Das Auferstehungsleben

In Johannes 20 sehen wir den Herrn Jesus aus dem Grab auferstanden, nachdem Er das Versöhnungswerk vollbracht hat. Hier wird nicht gesagt, dass Gott Ihn auferweckt hat. Das ist gewiss wahr, und der Apostel Petrus sagt auch in Apostelgeschichte 2,32: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt, wovon wir alle Zeugen sind“. In Johannes 20 finden wir jedoch, dass der Herr durch seine eigene göttliche Kraft auferstand. Er stand auf aus dem Tod durch dieselbe Kraft, mit der Er das Töchterchen des Jairus, den Jüngling zu Nain und den Lazarus auferweckt hatte. Dadurch bewies Er, dass Er der Sohn Gottes war (Röm 1,4).

Dieser Jesus offenbart sich der Maria Magdalena. Sie war durch Ihn von sieben Dämonen erlöst worden. Sie war vollständig in der Macht Satans gewesen. Aber Jesus hatte die dämonische Macht gebrochen und die Dämonen ausgetrieben. Darum hing ihr Herz an Ihm mit aller Liebe, der sie fähig war. Außer Ihm hatte sie nichts auf Erden. Es ist rührend, wenn wir in Johannes 20, 11–18 lesen, wie sehr ihr Herz von dem Herrn erfüllt war. Wie groß wird ihre Freude gewesen sein, als der Herr ihren Namen nannte! Wir können verstehen, dass sie den Herrn voll Freude begrüßte als einen, den sie nie wiederzusehen gedacht hatte. Nun war alles wieder gut, so wie es gewesen war vor jener schrecklichen Nacht, da man Ihn gefangen nahm.

Doch dann hört sie auf einmal die Stimme des Herrn: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater ... und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (V. 17). Es war also nicht alles so wie früher. Gewiss war es derselbe Jesus – aber ein Jesus, der am Kreuz das Versöhnungswerk vollbracht hatte und deshalb gestorben war, der nun auferstanden war und ein Auferstehungsleben besaß. Dadurch wurde alles anders. Vor dem Kreuz hatten die Jünger mit dem Herrn Umgang gehabt. Sie waren Ihm gefolgt, sie hatten dem gelauscht, was Er lehrte. Sie hatten Ihm mit ihren materiellen Gütern gedient. Aber bei all diesem war Er stets allein geblieben. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh 12,24). Nun war Er ihnen leiblich nicht mehr so nahe, denn sein Auferstehungsleib war ganz anders als ihre natürlichen Leiber. Aber auf geistliche Weise war Er ihnen viel näher gerückt, ja, der verherrlichte Herr im Himmel war ihnen unendlich näher, als Er es je vor seinem Sterben gewesen war. Denn Er brachte sie in dieselbe Stellung, die Er einnahm. Er vereinigte sie mit sich, so wie Er zur Rechten Gottes ist.

Der Herr Jesus ist der ewige Sohn des Vaters. Hierin steht Er natürlich allein, und als solcher kann Er nur der Gegenstand unserer Anbetung sein. Aber Er war auch der Sohn Gottes durch seine Geburt auf Erden. „Du bist mein Sohn, heute habe ich Dich gezeugt“ (Ps 2), und „das Heilige, das geboren werden wird, wird Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35).

Sowohl in seiner göttlichen als auch in seiner menschlichen Natur war Er der Sohn Gottes. Wie vollkommen kannte Er den Vater! In den Evangelien sehen wir, wie Er den Jüngern den Vater offenbarte. Niemals finden wir, dass der Herr Jesus Gott anders ansprach denn als Vater, ausgenommen am Kreuz. Aber niemals stellte Er die Jünger in das Verhältnis zum Vater, das Er einnahm.

Jetzt sehen wir den Sohn des Menschen, nachdem Er das Versöhnungswerk vollbracht hat, gestorben, aber auch durch seine göttliche Kraft auferstanden. Und mit seinen ersten Worten gibt Er seinen Jüngern seinen Platz und stellt sie in dasselbe Verhältnis zum Vater. Was der Vater für den Sohn ist, ist der Vater auch für die Söhne. Was Er, der Vater des Herrn Jesus, immer für den gesegneten Menschen war, der die Sünde hinweggetan hat, das ist Er auch für die, deren Sünden weggetan sind. Gott ist jetzt nicht nur vollkommen offenbart als der Gott und Vater unseres Herrn Jesus. Durch die Erlösung und Auferstehung, durch die wir vereinigt sind mit dem verherrlichten Jesus im Himmel, hat Er sich auch als unser Gott und Vater offenbart. Welche Gnade, welche gesegnete Stellung! Das ist wirkliches Christentum.

Die Juden konnten nur mit einem auf Erden lebenden Messias Verbindung haben. Aber die Jünger sind vereinigt mit einem verherrlichten Menschen im Himmel. Das ist der große Unterschied zwischen Judentum und Christentum. In Johannes 20 beginnt das Christentum. Es ist die Familie Gottes, in der Jesus seine Jünger, die Er erlöst hat, Brüder nennt und sie in Seine Stellung versetzt. Der zweite Mensch wird das Haupt eines neuen Geschlechtes. „Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub; der zweite Mensch vom Himmel. Wie der von Staub ist, so sind auch die, welche von Staub sind; und wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“ (1. Kor 15,47–48). Das war die herrliche Botschaft, die Maria Magdalena den Jüngern bringen durfte.

In Johannes 20,19–23 finden wir diese Wahrheit weiter entwickelt. Am Auferstehungstag sind die Jünger beisammen. Sie haben die Türen verschlossen, denn Jesus ist nicht mehr bei ihnen, um sie als Messias öffentlich zu beschützen (Lk 22,35–37). Und doch ist Er in ihrer Mitte, aber als der Auferstandene, vor dessen verherrlichtem Leib keine Türen oder Schlösser bestehen. Und sie hören seine Stimme. Es ist die Stimme, die sie oft gehört haben in den Jahren, da sie Ihm auf seinen Zügen durch das Land gefolgt waren. Aber nie hatten sie diese Worte gehört. Er hatte ihnen wohl zugerufen: „Fürchtet euch nicht!“ als sie in großen Schwierigkeiten waren. Er hatte verheißen, ihnen Frieden zu lassen. Aber nun sagt Er: „Friede euch!“ Und um ihnen zu zeigen, warum sie nun Frieden haben konnten, Frieden mit Gott, lässt Er sie seine durchbohrten Hände und seine durchstochene Seite sehen. Das war der Grund des Friedens mit Gott: „Indem Er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes“ (Kol 1,20).

Frieden mit Gott! In 1. Mose 6,3 sagt Gott: „Mein Geist soll nicht ewiglich mit dem Menschen rechten“. Solange etwas in dem Menschen mit Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit, ja in irgendeiner Weise mit Gott in Widerspruch ist, kann es keinen Frieden mit Gott geben. Aber nun hat der Mensch Christus nicht nur die Sünden aller, die an Ihn glauben, getragen, sondern überdies Gott am Kreuz über die Maßen verherrlicht. Gottes Liebe und Gnade, Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit, ja alle Eigenschaften Gottes sind durch das Werk des Herrn Jesus herrlich offenbart. Gott ist in dem Menschen Jesus verherrlicht und kann mit Wohlgefallen auf Ihn herniederschauen. Aber der Herr Jesus hat das Werk für uns getan. Alle, die an Ihn glauben, werden als eins mit Ihm gesehen. Wir sind vereinigt mit dem verherrlichten Menschen im Himmel. Und das Wohlgefallen, das Gott an dem Sohn hat auf Grund seines Werkes, ruht auch auf denen, die mit Ihm vereinigt sind: „Wir haben Frieden mit Gott!“

Dann sagt der Herr ein zweites Mal: „Friede euch!“ Aber Er fügt hinzu: „Gleichwie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch–. Hier geht es also um das Verkündigen des Evangeliums. Die Jünger mussten ausgehen und überall von diesem Frieden mit Gott erzählen, wie der Herr es getan hatte. „Und Er kam und verkündigte Frieden, euch, den Fernen, und Frieden den Nahen. Denn durch Ihn haben wir beide den Zugang durch einen Geist zu dem Vater“ (Eph 2,17). Und Er gab ihnen (also nicht allein den Aposteln, sondern allen Jüngern) die Macht, Sünden zu vergeben oder zu behalten. Aber damit sie die Kraft und die Einsicht hierzu besäßen, hauchte Er in sie und sagte: „Empfangt Heiligen Geist!“

Denken wir hierbei nicht gleich an 1. Mose 2,7, wo Gott in die Nase Adams haucht und ihn so zu einer lebendigen Seele macht? So sehen wir hier den letzten Adam, der aber zugleich Gott selbst ist, in göttlicher Macht in die Jünger hauchen, um ihnen ein neues Leben mitzuteilen. Adam als lebendige Seele wurde das Haupt seiner Familie, seines Geschlechtes. Christus, der letzte Adam, wurde auf Grund seines Werkes und seiner Auferstehung das Haupt der neuen Familie, eines neuen Geschlechtes, der Familie Gottes. „Der erste Mensch, Adam, ward eine lebendige Seele; der letzte Adam ein lebendig machender Geist“ (1. Kor 15,45).

Dies ist also nicht die Ausgießung des Heiligen Geistes, von der in Johannes 4 und 7 die Rede ist. Kapitel 7, 39 sagt ausdrücklich, dass das erst geschehen würde, wenn der Herr Jesus verherrlicht sei. Und in Apostelgeschichte 1 sagt der Herr, dass es noch geschehen müsse. Wir wissen, dass die Ausgießung am Pfingsttag stattgefunden hat. Aber hier geht es um das neue Leben. Was der Herr Jesus in Johannes 3 lehrt, nämlich, dass niemand, der nicht aus Wasser und Geist geboren ist, in das Reich Gottes eingehen kann, sehen wir hier in der Tat. Wir sehen den auferstandenen Jesus, der Heiligen Geist gibt als neues Leben.

Es ist bemerkenswert, dass im Griechischen vor „Heiligen Geist“ kein Artikel steht, ebenso wie in Joh annes 3,6 auch nicht steht „Was aus dem Geist geboren ist, ist der Geist“, sondern „ist Geist“. Es ist nicht der Heilige Geist, der Fleisch geworden wäre, sondern der Heilige Geist, der ein neues Leben weckt, das durch diesen seinen Ursprung gekennzeichnet ist; es ist „Geist“. Und für die Jünger, für Christen ist dies neue Leben das Auferstehungsleben, das durch den auferstandenen Herrn gegeben wird. Es ist sein Leben, das sie auf denselben Auferstehungsboden stellt, auf dem Er steht. Sie werden einsgemacht mit einem Jesus, der das Versöhnungswerk vollbracht hat, aus den Toten auferstanden ist und einen Platz zur Rechten Gottes empfangen hat. Das ist Christentum. Hierin sehen wir den gewaltigen Unterschied zu den Gläubigen von Adam bis zum Kreuz. Auch sie waren wiedergeboren und hatten Leben aus Gott. Aber sie hatten nicht das Auferstehungsleben. Sie standen unter dem Gesetz. Sie waren all den Satzungen unterworfen, die dem natürlichen Menschen gegeben sind. Aber, wie Römer 8 so deutlich auseinandersetzt, ist der Christ frei von der Sünde, frei von der alten Natur, frei vom Gesetz. In einem anderen Abschnitt wird hierauf ausführlicher eingegangen werden (s. u. Kapitel „Auf dass ihr nicht das tut, was ihr wollt“).

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