Botschafter des Heils in Christo 1872

Wie sollen wir unsere Sünden bekennen?

Es ist nicht der Wille Gottes, dass seine Kinder in Ungewissheit über irgendetwas bleiben, das mit ihrem geistlichen Leben in Verbindung steht. In deutlichen und einfachen Zügen hat Er uns den Zustand eines natürlichen Menschen vor Augen gestellt, nämlich als den eines Kindes des Zornes, tot in Sünden und Übertretungen; aber auch ebenso deutlich und einfach sind seine Worte, wenn Er in seiner Gnade von dem Weg der Errettung spricht. Dann wird uns gesagt: „Das Wort ist dir nahe, in deinem Mund und in deinem Herzen; das ist das Wort des Glaubens, welches wir predigen, dass, wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennen und in deinem Herzen glauben wirst, dass Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, du errettet werden wirst“ (Röm 10,8–9). Und diese Errettung ist eine vollkommene, unmittelbare; denn „wer mein Wort hört“, sagt der Herr Jesus, „und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ (Joh 5,24). Aus jener Atmosphäre, wo der Tod herrscht und wo das Gericht in Ausführung gebracht werden wird, ist der Glaubende hinausgebracht, um für ewig sich seiner Errettung freuen zu können.

Aber die Erkenntnis unserer Errettung soll nicht das einzige sein, was wir zu besitzen wünschen; denn Gott will, dass sein erlöstes Volk auch Gemeinschaft mit Ihm habe. Um aber in Gemeinschaft mit Gott zu stehen, sind zwei Dinge für die gefallenen Kinder Adams notwendig: die Grundlage, auf welcher diese Gemeinschaft ruhen sollte, musste gelegt, und die Fähigkeit, wodurch sie genossen werden konnte, musste erteilt werden. Für beides hat Gott in seiner Weisheit gesorgt. Durch das Sündopfer ist jene Grundlage gelegt, und durch die Wiedergeburt ist uns jene Fähigkeit erteilt worden. Und jetzt kann niemand diese Grundlage hinwegnehmen; niemand vermag uns der neuen Natur, wenn sie einmal unser Teil geworden, zu berauben. Dennoch steht nicht jeder Heilige in beständiger Gemeinschaft mit Gott. Die Verbindung mit Gott, die Stellung als Kind bleibt zwar unverändert, aber der Genuss dieser Vorrechte ist bei dem einen Gläubigen größer, als bei dem anderen. Durch das Fehlen in dem Wandel auf dieser Welt kann unsere Gemeinschaft mit Gott unterbrochen werden; denn Er, mit welchem wir diesen Umgang haben, ist ein heiliger Gott; Er ist Licht und kann mit dem Bösen keine Gemeinschaft pflegen. „In Ihm ist gar keine Finsternis.“ Bei Johannes war diese Gemeinschaft mit dem Herrn eine wirklich innige; er konnte sagen: „Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“ Ja, er war von der Herrlichkeit dieser Gemeinschaft so erfüllt, dass er allen Heiligen wünscht, dass auch sie dieses Vorrechts teilhaftig werden möchten. „Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habt ... und dieses schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei“ (1. Joh 1,3–4). Aber um dieses Vorrecht zu genießen, muss unser Wandel in völliger Übereinstimmung mit Gott sein (V 5). Mögen wir auch den Schein der Gemeinschaft annehmen, mögen wir andere vielleicht in Betreff unseres Wandels täuschen, es wird uns nichts nützen – Gott sieht alles und richtet alles. „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Ihm haben und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber in dem Licht wandeln, wie Er in dem Licht ist, so haben wir Gemeinschaft mit einander, und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“

Bei diesen Worten steigt eine andere Frage in uns auf. Was sollen wir tun, wenn wir gesündigt haben? Wie kann unsere Gemeinschaft wiederhergestellt werden? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, müssen wir unsere Blicke wieder auf die Heilige Schrift richten; sie allein kann uns darüber Aufschluss geben. – Welche Gnade begegnet uns da! „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, damit ihr nicht sündigt.“ Das sind die Worte Gottes zu einem erlösten Sünder, dessen neue Natur nicht mehr sündigen kann, weil er aus Gott geboren ist, und in welchem jetzt der Heilige Geist wohnt. Aber dennoch sündigen wir. Trotz unserer Kindschaft mit dem Vater, trotz unserer göttlichen Natur lassen wir der Sünde und dem Teufel doch nur zu oft freien Lauf. Hat Gott auch dafür gesorgt, kommt Er uns auch darin entgegen? O ja! Gott hat es vorhergesehen und uns in seiner unvergleichlichen und unversiegbaren Liebe einen Sachwalter, Jesus Christus, den Gerechten, gegeben, der eine Sühnung ist für unsere Sünden (1. Joh 2,1–2 und 1,9). Durch das Blut Christi wird uns Vergebung von allen Sünden zu Teil, und, nachdem wir diese Vergebung erlangt, haben wir in Christus einen Sachwalter bei dem Vater, der, sobald wir gefehlt haben, uns wieder in seine Gemeinschaft zurückführen will. Wir aber – seine Kinder – müssen unsere Fehler anerkennen und sie Ihm bekennen, denn Gott kann die Ungerechtigkeit nicht dulden. Wie einfach sind doch Gottes Wege; und wie staunenerregend sind dennoch seine Anordnungen betreffs des Bekenntnisses verfälscht! Wie haben die Menschen durch ihren Unverstand und durch den Missbrauch seiner einfachen Bestimmungen die Wahrheit verdunkelt, bis man den Weg zur Errettung durch den Glauben an Christus vergaß und sein Werk ganz und gar beseitigte und leugnete!

Es ist völlig klar, dass das Bekenntnis eine von Gott anerkannte Verordnung ist. Dieses sehen wir schon aus dem Befehl, welchen Er seinem auswählten Volk Israel gab (3. Mo 5,5 und 4. Mo 5,7). Ebenso sind die Gläubigen dazu berufen, ihre Sünden zu bekennen. Aber aus welchem Grund sollen wir bekennen? Was und wem sollen wir bekennen? Auch diese Fragen werden wir am besten mit der Heiligen Schrift in der Hand beantworten können; denn nur angesichts des Wortes Gottes wird uns alles klar vor Augen treten und uns zu der Überzeugung der Nichtigkeit aller menschlichen Verordnungen und Bestimmungen bringen.

1. Das Bekenntnis dient nicht zur Erlösung, sondern ist für diejenigen da, welche schon durch das Blut Jesu Christi erlöst sind. Dieses wird uns sofort deutlich, wenn wir darauf achten, dass der Apostel durch die Worte: „wenn wir bekennen“ – sich selbst zu denen zählt, welche es vielleicht bedürfen. Er redet hier zu den gefallenen Gläubigen, nicht aber zu den noch unbekehrten Sündern; denn in Kapitel 2,12 sagt er, dass er ihnen schreibe, weil ihnen die Sünden um des Herrn Namens willen vergeben seien. Auch in Kapitel 2,13 und 14 sehen wir deutlich, dass er an solche schreibt, welche das ewige Leben in sich haben, und dass er sie also nicht zur Bekehrung, sondern, wenn sie vom rechten Wege abgewichen sind, zur Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott auffordert. Wusste auch David etwas von diesem Unterschied, als er, nachdem er die Folge des Bekenntnisses seiner Sünden und Übertretungen beschrieben, hinzufügte: „Deshalb wird jeder Fromme zu dir beten zurzeit, wo du zu finden bist?“

2. Was sollen wir bekennen? Ohne Zweifel unsere Sünden. Zwar sollten wir als neue Geschöpfe in Christus nicht mehr sündigen; denn obwohl wir von unserer alten Natur nicht eher befreit sein werden, als bis der Tod oder die Ankunft unseres Herrn für seine Heiligen uns von dieser Erde wegnimmt, so ist doch „unser alter Mensch mitgekreuzigt, aus dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen.“ Das Nachgeben an diese Natur müssen wir bekennen. Von sich selbst als einem in Sünden und Übertretungen toten Geschöpfe zu sprechen, oder seine sündigen Taten zu bekennen, nachdem die Kraft des Blutes Jesu Christi zuerkannt ist, nachdem man eine neue Natur erlangt hat und ein Tempel des Heiligen Geistes geworden ist, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Wenn ich bekenne, dass ich ein Sünder bin, so spreche ich von etwas, was ich nicht ändern kann; bekenne ich aber meine Sünden, so räume ich etwas ein, was ich nicht hätte tun sollen, und was meiner göttlichen Natur nicht gemäß ist.

3. Wem sollen wir unsere Fehler bekennen? Obwohl diese Frage nicht ausdrücklich beantwortet wird, so ist es doch sehr deutlich, dass wir unserem Gott alles zu bekennen haben; denn allein gegen Ihn haben wir uns vergangen. Sobald wir etwas seiner reinen Natur zuwider getan haben, muss Er uns fühlen lassen, dass das Band der Gemeinschaft gebrochen ist, und dass Er dieses nur dann wiederherstellen kann, wenn wir unseren Fehler seinem Wort gemäß vollständig gerichtet und bekannt haben. Trotzdem bleibt unsere Stellung vor Ihm vollkommen; diese kann sich nicht im Geringsten durch unsere Abweichung vom rechtem Weg ändern. Vor dem Fall sind wir gerade so gut seine Kinder, wie nach dem Fall; denn die durch das Blut Christi teuer Erkauften „wird niemand aus seiner Hand rauben.“ Auch bedürfen wir keines irdischen Priesters, der, so zu sagen, eine Mittelstufe zwischen uns und Gott einnimmt; denn dieses ließe uns auf eine Unvollkommenheit unserer Stellung schließen und würde beweisen, dass dieser Priester vor Gott einen näheren Platz einnähme als wir. Bei Israel war dieses allerdings der Fall; dort hatte der Priester einen ganz anderen Platz als das Volk; bei ihnen durfte keiner den Dienst am Altar verrichten, oder das Heiligtum betreten, als nur die von Gott geweihten Priester; aber unsere Verwandtschaft mit Gott ist eine ganz andere, sie ist viel inniger, viel köstlicher – wir sind Kinder Gottes, begnadigt in dem Geliebten. Wenn wir also einem von Menschen angestellten Priester unsere Sünden bekennen, so kehren wir zu der Stellung Israels vor dem Tod des Herrn zurück, wir befinden uns dann auf jüdischem und nicht auf christlichen Standpunkte.

Jedoch soll keineswegs damit gesagt werden, dass wir vor unseren Mitmenschen, wenn wir uns gegen sie versündigten, kein Bekenntnis ablegen sollen. O, nein! Dies wäre ganz und gar gegen die Heilige Schrift; denn dort wird uns gesagt, dass wir einander die Vergehungen bekennen und für einander beten sollen, damit wir geheilt werden (Jak 5,16).

Wenn wir nun unsere Sünden bekannt haben, so wird auch die Vergebung derselben nicht ausbleiben: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt.“ Brauchen wir jetzt noch von irgendjemand die Versicherung dessen, was Gott uns in seiner Gnade so bestimmt versprochen hat? Wird irgendein Wort des Menschen dem Wort Gottes noch mehr Sicherheit verleihen können? Kann die Versicherung eines Menschen dem Herzen eines Gläubigen größeres Vertrauen einflößen? Nein, dies ist nicht möglich; denn Er ist treu, Er kann sich selbst nicht verleugnen und wird sich keine Ungerechtigkeit zu Schulden kommen lassen. Auf seine Worte können wir uns völlig verlassen und dürfen deshalb das vollkommene Vertrauen hegen, dass Er selbst – und kein anderer, kein Priester – uns die Sünden vergeben wird, wenn wir sie bekennen. Zu dieser Vergebung kommt aber noch etwas hinzu: Er reinigt uns auch von aller Ungerechtigkeit, damit unsere Freude in der Gemeinschaft mit Ihm wiederhergestellt werde, und wir vor Ihm wieder als glückliche, freie und gereinigte Kinder stehen.

Wie köstlich sind doch die Wege Gottes! Wir bekennen – Er vergibt und reinigt. Ja, Er tut dieses, wie oft wir auch zu Ihm kommen, wie bald wir auch wieder vom rechten Wege abirren mögen. Von einem Priester, einer Zwischenperson zwischen Gott und uns, ist hier auch nicht die leiseste Andeutung. Wohl ist der Kirche des Herrn die Macht gegeben, eine Person, welche in schwere Sünden gefallen, aus ihrer Mitte zu entfernen, oder dieselbe wiederaufzunehmen, wenn die Versammlung von ihrer Reue überzeugt ist; aber der Platz der Ausübung dieser Zucht ist die Erde, und es ist eine Demütigung für sämtliche Glieder einer Versammlung, wenn die Zucht ausgeübt werden muss (vgl. 1. Kor 5,1–5 mit 2. Kor 2,6–7). In unserem Kapitel aber spricht Johannes nicht von der Zucht auf dieser Erde, welche die Kirche des Herrn auszuüben hat, sondern von der Wiederherstellung der Gemeinschaft eines Gläubigen mit Gott. Wie oft wir auch fehlen, immer können wir wieder Vergebung und Reinigung erlangen, wenn wir Ihm nur alles mit einem demütigen und gebeugten Herzen bekennen. Wie unfehlbar und untrüglich ist doch seine Gnade! Wie unerschöpflich seine Liebe!

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel