Betrachtungen über den Römerbrief
Botschafter des Heils in Christo 1882

Betrachtungen über den Römerbrief - Teil 2/8

Es wird vielleicht von Nutzen sein, einige Worte über die Bedeutung des Ausdrucks: „Gerechtigkeit Gottes“ zu sagen. Obwohl er ganz einfach ist, so herrscht doch viel Missverständnis über denselben. In der lutherischen Übersetzung ist stattdessen gesagt: „Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ Nun ist aber die menschliche Gerechtigkeit nach dem Gesetz gültig vor Gott. Er findet zwar nirgendwo eine solche, aber sie „gilt“ vor Gott. Allem sie ist nicht die Gerechtigkeit Gottes, wenn sie auch noch so vollkommen wäre. In Johannes 16,10 sehen wir, worin die Gerechtigkeit Gottes sich erwiesen hat, darin nämlich, dass Gott Christus zu seiner Rechten gesetzt hat, in seine eigene Herrlichkeit, weil Christus Ihn vollkommen verherrlicht hat. Darin besteht die Gerechtigkeit, dass der Vater den Menschen Christus in seine eigene Herrlichkeit erhoben hat – in die Herrlichkeit, die Er bei Ihm hatte, ehe die Welt war. Und Gott, als gerechter Gott, hat Ihn verherrlicht, weil Er in Christus auf dem Kreuz verherrlicht worden ist (Joh 17,5; 13,31–32). In der oben angeführten Stelle sagt der Herr (Joh 16,10): Der Geist wird „die Welt überführen von Gerechtigkeit, weil ich zu meinem Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht.“ Die Welt hat Ihn, als gekommen in Gnade, für immer verloren, indem sie Ihn verworfen hat; aber Gott hat Ihn aufgenommen und verherrlicht. Wenn der Herr in Johannes 17,25 von der Welt redet, so sagt Er: „Gerechter Vater“, in seiner Fürbitte für die seinen hingegen (V 11): „Heiliger Vater.“ So liegt also der Beweis von der Gerechtigkeit Gottes darin, dass Er Christus verherrlicht hat. Als Gott in Christus in der Welt war, musste die Welt Ihn annehmen oder verwerfen. Sie hat Ihn verworfen und ist dadurch gerichtet; sie wird Ihn auch nicht mehr sehen, bis Er kommt in Gericht. Christus aber hat als Mensch Gott vollkommen verherrlicht in allem, was Er ist, und Gott hat Ihn nach seiner Gerechtigkeit verherrlicht. Das Evangelium nun verkündigt diese Gerechtigkeit Gottes, nämlich dass Christus in dem, was Er für uns getan, Gott verherrlicht hat und daher als Mensch verherrlicht ist und, mit göttlicher Herrlichkeit bekleidet, zur Rechten Gottes sitzt, sowie ferner, dass unsere Stellung vor Gott die Folge ist von dem, was Christus getan hat. Unsere Rechtfertigung und Verherrlichung ist ein Teil der Gerechtigkeit Gottes, weil das, was Christus getan hat, um Gott zu verherrlichen, für uns getan worden ist. Wir sind die Gerechtigkeit Gottes in Ihm (2. Kor 5,21). Christus würde die Frucht seines Werkes verlieren, wenn wir nicht bei Ihm in der Herrlichkeit sein würden, als die Frucht der Mühsal seiner Seele, nachdem Er alles, was in Gott ist, verherrlicht hat – obwohl wir in uns selbst durchaus unwürdig sind.

Der Apostel erklärt dann, warum eine solche Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit Gottes selbst, nötig war, wenn ein Mensch errettet werden sollte. Menschliche Gerechtigkeit war nicht zu finden auf der Erde, und doch war Gerechtigkeit nötig. Da es nun aber Gottes Gerechtigkeit ist, und zwar nicht durch unsere Werke, so muss sie uns durch den Glauben zugerechnet werden – auf dem Grundsatz des Glaubens; denn wenn die Werke des Menschen etwas dazu beitrügen, so wäre es nicht Gottes Gerechtigkeit. Wenn aber der Mensch durch den Glauben dieser Gerechtigkeit teilhaftig wird, so hatten die Gläubigen aus den Nationen eben sowohl Teil daran, wie die Juden.

So sehen wir denn als zweiten Hauptgegenstand des Briefes – nachdem der Erste, die Person Christi, in den Vordergrund gestellt ist – die Gerechtigkeit Gottes, dargestellt ans dem Grundsatz des Glaubens, so dass sie für alle ist und durch den Glauben angenommen und also der Seele zugeeignet wird. Was diese Gerechtigkeit nötig machte, ist die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen, indem der Zorn Gottes offenbart worden ist über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen. Hinsichtlich der Heiden gibt der Apostel zwei Beweggründe des Zornes an: 1. das Zeugnis der Schöpfung (V 19–20) und 2. dass sie Gott nicht in Erkenntnis festhalten wollten, als sie Ihn kannten, sondern die Abgötterei vorzogen (V 21–24). Die unsichtbaren Dinge von Ihm werden geschaut, nämlich seine ewige Kraft und Göttlichkeit, von der Schöpfung der Welt an in den gemachten wahrgenommen, so dass das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbart ist – also dass sie keine Entschuldigung haben. Das will nicht sagen, dass sie Gott seiner Natur nach kennen, sondern dass sie Ihn als Schöpfer hätten kennen sollen. Wenn man nicht blind ist, so sieht man einen Schöpfer in der Schöpfung.

Aber Gott hatte sich nicht allein als Schöpfer offenbart. Noah kannte Ihn nicht nur als solchen, sondern auch als einen Gott, mit welchem der Mensch als ein verantwortliches Wesen es zu tun hatte – als einen Gott, der die Welt für ihre Bosheit gerichtet hatte, der Acht gab auf das Tun der Menschen, und der die Ungerechtigkeit und Gewalttat nicht wollte. Beim Turmbau zu Babel hatten sie Ihn als einen Gott kennen gelernt, der sie zerstreut hatte, weil sie in ihrer eignen Weisheit unabhängig und in ihrer eignen Kraft mächtig werden wollten. Als einen solchen Gott aber wollten die Heiden Ihn nicht in Erkenntnis haben oder Ihn anerkennen; sie machten sich selbst Götter, so wie der Mensch sie machen konnte: Götter, die ihre Leidenschaften begünstigten. Und anstatt den wahrhaftigen Gott zu verherrlichen oder Ihm dankbar zu sein, verfielen sie in die Finsternis ihrer eignen Herzen; „indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in die Gleichheit eines Bildes des verweslichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere.“ Und weil sie die Herrlichkeit Gottes nicht aufrecht halten wollten, sondern dieselbe nach ihren Gelüsten aufgaben, so hat Gott sie diesen Gelüsten preisgegeben; Er hat sie dahingegeben zu schändlichen Leidenschaften, worin sie das, was der Ehrbarkeit der Menschheit geziemte, verlassen haben. Und nicht nur haben sie, erfüllt mit aller Gottlosigkeit und geleitet durch ihre Leidenschaften, selbst solches getan, sondern haben auch in kalter Bosheit ihr Wohlgefallen an denen gefunden, die es taten. Wohl gab es einige, die diese schändlichen Wege richteten (Kap 2,1); sie taten aber dasselbe und deshalb verurteilten sie sich selbst und fielen dem gerechten Gericht Gottes anheim, indem sie auch den Reichtum seiner Güte und Geduld verachteten und nicht wahrnahmen, dass diese Güte sie zur Buße leitete. Anstatt dieser Leitung zu folgen, häuften sie sich selbst mit störrigem und unbußfertigem Herzen Zorn auf den Tag des Zornes.

Der Apostel kommt jetzt zu einem wichtigen Grundsatz, der zwar einfach ist, aber ein helles Licht über die ganze Sache verbreitet: nachdem Gott jetzt offenbart ist, handelt Er nach dem Tun der Menschen. Am Tag des Gerichts wird Er jeglichem nach seinen Werken vergelten, sei er Jude oder Grieche; denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott. Wohl hat Er, zur Prüfung des Menschen und zur Erhaltung der Wahrheit, dass nur ein Gott ist, sich ein Volk auserwählt und nahegebracht; aber im Grund gab es keinen Unterschied unter den Menschen. Alle waren ihrer Natur nach Sünder, und alle hatten gesündigt. Wir sehen auch, dass Gott seinem Volk gegenüber, obgleich Er ihm ein Gesetz gegeben hatte, immer hinter dem Vorhang blieb, ohne sich zu offenbaren. Jetzt aber ist der Vorhang zerrissen, und der Mensch – zuerst der Jude und dann der Grieche – muss vor Ihm offenbar werden, ein jeglicher nach dem, was er in seinem Wandel und was er in Wirklichkeit seinem moralischen Zustand gemäß ist; und hierbei kommt es nicht in Betracht, ob er seiner Stellung nach Jude oder Grieche ist. Gott berücksichtigt, seiner Gerechtigkeit nach, nur das Licht, welches ein jeder besitzt. Wenn der Apostel von denen spricht, welche Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen, so setzt er dabei das Christentum voraus; denn die Kenntnis jener Dinge hängt von einer Offenbarung ab. Die also dies mit Ausharren in guten Werken suchen, denen wird Gott ewiges Leben vergelten, ohne einen Unterschied zwischen Juden und Griechen zu machen. Gott will die Wirklichkeit des göttlichen Lebens, nicht die Form einer Einrichtung. Die, welche der Wahrheit ungehorsam, der Ungerechtigkeit aber gehorsam sind, haben Grimm und Zorn zu erwarten. „Trübsal und Angst über jegliche Seele eines Menschen, der das Böse wirkt, beides des Juden zuerst und des Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jeglichem, der das Gute wirkt, beides dem Juden zuerst und dem Griechen.“ Alle werden gerichtet werden, ein jeder nach seinen Werken, ohne Ansehen der Person, jeder aber nach dem Licht, welches er besessen hat. „So viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und so viele unter dem Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden. „ ... an dem Tag, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird durch Jesus Christus.“ Denn nicht die Hörer des Gesetzes, sondern die Täter desselben werden gerechtfertigt. Wenn einer aus den Nationen das tut, was das Gesetz fordert, so wird er angenommen und hat den Vorzug vor dem, der das Gesetz besitzt und es nicht beobachtet. Es handelt sich, wie gesagt, nachdem Gott offenbart ist, nicht mehr um äußere Verhältnisse, nach welchen die einen „nahe“, die anderen „ferne“ sind, sondern um das, was gerecht ist in den Augen Gottes. In Wirklichkeit tat einer aus den Nationen, der nach dem Geist wandelte in der Liebe, das, was das Gesetz forderte; während der Jude, der das Gesetz hatte und in der Sünde wandelte, nicht von Gott angenommen werden konnte. Es handelt sich jetzt nicht mehr um äußere Verhältnisse zu Gott, um seine Verwaltung der Welt und die Verwaltung seines Volkes, mit einem Wort, um die Regierung Gottes auf der Erde, sondern um den Zustand der Seele vor Gott und um den Tag des Gerichts, wo das Verborgene des Herzens aus Licht gebracht und der Mensch nach seinen Werken gerichtet werden wird.

Nachdem der Apostel diese großen und wichtigen Grundsätze klar hingestellt hat, geht er dazu über, den wirklichen Zustand der Juden zu beschreiben, wie er dies im ersten Kapitel in Bezug auf die Nationen getan hat. Die Juden rühmten sich des Gesetzes und der Vorrechte, die sie besaßen; sie kannten den Willen Gottes und waren fähig, die Unwissenden zu belehren; ja sie rühmten sich sogar Gottes. Aber belehrten sie sich auch selbst? Im Gegenteil, sie taten alles das, was sie andere mit Weisheit lehrten, nicht zu tun. Sie entehrten Gott, weil sie seinen Namen trugen. Durch sie wurde der Eine wahre Gott unter den Heiden gelästert, wie geschrieben stand. Sie besaßen Vorrechte; wenn aber das Gesetz, mit welchem diese Vorrechte verbunden waren, gebrochen wurde, so wurde ihre Beschneidung zur Vorhaut. Und die Nationen, wenn sie das Gesetz beobachteten, verurteilten die, welche, Buchstaben und Beschneidung besitzend, das Gesetz übertraten. Denn nicht der war ein wahrhaftiger Jude, der es äußerlich war, sondern der, dessen Herz beschnitten, der ein Jude war im Herzen und im Geist, nicht im Buchstaben, dessen Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist. Kapitel 3

Der Apostel beginnt jetzt die Juden auf ihrem eignen Boden anzugreifen. Ihr Vorzug war groß, des Nutzens der Beschneidung war „viel, auf alle Weise“, besonders deshalb, weil ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut waren. Der Apostel glaubte dies wirklich und mit Recht. Es handelt sich in dieser Hinsicht nicht darum, ob sie alle persönlich bekehrt waren; sie genossen die Vorrechte des Volkes Gottes, die sonst nirgends gefunden wurden, und wenn sie untreu waren, so konnte ihre Untreue doch die Treue Gottes nicht aufheben. Ebenso (verhält es sich jetzt mit der bekennenden Christenheit) Die Verheißungen Gottes werden durch seine Treue dem Volk Israel erfüllt werden, obgleich es alles Anrecht darauf verloren hat. Doch davon redet der Apostel erst später (im 11. Kapitel).

Aber, könnte man sagen, dann lässt ja die Untreue des Menschen die unfehlbare Treue Gottes nur umso glänzender hervortreten! Und hebt nicht diese Tatsache, dass die Untreue des Menschen die Treue Gottes in noch hellerem Licht erscheinen lässt, das Recht Gottes, den Menschen zu richten, auf? Keineswegs; denn nach diesem Grundsatz könnte Er niemanden richten, weil auch die Bosheit der Nationen seine Treue in ein klareres Licht stellt. Die Juden sind ebenso verantwortlich für ihre Untreue wie die Anderen; und dass diese gerichtet werden würden, bezweifelte der Jude nicht. Trotz ihrer Vorrechte sind also auch die Juden dem Gericht Gottes verfallen.

Der Apostel lässt sich nicht herab, eine Antwort zu geben auf die boshafte Äußerung etlicher: „Lasst uns das Böse tun, auf dass das Gute komme!“ und sagt bloß: „deren Verurteilung ganz recht ist.“ Die Christen wurden nämlich von der Welt angeklagt, als ob sie so sprächen. Die, Gnade ist immer ein Gegenstand der Anklage, solange die Seele nicht von der Sünde überführt ist; sobald aber das Gewissen zum Bewusstsein der Sünde kommt, wird die Gnade ein Gegenstand herzlicher Dankbarkeit.

Wenn nun der Jude solche Vorrechte hatte, war er dann nicht besser, als die aus den Nationen? Keineswegs. Der Apostel hatte schon bewiesen, dass beide, der Jude wie der Heide, der Sünde überführt waren. Und jetzt führt er eine ganze Anzahl von Stellen an, um zu beweisen, dass die Juden in ihren eignen Schriften als solche betrachtet werden, die unter der Sündenschuld und unter der Kraft der Sünde stehen. Hinsichtlich der Heiden konnte hierüber kein Zweifel sein; sie waren ganz von Gott entfernt, waren in Abgötterei und Götzendienst versunken, beteten die Götzen an und lebten in Gesetzlosigkeit. Der Jude dachte von sich aber ganz anders. Er war nahegebracht und aller Vorrechte teilhaftig geworden. Der Apostel selbst hatte es als das größte Vorrecht der Juden anerkannt, dass ihnen das Wort Gottes, die Orakel Gottes, anvertraut seien. Was aber sagten nun diese Orakel, die sich auf die Juden bezogen, und deren sie sich rühmten, als ihnen allein gehörig? Sie sagten: „Es gibt keinen Gerechten, auch nicht einen.“ Eine ganze Reihe von Stellen aus den Psalmen und ans Jesajas, die der Apostel anführt, beweist den in allen Beziehungen durchaus sündhaften Zustand derer, wovon die Rede ist. Und dass von den Juden die Rede ist, müssen diese nach ihrem allgemeinen Grundsatz selber zugeben, denn: „wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz sind.“ So ist denn jeder Mund verstopft und die ganze Welt schuldig vor Gott. Die Nationen sind ganz ohne Gott; die Juden aber sind von dem Wort Gottes selbst, dessen sie sich rühmen, verurteilt. Durch Gesetzeswerke also kann kein Fleisch gerechtfertigt werden vor dem Angesicht Gottes, „denn durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ Das Gesetz, das man als Regel der Gerechtigkeit annahm, bewies, dass der Mensch ein Sünder war; es überführte und verdammte ihn, und zwar ausdrücklich in seinem Gewissen, und brachte zugleich das Bewusstsein hervor, dass die Sünde in ihm sei.

Nachdem der Apostel auf diese Weise bewiesen hat, dass alle Menschen sündhaft sind, kommt er wieder auf das zurück, was er schon im 17. Verse des 1. Kapitels als Grundsatz des Evangeliums hingestellt Hai, nämlich die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes. Alles, was vom 18. Vers des ersten bis zum 21. Verse des dritten Kapitels gesagt ist, bildet einen Zwischensatz, um zu beweisen, dass eine Gerechtigkeit Gottes notwendig ist, weil es in der Menschheit keine Gerechtigkeit gibt. Nachdem dies geschehen, geht der Apostel auf diese Gerechtigkeit Gottes und ihre Anwendung auf die Menschen näher ein. Diese Gerechtigkeit steht nicht in Beziehung zum Gesetz, welches nur die vollkommene Richtschnur für die Menschen war. Gott kann aber seine Gerechtigkeit nicht nach dem Maßstab der menschlichen Gerechtigkeit oder ihrer Verantwortlichkeit messen. Nach diesem Maßstab richtet Er die Menschen, die das Gesetz gehabt haben. Seine Gerechtigkeit muss nach seiner eignen Natur gemessen werden, und seine Natur offenbart sich in dem, was Er tut. Er muss sich selbst verherrlichen, das ist offenbaren; denn bei Gott ist seine Offenbarung auch seine Verherrlichung. Wenn Er richtet, so richtet Er die Menschen nach ihrer menschlichen Verantwortlichkeit; wenn Er tätig ist, so ist Er es nach seiner eignen Natur. Das Gesetz weiß nichts von dieser Natur. Es sagt, dass wir Gott lieben sollen; aber was ist Er? Das Gesetz ist dem Menschen und seinem Verhältnis zu Gott angepasst. Die Gerechtigkeit Gottes steht ganz und gar außerhalb aller Frage des Gesetzes, selbst jedes Gesetzes, was für ein Gesetz es auch sein möge; es sei denn, dass die Natur Gottes selbst als solches angesehen wird. Er ist ein Gesetz für sich selbst, vollkommen in seiner Natur. Seine Gerechtigkeit ist jetzt erwiesen in dem, was Er getan hat hinsichtlich der Person Christi, indem Er Ihn in Folge seines vollbrachten Werkes zu seiner Rechten gesetzt hat. Das Gesetz und die Propheten haben Zeugnis davon gegeben. Die Gerechtigkeit Gottes selbst ist ausgeübt worden in der Annahme und Verherrlichung Christi um seines Werkes willen. Und an dieser Annahme haben auch wir Teil durch den Glauben, weil Er dieses Werk für uns getan hat. Eben weil es die Gerechtigkeit Gottes ist, gegründet auf das Werk Christi, indem Er für alle gestorben ist, bezieht sie sich auf die ganze Welt und auf alle Menschen: alle, welche an Christus glauben, ob Juden oder Heiden, haben Teil daran und auch Teil an allen Vorrechten, welche die Folge davon sind. Wäre es menschliche Gerechtigkeit, so müsste sie nach dem Gesetz sein, und wäre sie nach dem Gesetz, so würden nur die Juden Teil daran haben, weil nur sie das Gesetz hatten. Da es aber die Gerechtigkeit Gottes ist, so ist sie für alle offenbart, und die Gerechtigkeit ist allen, die da glauben, zugerechnet. So ist also die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Christus Jesus für alle Sünder offenbart; sie ruht auf allen, die an Ihn glauben. „Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden aus freier Gabe gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.“

Alle Menschen befinden sich also von Natur in demselben Zustand, weil sie alle gleich sind in der Sünde; ebenso aber ist auch die Gnade gleich für alle, weil die Gerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit und für alle Gläubige dieselbe ist, und in Folge dessen stehen alle Gläubige, in dieser Gerechtigkeit angenommen, auf demselben Boden vor Gott. Gott hat Jesus Christus öffentlich dargestellt als Gnadenstuhl durch den Glauben an sein Blut, und hat dadurch seine Gerechtigkeit erwiesen in Betreff der Sünden der Heiligen des Alten Testaments, die Er in seiner Nachsicht hatte hingehen lassen. Jetzt aber ist seine Gerechtigkeit in diesem Hingehenlassen erwiesen, indem Christus für sie gestorben ist; auf Grund dieses Versöhnungstodes, den Gott vor seinen Augen hatte, konnte Er jene Sünden hingehen lassen. Ferner ist die Gerechtigkeit auch in der jetzigen Zeit offenbart; sie erklärt nicht nur die früheren Wege Gottes, sondern ist auch für die gegenwärtige Zeit eine Offenbarung des Grundes der Rechtfertigung der Gläubigen durch ein vollbrachtes, Werk; sie ist deshalb eine gegenwärtige, verwirklicht in der Rechtfertigung aller Gläubigen nach der Gerechtigkeit des gerechten Gottes. Gott ist gerecht und rechtfertigt um des Werkes Christi willen; ja, Er erweist seine Gerechtigkeit, indem Er dies tut. Nicht als ob wir dessen würdig wären, sondern Gott erkennt den Wert des Werkes Christi an, indem Er uns rechtfertigt. Also ist die Rechtfertigung eine offenbarte, bekannte Sache, weil das Werk vollbracht ist.

Der Mensch kann sich seiner selbst nicht rühmen, auch der Jude nicht trotz aller seiner Vorrechte. Aller Ruhm ist ausgeschlossen. Auf welchem Grundsatz? Durch welches Gesetz? Der Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens. Der Mensch, wer er auch sein mag, nimmt den Platz eines Sünders ein. Die Gnade, und die Gnade allein, gilt für alle in gleicher Weise. Denn wir sind zu dem Schluss gekommen, dass man durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzes Werke. „Ist Gott der Gott der Juden allein? nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen.“ Ein solcher muss Er sein, ein solcher war Er, selbst im Alten Testament, obwohl Er, als alle Geschlechter der Erde in Götzendienst versunken waren, Israel in der Person Abrahams aus ihrer Mitte erkor, um die Erkenntnis des einen Gottes auf der Erde zu bewahren. Jetzt aber hat Er nach der Gnade seinen Platz genommen als Gott über alle Menschen, nach der Wahrheit seines unveränderlichen Rechts, indem es ein und derselbe Gott ist, der die Beschneidung aus Glauben und die Vorhaut durch Glauben rechtfertigt. Die Verschiedenheit der hier gebrauchten Ausdrücke „aus Glauben“ oder „auf dem Grundsatz des Glaubens“ und „durch Glauben“ erklärt sich dadurch, dass die Juden wohl die Gerechtigkeit suchten, aber auf einem falschen Grundsatz, nämlich auf demjenigen der Werke; sie müssen die Gerechtigkeit haben, und zwar eine göttliche Gerechtigkeit, aber auf einem anderen Grundsatz, auf dem des Glaubens. Und weil dieselbe auf dem Grundsatz des Glaubens beruht, so wird auch der glaubende Heide dieser göttlichen Gerechtigkeit teilhaftig durch den Glauben, der durch die Gnade in ihm gewirkt ist. Macht denn dieser Grundsatz das Gesetz ungültig? Keineswegs. Die Autorität des Gesetzes ist vollkommen festgestellt und bestätigt worden, aber zur Verdammnis aller derer, die sich unter seiner Autorität befanden. Nichts könnte seine Autorität so vollkommen feststellen als die Tatsache, dass der Herr selbst den Fluch des Gesetzes auf sich genommen hat (Fortsetzung folgt).

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