Betrachtungen über das erste Buch Mose

Die Sintflut

Betrachtungen über das erste Buch Mose

Wir sind jetzt bei einem wichtigen, deutlichen Schnitt in unserem Buch angelangt. Henochs Weg, der Weg eines Fremdlings auf der Erde, endete mit seiner Entrückung in den Himmel. Er wurde weggenommen, bevor das Böse seinen Höhepunkt erreicht hatte und das göttliche Gericht hereinbrach. Wie wenig Einfluss sein Weg und seine Entrückung auf die Welt ausüben, zeigen uns die beiden ersten Verse von Kapitel 6: „Und es geschah, als die Menschen begannen sich auf der Fläche des Erdbodens zu mehren, und ihnen Töchter geboren wurden, da sahen die Söhne Gottes, dass die Töchter der Menschen schön waren, und sie nahmen sich die zu Frauen, die sie irgend erwählten“.

Die Bosheit der Menschen

Die Vermengung des Göttlichen mit dem, was vom Menschen ist, ist eine besondere Form des Bösen und ein sehr wirksamer Kunstgriff Satans, um das Zeugnis von Christus auf der Erde zu verderben. Diese Vermengung mag häufig wünschenswert erscheinen. Oft mag scheinbar dadurch die göttliche Botschaft schneller verbreitet werden und der göttliche Einfluss stärker zur Wirkung kommen. Sie mag scheinbar mehr Erfreuliches als Nachteiliges mit sich bringen, aber unser Urteil in dieser Sache hängt ganz von dem Gesichtspunkt ab, unter dem wir sie betrachten. Wenn wir sie im Licht der Gegenwart Gottes betrachten, können wir keinen Vorteil darin sehen, wenn sich das Volk Gottes mit den Kindern dieser Welt verbindet, oder wenn die Wahrheit Gottes durch menschliche Beimischungen verdorben wird. Es ist nicht nach den Gedanken Gottes, auf diese Weise die Wahrheit zu verbreiten, oder die Interessen von denen zu fördern, die den Platz des Zeugnisses für ihn auf der Erde einnehmen sollen. Gottes Grundsatz ist: Trennung von allem Bösen. Und dieser Grundsatz kann niemals ohne Schaden für die Wahrheit verlassen werden.

In dem Bericht in 1. Mose 6 sehen wir, dass die Verbindung der „Söhne Gottes“ mit den „Töchtern der Menschen“ traurige Folgen hatte. Zwar hatte die Frucht dieser Vereinigung nach dem Urteil des Menschen ein außerordentlich schönes Aussehen, denn wir lesen von den Kindern aus diesen Ehen: „Das sind die Helden, die vor alters waren, die Männer von Ruhm gewesen sind“ (Kap. 6,4). Aber das Urteil Gottes lautete ganz anders. „Und der HERR sah, dass die Bosheit des Menschen groß war auf der Erde, und alles Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag“ (V. 5). „Nur böse“, „böse den ganzen Tag“, das war aufgrund der Verbindung des Heiligen mit dem Unheiligen der Zustand des Menschen vor Gott. Wenn der heilige Nachkomme seine Reinheit nicht bewahrt, wird das Zeugnis auf der Erde verhindert. Die erste Anstrengung Satans bestand darin, durch Töten des heiligen Nachkommens den Vorsatz Gottes zu vereiteln, und als das misslang, versuchte er seinen Zweck dadurch zu erreichen, dass er ihn verderbte.

Es ist wichtig, Absicht, Charakter und Ergebnis dieser Vereinigung der „Söhne Gottes“ mit den „Töchtern der Menschen“ klar zu verstehen. Zeigt sich doch in unseren Tagen die gefährliche Sucht, zur Erreichung einer Vereinigung die Wahrheit aufs Spiel zu setzen. Wir sollten vor dieser Gefahr auf der Hut sein. Wahre Vereinigung kann niemals auf Kosten der Wahrheit erreicht werden. Der Wahlspruch des treuen Christen sollte stets lauten: „Wahrheit um jeden Preis! Kann auf diesem Weg die Vereinigung gefördert werden, umso besser, aber Wahrheit um jeden Preis!“ Eine falsche Nachgiebigkeit hingegen sagt: „Vereinigung um jeden Preis! Kann auf diesem Weg die Wahrheit festgehalten werden, so viel besser, aber Vereinigung um jeden Preis!“1. Wo man die Wahrheit aufgegeben hat, kann kein wahres Zeugnis sein, und deshalb sehen wir in der Zeit vor der Flut, dass die traurige Vereinigung zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen nur die Wirkung hatte, das Böse seinem Gipfel zuzuführen und dann die Gerichte Gottes heraufzubeschwören.

Noah findet Gnade bei Gott

„Und der HERR sprach: Ich will den Menschen, den ich geschaffen habe, von der Fläche des Erdbodens vertilgen“ (V. 7). Es gab keine andere Möglichkeit. Alles, was seinen Weg auf der Erde verdorben hatte, musste ausgerottet werden. „Die Helden und die Männer von Ruhm“ mussten alle ohne Unterschied vernichtet, „alles Fleisch“ musste als völlig unpassend für Gott verworfen werden. „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen“ (V. 13). Es handelte sich nicht nur um das Ende von einigem Fleisch, nein, in den Augen des HERRN war alles Fleisch verdorben, unverbesserlich schlecht. Es war gewogen und zu leicht erfunden worden, und der Herr kündigt Noah sein Heilmittel in den Worten an: „Mache dir eine Arche aus Gopherholz“ (V. 14).

So erfuhr Noah die Gedanken Gottes über seine Umgebung. Der Zweck des Wortes Gottes war, die Wurzeln von dem bloßzulegen, worauf der Mensch mit Selbstgefälligkeit und Stolz blickte. Wohl mochte das menschliche Herz stolz auf die „Künstler“, „Helden“ und „Männer von Ruhm“ sehen. Wohl mochte der Ton der Laute und Flöte dem Herzen des Menschen gefallen, während gleichzeitig der Boden bebaut wurde und überhaupt für allen Bedarf des Menschen in einer Weise gesorgt war, die jedem Gedanken hinsichtlich des nahenden Gerichts widersprach. Aber welch einen dunklen Schatten warfen die ernsten Worte: „Ich werde vertilgen“ über die äußerlich blühende Szene! Konnte der Geist des Menschen nicht einen Ausweg erfinden? Konnte nicht der „Held sich selbst befreien durch die Größe seiner Kraft“? (Ps 33,16). Nein. Wohl gab es einen Weg zum Entrinnen, aber er war nur dem Glauben offenbart, nicht dem Schauen, nicht der Vernunft, nicht der Einbildungskraft.

Der Glaube an Gottes Wort

„Durch Glauben bereitete Noah, als er einen göttlichen Ausspruch über das, was noch nicht zu sehen war, empfangen hatte, von Furcht bewegt, eine Arche zur Rettung seines Hauses, durch die er die Welt verurteilte und Erbe der Gerechtigkeit wurde, die nach dem Glauben ist“ (Heb 11,7). Das Wort Gottes lässt sein Licht auf alles scheinen, was das Herz des Menschen betrügt. Es nimmt die ganze Vergoldung weg, womit die Schlange die betrogene, vergängliche Welt verziert, über der das Schwert des Gottesgerichts hängt. Aber nur der Glaube lässt sich von Gott warnen, wenn die Dinge, von denen Gott spricht, „noch nicht zu sehen“ sind. Die Natur wird durch das, was sie sieht, durch ihre Sinne regiert, während der Glaube sich durch das Wort Gottes leiten lässt. Welch ein unermesslicher Schatz ist dieses Wort in einer finsteren Welt! Es gibt Standhaftigkeit, mögen die Umstände sein wie sie wollen. Als Gott zu Noah von dem bevorstehenden Gericht redete, bemerkte man noch kein Anzeichen davon. Es war noch „nicht zu sehen“, aber das Wort Gottes machte es zur Wirklichkeit für das Herz, das diese Ankündigung im Glauben aufnahm. Der Glaube wartet nicht auf das Sichtbarwerden einer Sache, denn „der Glaube ist aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort“ (Röm 10,17).

Alles, was der Mensch des Glaubens braucht, ist die Gewissheit, dass Gott gesprochen hat. Ein „So spricht der Herr“ regelt für ihn alles. Wer das Wort Gottes als Grundlage seiner Überzeugungen hat, kann dem Strom menschlicher Meinungen und Vorurteile standhalten. Das Wort Gottes stärkte das Herz Noahs während der langen Dauer seines Dienstes, und dasselbe Wort hat von jenem Tag bis heute trotz des Widerspruchs der Welt die Millionen der Heiligen Gottes aufrechterhalten. Wir können daher das Wort Gottes gar nicht hoch genug schätzen. Ohne sein Wort herrscht Dunkel und Ungewissheit, mit ihm Licht und Frieden. Wo es sein Licht leuchten lässt, zeigt es dem Glaubenden einen sicheren und gesegneten Weg. Wo es nicht scheint, irrt man im Labyrinth menschlicher Überlieferungen umher. Wie hätte Noah 120 Jahre lang „Gerechtigkeit predigen“ (2. Pet 2,5) können, wenn nicht das Wort Gottes die Grundlage seiner Predigt gewesen wäre? Wie hätte er dem Spott einer ungläubigen Welt Widerstand leisten und wie an dem Zeugnis von dem kommenden Gericht festhalten können, obwohl nicht das geringste Anzeichen dafür sichtbar war? Das Wort Gottes war der Boden, auf dem er stand, und „der Geist Christi“ gab ihm die Kraft, diesen Boden standhaft zu behaupten.

Lieber gläubiger Leser, was besitzen wir, um in einer bösen Zeit wie heute im Dienst für Christus standzuhalten? Nichts anderes als Noah, aber wir brauchen auch nichts anderes. Die Anwendung und Benutzung des Wortes Gottes unter der Führung des Heiligen Geistes, durch den dieses Wort allein verstanden werden kann, ist alles, was wir brauchen, um vollständig ausgerüstet und zu „jedem guten Werk völlig geschickt“ zu sein (2. Tim 3,16.17).

Der Bau der Arche – Der Weg zur Rettung

„Und Gott sprach zu Noah: Das Ende alles Fleisches ist vor mich gekommen … Mache dir eine Arche von Gopherholz“ (Kap. 6,13.14). Hier sehen wir das Verderben des Menschen und das Heilmittel Gottes. Dem Menschen war erlaubt worden, seinen Weg bis zum Ende zu gehen und seine Grundsätze ausreifen zu lassen. Der Sauerteig hatte gewirkt und die Masse durchdrungen. Das Böse hatte seinen Höhepunkt erreicht. „Alles Fleisch“ war so schlecht geworden, dass es nicht schlechter werden konnte. Deshalb blieb für Gott nichts anderes übrig, als es ganz zu zerstören und zugleich die zu retten, die nach seinen ewigen Ratschlüssen mit Noah, dem einzigen gerechten Menschen, der damals lebte, in Verbindung standen. Dies stellt uns die Lehre vom Kreuz in sehr lebendiger Weise vor Augen. Wir finden hier das Gericht Gottes über die Natur mit all ihrem Bösen, und zugleich die Offenbarung der ganzen Fülle seiner rettenden Gnade, die für die ist, welche die tiefste Stufe ihres sittlichen Zustandes erreicht haben. „Der Aufgang aus der Höhe hat uns besucht“ (Lk 1,78). Wo? Genau da, wo wir uns als Sünder befanden. Gott ist in die Tiefen unseres Verderbens gestiegen. Es gibt nichts in dem Zustand des Sünders, zu dem das Licht Gottes nicht gedrungen wäre, aber gleichzeitig musste es wegen seiner Natur unseren wahren Charakter offenbaren. Das Licht muss alles richten, was ihm entgegen ist, aber gleichzeitig gibt es auch die „Erkenntnis des Heils in Vergebung ihrer Sünden“ (Lk 1,77). Das Kreuz offenbart das Gericht Gottes über „alles Fleisch“, zugleich aber auch sein Heil für den verlorenen und schuldigen Sünder. Am Kreuz ist die Sünde vollkommen gerichtet, der Sünder vollkommen errettet und Gott vollkommen offenbart worden.

Im ersten Brief des Petrus finden wir viel Licht über dieses Thema. In Kapitel 3,18–22 lesen wir: „Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe, getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist, in dem [Geist] er auch hinging und den Geistern predigte [durch Noah], die [jetzt] im Gefängnis sind, die einst ungehorsam waren, als die Langmut Gottes harrte in den Tagen Noahs, während die Arche zugerichtet wurde, in die wenige, das ist acht Seelen, eingingen und durch Wasser gerettet wurden, welches Gegenbild auch euch jetzt errettet, das ist die Taufe, (nicht ein Ablegen der Unreinheit des Fleisches [wie durch Wasser]2, sondern das Begehren eines guten Gewissens vor Gott), durch die Auferstehung Jesu Christi, der, in den Himmel gegangen, zur Rechten Gottes ist, indem Engel und Gewalten und Mächte ihm unterworfen sind.“ Diese wichtige Stelle verdeutlicht uns die Lehre von der Arche und ihren Zusammenhang mit dem Tod Christi. Wie in der Sintflut, so gehen in dem Tod Christi alle Wogen und Wellen des Gerichts Gottes über den, der in sich selbst ohne Sünde war. Die Schöpfung wurde unter den Fluten des gerechten Zorns des HERRN begraben, und der Geist Christi ruft aus: „Alle deine Wogen und deine Wellen sind über mich hingegangen“ (Ps 42,8). Das ist eine bedeutungsvolle Wahrheit für Herz und Gewissen des Gläubigen. „Alle Wogen und Wellen Gottes“ haben sich am Kreuz über die fleckenlose Person des Herrn Jesus ergossen, und infolgedessen blieb nicht eine von ihnen zurück, um sich über die Person des Gläubigen zu ergießen. Auf Golgatha sehen wir in Wahrheit „alle Quellen der großen Tiefe aufbrechen und die Fenster des Himmels sich auftun.“ „Tiefe ruft der Tiefe beim Brausen deiner Wassergüsse“ (Ps 42,8). Christus trank den Kelch und ertrug den Zorn in vollkommener Weise. Er stellte sich im Gericht unter das volle Gewicht der ganzen Verantwortung seines Volkes und entsprach ihr in herrlicher Weise. Der Glaube daran gibt der Seele Frieden. Wenn der Herr Jesus allem begegnet ist, was gegen uns sein konnte, wenn Er jedes Hindernis aus dem Weg geräumt, wenn Er die Sünde weggetan und für uns den Becher des Zorns und Gerichts geleert hat, sollten wir dann nicht einen unerschütterlichen Frieden besitzen? Der Friede ist unser unveränderliches Teil. Uns gehören tiefe Segnungen und eine völlige Sicherheit: Geschenke der erlösenden Liebe auf dem gerechten Boden des von Christus vollbrachten Werkes.

Vollkommene Sicherheit in der Arche

Noah ängstigte sich nicht um die Wogen des Gerichts Gottes. Warum sollte er auch? Er wusste, dass sie „alle“ ausgegossen waren, während er selbst durch dieselben Wogen in den Bereich des Friedens emporgehoben wurde. Er schwamm in Frieden auf demselben Wasser, durch das „alles Fleisch“ gerichtet wurde. Er war durch Gott selbst in Sicherheit gebracht und hätte in der triumphierenden Sprache des Apostels (Röm 8,31) sagen können: „Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns?“ Der HERR selbst hatte ihn aufgefordert: „Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus!“ (Kap. 7,1). Und kaum war dies geschehen, so lesen wir: „Und der HERR schloss hinter ihm zu“ (V. 16). Jetzt waren alle, die sich in der Arche befanden, in Sicherheit. Der HERR verschloss die Tür, und ohne ihn konnte niemand ein- oder ausgehen. In der Arche befanden sich ein Fenster und eine Tür. Der Herr verschloss mit seiner eigenen mächtigen Hand die Tür und überließ Noah das Fenster, durch das er aufwärts nach jenem Ort schauen konnte, von wo das ganze Gericht ausgegangen war, und er konnte sehen, dass kein Gericht für ihn übrig blieb. Da das Fenster „oben“ angebracht war (Kap. 6,16), konnte die gerettete Familie nur aufwärts schauen. Sie konnten weder die Wasser des Gerichts noch den Tod und die Verwüstung sehen, die diese Wasser verursacht hatten. Das Heilmittel Gottes, „das Gopherholz“, befand sich zwischen ihnen und allen diesen Dingen.

Nichts kann die vollkommene Sicherheit des Gläubigen in Christus besser ausdrücken als die Worte: „Und der HERR schloss hinter ihm zu.“ Wer könnte öffnen, was Gott verschlossen hat? Noah war mit seiner Familie so sicher, wie Gott ihn in Sicherheit bringen konnte. Keine Macht der Engel, der Menschen, oder der Teufel konnte die Tür der Arche aufbrechen und das Wasser hineinlassen. Denn sie war verschlossen durch dieselbe Hand, die die Fenster des Himmels öffnete und die Quellen der großen Tiefe aufbrechen ließ. So wird auch von Christus als dem gesprochen, der „den Schlüssel des David hat, der öffnet, und niemand wird schließen, und schließt, und niemand öffnet“ (Off 3,7). Auch hält Er in seiner Hand „die Schlüssel des Todes und des Hades“ (Off 1,18). Niemand kann ohne ihn durch die Pforten des Grabes eintreten oder herauskommen. Er hat „alle Gewalt im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18). Er ist „als Haupt über alles der Versammlung gegeben“ (Eph 1,22), und in ihm ist der Gläubige vollkommen sicher. Wer konnte Noah antasten? Welche Welle konnte in die Arche eindringen, die „von innen und von außen mit Harz verpicht“ war (6,14)? Ebenso ist es heute. Wer kann diejenigen antasten, die im Glauben ihre Zuflucht zum Kreuz genommen haben? Jeder Feind wurde getroffen und für immer zum Schweigen gebracht.

Der Tod Christi hat auf jeden Einwand siegreich geantwortet, während gleichzeitig seine Auferstehung der Ausdruck des unendlichen Wohlgefallens Gottes an diesem Werk ist, denn aufgrund dieses Werkes kann Gott uns in Gerechtigkeit annehmen, und wir können voll Vertrauen ihm nahen.

Nachdem die Tür unserer Arche durch Gottes eigene Hand gesichert ist, wird das Fenster Grund unserer Freude: Es ist ein Bild von der glücklichen und heiligen Gemeinschaft mit ihm, der uns von dem kommenden Zorn errettet und uns zu Erben der zukünftigen Herrlichkeit gemacht hat. Petrus spricht von solchen, die „blind und kurzsichtig sind und die Reinigung ihrer vorigen Sünden vergessen haben“ (2. Pet 1,9). Das ist ein beklagenswerter Zustand und die Folge der Vernachlässigung einer unter Gebet gepflegten Gemeinschaft mit ihm, der uns für ewig in Christus eingeschlossen hat.

Die geschlossene Tür

Lasst uns noch einen Blick auf den Zustand von denen werfen, denen Noah so lange Gerechtigkeit gepredigt hatte. Ohne Zweifel wird mancher ängstliche Blick nach dem Rettungsschiff gegangen sein, als es sich langsam mit dem Wasser hob, aber die Tür war verschlossen, der Tag der Gnade war vorüber, und die Zeit des Zeugnisses, soweit es jene Menschen betraf, war für ewig abgelaufen. Dieselbe Hand, die Noah eingeschlossen hatte, hatte sie ausgeschlossen, und die, die draußen waren, konnten ebenso wenig hineingelangen, wie die, die sich in der Arche befanden, herauskommen konnten. Die einen waren unrettbar verloren, die anderen wirklich gerettet. Sowohl die Langmut Gottes, als auch das Zeugnis seines Dieners waren verachtet worden. Die zeitlichen Dinge hatten diese Unglücklichen ganz und gar in Anspruch genommen. „Sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie wurden verheiratet, bis zu dem Tag, als Noah in die Arche ging; und die Flut kam und brachte alle um“ (Lk 17,26.27). An sich lag nichts Unrechtes in allen diesen Dingen. Das Unrecht lag nicht in dem, was getan wurde, sondern in den Tätern. Alle diese Handlungen hätten in der Furcht des Herrn und zur Verherrlichung seines heiligen Namens geschehen können, wenn sie nur im Glauben getan worden wären. Aber leider war dies nicht der Fall. Das Wort Gottes wurde verworfen. Gott kündete das Gericht an, aber sie glaubten nicht. Er sprach von Sünde und Verderben, aber sie wurden nicht überzeugt. Er redete von einem Heilmittel, aber sie beachteten es nicht. Sie waren mit ihren eigenen Plänen und Überlegungen beschäftigt und hatten keinen Raum für Gott. Sie handelten, als ob die Erde ihnen aufgrund eines Mietvertrags für ewig gehört hätte. Sie vergaßen, dass eine Klausel mit der Übergabe verbunden war. Sie dachten nicht an das ernste „bis“. Gott war ausgeschlossen. Alles Gebilde der Gedanken ihres Herzens war böse den ganzen Tag, und deshalb konnten sie nichts recht tun. Sie dachten, redeten und handelten nur für sich selbst. Sie folgten ihrem eigenen Willen und vergaßen Gott.

… so wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein

Der Herr Jesus Christus sagt: „Und wie es in den Tagen Noahs geschah, so wird es auch in den Tagen des Sohnes des Menschen sein“ (Lk 17,26) und: „Denn wie die Tage Noahs waren, so wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein“ (Mt 24,37). Manche möchten uns glauben machen, dass, bevor der Sohn des Menschen in den Wolken des Himmels erscheint, diese Erde von Pol zu Pol mit Gerechtigkeit erfüllt sein wird. Sie möchten uns überzeugen, dass eine Regierung der Gerechtigkeit und des Friedens als Ergebnis der menschenfreundlichen Bestrebungen unserer Tage zu erwarten ist, aber die eben angeführte kurze Schriftstelle macht solche Erwartungen zunichte. Wie war es in den Tagen Noahs? Herrschten Gerechtigkeit und Wahrheit auf der Erde? War die Erde mit der Erkenntnis des Herrn erfüllt? Die Antwort der Heiligen Schrift lautet: „Und die Erde war verdorben vor Gott, und die Erde war voll Gewalttat. Und Gott sah die Erde, und siehe, sie war verdorben; denn alles Fleisch hatte seinen Weg verdorben auf der Erde“ (Kap. 6,11.12). „So wird es auch in den Tagen des Sohnes des Menschen sein.“ Das ist deutlich genug. „Gerechtigkeit“ und „Gewalttat“ sehen sich wirklich wenig ähnlich. Auch gibt es keine Ähnlichkeit zwischen allgemeiner Gottlosigkeit und allgemeinem Frieden. Ein Herz, das dem Wort unterworfen und frei von vorgefassten Meinungen ist, wird den wahren Charakter der Tage erkennen, die der „Ankunft des Sohnes des Menschen“ unmittelbar vorangehen. Es gab zur Zeit Noahs nichts, was einem Zustand allgemeiner Gerechtigkeit und allgemeinen Friedens ähnlich gewesen wäre, und es wird auch nichts Derartiges vor der Ankunft des Herrn geben.

Ohne Zweifel entfaltete der Mensch großen Eifer, um die Welt zu einem angenehmen Aufenthaltsort für sich zu machen, aber der Gedanke, die Erde zu einem Ort zu machen, wo Gott wohnen konnte, lag ihm völlig fern. Ebenso setzt der Mensch in der Gegenwart alle Kräfte daran, um von seinem Weg alle Steine wegzuräumen und ihn so angenehm und eben wie nur möglich zu machen. Aber das ist nicht das „Ebnen in der Steppe einer Straße für unseren Gott“ noch jenes Ebenmachen „des Höckerigen“, damit alles Fleisch die Herrlichkeit des HERRN sehe (vgl. Jes 40,3–5). Die Zivilisation schreitet fort, aber Zivilisation ist keine Gerechtigkeit. Die Welt wird zubereitet und geschmückt, aber nicht um Christus zu empfangen, sondern um sie für den Antichristen einzurichten. Der Mensch bemüht sich rege, mit einem selbst gestrickten Mäntelchen seine Blößen und Gebrechen zuzudecken, aber durch Zudecken sind diese noch nicht beseitigt. Sie liegen nur verdeckt und werden in kurzem hässlicher als je wieder zum Vorschein kommen. Die „Scharlach-Schminke“ wird bald verwischt, und das „geschnitzte Zedernholz“ bald zerstört werden. Die Dämme, durch die der Mensch unverdrossen den Strom menschlicher Bosheit einzuengen sucht, werden plötzlich vor der überwältigenden Wucht weichen. Alle Anstrengungen, die leibliche, geistige und moralische Entartung der Nachkommenschaft Adams in die Grenzen zu bannen, die menschliches Wohlwollen (wenn man so will) ihr stecken, müssen unweigerlich fehlschlagen. „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen“ (Kap. 6,13), das ist das Zeugnis Gottes. Nicht vor Menschen, sondern vor Gott ist dieses Ende gekommen. Auch wenn die Spötter fragen: „Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an“ (2. Pet 3,4), rückt doch der Augenblick schnell heran, wo diese Spötter ihre Antwort empfangen werden. „Es wird aber der Tag des Herrn kommen wie ein Dieb, an dem die Himmel vergehen werden mit gewaltigem Geräusch, die Elemente aber im Brand werden aufgelöst und die Erde und die Werke auf ihr werden verbrannt werden“ (2. Pet 3,10). Das ist die Antwort, die Gott auf den Spott der Kinder dieser Welt geben wird. Wie aber wird Er die Zuneigungen und Erwartungen der Kinder Gottes beantworten? Gott sei gepriesen! Ihre Aussicht ist ganz anders. Sie werden dem Bräutigam in der Luft begegnen, bevor das Böse seinen Gipfel erreicht und somit bevor das Gericht darüber hereinbricht. Die Versammlung Gottes wartet nicht auf das Verbrennen der Welt, sondern auf den Aufgang des „glänzenden Morgensterns“ (Off 22,16).

Lasst euch versöhnen mit Gott

Von welchem Gesichtspunkt aus wir die Zukunft auch betrachten – ob die Versammlung in Herrlichkeit oder die Welt in Flammen, ob die Ankunft des Bräutigams oder das Einbrechen des Diebes, ob der Morgenstern oder die brennende Sonne, ob die Entrückung der Versammlung oder das Kommen des Gerichts das Thema ist, das uns beschäftigt – wir werden stets fühlen, wie wichtig es ist, auf das gegenwärtige Gnadenangebot Gottes an den verlorenen Sünder Acht zu haben. „Siehe, jetzt ist der Tag des Heils“ (2. Kor 6,2). „Gott war in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend“ (2. Kor 5,19). Jetzt will Gott versöhnen, bald wird Er richten, jetzt ist alles Gnade, dann wird alles Zorn sein, jetzt vergibt Er die Sünde durch das Kreuz, dann wird Er sie strafen durch ewige Pein! Jetzt sendet Gott eine Botschaft reicher und freier Gnade aus. Er redet zu Sündern von einer durch das kostbare Opfer Christi vollbrachten Erlösung. Er versichert ihnen, dass alles erfüllt, alles vollbracht ist. Er wartet um gnädig sein zu können. Die Langmut unseres Herrn ist Errettung, denn „der Herr zögert die Verheißung nicht hinaus, wie es einige für ein Hinauszögern halten, sondern er ist langmütig gegen euch, da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (2. Pet 3,9). Welch einen Ernst verleiht das dem gegenwärtigen Augenblick! Eine grenzenlose Gnade wird angeboten, ein grenzenloser Zorn ist im Kommen.

Mit welchem Interesse sollten wir auf die Entwicklung der Absichten Gottes achten! Die Schrift verbreitet so klares Licht über diese Dinge, dass wir nicht, wie ein anderer Schriftsteller gesagt hat, „gezwungen sind, die vorüberrollenden Ereignisse teilnahmslos anzustarren wie solche, die weder wissen, wo sie sind, noch wohin sie gehen“. Wir sollten genau unsere Stellung kennen, sollten die Tendenz aller jetzt wirkenden Grundsätze erkennen und uns des schrecklichen Strudels bewusst sein, dem mit reißender Schnelligkeit alle Strömungen zufließen. Die Menschen träumen vielleicht von einem goldenen Zeitalter, der Glaube aber sieht, wie die Wolken sich am Horizont der Welt immer dichter zusammenziehen. Das Gericht naht, der Tag des Zorns rückt heran, die Tür wird bald geschlossen werden, und die „wirksame Kraft des Irrwahns“ (2. Thes 2,11) wird sich bald in ihrer furchtbaren Gewalt einstellen. Wie nötig ist es daher, einen Warnruf erschallen zu lassen und durch ein treues Zeugnis der Selbstgefälligkeit des Menschen entgegenzuwirken!

Die Wasser sinken

Kehren wir jetzt zu der Geschichte Noahs zurück und betrachten wir ihn in einer neuen Stellung. Wir sahen ihn die Arche bauen und sahen ihn in der Arche. Jetzt werden wir sehen, wie er aus der Arche heraustritt und in der neuen Welt3, seinen Platz einnimmt. „Und Gott gedachte an Noah“ (Kap. 8,1). Nachdem das Gericht vorüber ist, kommt die gerettete Familie und alles, was mit ihr in Verbindung steht, in das Gedächtnis vor Gott. „Und Gott ließ einen Wind über die Erde fahren, und die Wasser sanken. Und die Quellen der Tiefe und die Fenster des Himmels wurden verschlossen, und dem Regen vom Himmel wurde gewehrt“ (Kap. 8,1.2). Die Strahlen der Sonne beginnen jetzt eine Welt zu beleben, die mit der Taufe des Gerichts getauft worden ist. Das Gericht ist das „befremdende Werk“ Gottes (vgl. Jes 28,21). Obwohl Er dadurch verherrlicht wird, findet Er doch keine Freude daran. Gepriesen sei sein Name! Er ist stets bereit, den Platz des Gerichts zu verlassen und den Boden der Gnade zu betreten, weil Er am Erbarmen seine Freude hat. „Und es geschah nach Verlauf von vierzig Tagen, da öffnete Noah das Fenster der Arche, das er gemacht hatte, und ließ den Raben hinaus; und der flog hin und her, bis die Wasser von der Erde vertrocknet waren“ (Kap. 8,6.7). Der unreine Vogel entwich und fand zweifellos einen Ruheplatz auf irgendeinem treibenden Kadaver. Er kehrte nicht wieder in die Arche zurück. Die Taube verhielt sich anders. Sie „fand keinen Ruheort für ihren Fuß und kehrte zu ihm in die Arche zurück; … und er ließ die Taube wieder aus der Arche hinaus. Und die Taube kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, ein abgerissenes Olivenblatt war in ihrem Schnabel“ (V. 8–11). Man kann hierin ein schönes Sinnbild der wiedergeborenen Seele sehen, die mitten in der Verwüstung ihre Ruhe und ihr Teil in Christus sucht und findet, und die zugleich das Unterpfand des Erbes ergreift und dadurch den Beweis liefert, dass das Gericht vorübergegangen ist und eine erneuerte Erde in Erscheinung tritt. Der fleischliche Sinn dagegen kann in allem seine Ruhe finden, nur nicht in Christus. Jede Unreinheit bietet ihm Nahrung. Das „Olivenblatt“ hat keinen Reiz für ihn. Er findet alles, was er braucht dort, wo der Tod herrscht, und er denkt daher nicht an eine neue Welt und ihre Herrlichkeiten. Ein Herz aber, das durch den Geist Gottes belehrt und geübt ist, kann nur da ruhen und sich freuen, wo Gott Ruhe und Freude findet. Es ruht in der Arche seines Heils bis „zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge“ (Apg 3,21). Wie glücklich sind wir, wenn der Herr Jesus die bleibende Ruhe unserer Herzen bildet und wir sie nicht suchen in einer Welt, die unter dem Gericht Gottes steht! Die Taube kehrte zu Noah zurück und wartete auf ihre Zeit der Ruhe. So sollten auch wir stets unseren Platz der Gemeinschaft mit Christus einnehmen bis zu der Zeit seiner Erhebung und Herrlichkeit in den kommenden Zeitaltern. „Denn noch eine ganz kleine Zeit, und „der Kommende wird kommen und nicht ausbleiben“ (Heb 10,37). Alles, was wir dazu brauchen, ist ein wenig Ausharren. Möge der Herr unsere Herzen richten „zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Christus!“ (2. Thes 3,5)

Noah verlässt die Arche

„Und Gott redete zu Noah und sprach: Geh aus der Arche“ (V. 15.16). Derselbe Gott, der gesagt hatte: „Mache dir eine Arche“, und: „Geh in die Arche“, sagt jetzt: „Geh aus der Arche“. „Und Noah ging hinaus … und baute dem HERRN einen Altar“ (V. 18–20). Noah gehorcht einfältig dem Wort Gottes. Wir finden hier den Gehorsam des Glaubens und den Gottesdienst des Glaubens. Die beiden Dinge gehen zusammen. Der Altar wird da errichtet, wo kurz zuvor der Ort des Todes und des Gerichts gewesen war. Die Arche hatte Noah und seine Familie wohlbehalten über die Wasser des Gerichts getragen. Sie hatte ihn aus einer alten in eine neue Welt geführt, wo er jetzt seinen Platz als Anbeter4einnimmt. Und beachten wir, dass der HERR es war, dem er den Altar errichtete. Der Aberglaube hätte die Arche angebetet, weil sie als Werkzeug der Errettung gedient hatte. Es besteht immer die Neigung des menschlichen Herzens, an die Stelle Gottes seine Anordnungen zu setzen. Nun war zwar die Arche auf die ausdrückliche Anordnung Gottes hin gebaut worden, aber der Glaube Noahs erhob sich über die Arche hinaus zu Gott, der die Arche gab, und als er sie verlassen hatte, baute er einen Altar und betete ihn an, anstatt die Arche als einen Gegenstand der Anbetung und Verehrung zu betrachten. Von der Arche ist ferner keine Rede mehr.

Das alles enthält eine zwar einfache, aber heilsame Lehre. In dem Augenblick, da das Herz die Wirklichkeit Gottes selbst aus dem Auge verliert, gibt es für seine Abirrungen keine Grenzen mehr. Es ist auf dem Weg zur schlimmsten Form der Abgötterei. Für das Urteil des Glaubens ist eine Anordnung nur dann wertvoll, wenn Gott sich darin in lebendiger Kraft der Seele offenbart, d. h. solange der Glaube gemäß der Bestimmung Gottes Christus darin genießen kann. Darüber hinaus hat eine Anordnung keinen Wert, und sobald sie sich auch nur im Geringsten zwischen das Herz und das Werk oder die Person Christi drängt, hört sie auf, eine Anordnung Gottes zu sein, und wird zu einem Werkzeug des Teufels. Nach dem Urteil des Aberglaubens allerdings ist die Anordnung alles, und Gott wird ausgeschlossen. Man benutzt den Namen Gottes nur noch, um die Anordnung noch wichtiger erscheinen zu lassen und ihr eine große Gewalt über das Herz und einen mächtigen Einfluss auf den Geist des Menschen zu verleihen. So kam es z. B., dass die Kinder Israel die kupferne Schlange anbeteten. Das, was in der Hand Gottes ein Segensmittel für sie gewesen war, wurde ein Gegenstand abergläubischer Verehrung, sobald ihre Herzen sich vom Herrn entfernten, so dass Hiskia sie vernichten musste. Man nannte sie „Nechustan“ (Kupfernes). An sich war sie ja auch nichts anderes als ein „Nechustan“, ein Stück Kupfer. Aber indem Gott sie gebrauchte, war sie ein Mittel reicher Segnung. Der Glaube erkannte sie als das an, was Gott von ihr gesagt hatte. Der Aberglaube aber warf wie immer die Offenbarung Gottes über Bord, vergaß die wirkliche Absicht Gottes bezüglich des Gegenstandes und machte sich einen Gott daraus.

Liegt nicht hierin eine ernste Lehre für unsere Tage? Wir leben in einer Zeit der Anordnungen. Die Atmosphäre, die die bekennende Christenheit umgibt, ist voll von Elementen einer überlieferten Religion, die die Seele von Christus und seinem vollkommenen Heil abzieht. Die menschlichen Überlieferungen leugnen zwar nicht offen die Existenz Christus oder das Kreuz, denn dann würden vielleicht manchen die Augen aufgehen. Das Böse trägt einen weit gefährlicheren Charakter: Man fügt Christus und seinem Werk allerlei Anordnungen hinzu: Der Sünder wird nicht nur durch Christus, sondern durch Christus und die Anordnungen errettet. – Aber auf diese Weise wird Christus ihm geraubt, denn es wird sich am Ende unweigerlich zeigen, dass Christus und Anordnungen im Grunde nichts anderes bedeutet als Anordnungen ohne Christus. „Wenn ihr beschnitten werdet, wird Christus euch nichts nützen“ (Gal 5,2). Es muss entweder Christus ganz sein, oder gar nichts von ihm. Der Teufel sagt den Menschen, dass sie Christus ehren, wenn sie viel aus Gottes Anordnungen machen, denn er weiß nur zu gut, dass sie dadurch in Wirklichkeit Christus völlig beiseite setzen und die Anordnungen vergöttern. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass der Aberglaube aus den Anordnungen das Wesen der Sache macht, während der Unglaube die Anordnungen verwirft, dass aber der Glaube sie gebraucht gemäß ihrer Einsetzung durch Gott.

Doch habe ich diesen Teil unserer Betrachtung bereits weiter ausgedehnt, als ich beabsichtigte. Ich möchte daher nur noch einen flüchtigen Blick auf Kapitel 9 werfen. Wir finden in diesem Kapitel den neuen Bund, unter den die Schöpfung gestellt wurde, und zugleich das Zeichen dieses Bundes. „Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde“ (Kap. 9,1). So befiehlt also Gott dem Menschen bei seinem Eintritt in die wiederhergestellte Welt, nicht einen Teil der Erde, sondern die ganze Erde zu bevölkern. Nach seinem Willen sollten sich die Menschen über die ganze Oberfläche der Erde ausbreiten und sich nicht auf ihre vereinten Kräfte stützen. Wir werden in Kapitel 11 sehen, wie wenig der Mensch dieses Gebot beachtet hat.

Gottes Bogen in den Wolken

Nach der Flut wird die Furcht vor dem Menschen in die Seele aller anderen Geschöpfe gelegt, so dass die durch die niederen Arten der Schöpfung dem Menschen geleisteten Dienste die notwendige Folge der Furcht sind. Im Leben und im Tod sind die Tiere zum Dienst des Menschen bestimmt. Jedoch wird die ganze Schöpfung durch den ewigen Bund Gottes von der Furcht vor einer zweiten Flut befreit. Niemals wird das Gericht eine solche Form wieder annehmen. „Die damalige Welt, vom Wasser überschwemmt, ging unter. Die jetzigen Himmel aber und die Erde sind durch dasselbe Wort aufbewahrt für das Feuer, behalten auf den Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen Menschen“ (2. Pet 3,6.7). Einst wurde die Erde durch Wasser gereinigt, zum zweiten Mal wird sie durch Feuer gereinigt werden; und bei dieser zweiten Reinigung wird niemand entfliehen, außer denen, die ihre Zuflucht genommen haben zu ihm, der durch die tiefen Wasser des Todes hindurchgegangen ist und der in dem Feuer des Gerichts Gottes gestanden hat.

„Und Gott sprach: Dies ist das Zeichen des Bundes … Meinen Bogen setze ich in die Wolken … Und es wird geschehen, wenn ich Wolken über die Erde führe, so soll der Bogen in den Wolken erscheinen, und ich werde meines Bundes gedenken“ (Kap. 9,12–15). Die Sicherheit der ganzen Schöpfung vor einer zweiten Flut ruht auf der ewigen Festigkeit des Bundes Gottes, dessen Zeichen der Regenbogen ist, und es ist beruhigend zu wissen, dass Gott den Bogen sieht, wenn er in den Wolken erscheint, so dass die Sicherheit des Menschen nicht von seinem eigenen, unvollkommenen Gedächtnis, sondern von dem Gedächtnis Gottes abhängt. „Ich“, sagt Gott, „werde meines Bundes gedenken.“ Wie wunderbar ist es, darüber nachzudenken, an was Gott sich erinnern will, und an was Er sich nicht erinnern will! Er will seines Bundes gedenken, aber der Sünden seines Volkes will Er nie mehr gedenken. Das Kreuz, das den Bund bestätigt, nimmt die Sünde weg, und der Glaube daran gibt dem beunruhigten Herzen und dem beschwerten Gewissen Frieden.

„Und es wird geschehen, wenn ich Wolken über die Erde führe, so soll der Bogen in den Wolken erscheinen …“ (V. 14). Welch ein schönes Bild! Die Strahlen der Sonne, die mit größerer Schönheit von den Wolken reflektiert werden, die das Gericht androhen, beruhigen das Herz, da sie von dem Bund Gottes, dem Heil Gottes und dem Gedächtnis Gottes reden. Wie deutlich erinnert uns dieser Bogen in den Wolken an Golgatha! Dort sehen wir eine finstere und schwere Wolke, die sich über dem heiligen Haupt des Lammes Gottes entlud, eine so dunkle Wolke, dass sogar mitten am Tag „eine Finsternis kam über das ganze Land“ (Lk 23,44). Doch Gott sei gepriesen! Der Glaube entdeckt in dieser finsteren Wolke den glänzendsten und schönsten Bogen, der je erschienen ist. Er sieht, wie die hellen Strahlen der ewigen Liebe Gottes das schreckliche Dunkel durchdringen und von der Wolke zurückgeworfen werden. Er hört gleichsam mitten aus der Finsternis die Worte: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30) Und er erkennt in diesen Worten die vollkommene Bestätigung Gottes ewigen Bundes, sowohl mit der Schöpfung, als auch mit den Stämmen Israels und mit der Versammlung Gottes.

Noah betrinkt sich

Der letzte Teil dieses Kapitels gibt uns ein demütigendes Schauspiel. Der Herr der Schöpfung versteht es nicht, sich selbst zu beherrschen. „Und Noah fing an, ein Ackersmann zu werden und pflanzte einen Weinberg. Und er trank von dem Wein und wurde betrunken, und er entblößte sich in seinem Zelt“ (Kap. 9,20.21). Welch ein Zustand für Noah, den einzigen gerechten Mann, den Prediger der Gerechtigkeit! Ach, was ist der Mensch! Wo es auch sei, immer und überall entdecken wir nur seine Fehler. In Eden, auf der wiederhergestellten Erde, in Kanaan, in der Versammlung, in der Gegenwart tausendjähriger Segnung und Herrlichkeit, überall und in allen Dingen versagt er. Es ist nichts Gutes in ihm. Mögen seine Vorrechte noch so groß, mag seine Stellung noch so begehrenswert sein, er kann nur Fehler und Sünden hervorbringen.

Wir müssen Noah von zwei Gesichtspunkten aus betrachten, nämlich als Bild und als Mensch. Während das Bild voll Schönheit und Bedeutung ist, zeigt sich der Mensch voll Unvermögen und Torheit. Dennoch hat der Heilige Geist die Worte niederschreiben lassen: „Noah war ein gerechter, vollkommener Mann unter seinen Zeitgenossen; Noah wandelte mit Gott“ (Kap. 6,9). Die Gnade Gottes hatte alle seine Sünden zugedeckt und ihn mit einem fleckenlosen Kleid der Gerechtigkeit bekleidet; „er fand Gnade in den Augen des HERRN" (Kap. 6,8). Selbst als Noah seine Nacktheit zeigte, sah Gott sie nicht, denn Er sah ihn nicht in der Schwachheit seines eigenen Zustandes, sondern in der Kraft einer göttlichen und ewigen Gerechtigkeit. Das lässt uns auch sehen, wie verkehrt die Handlungsweise Hams war, wie weit er von Gott entfernt und wie unbekannt er mit den Gedanken Gottes war. Anscheinend hatte er nie etwas von dem Glück des Menschen verspürt, „dessen Übertretung vergeben, dessen Sünde zugedeckt ist“ (Ps 32,1). Sem und Japhet dagegen geben uns in ihrem Verhalten ein schönes Beispiel von der Art und Weise, wie Gott die Nacktheit des Menschen behandelt, und beide erhalten einen Segen, während Ham einen Fluch davonträgt.

Fußnoten

  • 1 Möchten wir uns stets an die Worte erinnern: „Die Weisheit von oben aber ist erstens rein, dann friedsam“ (Jak 3,17). Die Weisheit, die von unten ist, möchte „friedsam“ zuerst setzen, und daher kann sie niemals „rein“ sein.
  • 2 Wie tritt die Weisheit des Heiligen Geistes hervor, indem Er die Verordnung der Taufe in dieser bemerkenswerten Stelle auf ganz besondere Weise behandelt! Wir kennen die verkehrte Anwendung, die man von der Taufe gemacht hat, kennen den falschen Platz, den sie in den Gedanken Vieler einnimmt. Wir wissen, dass die Wirkung, die allein dem Blut Christi innewohnt, dem Wasser der Taufe beigemessen wird, und dass die erneuernde Gnade des Heiligen Geiste s auf das Wasser der Taufe übertragen worden ist. So können wir nur überrascht sein von der Art und Weise, in der der Geist Gottes diesen Gegenstand mit der Erklärung überwacht, dass es sich nicht um ein bloßes Ablegen der Unreinheit des Fleisches, als durch Wasser handelt, sondern „um das Begehren eines guten Gewissens vor Gott“ – ein Begehren, das sich nicht auf die Taufe gründet, so wichtig diese als eine Anordnung für das Reich auch sein mag, sondern auf „die Auferstehung Jesu Christi“, „der unserer Übertretungen wegen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“ (Röm 4,25). Ich brauche kaum zu sagen, dass die Taufe als eine von Gott eingesetzte Verordnung und an ihrem Platz wichtig und bedeutungsvoll ist, aber wenn wir finden, dass die Menschen das Bild an die Stelle des Wesens setzen, so sind wir verpflichtet, das Werk Satans durch das Licht des Wortes Gottes bloßzustellen.
  • 3 Ich möchte hier einen Gedanken erwähnen, der denen vertraut ist, die sich eingehender mit dem Studium der verschiedenen Haushaltungen Gottes beschäftigt haben. Henoch wurde entrückt bevor das Gericht hereinbrach, während Noah durch das Gericht hindurchgeführt wurde. Nun glaubt man, in Henoch ein Bild der Versammlung zu sehen, die entrückt werden wird, bevor das menschliche Böse seinen Gipfel erreicht und bevor das göttliche Gericht darüber hereinbricht. Noah andererseits wird als ein Bild des Überrestes Israels betrachtet, der durch die tiefen Wasser der Drangsal und durch das Feuer des Gerichts hindurchgehen muss und aufgrund des ewigen Bundes Gottes in die Freude der tausendjährigen Segnungen eingeführt wird. Ich teile diese Meinung vollkommen, da sie mit der Lehre der übrigen Heiligen Schriften durchaus in Übereinstimmung steht.
  • 4 Es ist interessant, diesen Gegenstand in Verbindung mit der bedeutungsvollen Anordnung der Taufe zu betrachten. Ein Getaufter ist im Geist und dem Grundsatz nach durch den Glauben aus einer alten in eine neue Welt hinübergegangen. Das Wasser geht über ihn dahin, wodurch angedeutet wird, dass sein alter Mensch begraben, seine alte Natur beseitigt ist. Er ist tot. Das Fleisch mit seinen Sünden, seinen Befleckungen und Neigungen ist begraben in dem Tod Christi und kann nie wieder vor das Auge Gottes kommen. Wenn der Gläubige aus dem Wasser herauskommt, gibt er dadurch der Wahrheit Ausdruck, dass er ein neues Leben besitzt, das Auferstehungsleben Christi. Wie Christus aus den Toten auferstanden ist in der Macht eines neuen Lebens, nachdem Er unsere Sünden ganz weggetan hatte, so kommen auch wir aus dem Wasser hervor und geben dadurch zu erkennen, dass wir durch die Gnade Gottes und den Tod Christi in den Besitz eines neuen Lebens gekommen sind, mit dem göttliche Gerechtigkeit untrennbar verbunden ist: „So sind wir nun mit ihm (Christus) begraben worden durch die Taufe auf den Tod, damit, so wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln“ (Röm 6,4; vgl. Kol 2 und 1. Pet 3,18-22). Das alles macht die Taufe zu einer bedeutungsvollen Einrichtung.
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