien mir bereits seit vielen Jahren, wenn auch nicht als die erhabene Wahrheit der Ausgießung selbst, so doch als eine der wichtigsten Wahrheiten, welche die Tatsache der Ausgießung kennzeichnen. Eine Verneinung dieser Wahrheit bildet einen der bedeutendsten Züge des in unseren Tagen sich kundgebenden Abfalls. Dieses Gefühl hat sich bei mir keineswegs vermindert, sondern steigert sich vielmehr in dem Maß, als die Zeit voranschreitet. Obwohl ich völlig anerkenne, dass unter allen Parteien und Benennungen vielgeliebte Kinder Gottes zu finden sind, und obwohl ich mein Herz gegen jedes derselben offen zu halten wünsche, so muss ich doch freimütig bekennen, dass mir eine Gemeinschaft mit irgendeiner aus bekennenden Christen bestehenden Körperschaft, welche anstatt der obersten Leitung des Heiligen Geistes die eine oder die anders kirchliche Form unterschiebt, ebenso unmöglich sein würde, wie wenn ich als geborener Israelit an der Aufrichtung eines goldenen Kalbes an die Stelle des lebendigen Gottes hätte Teil nehmen sollen. Wie tief aber ist in dieser Beziehung die Christenheit gesunken! Und da wegen dieser Sünde und vieler anderen Gräuel das Gericht über dieselbe verhängt ist, so vermögen wir unseren Dank nur mit Trauer und mit dem demütigenden Bewusstsein zu opfern, dass auch wir Anteil an dieser Sünde hatten, und dass wir in Christus einen Leib mit einer großen Zahl von Christen bilden, welche bis heute noch in diesem Zustand verharren und sich sogar dessen rühmen. Wie groß aber auch die Schwierigkeiten sein mochten, welche eine Trennung von diesem Übel begleiten, und denen wir alle mehr oder weniger begegnet sind, so haben sie doch weder meine Überzeugung bezüglich dieses Nebels, von welchem mich Gott in seiner Gnade hat ausgehen lassen, zu erschüttern vermocht, noch das Verlangen in mir wachgerufen, zu jener Art von menschlicher und amtlicher Autorität zurückzukehren, welche sich gewisse Personen anmaßen und dadurch der bekennenden Welt jenes Kennzeichen aufdrücken, wodurch das bald über sie hereinbrechende Gericht beschleunigt wird.

Aber, geliebte Brüder, da unsere Überzeugung von der Wahrheit und Wichtigkeit der Lehre von der Gegenwart des Heiligen Geistes nicht zu fest sein kann, so erlaubt mir. Euch zu erinnern, dass diese Gegenwart des Heiligen Geistes in den Versammlungen der Heiligen eine Tatsache ist. Wir bedürfen hierzu eines einfältigen Glaubens. Wir sind sehr geneigt, es zu vergessen; und dieses Vergessen oder das Nichterkennen dieser Wahrheit ist die Haupt Ursache, dass wir uns versammeln, ohne für unsere Seelen Nutzen daraus zu schöpfen. Würden wir uns versammeln, um in der Gegenwart Gottes zu sein, und lebte, während wir versammelt sind, das Bewusstsein in uns, dass Gott wirklich gegenwärtig ist, welch eine gesegnete Wirkung würde diese Überzeugung auf unsere Seelen ausüben! Ist es doch eine unleugbare Tatsache, dass, sowie wirklich einst Christus bei seinen Jüngern auf der Erde war, ebenso wirklich jetzt der Heilige Geist in den Versammlungen der Heiligen gegenwärtig ist. Wenn seine Gegenwart in irgendeiner Weise durch unsere Sinne wahrgenommen werden könnte, wenn unser Auge Ihn zu schauen vermöchte, wie die Jünger einst Jesus sahen – welch ernste Gefühle würden uns erfüllen und unsere Herzen beherrschen! Gewiss eine feierliche Stille, eine ehrfurchtbezeugende Aufmerksamkeit, ein volles Vertrauen zu Ihm – kurz alles, was dem Glied einer solchen Versammlung geziemt, würde die unausbleibliche Folge sein. Wie könnte dann, wenn also die Gegenwart des Heiligen Geistes unseren äußeren Sinnen enthüllt wäre, irgendeine Voreiligkeit, wie könnten Gefühle des Neides oder der Aufregung sich kundgeben! – Aber sollte die Wirklichkeit seiner Gegenwart weniger Einfluss auf uns ausüben, weil ihre Wahrnehmung eine Sache des Glaubens und nicht des Schaums ist? Ist Er, weil unsichtbar weniger wirklich gegenwärtig? Die arme Welt ist es, –welche Ihn nicht empfängt, weil sie Ihn nicht sieht; – aber wollen wir den Platz der Welt einnehmen und den unsrigen aufgeben? Der Herr Jesus sagt: „Ich werde den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass Er bei euch bleibe in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht kann empfangen, weil sie Ihn nicht sieht, noch Ihn kennt. Ihr aber kennt Ihn; denn Er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (Joh 14,16–17).

„Ihr aber kennt Ihn!“ Wie sehr wäre es zu wünschen, dass dieses in der Tat der Fall sei! Ich gewinne mehr und mehr die Überzeugung, dass das große etwas, welches uns mangelt, nichts anders ist, als der Glaube an seine persönliche Gegenwart. Haben wir nicht alle schon Zeiten verlebt, wo seine Gegenwart in unserer Mitte als eine Tatsache verwirklicht war? Und wie gesegnet waren solche Momente! Wohl möglich, dass in Zwischenräumen kein begabter Bruder den Mund öffnete; aber wie wurden solche Augenblicke angewandt? Man harrte feierlich auf Gott. Da zeigte sich nirgends eine unruhige Bewegung, um zu erfahren, welcher Bruder beten oder reden würde, da vernahm das Ohr kein geräuschvolles Blättern in den Bibeln oder Liederbüchern, um zum Lesen oder Singen etwas Passendes zu finden, da regten sich im Herzen keine ängstlichen Gedanken in Betreff dessen, was die Anwesenden von einem solchen Schweigen denken möchten. Gott war da. Jedes Herz war mit Ihm beschäftigt. Und hätte in einem solchen Augenblicke jemand den Mund geöffnet, nur um das Schweigen zu brechen, so würde man es sicher als eine wirkliche Störung bezeichnet haben. Und wie gehoben fühlten sich unsere Seelen, wenn endlich durch ein Gebet, welches den Wünschen und Gefühlen aller Anwesenden einen Ausdruck verlieh, oder durch ein Lied, in welches ein jeder mit ganzer Seele einstimmen konnte, oder durch ein Wort, welches sich mit Macht an unsere Herzen wandte, die Stille unterbrochen wurde! Und obwohl beim Vorschlagen der Lieder, beim Beten und Reden verschiedene Personen tätig gewesen waren, so war es doch augenscheinlich „ein und derselbe Geist“, welcher sie in diesem Dienst so geleitet hatte, als habe man sich darüber vorher verständigt und jedem Einzelnen seinen Platz angewiesen. Menschliche Weisheit würde einen solchen Plan nimmer zur Ausführung gebracht haben. Die Harmonie war eine göttliche. Es war der Heilige Geist, welcher durch die verschiedenen Glieder tätig war, um die Anbetung auszudrücken, oder um den Bedürfnissen aller Anwesenden zu genügen.

Und warum sollte es nicht immer also sein? Ich wiederhole es, geliebte Brüder: die Gegenwart des Heiligen Geistes ist eine Tatsache, und nicht eine bloße Lehre. Und sicher, wenn Er bei unseren Zusammenkünften in unserer Mitte gegenwärtig ist, so gibt es keine Tatsache von größerer Bedeutung, als eben diese. Es ist eine Tatsache, welche alles andere ausschließt und welche alles Übrige in der Versammlung charakterisieren sollte, Hier handelt es sich nicht nur um eine Verneinung. Die Gegenwart des Heiligen Geistes bezeichnet nicht nur, dass die Versammlung nicht nach einer menschlichen, zum Voraus bestimmten Ordnung geleitet werden darf, sondern richtet auch an uns die Mahnung, dass, wenn der Heilige Geist gegenwärtig ist, Er auch die Versammlung leiten muss. Seine Gegenwart will auch nicht sagen, dass ein jeder nach Belieben einen Dienst in der Versammlung einnehmen kann. Nein, gerade das Gegenteil. Freilich darf keine menschliche Beschränkung stattfinden; aber wenn der Geist Gottes gegenwärtig ist, so darf niemand in dem Gottesdienst einen Platz einnehmen, der ihm nicht von Gott angewiesen ist und für welchen Er ihn nicht befähigt hat. Die Freiheit des Dienstes besteht darin, dass der Heilige Geist frei wirken kann, durch welchen Er will. Aber wir sind nicht der Heilige Geist; und wenn die widerrechtliche Besitznahme seines Platzes durch eine einzelne Person ein unerträgliches Ding ist, was soll man dann zu einer solchen Anmaßung seitens einer bestimmten Anzahl von Personen sagen, welche handeln, weil sie die Freiheit dazu zu haben meinen, und nicht, weil sie wissen, dass sie sich dem Willen des Heiligen Geistes zu unterwerfen haben. Ein wirklicher Glaube an die Gegenwart des Heiligen Geistes würde alle diese Dings in Ordnung bringen. Man soll nicht zu schweigen wünschen oder sich des Wirkens aus dem Grund enthalten, weil dieser oder jener Bruder gegenwärtig ist. Lieber würde ich sehen, dass Unordnungen aller Art zum Vorschein kämen, damit sich der wahre. Zustand der Dinge ans Licht stellte, als dass dieser Zustand verborgen bliebe wegen der Anwesenheit irgendeiner Person. Es wäre zu wünschen, dass die Gegenwart des Heiligen Geistes auf eine solche Weise verwirklicht würde, dass niemand zum Reden den Mund öffnete, es sei denn durch die Macht und unter der Leitung des Heiligen Geistes, und dass das Gefühl seiner Gegenwart uns also von allem fernhalten möchte, was seiner und des Namens Jesu, welcher uns versammelt, unwürdig ist.

In einer Stelle des Alten Testaments lesen wir die Ermahnung: „Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Haus Gottes gehst, und komm lieber, dass du hörst, denn dass du bringt der Narren Opfer; denn sie wissen nicht, was sie Böses tun. Sei nicht schnell mit deinem Mund, und lass dein Herz nicht eilen, etwas zu reden vor Gott; denn Gott ist im Himmel und du auf Erden; darum lass deiner Worte wenig sein (Pred 5,1–2). Wenn die Gnade, in welche wir stehen, uns einen freien Zugang zu Gott gegeben hat, so dürfen wir sicher diese Freiheit nicht durch voreiliges, unehrerbietiges Reden missbrauchen. Das Bewusstsein, dass der Heilige Geist in unserer Mitte ist, sollte ein wichtigerer Beweggrund zu einer heiligen Scheu und zu einer gottseligen Furcht sein, als der Gedanke, dass Gott im Himmel ist, und wir auf der Erde sind. „Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen haben, so lasst uns die Gnade festhalten, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mit Ehrfurcht und Frömmigkeit“ (Heb 12,28.19). 2. Die Auferbauung der Kirche durch die Gaben

Indem ich den oben angeregten Gegenstand weiterverfolge, wünsche ich, meinen Lesern einen Auszug aus einem Traktat vorzulegen, der vor mehreren Jahren von einem sehr lieben Bruder in der Form eines Zwiegesprächs abgefasst worden ist.

E.: Ich habe vernommen, dass Sie jedem Bruder die Fähigkeit zutrauen, in der Versammlung der Heiligen lehren zu dürfen.

W.: Durch eine solche Behauptung würde ich den Heiligen Geist leugnen. Niemand ist fähig, in der Versammlung der Heiligen lehren zu können, es sei denn, dass Gott ihm zu diesem Zweck besondere Gaben verliehen habe.

E.: Gut; aber Sie glauben doch, dass jeder Bruder, wenn er es kann, das Recht hat, in der Versammlung zu reden.

W.: Nein, sicher nicht. Ich spreche einem jeden, wer es auch sei, dieses Recht ab. Nur Gott der Heilige Geist hat dieses Recht. Ein Mensch mag von Natur sehr begabt sein, reden und sogar gut reden zu können; aber wenn er „dem Nächsten nicht zum Guten, zur Erbauung gefallen“ kann (Röm 15,2), so hat ihn der Heilige Geist nicht zum Reden befähigt. Wenn ein solcher es aber dennoch tut, so vermehrt er Gott, seinen Vater, betrübt den Heiligen Geist, verachtet die Kirche Christi und offenbart nur seinen eigenen Willen.

E.: Welche besondere Ansicht aber haben Sie über diesen Punkt?

W.: Meinen Sie, dass es eine besondere Ansicht von meiner Seite sei, wenn ich glaube, dass, da die Kirche Christus angehört, Er ihr auch Gaben zu ihrer Auferbauung und Leitung verleiht, damit nicht – indem sie etwas hört, welches, wenn auch noch so schön vorgetragen, nutzlos sein würde – ihre Aufmerksamkeit schlecht geleitet und ihre Zeit übel angewandt werden soll?

E.: Gewiss; ich räume dieses ein, und ich wünsche nur, dass man noch mehr nach diesen Gaben Gottes streben und mit größerer Sorgfalt alle anderen Mittel bekämpfen möchte, wie sehr menschliche Beredsamkeit dieselben auch in Kredit zu bringen suchen mag.

W.: Ich behaupte auch, dass der Heilige Geist Gaben austeilt, welchem Er will, und zwar solche Gaben, wie es Ihm gefällt, dass ferner die Heiligen so unter einander verbunden sein sollten, dass die Gaben eines Bruders die Ausübung der Gaben eines anderen nicht hindern, und dass schließlich den kleinsten Gaben die Tür ebenso wohl geöffnet sein sollte, als den größten.

E.: Das versteht sich von selbst.

W.: Nun, das lasst sich nicht so bestimmt sagen; denn weder in der Landeskirche, noch bei anderen Sekten, findet man das, das wir in 1. Korinther 14 lesen, in Ausübung gebracht. Zudem behaupte ich, dass keine Gabe, um in Tätigkeit gesetzt zu werden, der Weihe seitens der Kirche bedarf. Ist sie von Gott, so wird Er sie auch bestätigen, und die Heiligen werden ihren Wert anerkennen.

E.: Erkennen Sie denn ein angeordnetes Amt nicht an?

W.: Wenn Sie damit sagen wollen, dass in jeder Versammlung diejenigen, welche Gaben zur Erbauung von Gott empfangen haben, sich in beschränkter Zahl vorfinden und von den anderen anerkannt werden, so räume ich dieses ein; wenn Sie aber ein ausschließliches Amt im Auge haben, so verneine ich ihre Frage entschieden. Unter einem solchen Amt oder Dienste verstehe ich die Anerkennung bestimmter Personen, welche den Platz von Lehrern so ausschließlich einnehmen, dass die Ausübung der Gaben irgendeines anderen ordnungswidrig erscheinen würde. So würde man es z. B. in der Landeskirche, sowie in den meisten Kapellen anderer Sekten als eine Unordnung bezeichnen, wenn ein Dienst durch zwei oder drei wirklich von dem Heiligen Geist begabte Personen zur Ausführung gebracht würde.

E.: Auf was gründen Sie aber diese Unterscheidung?

W.: Auf Apostelgeschichte 13,1 Ich sehe, dass dort nur fünf Personen waren, die der Heilige Geist als Lehrer anerkannt hatte: Barabas, Simeyn, Lucius, Manahen und Saulus. Ohne Zweifel waren es diese fünf Männer, von denen in allen Versammlungen die Heiligen erwarteten, dass sie reden würden. Es war dieses ein anerkannter aber kein ausschließlicher Dienst; denn als Judas und Silas kamen (Kap 15,32), konnten sie ohne Schwierigkeit unter diesen anerkannten Lehrern ihre Plätze einnehmen und deren Zahl vermehren.

E.: Aber in welcher Beziehung würde dieses stehen zu der Angabe eines Liedes, oder zu einem Gebet oder dein Vorlesen eines Schriftabschnitts?

W.: Dieses sollte, wie alles Übrige, der Leitung des Heiligen Geistes anheimfallen. Es ist nicht genug zu beklagen, wenn jemand aus eigenem Antrieb ein Lied vorschlägt, ein Gebet spricht oder einen Abschnitt aus der heiligen Schrift in einer Versammlung vorliest, ohne durch den Heiligen Geist dazu geleitet zu werden. Wenn jemand in der Versammlung der Heiligen handelt, so bekennt er dadurch, dass er vom Heiligen Geist dazu geleitet und angetrieben sei; und wenn dieses Bekenntnis ein unwahres ist, so begeht er eine sehr vermessene Handlung. Wenn die Heiligen wissen, was die Gemeinschaft ist, so werden sie auch wissen, wie schwierig es ist, die Versammlung durch Gebet und Gesang zu leiten. Sich an Gott zu wenden im Namen der Versammlung, oder derselben ein Lied vorzuschlagen als das Mittel, um vor Gott ihren wahren Zustand auszudrücken, das bedarf sicher der unmittelbarsten Leitung von Seiten Gottes.

Unter einem solchen Gesichtspunkte wurde der bezeichnete Gegenstand von einem Bruder betrachtet, der einer der ersten Arbeiter unter denen war, welche bereits seit beinahe dreißig Jahren bestrebt waren, sich im Namen Jesu zu versammeln. Als Stützpunkt des Hauptgedankens in diesem Traktat – nämlich, dass Gott niemals alle Heiligen dazu bestimmt, an dem öffentlichen Dienste des Wortes Teil zu nehmen, oder die Andacht der Versammlung zu leiten – wünsche ich die Aufmerksamkeit der Leser auf 1. Korinther 12,29–30 zu lenken, wo wir lesen: „Sind alle Apostel? Sind alle Propheten? Sind alle Lehrer? Sind alle Wundertäter? Haben alle Gnadengaben von Heilungen? Reden alle in Sprachen? Legen alle aus?“ – Diese Stellen würden keinen Sinn haben, wenn nicht dadurch klar ans Licht treten sollte, dass solche Dienstleistungen in der Versammlung nur durch Einzelne in Ausübung gebracht werden. Der Apostel hatte vorhergesagt: „Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: aufs erste die Apostel, aufs zweite Propheten, aufs dritte Lehrer, danach Wunderkräfte, dann Gnadengaben von Heilungen usw.“ Und dann fragt er: „Sind alle Apostel? usw.“ Also selbst in dem Teil der heiligen Schrift, welcher bis ins Einzelne die Obergewalt des Heiligen Geistes, betreffs der Austeilung und Ausübung der Gaben in dem Leib – der Kirche – behandelt – in jenem Teil, auf welchen man sich, und zwar mit Recht, beruft, um zu beweisen, dass die Freiheit des Dienstes in der Kirche von Gott selbst eingesetzt ist, gerade in diesem Teil wird uns gesagt, dass nicht alle Brüder von Gott begabt sind, sondern dass Er etliche in der Versammlung dazu bestimmt hat.

Wenden wir uns jetzt zu Epheser 4. Man hat in Betreff der Möglichkeit, nach den in 1. Korinther 12 und 14 angegebenen Grundsätzen handeln zu können, Zweifel erhoben, da etliche der hier aufgezählten Gaben nicht mehr vorhanden sind. Ich hege solche Zweifel nicht, und ich beschränke mich darauf, an die, welche sie haben, die Frage zu richten, ob sich in der heiligen Schrift etwa andere Grundsätze vorfinden, nach denen wir handeln können. Wenn aber solche nicht vorhanden sind – welche Macht gestattet uns dann, nach Grundsätzen zu handeln, die nirgends in der heiligen Schrift zu finden sind. Doch kein Zweifel dieser Art kann bestehen im Blick auf Epheser 4,8–13, wo wir lesen; „Darum sagt Er: Er ist in die Höhe hinaufgestiegen und hat die Gefangenschaft gefangen geführt und hat dem Menschen Gaben gegeben. … Und Er hat die einen gegeben als Apostel, die anderen als Propheten, die anderen als Evangelisten, die anderen als Hirten und Lehrer zur Vollendung der Heiligen für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus.“ – Solange Christus einen Leib auf der Erde hat, der der Dienstleistungen solcher Männer bedarf, reicht Er diesen die Gaben seiner Liebe dar zur Nahrung und Unterhaltung dieses Leibes, seiner Braut, bis „wir alle Ihm entgegen gerückt werden“ usw.

Also durch den Dienst lebender Menschen, die für diesen Dienst oder dieses Amt gegeben und berufen sind, sorgt Christus für seine Herde und ernährt sie; und ebenso wirkt durch diesen Dienst der Heilige Geist in dem durch Ihn bewohnten Leib. Vielleicht treiben etliche dieser Männer ein Gewerbe Paulus (war ein Zeltmacher); vielleicht sind sie sehr weit davon entfernt, irgendwelche Ansprüche auf ein kirchliches Amt oder auf eine offizielle Stellung machen zu können. Aber für Christus sind sie um dessentwillen nicht weniger geeignet, seine Heiligen zu erbauen und ihre Seelen zu nähren; und die wahre Weisheit der Heiligen besteht darin, dass sie die Gaben da, wo Christus sie hingestellt hat, zu unterscheiden und sie an dem Platz anzuerkennen vermögen, den Er denselben an seinem Leib angewiesen hat. Wer sie in dieser Weise anerkennt, der erkennt Christus an. Weisen wir sie ab, so begehen wir ein Unrecht an uns selbst und – wir verunehren Christus.

Erinnern wir uns aber auch daran, dass Christus diese Gaben dem ganzen Leib gegeben hat, und dass wir aber den ganzen Leib nicht ausmachen. Gesetzt die Kirche stellte noch, wie zurzeit der Apostel, sichtbarlich eine Einheit dar, so könnte es dennoch der Fall sein, dass in dem einen Orte kein Evangelist und an dem anderen kein Hirte oder Lehrer zu finden sei. Aber wie vielmehr muss dieses jetzt, wo die Kirche so sehr zersplittert und zerteilt ist, für die kleinen Versammlungen wahr sein, deren Glieder hie und da im Namen Jesu zusammenkommen. Trägt etwa der Herr Jesus keine Sorge mehr für seine Kirche, weil sie in diesem Zustand ist? Wer wagt dieses zu behaupten? Versagt Er ihr die so notwendigen und nützlichen Gaben? Keineswegs. Aber wir finden sie in der Einheit des ganzen Leibes, und es ist nötig uns stets daran zu erinnern. Alle Gläubigen in N. bilden die Kirche oder Versammlung in diesem Ort; und man findet vielleicht Evangelisten, Hirten und Lehrer unter jenen Gliedern des Leibes, welche sich noch äußerlich zur Landeskirche bekennen oder sich in der Mitte der Methodisten oder anderer Parteien befinden. Welchen Vorteil ziehen wir aus ihrem Dienst? Und wie können die Heiligen, die sich mit ihnen versammeln, die Gaben benutzen, welche Gott in unserer Mitte ausgeteilt hat? –

Ich stelle euch, geliebte Brüder, diese Gedanken vor Augen, um euch zu zeigen, dass, wenn unter den Siebzig oder Achtzig, welche sich in N. im Namen des Herrn versammeln, keine oder nur etliche seiner Gaben, wie wir sie in Epheser 4 finden, vorhanden sind, der Umstand, in dieser Weise versammelt zu sein, die Zahl dieser Gaben aus sich selbst nicht vermehren wird. Ein Bruder, den Christus selbst nicht zu einem Hirten oder Evangelisten bestimmt hat, wird es auch dadurch nicht werden, wenn er anfängt, sich da zu versammeln, wo die Gegenwart des Heiligen Geistes und die Freiheit des Dienstes anerkannt werden. Und wenn, weil menschliche Einschränkungen beseitigt sind. Diejenigen, welche Christus nicht als Hirten, Lehrer oder Evangelisten seiner Kirche gegeben hat, sich dennoch eine solche Stellung aneignen und darin handeln, – wird das zur Auferbauung dienen? Nein im Gegenteil, es wird nur Verwirrung hervorbringen; und „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie in allen Versammlungen der Heiligen“ (1. Kor 14,33). Wenn solche Gaben in unserer Mitte fehlen, so lasst uns unsere Armut bekennen; wenn wir zwei oder drei derselben besitzen, so lasst uns mit Dank erfüllt sein; lasst uns sie an der Stelle, die Gott ihnen angewiesen hat, anerkennen und beten, um zahlreichere und bessere Gaben und Dienste zu erhalten. Aber hüten wir uns vor der Voraussetzung, als ob die Handlung eines Bruders, den der Herr nicht in diese Stellung gesetzt hat, eine Gabe zu ersetzen im Stande sei. Die einzige Wirkung einer solchen Handlung ist, den Geist zu betrüben und Ihn zu verhindern, durch diejenigen zu wirken, welche er ohne dieses im Dienst der Heiligen gebrauchen möchte.

Ein glücklicher Gedanke beschäftigt mich beim Schluss dieses Briefes. Wenn die Stellung, in welcher wir uns befinden, gar nicht mit der heiligen Schrift in Übereinstimmung wäre, so würden solche Fragen wohl schwerlich in unserer Mitte erhoben werden. Wenn alles eingerichtet und durch ein menschliches System geregelt ist, so dass die durch einen Bischof, oder durch eine kirchliche Behörde, oder durch eine Versammlung angestellten Personen sich in ihren Amtspflichten nur nach einer vorgeschriebenen Form zu richten haben, dann haben solche Fragen keinen Grund. Die Schwierigkeiten unserer Stellung beweisen durch ihren Charakter, dass diese Stellung von Gott ist. Ja, und Gott, der uns durch seinen Geist und mittels seines Wortes dahin geleitet hat, ist vollkommen genügend und wird uns in den Schwierigkeiten nicht versäumen, sondern wird uns zu unserem Heil und zu seinem Ruhm hindurchgehen lassen. Lasst uns nur einfältig, demütig und bescheiden sein. Machen wir auf keine Sache Anspruch, die wir nicht besitzen, und maßen wir uns nichts an, wozu Gott uns nicht befähigt hat. 3. Woran kann man die Leitung des Geistes wahrnehmen

a.: Verneinende Merkmale

Bevor ich zu dem speziellen Gegenstand dieses Briefes übergehe, wünsche ich, mich über zwei Punkte klar auszudrücken. Der erstere derselben betrifft den Unterschied zwischen dem Dienst und dem Kultus oder dem eigentlichen Gottesdienst. Ich nehme hier das Wort „Gottesdienst“ in seinem ausgedehntesten Sinne, als bezeichnend die verschiedenen Arten, in denen sich der Mensch an Gott wendet; und dazu gehört das Gebet, das Bekenntnis und das, was hauptsächlich den Gottesdienst ausmacht, nämlich die Verehrung und die Handlung des Dankes und des Lobes. Die wesentliche Verschiedenheit zwischen dem Dienst und dem Gottesdienst besteht darin, dass in Letzterem der Mensch mit Gott, und in Ersterem Gott mit dem Menschen durch seine Diener redet. Unser einziges, aber völlig genügendes Recht, um Gottesdienst halten zu können, ist uns durch jene überschwängliche Gnade verliehen, welche uns durch das Blut Jesu so nahegebracht hat, dass wir jetzt Gott als unseren Vater erkennen und anbeten, und dass wir Gott zu Königen und Priestern gemacht sind. In dieser Beziehung sind sich alle Heiligen gleich; der Schwächste wie der Stärkste, Der welcher viele Erfahrungen gemacht hat, und der, welcher noch ein kleines Kind ist – alle haben einen gleichen Anteil an diesem Vorrecht. Der begabteste Diener Christi hat kein größeres Recht, sich Gott nahen zu dürfen, als der Unwissendste der Heiligen, unter denen er seine Dienste ausübt. Die Annahme des Gegenteils würde das Verfahren gutheißen, dem man nur zu sehr in der Christenheit huldigt, indem man einen Priester– oder Predigerstand zwischen der Kirche und Gott eingesetzt hat. Wir haben einen großen Hohepriester. Christus ist der einzige Hohepriester; und an Ihm haben alle Heiligen einen gleichen Anteil. Auch könnte ich mich nicht der Meinung hingeben, dass in einer Versammlung von Christen nur diejenigen, welche Gott befähigt hat zu lehren, zu ermahnen oder das Evangelium zu predigen, befugt seien, Lieder vorzuschlagen, zu beten, Gott zu loben und Ihm den Dank darzubringen. Warum könnte der Heilige Geist sich nicht anderer Brüder bedienen, um sowohl durch das Vorschlagen eines Liedes den wahren Ausdruck der Anbetung der Versammlung kund zu geben, oder durch ein Gebet die wirklichen Wünsche und wahren Bedürfnisse derer auszudrücken, deren Organ und deren Mund sie zu sein bekennen? Und wenn Gott es für gut findet in dieser Weise zu handeln, wer sind wir, dass wir seinem Willen widerstehen? Erinnern wir uns indessen stets daran, dass, wenn diese Handlungen des Gottesdienstes nicht das ausschließliche Vorrecht derer sein können, welche Gaben besitzen, sie doch der Leitung des Heiligen Geistes untergeordnet und durch die in 1. Korinther 14 enthaltenen Grundsätze beherrscht sein müssen, nach welchen alle Dinge mit Ordnung und zur Auferbauung geschehen sollen.

Der Dienst – d. h. der Dienst des Wortes, in welchem Gott mittels seiner Diener zu den Menschen redet – ist das Resultat der Verleihung von Gaben, die einem Bruder übertragen sind, und für deren Anwendung er Christus gegenüber verantwortlich ist. In Betreff unseres Rechts, Gottesdienst halten zu können, sind wir uns alle gleich; in Betreff der Verantwortlichkeit unseres Dienstes sind wir uns verschieden, „da wir verschiedene Gaben haben, nach der Gnade, die uns gegeben ist“ (Röm 12,6). Diese Stelle zeigt uns deutlich die Verschiedenheit zwischen Dienst und Gottesdienst.

Der zweite Punkt ist die Freiheit des Dienstes. Die wahre, schriftgemäße Idee der Freiheit des Dienstes begreift nicht nur die Freiheit in der Ausübung der Gaben, sondern auch ihre Entfaltung in sich. Sie zeigt, wie wir in unseren Versammlungen die Gegenwart und Leitung des Heiligen Geistes bis zu dem Punkt anerkennen, dass wir Ihm, wenn Er durch irgendeinen Bruder wirkt, kein Hindernis in den Weg legen; es ist daher völlig klar, dass die erste Entfaltung einer Gabe das Werk des Geistes sein muss, in dem Er durch Brüder zu wirken beginnt, deren Er sich vorher nicht bedient hat. Jeder entgegengesetzte Grundsatz würde nach meiner Meinung ein Eingriff in die Vorrechte der Kirche und in die Rechte des Heiligen Geistes sein. Aber eben in diesem Fall, wenn die Kinder Gottes sich auf einem Grundsatz versammeln, welcher dem Heiligen Geist die Freiheit lässt, den einen Bruder zum Vorschlagen eines Liedes, einen anderen zum Beten und einen dritten zum Ermahnen oder Lehren anzutreiben, so ist Gelegenheit zur Voreiligkeit und Selbstgefälligkeit vorhanden und die Versuchung nahe, außer der völligen Leitung des Heiligen Geistes zu handeln. Wie wichtig ist es daher, den Unterschied zwischen dem, was vom Fleisch und dem, was vom Geist ist, zu erkennen! Ich verabscheue den Missbrauch, den man leider nur zu oft mit Ausdrücken wie: „Dienst des Fleisches“ und „Dienst des Geistes“ macht; jedoch enthalten sie, wenn man sie richtig anwendet, eine höchst richtige Wahrheit. Jeder Christ hat zwei Quellen von Gedanken, von Gefühlen, von Beweggründen, von Worten und Werken in sich, und diese beiden Quellen werden in der heiligen Schrift das „Fleisch“ und der „Geist“ genannt. Unsere Tätigkeit in den Versammlungen der Heiligen gehen aus der einen oder der anderen dieser beiden Quellen hervor. Es ist daher höchst wichtig, hier ein scharfes Unterscheidungsvermögen zu haben. Die, welche beständig oder auch nur gelegentlich in den Versammlungen tätig sind, sollten sich selbst in dieser Beziehung ernstlich prüfen. Auch ist dieses eine durchaus wesentliche Sache für alle Heiligen; denn wir sind ermahnt, die Geister zu prüfen, ob sie aus Gott sind – eine Ermahnung, wodurch die Versammlung verantwortlich gemacht wird. Das, was von Gott ist, anzuerkennen, und das, was aus einer anderen Quelle ist, durch Verwerfung zu bezeichnen.

Ich möchte jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers auf etliche der besonderen Merkmale lenken, mit deren Hilfe wir die Leitung des Geistes von der Anmaßung und Nachahmung des Fleisches zu unterscheiden vermögen werden. Zunächst mache ich auf mehrere Dinge aufmerksam, welche uns keineswegs ermächtigen, an der Leitung der Versammlung der Heiligen Teil zu nehmen.

1. Wir sind nicht ermächtigt zu handeln bloß aus dem Grund, weil Freiheit vorhanden ist. Die Sache ist so klar, dass es kaum nötig ist, Worte darüber zu verlieren; und dennoch bedürfen wir es so sehr, daran erinnert zu werden. Gerade der Umstand, dass keinem Bruder irgendein äußeres Hindernis im Weg steht, um in der Versammlung tätig sein zu können, bietet solchen, deren einzige Fähigkeit es ist, lesen zu können, die Gelegenheit dar, eine geraume Zeit in Anspruch zu nehmen, indem sie ein Kapitel nach dem anderen lesen und ein Lied nach dem anderen vorschlagen. Jedes Kind, welches lesen gelernt hat, könnte dasselbe tun. Ein Kapitel Vorzulesen ist äußerst leicht; aber unterscheiden zu können, welches Kapitel zum Vorlesen geeignet und welcher Augenblick dazu passend ist, das ist eine ganz andere Sache. Ebenso ist es nicht schwer, ein Lied vorzuschlagen; aber die Auswahl eines solchen, welches wirklich die Anbetung der Versammlung in sich schließt und ausdrückt, ist ohne die Leitung des Heiligen Geistes eine Unmöglichkeit. Als ich vor vielen Jahren in einer Versammlung war, wo am Tisch des Herrn eine ganze Reihe von Kapiteln vorgelesen und ebenso viele Lieder gesungen wurden, während vielleicht nur ein einziges Mal durchs Gebet die Danksagung dargebracht ward, habe ich mich fragen müssen, ob wir wirklich versammelt gewesen seien, um den Tod des Herrn zu Verkündigen, oder ob uns der Zweck geleitet habe, uns im Lesen und Singen zu vervollkommnen. Gott sei gepriesen, dass solche Missgriffe jetzt weniger vorkommen; aber wir haben immer nötig, uns ins Gedächtnis zu rufen, dass die Freiheit, in den Versammlungen tätig sein zu dürfen uns noch nicht berechtigt, hier nach Willkür zu handeln.

2. Man ist auch nicht ermächtigt in Augenblicken zu handeln, weil es gerade kein anderer Bruder tut. Das Stillschweigen als solches ist leider nicht immer eine Wirksamkeit des Geistes und kann ebenso gut, wie jede andere Sache, zur Form werden; doch ist das Schweigen viel mehr wert, als das Reden oder Handeln nur aus dem einzigen Grund, die Stille zu unterbrechen. Ich weiß wohl, dass dieses gar oft geschieht, weil man an anwesende Personen denkt, die vielleicht nicht zur Versammlung gehören oder wohl gar nicht bekehrt sind, und weil man sich ihretwegen wegen des Schweigens unbehaglich fühlt. Und in der Tat, wenn die Versammlung oft eine solche Armut an den Tag legt, so ist das sicher eine Mahnung Gottes, die Ursache eines solchen Schweigens zu untersuchen; aber nimmer darf ein Bruder sich berechtigt glauben, zu reden, zu beten oder ein Lied vorzuschlagen, und zwar aus dem einzigen Grund, um etwas zu tun.

3. Ferner sind unsere Erfahrungen, sowie unsere persönliche Stellung nicht die sicheren Führer in Betreff des Anteils an der Wirksamkeit inmitten der Versammlung der Heiligen. Vielleicht war einmal ein Lied für meine Seele höchst köstlich; vielleicht hörte ich es einmal singen mit großem Genüsse der Gegenwart des Herrn; aber soll ich daraus schließen, dass ich berufen sei, dieses Lied in der ersten Versammlung, die ich wieder beiwohne, vorzuschlagen? Möglicherweise steht es in keiner Beziehung zu dem gegenwärtigen Zustand dieser Versammlung. Vielleicht ist es gar nicht einmal die Absicht des Geistes, dass überhaupt ein Lied gesungen werde. „Leidet jemand unter euch? Er bete. Ist jemand gutes Muts? Er singe Psalmen“ (Jak 5,13). Ein Lied soll die Gefühle derer ausdrücken, die versammelt sind; im anderen Fall werden sie, wenn sie singen, nicht aufrichtig sein. Und wer, außer jenem, welcher den gegenwärtigen Zustand kennt, wird ein geeignetes Lied finden können? Und ebenso verhält es sich mit dem Gebet. Wenn jemand in der Versammlung das Gebet spricht, so tut er es als das Organ der Bitten und als der Mund der Bedürfnisse aller. Ich kann mich mittels des Gebets vor dem Herrn einer Bürde entledigen, die nur auf mir lastet; aber derselben in der Versammlung zu erwähnen, würde unpassend sein. Vielleicht würde ich durch eine solche Handlung alle meine Brüder in denselben Zustand herabziehen, in dem ich mich befinde. Andererseits auch kann meine Seele vollkommen glücklich in dem Herrn sein; ist dieses aber von der Versammlung nicht zu sagen, so werde ich nur dann fähig sein, ihre Bedürfnisse vor Gott bringen zu können, wenn ich mich mit ihrem Zustand eins mache. Mit einem Wort, wenn ich durch den Geist geleitet werde, in der Versammlung zu beten, so darf dieses nicht sein, wie in einem Kämmerlein, wo sich außer dem Herrn und mir niemand befindet, und wo meine eigenen Bedürfnisse und meine eigenen Genüsse den Hauptgegenstand meiner Gebete und Danksagungen bilden, sondern ich bedarf der Fähigkeit, dem Herrn diejenigen Bekenntnisse abzulegen und Ihm jene Wünsche und diejenige Danksagung vorzutragen, die mit dem Zustand derer übereinstimmen, deren Mund ich sein werde, indem ich mich an Gott wende. Es ist einer der größten Missgriffe, in welche wir verfallen können, wenn wir uns einbilden, dass unser Ich und das, was sich auf unsere Person bezieht, maßgebend sei bei der Leitung der Versammlung der Heiligen. Sa kann ein Abschnitt aus der heiligen Schrift meine Seele sehr erquickt und mir Nutzen gebracht haben; allein es folgt daraus noch nicht, dass ich diesen Abschnitt am Tisch des Herrn oder in anderen Versammlungen der Heiligen vorlesen soll. Auch mag irgendein besonderer Gegenstand mich beschäftigen oder vorher beschäftigt haben und zwar zum Nutzen meiner Seele; aber dennoch kann es sein, dass dieses durchaus nicht der Gegenstand ist, auf welchen Gott die Aufmerksamkeit der Heiligen im Allgemeinen lenken will. Man verstehe mich indes recht. Ich leugne nicht, dass man sich mit irgendeinem Gegenstand beschäftigt haben kann, mit welchem man sich nach dem Willen Gottes nicht auch mit den Heiligen beschäftigen sollte. Vielleicht ist dieses häufig oder wohl gar gewöhnlich bei den Dienern des Herrn der Fall; aber ich fürchte, es nicht kräftig genug hervor zu heben, dass an und für sich der Umstand, in irgendeiner Weise beschäftigt gewesen zu sein, keine genügende Leitung ist. Wir können Bedürfnisse haben, welche die Kinder Gottes im Allgemeinen nicht haben; und auch können ihre Bedürfnisse nicht die unsrigen sein.

Auch möchte ich noch hinzufügen, dass der Geist mich nimmer zur Angabe eines Liedes antreiben wird, weil dasselbe meine besonderen Ansichten ausdrückt. Es kann sein, dass die Heiligen, welche versammelt sind, über gewisse Punkte der Auslegung nicht dieselbe Meinung haben. Wenn in diesem Fall etliche unter ihnen Lieder auswählten, in der Absicht, um ihre besondere Meinungen auszudrücken, so könnte – wie gut und wahr diese Lieder sonst auch sein möchten – es möglich sein, dass andere Glieder der Versammlung nicht mitsingen könnten. In einer Versammlung werden die Lieder, welche der Heilige Geist angibt, der Ausdruck der Gefühle aller sein. Lasst uns daher zu jeder Zeit in der Versammlung bestrebt sein, die „Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“, und erinnern wir uns, dass das Mittel, um dahin zu gelangen, dieses ist, dass wir wandeln „mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe“ (Eph 4).

Wir dürfen es überhaupt nimmer außer Acht lassen, dass, wer auch immer das Organ oder der Mund der Versammlung sein mag, es stets bei dem Gesang, bei dem Gebet und – mit einem Wort – bei dem Gottesdienst die Versammlung ist, welche mit Gott redet; und demzufolge kann der Gottesdienst nur dann wahr und aufrichtig sein, wenn derselbe ein treuer Ausdruck des Zustandes dieser Versammlung ist. Gepriesen sei Gott, dass Er durch seinen Geist, wie Ar es oft tut, einen höheren Ton hören lassen kann, der in allen Herzen einen Wiederhall findet, und dass Er auf diese Weise dem Gottesdienst einen erhabeneren Charakter verleiht. Aber wenn sich die Versammlung nicht in dem Zustand befindet, um auf diesen Ton eine Antwort geben zu können, so gibt es nichts Peinlicheres, als einen Bruder zu hören, der in den wärmsten Ausdrücken Lob und Anbetung darbringt, während die Herzen der anderen traurig, kalt und zerstreut sind. Stets sollte derjenige, welcher dem Gottesdienst der Versammlung Ausdruck gibt, die Herzen seiner Umgebung vor sich haben, denn sonst nimmt er nicht seinen wahren Platz ein. Anders verhält es sich in Bezug auf den Dienst; hier redet Gott zu uns; und darum ist der Dienst nicht wie der Kultus oder Gottesdienst durch unseren Zustand beschränkt, sondern kann stets einen höheren Grad annehmen. Wenn ein Bruder, der im Dienst gebraucht wird, wirklich, während er redet, der Mund Gottes ist, wie er es sein sollte, so kann es oft geschehen, dass uns Wahrheiten vorgestellt werden, die wir bisher noch nicht empfangen, oder solche, die aufgehört haben, mit Macht auf unsere Seelen zu wirken. Wie klar ist es, dass in dem einen wie in dem anderen Fall, ja in allen Fällen, der Geist Gottes der alleinige Leiter sein muss!

Indes gedenke ich im nächsten Briefe die bestimmte Leitung des Geistes noch etwas näher zu beleuchten. Bisher habe ich nur die negative oder verneinende Seite dieses Gegenstandes vorgestellt (Schluss folgt).

Fußnoten

  • 1 Auszüge aus etlichen Briefen, die zunächst an eine bestimmte Versammlung gerichtet waren, dann aber auf vielseitiges Verlangen gedruckt worden sind. Der beschränkte Raum dieser Blätter nötigt uns, dieselben nur in einem Auszug dem Leser vorführen zu können. (Anmerkungen des Übersetzers)
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