Fragen zu biblischen Themen

Sünde der Welt tragen

Fragen zu biblischen Themen

Frage: In Wort und Lied, besonders in Evangeliumsliedern, wird öfter der Gedanke ausgedrückt, der Herr Jesus habe auf dem Kreuz die Sünde der Welt getragen, die Sünde der Welt habe auf Ihm gelegen. Kann man das so sagen?

Antwort: Diese Ausdrucksweise ist alles andere als korrekt. Sie ist schlicht irreführend. Wir müssen uns dies Eine klarmachen: Wenn die Sünde der Welt auf dem Herrn Jesus gelegen, wenn Er die Sünde der Welt im Gericht getragen hätte, dann würde auch die ganze Welt errettet werden. Das aber würde Allversöhnung bedeuten und eine Lehre stützen, die zu den Aussagen der Heiligen Schrift in völligem Widerspruch steht.

Die falsche Ausdrucksweise rührt zumeist daher, dass man nicht zwischen Sühnung und Stellvertretung unterscheidet. Beides sind Wahrheiten des Wortes Gottes, die eng zusammen gehören, aber voneinander unterschieden werden müssen.

Der Herr Jesus hat am Kreuz in den drei Stunden der Finsternis Gott im Blick auf die Sünde vollkommen verherrlicht. Dort wurde Der, der Sünde nicht kannte, „zur Sünde gemacht“ (2. Kor 5, 21). Dort gab der Herr Seinem Gott Gelegenheit zu zeigen, was Er denkt über die Sünde, wenn es auch das ernsteste Gericht für Ihn selbst bedeutete. Auf diese Weise ist Gott in allen Zügen Seines Wesens verherrlicht worden, ist Seine Heiligkeit ebenso offenbar geworden wie Seine Liebe. Da nun den heiligen und gerechten Anforderungen Gottes im Blick auf die Sünde durch das Werk Christi vollkommen entsprochen worden ist und Sein Zorn über die Sünde Den getroffen hat, der persönlich völlig ohne Sünde war, kann nun Gott an alle Menschen die Einladung ergehen lassen, mit ihren Sünden zu Ihm zu kommen, um Heil und Errettung zu finden. Das ist die Seite der Sühnung. Insofern ist Christus „für alle gestorben“ (2. Kor 5, 14.15), hat Er sich selbst „als Lösegeld für alle“ gegeben (1. Tim 2, 6). „Für alle“ bedeutet „im Hinblick auf alle, zugunsten von allen“. Die Gnade Gottes ist heilbringend für alle Menschen erschienen (Tit 2, 11), und es liegt jetzt an jedem Einzelnen, im Glauben dieses Angebot Gottes zum Heil anzunehmen.

Nie aber sagt die Heilige Schrift, dass Christus die Sünden aller „getragen“ habe. Denn das Tragen von Sünden hat mit Stellvertretung zu tun. Stellvertretend war Christus nur für die im Gericht Gottes, die an Ihn glauben würden zum ewigen Leben. Nur ihre Sünden hat Er tatsächlich getragen. Unter diesem Blickwinkel gab der Heiland Sein Leben „als Lösegeld für viele“, das heißt „anstelle von vielen“ (Mt 20, 28; Mk 10, 45). Hier verwendet die Heilige Schrift ein anderes Verhältniswort als in den oben genannten Stellen (›antí‹ statt ›hypér‹), obgleich im Deutschen jedes Mal „für“ steht. Wenn von dem Tragen der Sünden die Rede ist, spricht Gottes Wort nur von den Sünden vieler und von unseren Sünden: „Er aber hat die Sünde vieler getragen“ (Jes 53, 12).

„… so wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen …“ (Heb 9, 28).

„… der selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat“ (1. Pet 2, 24).

Wenn Johannes der Täufer vom Herrn Jesus sagt: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt“ (Joh 1, 29), so liegt durchaus kein Widerspruch zu dem Gesagten vor. Zum einen wird hier nicht von den Sünden der Welt gesprochen, sondern von Sünde als einem Prinzip, das durch den Sündenfall in die Welt gekommen ist. Zum anderen wird nicht gesagt, dass Er das Wegnehmen der Sünde bereits getan hat oder es noch tun wird. Vielmehr wird eine absolute Wahrheit ausgedrückt: Das Lamm Gottes nimmt die Sünde der Welt weg. Das Erlösungswerk Christi ist die Grundlage dafür, dass Er die Sünde gänzlich vor den Augen Gottes wegnehmen wird (Heb 9, 26). Im Blick auf die Gläubigen ist das schon heute Wirklichkeit. Vollkommen wird es jedoch erst dann erreicht sein, wenn der ewige Zustand gekommen ist. Die Ungerechten werden dann gerichtet und auf ewig im Feuersee sein (Off 20, 11–15). Und im neuen Himmel und auf der neuen Erde wird es keine Sünde mehr geben: „Nacht wird nicht mehr sein“ (Kap. 22, 5).

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