Der Heilige Geist als Kraft in uns

Es ist jedoch nicht genug, durch die Wiedergeburt das neue Leben zu besitzen. Wir sind dadurch wohl fähig zur Gemeinschaft mit Gott, aber es muss eine Kraft da sein, die diese Gemeinschaft zustande bringt. Das finden wir im ersten Teil von Johannes 4.

Das Erste, was uns in Vers 10 vor Augen geführt wird, ist, dass Gott in diesem Evangelium kein Fordernder, sondern der Geber ist. Im Gesetz wurde gefordert: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben usw.“, und sogar zu dem untadeligen Nikodemus sagte der Herr: „Ihr müsst von neuem geboren werden“. Hier dagegen verkündet Gott seine Liebe zu dem Sünder, ja zu der elendesten Sünderin, zu einer sittenlosen samaritischen Frau. Es ist souveräne Gnade, die sich nicht auf die Juden beschränkt, sondern sich auch zu den Nationen ausstreckt.

Ich glaube nicht, dass es ganz richtig ist, wenn man sagt, mit „Gabe Gottes“ sei hier Christus gemeint. Unstreitig ist Er die große Gabe Gottes. Aber in Römer 6,23 wird auch gesagt: „Die Gnadengabe Gottes aber [ist] ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn“. Ich meine, dass wir in Johannes 4 den gleichen Gedanken haben wie in 2. Korinther 9,15: „Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe“. Dort ist mit Gabe die Gesamtheit der Segnungen Gottes gemeint, so dass das Auge nicht auf die Gabe, sondern auf Gott als den Geber gerichtet wird.

Der Herr Jesus sagt, dass Er der Christus sei (V. 26). Er offenbart sich als der  Allwissende (V. 18) und als Derjenige, der das lebendige Wasser gibt, das ins ewige Leben quillt (Verse 10 und 14). Diese herrliche Person sehen wir ermüdet von der Reise, hungrig und durstig bei der Quelle sitzen und eine sündige Samariterin um ein wenig Trinkwasser bitten. „Anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Gott ist offenbart im Fleisch“ (1. Tim. 3, 16). Und sieht Ihn die Samariterin auch nur als „einen Juden“, so ist Er doch der Sohn Gottes, der Richter der Lebendigen und der Toten (Joh 5,17–29). Er ist der, welcher lebendiges Wasser geben kann, so dass jeden, der davon trinkt, in Ewigkeit nicht dürsten wird.

Zum Dritten finden wir lebendiges Wasser. In Kapitel 3 haben wir von „geboren aus Wasser und Geist“ gelesen, und wir haben dort gesehen, dass Wasser ein Bild von Gottes Wort ist. Durch das Wort wirkt der Heilige Geist Leben in einem Menschen, der kein Leben aus Gott besitzt, sondern nur eine sündige Natur.

Hier ist es lebendiges Wasser, also Wasser, gekennzeichnet durch Leben, durch eine Quelle Lebens, die unaufhörlich fließt. Es ist das Wort und der Geist zusammen, aber gekennzeichnet durch den Geist. In Kapitel 7, 37–39 sehen wir dann auch, dass lebendiges Wasser ein Bild des Heiligen Geistes ist, aber als in dem Gläubigen wohnend.

Dies ist nicht dasselbe wie das neue göttliche Leben, das wir durch die Wiedergeburt besitzen, selbst nicht in seiner reichsten Form, wie sie uns in dem Ausdruck ewiges Leben vorgestellt wird. Dieses ist in sich selbst abhängig und kann niemals eine Quelle sein. Es wäre ein Widerspruch zur ganzen Wahrheit über diese neue und göttliche Natur, wenn wir sie durch eine Quelle darstellten. Aber der Heilige Geist, der in dem Gläubigen wohnt, ist eine Quelle der Kraft und der Freude, die ins ewige Leben quillt.

Die lebendigmachende Kraft des Heiligen Geistes, den Gegensatz zwischen der alten und der neuen Schöpfung, wie wir sie in Johannes 3 finden, sehen wir auf der Erde seit dem Sündenfall. Von 1. Mose 3 an hat der Geist Gottes in Seelen gewirkt, um in ihnen die Wiedergeburt zustandezubringen, denn ohne die Wiedergeburt kann kein Sünder gerettet werden. Aber niemals wurde der Geist Gottes gegeben, bevor der Sohn als Mensch auf Erden in seiner Liebe zu Sündern offenbart war und bevor Gott sich als der Geber offenbarte. Es ist auch Christus, der gibt, und Er gibt hier nicht sich selbst oder nur Leben. Das sahen wir in Kapitel 3, und die Schrift wiederholt sich niemals. Er gibt den Heiligen Geist, der in dem Gläubigen eine Quelle der Kraft ist.

Johannes 7,39 sagt uns, dass dies erst geschah, nachdem der Herr verherrlicht war. Am Tag der Pfingsten haben wir die Erfüllung. Johannes 4 bezieht sich nur auf die Zeit der Versammlung auf Erden, was wir in den Versen 23 und 24 wohl deutlich bestätigt finden.

Obwohl ihr Herz sich durch die Gnade angezogen fühlt, begreift diese Frau doch nichts von dem, was der Herr sagt, und sie kennt seine Herrlichkeit nicht. Sie meint, der Brunnen sei für den Herrn zu tief, und in der Tat, der Brunnen, aus dem Er schöpft, ist tief; es ist das Herz des Vaters, der sich Sündern als der große Geber offenbaren will.

Vor dem Sündenfall hat Adam keinen Durst gehabt. Ich glaube, auch leiblich nicht, aber auf jeden Fall geistlich nicht, denn sonst wäre Gottes Schöpfung nicht „sehr gut“ gewesen. Aber nach dem Sündenfall hatte der Mensch Durst. Das Beste, was er hatte, war Hoffnung, aber er sah die Erfüllung nicht. Und auch die Tradition, der Jakobsbrunnen, aus dem der religiöse Mensch seinen Durst zu stillen sucht, kann kein Genüge geben. „jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wiederum dürsten.“ Aber jetzt war der Sohn Gottes gekommen, um jedem, der wiedergeboren ist, der das ewige Leben hat, den Heiligen Geist zu geben, die Kraft, die den Menschen zum Teilhaber alles dessen macht, was in Gott ist.

Mit den natürlichen Dingen verhält es sich so, dass mein Besitz vermindert wird, wenn ich etwas fortgebe. In den geistlichen Dingen ist es anders; je mehr ich gebe, um so mehr empfange ich. Die Quelle ist unerschöpflich, sie quillt bis ins ewige Leben und stillt alle Wünsche des neuen Lebens. Man kann nicht sagen, dass dies praktisch der Fall ist, wenn jemandes Herz an den irdischen Dingen hängt. Ein Christ, der sich in einem fleischlichen Zustand befindet, hat Durst. Aber wenn er zu Christus zurückkehrt, findet er auf dem Grund seiner Seele die Quelle.

Der Heilige Geist wird uns hier nicht als eine Person vorgestellt. Das finden wir später, wenn die Wahrheit dargelegt wird, dass nach der Aufnahme des Herrn Jesus eine andere göttliche Person auf diese Erde kommen und hier wohnen würde. Hier sehen wir den Heiligen Geist als göttliche Kraft, die in dem neuen Leben wirkt und hervorbringt, was mit Gott in Übereinstimmung ist. Das lebendige Wasser, welches der Herr gibt, „wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das bis ins ewige Leben quillt“.

Eine Quelle (wörtlich: ein Springbrunnen) ist etwas unaufhörlich Strömendes, dem die Kraft innewohnt, das Wasser hoch aufsprudeln zu lassen. Diese Kraft wird hier noch unterstrichen durch die Worte „das bis ins ewige Leben quillt [wörtlich: springt]“. So wirkt der Heilige Geist in dem Gläubigen und bringt hervor: „Liebe, Freude, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit“ (Gal 5,22). Alle diese Dinge gehören zum neuen Leben, aber sie werden hervorgebracht durch diese Kraft, die in dem neuen Leben wirkt. Hier ist Ruhe und Kraft. Wir haben nicht nur ewiges Leben in Ihm, sondern eine Quelle Wassers in uns; Kraft, die von Gott herniederkommt – der Himmel ist in mein Herz gekommen. Es ist die Kraft des göttlichen Lebens, die mich mit dem Vater und dem Sohn in Gemeinschaft bringt.

Es ist hier alles persönlich: in meiner eigenen Seele ist eine Quelle Wassers, die ins ewige Leben quillt. Der Mensch hat Durst – er trinkt von dem lebendigen Wasser, und dieses wird ihm zu einer Quelle, die ihn an allem, was in Gott ist, teilhaben lässt. Und er ruft jedem zu: „Wen da dürstet, der komme, wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Off 22,17).

In Römer 8 finden wir das Resultat der Lehre von Johannes 3–4: Der Geist als Leben und als Kraft in dem Gläubigen. In den ersten sieben Kapiteln des Römerbriefes wird nur zweimal von dem Geist gesprochen, und zwar in Kapitel 1, 4 in Verbindung mit der Auferstehung des Herrn Jesus und in Kapitel 5, 5, wo Er genannt wird, um zu erklären, warum der Gläubige sich der Trübsale rühmen kann. In Kapitel 8, wo die eigentliche Lehre des Briefes beendet ist und die Stellung des Gläubigen dargelegt wird in ihrer ganzen herrlichen Freiheit: frei von Sünden, frei von der alten Natur, frei vom Gesetz, finden wir das Wort „Geist“ oder „des Geistes“ jedoch achtzehnmal.

In Vers 2 sehen wir den Geist des Lebens, der in dem Menschen das neue Leben erweckt, so wie in 1. Mose 2,7 Adam eine lebendige Seele wird durch den Odem des Lebens. Es ist jedoch nicht genug, dass der Mensch ein neues Leben besitzt. Er hat gesündigt – aber Christus trug seine Sünden auf dem Kreuz. Er hat eine sündige Natur, die nicht anders als sündigen kann – Gott hat sie in Christus am Kreuz gerichtet. „Den, der Sünde nicht kannte, hat Er für uns zur Sünde gemacht“, und „das ... tat Gott, indem Er, seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte.“ Und in Vers 4 finden wir nicht nur das Verlangen des neuen Menschen, Gutes zu tun: „Denn ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen“ (Röm 7,22), sondern Kraft, danach zu handeln; „auf dass das Recht des Gesetzes erfüllt würde in uns, die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln.“ Es ist nicht nur das Fleisch auf der einen und die neue Natur auf der anderen Seite, sondern die alte Natur (die Sünde im Fleisch), durch Gott im Tod und in der Auferstehung des Christus gerichtet, und der Geist als Kraft, die die neue Natur mit dem Sohn in lebendige Verbindung bringt. Es ist die Offenbarung des Vaters und des Sohnes, welche die Seele empfängt, in der der Heilige Geist wohnt.

Dies ist nicht das Gleiche wie das, was von Bileam gesagt wird. Auf ihm war der Geist Gottes nur für eine Zeit (4. Mo 24,2). Aber hier sehen wir, wie der Gläubige den Heiligen Geist empfängt, nachdem er zum Leben gebracht ist. Seine Stellung wird dadurch gekennzeichnet, dass er nicht im Fleisch, sondern im Geist ist. Er hat den Geist des Christus und gehört Christus an – der Vater liebt ihn wie Er Christus liebt – er hat den Geist Gottes und dadurch Gemeinschaft mit Gott. Er hat den Geist der Sohnschaft, durch welchen er ruft: „Abba, Vater!“ „Der Geist selbst zeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“

Niemals kann der Geist Zweifel an der Errettung wecken oder den Gedanken: „Ich hoffe, gerettet zu sein“. Der Heilige Geist bringt die Gewissheit der Sohnschaft und das gesegnete Gefühl der Gemeinschaft. Ja, da der Heilige Geist in uns wohnt, gehören auch unsere Leiber nicht mehr der Erde an, sondern dem Himmel, und Gott wird sie einst auferwecken, wie Er auch Jesus aus den Toten auferweckt hat. „Wenn aber Kinder, so auch Erben – Erben Gottes und Miterben Christi.“

Das ist die wirkliche Stellung eines Christen, eine Stellung, welche die alttestamentlichen Gläubigen nicht besaßen. Sind wir uns bewusst, was wir geworden sind, und verwirklichen wir es in der Praxis?

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