Botschafter des Heils in Christo 1867

Warum öffnest du nicht?

„Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür auftut, zu dem werde ich hineingehen und auch das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“ (Off 3,20). Diese Worte richtet Jesus an die Versammlung zu Laodizea; und Er richtet sie auch an den Sünder. Ja, es wäre möglich, dass der Herr auch an das Herz des einen oder des anderen meiner Leser geklopft, und zwar vergeblich geklopft hätte. Und eben an solche wende ich mich mit der ernsten Frage: „Warum öffnest du nicht?“

Ich will versuchen, einige Ursachen zu bezeichnen, die im Allgemeinen den Menschen verhindern, dem Herrn das Herz aufzuschließen. Viele kennen Ihn nicht, der da sagt: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ – Willst du, mein teurer Leser, wissen, wer Er ist? Er ist Jesus, der Sohn Gottes, der seine Herrlichkeit verlassen hat, um Sünder selig zu machen. Seine Liebe war so groß, dass Er sich in Elend und Jammer hineinstürzte und den Zorn Gottes trug, um vor dein Herz treten und rufen zu können: „Tue mir auf!“ – O wenn du seine Liebe kanntest, so würdest du nicht einen Augenblick länger zögern, Ihm die Tür deines Herzens aufzuschließen. Du würdest dich sicher verwundern, wenn du den König an der Tür eines Bettlers stehen sähest mit der Bitte, sie ihm zu öffnen. Und wenn du Ihn kanntest, der klopfend an deiner Tür steht, sicher du würdest in Anbetung niedersinken; denn Er kann sagen: „Hier ist mehr als Salomo!“ Er ist der König der Könige und der Herr der Herren. „Ihm ist alle Macht übergeben im Himmel und auf der Erde;“ vor Ihm werden sich einmal alle Knie beugen; und alle Zungen werden bekennen, dass Er der Herr ist. Könntest du wohl jemandem dein Herz geben, der eins höhere Würde besäße, als Jesus? Kennst du jemanden, der höher und erhabener ist, der mehr Liebe hat, und der mit weniger Eigennutz dich sucht, als Jesus? Er hat dich nicht nötig; und dennoch sucht Er dich. O sicher, wenn du Ihn kanntest. Du würdest ungesäumt dein Herz vor Ihm aufschließen.

Bei vielen ist Weltsinn die Ursache, dass sie Ihm nicht das Herz öffnen. Sie wissen sehr wohl, dass, wenn sie Jesu den Eintritt gestatten, sie auch berufen sind, Ihm zu dienen. Sie wissen, dass Er gesagt hat: „Niemand kann zwei Herren dienen.“ Sie möchten Ihn zwar gern besitzen, um mit Kühe an den Tod denken zu können; aber um seinetwillen die Welt ganz preis zu geben und auf ihre Genüsse gänzlich zu verzichten – eine solche Forderung ist zu groß. Wie? – zu groß? Aber weißt du denn nicht, dass „diese Welt vergeht mit ihrer Luft?“ Glaube mir, dass das, was dich zurückhält, nur Schein ist, dessen Täuschung du gar bald erfahren wirst, nur eine Seifenblase, deren schillernde Farben dein Auge verblenden, die aber zerplatzen wird, sobald du diese Erde verlassen musst. Und dafür verzichtest du auf jenes ewige Glück, dessen Jesus dich teilhaftig machen will? O ich bitte dich, lausche doch auf die Stimme dessen, der dich so freundlich ruft; denn „was nütze es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

Andere berufen sich in verkehrter Weise auf ihre Ohnmacht, als auf die Ursache, warum sie nicht öffnen. Sie sagen: „Ich möchte wohl gern; aber ich kann nicht.“ O mein teurer Leser! Wenn es sich handelt um die Ohnmacht des Menschen, dann versichere ich dir, dass ich sie aus Erfahrung kenne; ja, ich bin überzeugt, dass die Ohnmacht des Menschen größer ist, als jene meinen, welche sagen: „Ich kann nicht!“ – das Bild, welches der Herr hier gebraucht, stellt uns die Ohnmacht des Menschen deutlich vor Augen; denn wäre der Mensch im Stande, sich selbst helfen zu können, dann würde das Kommen Jesu unnötig sein; aber eben weil der Mensch ein hilfloses Geschöpf ist, darum steht Er an der Tür und klopft. Doch das Bewusstsein der Ohnmacht wird bei vielen nur zum Ruhekissen gebraucht. Und in vielen Fällen kommen die Worte: „Ich kann nicht!“ von den Lippen solcher, deren Gewissen über ihren Zustand erwacht ist, so dass sie mit Furcht an die Ewigkeit denken, die sich dann aber durch allerlei Dinge zurückhalten lassen, bei Jesu ihr Heil zu suchen, und sich sogar freuen, einen Vorwand gefunden zu haben, der einen Schein von Wahrheit an sich trägt – einen Vorwand, der nach ihrer Meinung vor Gott und Menschen Gültigkeit hat. Aber wie entsetzlich wird es für sie sein, wenn sie in der Ewigkeit erfahren werden, dass nicht ihre Ohnmacht die Ursache ihres Verlorenseins ist, sondern dass sie diesen Vorwand nur gebraucht haben, um ruhig vorangehen und in ihrem Zustand bleiben zu können. Ist dieses: „Ich kann nicht!“ auch dein Vorwand, mein teurer Leser? Hast auch du dich etwa vielleicht schon seit Jahren hinter diesem Schild verborgen? O dann bitte ich dich, einmal mit aufrichtigem Ernst zu erwägen, wie schrecklich es ist, dass du in all dieser Zeit Jesu widerstanden und Ihn verhinderst hast. Dich zu retten. Ein einfältiges Herz, welches Verlangen nach Jesu hat, denkt an eine solche Ohnmacht nicht, sondern freut sich zu hören, dass jemand da ist, der Liebe und Macht genug besitzt, um erretten zu können. „Siehe ich stehe an der Tür und klopfe an!“ – ruft der Herr auch dir zu; und solange du nicht öffnest, widerstehst du Ihm.

Bei noch anderen muss die Ursache darin gesucht werden, dass sie fürchten getadelt und abgewiesen zu werden. Sie sind es, die da sagen: „Meine Sünden sind zu groß und ihrer sind zu viel.“ Ist dieses wirklich deine aufrichtige Meinung? Ist dieses wirklich das Gefühl deines Herzens? Ach! leider gebrauchen viele die Größe ihrer Sünden, sowie andere ihre Ohnmacht ebenfalls zu einem Vorwand, um ihr Herz für Jesu geschlossen zu halten. Wenn du es aber aufrichtig meinst, wohlan dann ist Jesus der Einzige, der dir in einem solchen Zustand helfen kann. Zu welchem anderen du auch deine Zuflucht nehmen magst, so wird doch alles vergeblich sein. Die Anstrengungen, die du machst, um dich selbst zu ändern, werden ohne Erfolg bleiben. Die Reinheit, welche ein heiliger Gott fordert, ist keineswegs dadurch zu erlangen, dass man etwas weniger sündigt, oder etwas besser lebt, oder etwas mehr betet, oder etwas dieser Art verrichtet. Oder fürchtest du dich, im Hinblick auf deine Sünden, dem heiligen und reinen Jesus die Tür deines Herzens zu öffnen? Fürchtest du dich, Ihn einzulassen in ein solch unreine Wohnung? Willst du vielleicht versuchen, erst alles selbst in Ordnung zu bringen und dann die Tür zu öffnen? Aber dann würdest du keinen Jesus mehr nötig haben. Je unreiner du bist, desto mehr bedarfst du eines Heilands. Der Herr selbst will alles in Ordnung bringen; du hast Nichts zu tun, als mit Bewunderung und Anbetung anzuschauen, wie der Herr Jesus im Stande ist. Dich, den Verlorenen, zu retten. Dich, den Gottlosen, in den Augen Gottes zu rechtfertigen. Du wirst durch dein Wirken und durch deine Anstrengungen dem Herrn nur hinderlich sein und Ihm entgegenwirken. Er weiß alles, du brauchst vor seinem Auge Nichts zu verbergen. Er weiß, wie gottlos und unrein du bist; und dieses verhindert Ihn nicht, bei dir anzuklopfen, sondern ist umso mehr ein Grund, dass Er dir mit Nachdruck zuruft: „Tue mir auf!“ Denke nicht, dass Er bei deinem Anblick überrascht werden wird; denn Er sagt: „Ich kenne deine Werke!“ Zögere daher nicht länger, sondern tue Ihm noch heute auf. Er hat nirgends in seinem Wort die Menge und Größe der Sünden bezeichnet, aus denen Er die Seelen befreien kann. Er, der klopfend an deiner Tür steht, ruft dir zu: „Wenn deine Sünden gleich blutrot sind, sollen sie doch wie der Schnee weiß werden.“

Wieder begegnet man anderen, die dem Herrn nicht öffnen, weil sie Ehre und Ansehen bei den Menschen einzubüßen fürchten. Sie haben Recht; denn der Herr Jesus selbst sagt: „Wenn ihr von der Welt wärt, so würde die Welt das ihre lieben; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch von der Welt auserwählt habe, deswegen hasst euch die Welt“ (Joh 15,19). Sobald die Jünger dem Herrn folgten, haben sie dieses erfahren; und ein jeder, der Ihn kennen lernt und Ihm nachfolgt, macht dieselbe Erfahrung. Solange man in der Welt lebt, wird man von ihr geachtet und geehrt; doch sobald man auf die Stimme Jesu lauscht und das Herz vor Ihm aufschließt, nimmt alles eine andere Gestalt an; dann ist Verachtung dein Teil, dann sind jene, die dich früher liebten, plötzlich deine Feinde geworden; und jene, die dich einst priesen als einen Mann, mit dem etwas anzufangen sei, überschütten dich mit Schimpfnamen, beklagen dich wegen deines Brütens und betrachten dich als für die Welt verloren. Dann hören alle Begünstigungen meistens auf; und mancherlei Arten von Verlusten sind zu beklagen. Siehst du? dieses alles können die Folgen sein, wenn man Jesus aufnimmt, wenn man Ihm das Herz öffnet. Aber, mein Freund, bedenke einmal, was solchen Erscheinungen gegenübergestellt ist. Der Herr Jesus sagt: „Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen.“ – Hier das Kreuz, dort die Herrlichkeit; hier Verachtung, dort ein Thron. Wie vieles ich auch um Jesu willen zu leiden haben mag, ja wäre es selbst, dass meine eigenen Hausgenossen mich hassen werden; es ist alles dieses nicht zu vergleichen mit dem, was Jesus für Sünder aufgeopfert hat. „Er ist arm geworden, um dich reich zu machen.“ Er hat den Zorn Gottes getragen, um dir einen Thron geben zu können. Wenn die ewige Herrlichkeit und die Rettung deiner Seele dir mehr am Herzen liegt, als eine kurze Zeit der Ehre und als ein kurzer Genuss der Vorteile von Seiten der Menschen, dann lass dich nicht zurückhalten, sondern öffne Ihm dein Herz, der an deiner Tür steht und anklopft.

Noch anderen kommt der Besuch Jesu zur ungelegenen Zeit. Sie wollen ihr Herz öffnen; aber jetzt noch nicht. Sie sind heute noch mit anderen Dingen beschäftigt. Die Aussichten dieses Lebens sind gerade jetzt so schön; die Gelegenheit bietet sich gerade jetzt an, um etwas genießen zu können, worauf sie verzichten müssten, wenn sie Jesus jetzt einen Eintritt gestatteten. Sie denken: „Es wird wohl noch eine gelegenere Zeit kommen, und dann werde ich auftun; für jetzt gehe hin.“ Denkst du auch so, mein teurer Leser? Ach, dann beklage ich dich; denn eine gelegenere Zeit wird nimmer kommen. Und auch könnte es wohl das letzte Mal sein, dass Jesus bei dir anklopft; es könnte das letzte Jahr, der letzte Tag, die letzte Stunde sein, dass du noch hier in der Zeit der Gnade lebst. Jesus, dein Freund sagt: „Mache mir auf!“ – der Teufel, dein Feind, sagt: „Warte bis morgen!“ Auf wessen Stimme willst du lauschen? Jesus sucht deine ewige Errettung, der Teufel dein ewiges Verderben. O bedenke dieses und verwirf jeden Aufschub. „Jetzt ist der Tag des Heils!“ Jetzt ist Jesus noch bereit, Dich selig zu machen. Morgen hat dich vielleicht schon der Tod von dieser Erde hinweggerafft; und dann ist alles zu spät.

Endlich denken noch andere, dass es für sie gerade nicht so sehr nötig sei, dem Herrn das Herz zu öffnen. Schrecklicher Selbstbetrug! Denn für welchen Menschen sollte Jesus nicht nötig sein? Mein teurer Leser! Vielleicht hast auch du bisher der Meinung Raum gegeben, dass du so gottlos nicht seist, wie mancher andere. Vielleicht hält man dich allgemein für einen religiösen, braven Mann, so dass du nicht einsiehst, warum du dich bekehren solltest; ja, vielleicht zürnst du gar denen, die dich auf dein Seelenheil aufmerksam machen. Es kann möglich sein, dass sich noch gottlosere Menschen finden lassen, als du bist; aber auch vielleicht solche, die braver und religiöser sind, als du. Wäre dieses das Merkzeichen, ob man eines Heilands bedürfe oder nicht, dann möchtest du vielleicht Recht haben. Aber das ist es nicht, worauf es ankommt. Der brave Saulus, der an pharisäischer Heiligkeit viele übertraf, musste ebenso gut, wie der Räuber am Kreuz, einen Jesus haben, um in den Himmel kommen zu können. Und das gilt auch für dich. Du denkst vielleicht genug zu besitzen; und das dachten die Laodizäer auch; doch der Herr sagt ihnen, dass sie arm, bloß und blind seien. Ach, lass dir deine Augen durch den Herrn öffnen, und siehe deinen Zustand. Menschliche Religiosität und Ehrbarkeit ist vor Gott nicht genügend; nur das Werk Christi vermag Gott zu befriedigen. Vor Gott ist niemand gut von Natur; vor Ihm sind alle Menschen verwerflich; und niemand, wie religiös er auch gewesen sein mag, hat je auf Erden gelebt, der vor dem Urteil Gottes bestehen kann. Willst du es wagen, diesem Urteil entgegen zu gehen? Fürchtest du dich nicht vor einem Gott, dem du Rechenschaft geben musst? Ein einziger unreiner Gedanke, ein einziges gottloses Wort, eine einzige verkehrte Tat ist genug, um vor Gott nicht bestehen zu können. O betrüge dich selber nicht, mein teurer Leser! Du bedarfst eines Heilands ebenso gut, wie ein anderer. Er steht an deiner Tür und klopft an. O mache Ihm doch auf; wirf dich als ein armer Sünder zu seinen Füßen und du wirst leben.

Und nun, mein teurer Leser, welche Ursache dich auch von Jesu zurückhalten mag, und welche Entschuldigung du auch vorbringen magst, – ich komme nochmals mit der Frage: „Warum öffnest du nicht?“ Wer du auch seist, und in welcher Stellung du dich auch befindest – du hast Jesus nötig. Er allein kann dich selig machen. Und Er kann dich vollkommen selig machen. Er weiß zu allen Dingen Rat. Dein Zustand kann nicht so schrecklich sein, oder Er kann und will dich daraus erlösen. O gehe darum zu Ihm, zu dem einzigen Arzt der Seele, und sei versichert, dass niemand, der zu Ihm kommt, hinausgeworfen werden wird.

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