Botschafter des Heils in Christo 1872

Die frohe Botschaft - Teil 1/3

„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16).

Es gibt etliche Stellen der heiligen Schrift, welche in wenigen Zeilen ein ganzes Buch der kostbarsten Wahrheit zu enthalten scheinen. Zu diesen gehört auch der oben angeführte Vers. Derselbe bildet einen Teil der beachtenswerten Unterhaltung des Herrn mit Nikodemus und gibt in gedrängter Form eine höchst vollständige Darstellung der evangelischen Wahrheit – eine Darstellung, die mit Recht als „frohe Botschaft“ bezeichnet werden kann.

Sowohl die Prediger, als auch ihre Zuhörer sollten stets daran denken, dass es der große Zweck des Evangeliums ist, Gott und den Sünder in einer Weise zusammen zu bringen, dass dadurch die ewige Rettung des Sünders festgestellt wird. Es offenbart einen Gott Heiland einem verlorenen Menschen. Es stellt mit anderen Worten Gott vor die Seele des Sünders in einem Charakter, der den Bedürfnissen desselben völlig entspricht. Ein Erretter ist dem Verlorenen ebenso angemessen, wie ein Rettungsboot dem Ertrinkenden, oder wie ein Arzt dem Kranken, oder wie Brot dem Hungrigen. Der eine passt für den anderen; und wenn Gott als ein Erretter, und der Mensch als ein verlorener Sünder sich einander begegnen, so ist die ganze Frage für immer gelöst. Der Sünder ist gerettet, weil Gott ein Erretter ist. Er ist gerettet nach der Vollkommenheit, welche Gott in jedem Charakter, den Er trägt, in jeder Tat, die Er ausführt, und in jedem Verhältnis, das Er aufrecht erhalt, angemessen ist. Wenn man die vollkommene und ewige Errettung einer gläubigen Seele in Frage zieht, so leugnet man, dass Gott ein Erretter ist. Ebenso ist es in Bezug auf die Rechtfertigung. Gott hat sich als ein Rechtfertiger offenbart; und daher ist der Gläubige gerechtfertigt nach der Vollkommenheit Gottes. Wenn noch irgendein einziger Flecken an dem Titel auch des schwächsten Gläubigen entdeckt werden könnte, – es würde für Gott, als einen Rechtfertiger, eine Unehre sein. Man räume mir aber ein, dass Gott mein Rechtfertiger oder Freisprecher ist, so liefere ich jedem Widersacher und jedem Ankläger gegenüber den Beweis, dass ich vollkommen gerechtfertigt bin und sein muss. Ebenso räume man mir nach demselben Grundsatz ein, dass Gott sich selbst als ein Erretter offenbart hat, und ich werde mit ungetrübtem Vertrauen und heiliger Kühnheit den Beweis liefern, dass ich vollkommen gerettet bin und sein muss. Ich ruhe keineswegs auf etwas, was in mir ist, sondern einfach und gänzlich auf dem, wie Gott sich selbst offenbart hat. Ich weiß, dass Er in jeder Beziehung, und daher auch als mein Erretter vollkommen ist. Ich bin also vollkommen errettet, insofern die Herrlichkeit Gottes in meine Rettung miteingeschlossen ist. „Es ist sonst kein Gott außer mir, ein gerechter Gott und Heiland, keiner ist denn ich.“ Und was ist zu tun? „Wendet euch zu mir und werdet errettet, alle ihr Enden der Erde; denn ich bin Gott und keiner mehr“ (Jes 45,21–22). Ein gläubiges Hinwenden zu einem gerechten Gott und Heiland versichert den verlorenen Sünder einer ewigen Errettung. Wie einfach! Hier heißt es nicht: „Wirkt – tut – betet – fühlt –“ o nein; hier heißt es nur: „Wendet euch zu mir.“ Und was wird folgen? Errettung – ewiges Leben. Es muss also sein, weil Gott ein Erretter ist; und die kurze Aufforderung: „Wendet euch!“ schließt alles dieses in sich, insofern dadurch die Tatsache festgestellt wird, dass die Errettung, deren ich bedarf, in Ihm gefunden ist, an den ich mich wende. Dort ist alles für mich zubereitet; ein einfaches Hinwenden sichert es mir für immer. Es ist nicht eine Sache für heute und morgen; sie ist eine ewige Wirklichkeit. Das Bollwerk der Errettung, hinter welches der Gläubige sich zurückzieht, ist von Gott selbst – von dem Gott Heiland – auf dem unerschütterlichen Fundament des Versöhnungswerkes Christi aufgerichtet worden; und keine Macht der Erde oder der Hölle kann dasselbe je erschüttern. „Denn es ist in der Schrift enthalten: Siehe, ich lege in Zion einen Eckstein, einen auserwählten, kostbaren; und wer an Ihn glaubt, wird nicht beschämt werden“ (Jes 28,16; 1. Pet 2,6).

Doch wenden wir uns zurück zu der tiefen und viel umfassenden Stelle, welche den speziellen Gegenstand dieser Zeilen bildet. Sicher vernehmen wir in derselben die Stimme eines Gott Heilands – die Stimme dessen, welcher vom Himmel herniederkam, um Gott in einer Weise zu offenbaren, wie Er nimmer vorher offenbart worden war. Es ist eine bewundernswürdige Tatsache, dass Gott in dieser Welt offenbart worden ist, so dass wir – sowohl der Schreiber, wie der Leser dieser Zeilen – Ihn in der ganzen Wirklichkeit dessen, was Er ist, und zwar, ein jeder für sich selbst, mit der größten Gewissheit erkennen und uns mit Ihm beschäftigen können in all der gesegneten Vertraulichkeit der persönlichen Gemeinschaft.

Lieber Leser! Denke einmal, wir bitten dich, über dieses staunenswerte Vorrecht nach! Du kannst für dich selbst Gott kennen als deinen Erretter, als deinen Vater, als deinen eigenen Gott, du kannst dich mit Ihm beschäftigen, kannst dich auf Ihn stützen, an Ihm hängen, mit Ihm wandeln, leben und weben, kannst genießen seine gesegnete Gemeinschaft in dem glänzenden Sonnenschein seines freundlichen Antlitzes, unmittelbar unter seinem Auge.

Dies ist Leben und Frieden. Es ist nicht bloß eine theologische. Wissenschaft. Diese mag ihren Wert haben; aber man vergesse nicht, dass ein noch so gegründeter Theologe dennoch ohne Gott leben und sterben und verloren gehen kann. Welch ein ernster, schreckenerregender Gedanke! Sicher kann jemand, der alle Dogmen der Theologie an den Fingern herzuzählen vermag, in die Finsternis und Dunkelheit einer ewigen Nacht, zur Hölle, hinabfahren. Mag jemand das Amt eines Professors bekleiden; mag er als ein großer Lehrer und als begabter Prediger anerkannt werden; mögen Hunderte zu seinen Füßen sitzen und lernen, mögen Tausende an seinen Lippen hängen und von ihm hingerissen werden; und dennoch muss er nach allem hinabsteigen in die Tiefe des Verderbens, um mit den gemeinsten und unsittlichsten Geschöpfen ein ewiges Elend zu teilen.

Jedoch verhält es sich nicht so mit dem, der Gott kennt, wie Er im Angesicht Jesu Christi offenbart ist. Ein solcher hat das ewige Leben erlangt. „Dieses aber“ – sagt Christus – „ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3). Wenn jemand alle theologischen Lehrsätze kennt, so hat er darum nicht das ewige Leben. Er kann diese mit Eifer studieren, wie man Jura, Medizin, Astronomie und Chemie studiert; und dennoch kann Er ohne alle Erkenntnis Gottes, mithin ohne göttliches Leben sein und am Ende verloren gehen. Also verhält es sich mit der bloßen Religiosität. Es mag jemand der größte Frömmler in der Welt sein; er mag mit Eifer alle Dienstleistungen verrichten und auf alle Vorschriften der systematischen Religion sorgfältig Acht haben; er mag fasten und beten, lange Predigten anhören und Gebete hersagen; er mag hinsichtlich der Religion das höchste Muster sein; und bei all diesem weiß er am Ende nichts von Gott in Christus, lebt und stirbt ohne Gott und stürzt für ewig hinab in die Hölle. Man blicke auf Nikodemus. Wo hätte man ein besseres Beispiel menschlicher Natur Religion finden können, als in ihm? Er war ein Mensch aus den Pharisäern, ein Oberster der Juden, ein Lehrer in Israel, er war überdies ein Mann, welcher in den Wundern des Herrn die Beweise für seine göttliche Sendung unterschied; und dennoch galt ihm das Wort: „Du musst von neuem geboren werden.“ Es wird nicht nötig sein, weiter zu gehen, um zu zeigen, dass jemand nicht nur religiös, sondern sogar ein Führer und Lehrer anderer sein kann, ohne einen Funken göttliches Leben in seiner Seele zu haben.

So aber verhält es sich nicht mit jemandem, welcher Gott in Christus kennt. Ein solcher hat das Leben und ein Ziel. Er hat Gott selbst als sein unschätzbares Teil. Er kennt Gott, vertraut Ihm und erfreut sich in Ihm. Dieses ist eine unverkennbare Wirklichkeit. Es ist die Seele der Theologie, die Grundfeste der Frömmigkeit, das Leben der wahren Religion. Es gibt nichts in der ganzen Welt, was diesem gleich käme. Es ist die wahre Bekanntschaft mit Gott, das wahre Vertrauen zu Gott, und die wahre Freude in Gott.

Vielleicht erhebt der Leser die Frage: „Wie kann ich diesen kostbaren Schatz erlangen? Wie kann ich für mich selbst Gott erkennen in dieser lebendigen, mächtigen Weise? Wenn es wahr ist, dass ich ohne diese persönliche Erkenntnis auf ewig verloren gehen muss, wie kann ich sie denn erlangen? Was muss ich tun, und wie muss ich sein, um Gott zu erkennen?“ – Die Antwort ist: Gott hat sich selbst offenbart. Wäre dieses nicht der Fall, so könnten wir mit Bestimmtheit sagen, dass weder das, was wir tun, noch das, wie wir sein können, ja dass nichts in uns oder von uns im Stande sein würde, uns mit Gott in Bekanntschaft zu setzen. Wenn Gott sich nicht selbst offenbart hätte, so würden wir in Bezug auf Ihn für immer in Unwissenheit geblieben und in unserer Unwissenheit verloren gegangen sein. Ader nachdem Er aus undurchdringlicher Dunkelheit ans Licht getreten ist und sich gezeigt hat, so können wir Ihn erkennen nach der Wahrheit seiner eigenen Offenbarung und in dieser Erkenntnis ewiges Leben und eine Segensquelle finden, aus welcher unsere erlöste Seele während des goldenen Zeitalters der Ewigkeit hindurch trinken und ihren Durst stillen wird.

Wir kennen nichts, was einen so klaren und unumstößlichen Beweis von der Unfähigkeit des Menschen, etwas zur Hervorbringung des Lebens zu tun, liefern könnte, wie die Tatsache, dass der Besitz dieses Lebens auf die Erkenntnis von Gott gegründet ist; und diese Erkenntnis muss auf der Offenbarung Gottes ruhen. Mit einem Wort, Gott zu kennen, ist Leben; in Bezug auf Ihn unwissend zu sein, ist Tod.

Aber wo kann Er erkannt werden? Dieses ist gleicherweise eine ernste Frage. Mancher hat schon mit Hiob ausgerufen: „Ach, dass ich Ihn zu finden wüsste!“ Wo ist Gott zu finden? Kann ich mich in der Schöpfung nach Ihm umschauen? Ohne Zweifel ist dort seine Hand sichtbar; aber ach! was nützt es mir? Gott, als Schöpfer, ist dem verlorenen Sünder nicht angemessen. Die mächtige Hand wird einem armen, schuldigen Elenden, wie ich bin, nichts nützen. Ich bedarf eines liebenden Herzens. Ja, ich bedarf eines Herzens, das mich in all meiner Schuld und in all meinem Elend lieben kann. Wo finde ich ein solches? Soll ich mich umsehen in dem weiten Gebiet der Vorsehung und in der weit ausgedehnten Sphäre der Regierung Gottes? Hat sich Gott dort in einer Weise offenbart, dass Er mir, einem armen, verlorenen Sünder, begegnen kann? Wird die Vorsehung, wird die Regierung Gottes jemandem nützen, welcher sich als ein verdammungswürdiger Sünder erkannt hat? Sicher nicht. Wenn ich auf diese Dinge schaue, dann verwirrt und beunruhigt mich alles, was ich sehe. Ich bin kurzsichtig und gänzlich unfähig, das Wie und Warum eines einzigen Ereignisses sowohl in meinem eigenen Leben, als auch in der Geschichte dieser Welt mir zu erklären. Kann ich die Tatsache fassen, dass oft ein höchst wertvolles Leben plötzlich abgeschnitten, während ein augenscheinlich nutzloses verlängert wird? Hier ist ein Gatte und der Vater einer großen Familie; er scheint für seinen häuslichen Kreis durchaus unentbehrlich zu sein; und dennoch in einem Augenblick wird er plötzlich hinweggerafft, und die Seinen sind in die größte Trauer versetzt. Dort hingegen erblickt man einen armseligen, bettlägerigen Greis, der alle seine Verwandten überlebt hat und ganz und gar von den Gaben eines Kirchspiels oder von persönlicher Wohltätigkeit abhängig ist. Und jahrelang hat er vielleicht das Bett gehütet und ist eine Bürde für den einen und ohne Nutzen für den anderen. Kann ich mir diese Rätsel lösen? Bin ich fähig, die Stimme der Vorsehung in ihrer wunderbaren Fügung zu erläutern? Sicher nicht. Ich habe nichts in mir, um die Irrgänge oder das Labyrinth dessen zu erforschen, welches Vorsehung genannt wird. Ich finde dort keinen Gott Heiland.

Wohlan denn – soll ich mich wenden zu dem Gesetz, zu der mosaischen Haushaltung? Werde ich dort finden, was ich wünsche? Wird ein auf der Höhe eines brennenden Berges stehender Gesetzgeber, der, gehüllt in Wolken und in dichte Finsternis, Blitze und Donner herabschleudert, wird Er, der hinter einem Vorhang Verborgene, mir helfen können? Ach! ach! Ich kann Ihm nicht begegnen; ich kann seine Forderungen nicht erfüllen, noch seinen Bedingungen entsprechen. Ich bin aufgefordert. Ihn zu lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und aus allen meinen Kräften; aber ich kenne Ihn nicht. Ich bin blind und kann daher nicht sehen. Ich bin entfremdet dem Leben aus Gott, ein Feind durch gottlose Werke. Die Sünde hat meinen Geist verblendet, mein Gewissen abgestumpft und mein Herz verhärtet. Der Teufel hat mein moralisches Dasein völlig verdorben und mich in einen Zustand bestimmter Empörung gegen Gott gebracht. Die ganze Quelle meines Wesens muss erneuert werden, bevor ich tun kann, was das Gesetz fordert. Wie kann ich also erneuert werden? Nur durch die Erkenntnis Gottes. Aber Gott ist im Gesetz nicht offenbart. Nein, er ist verborgen – verborgen hinter einer undurchdringlichen Wolke, hinter einem nicht zerrissenen Vorhang. Deshalb kann ich Ihn dort nicht kennen lernen. Ich bin genötigt, mich von dem brennenden Berge, von dem nicht zerrissenen Vorhang und also von jener ganzen Haushaltung zurückzuziehen, von denen dieser Berg und dieser Vorhang die charakteristischen Züge bildeten, die gleichsam immer ausriefen: „Ach, dass ich Ihn zu finden wüsste!“ Also ist, mit einem Wort, weder in der Schöpfung, noch in der Vorsehung, noch in dem Gesetz „ein Gott Heiland zu finden“. In der Schöpfung erblicke ich einen Gott der Macht, in der Vorsehung einen Gott der Weisheit, in dem Gesetz einen Gott der Gerechtigkeit. Einen Gott der Liebe finde ich nur in dem Angesicht Jesu Christi. „Gott war in Christus, die Welt mit sich selber versöhnend“ (2. Kor 5,19).

Wie steht es mit dir, geliebter Leser? Bist du noch einer von denen, die Gott nicht kennen? Darüber klar zu sein, ist von der äußersten Wichtigkeit. Gott zu erkennen, ist der erste Schritt. Es ist nicht genug, etwas in Betreff Gottes zu wissen. Es ist nicht genug, dass die unerneuerte Natur sich zur Religion wendet, dass man sie zu veredeln trachtet, dass man sich bestrebt, das Gesetz zu halten. Nein, lieber Leser, keines dieser Dinge kann dir nützen. Nur Gott ist es, und zwar erkannt in dem Angesicht Jesu Christi. „Denn der Gott, der aus der Finsternis das Licht leuchten ließ, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.“ Dieses ist das tiefe und gesegnete Geheimnis der ganzen Sache. Der Leser ist, soweit es sich um seinen natürlichen Zustand handelt, in einem Zustand der Finsternis. Nicht die geringste Spur geistlichen Lichts ist vorhanden. Er befindet sich geistlich und moralisch in demselben Zustand, worin sich die Schöpfung physisch befand, bevor über die Lippen des allmächtigen Gottes die Worte kamen: „Es werde Licht!“ – alles ist finster und verworren; denn „der Gott dieser Welt hat den Sinn der Ungläubigen verblendet, damit der Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus, welcher das Bild Gottes ist, nicht ausstrahle“ (2. Kor 4,4–6).

Hier gibt es ein zweifaches. Hier ist der Gott dieser Welt, welcher den Sinn verblendet und das Hineinleuchten der kostbaren, Leben gebenden Strahlen des Lichtes der Herrlichkeit Gottes verhindert, und andererseits Gott in seiner wunderbaren Gnade, welcher in das Herz leuchtet, um das Licht der Erkenntnis seiner Herrlichkeit im Angesicht Jesu Christi zu geben. So hängt also alles ab von der großen Wirklichkeit der Erkenntnis Gottes. Wo irgend Licht ist, da ist Gott wirklich erkannt. Wo Finsternis ist, da fehlt diese Erkenntnis. Ohne Zweifel gibt es verschiedene Maße in der Erfahrung und Äußerung dieses Lichtes; aber das Licht ist da, wenn die Erkenntnis Gottes vorhanden ist. Ebenso hat auch die Finsternis ihre verschiedenen Formen: die eine ist hässlicher als die andere; aber die Finsternis ist da, wenn die Erkenntnis Gottes nicht vorhanden ist. Diese Erkenntnis ist Licht und Leben. Die Unkenntnis in Bezug auf Gott ist Finsternis und Tod. Es mag sich jemand mit allen Schätzen der Wissenschaft und der Literatur bereichern; aber wenn er Gott nicht kennt, so ist er in einer finsteren, ewigen Nacht. Mag andererseits hingegen jemand in Bezug auf menschliche Wissenschaften völlig unwissend sein; und dennoch, wenn er Gott kennt, so kann er im hellsten Tageslicht wandeln. 2.: In der angeführten Schriftstelle (Joh 3,16) findet sich eine höchst bemerkenswerte Erläuterung des Charakters des ganzen Evangeliums Johannes. Es ist unmöglich, sie zu betrachten, ohne bei dieser interessanten Tatsache zu verweilen. In dieser Stelle werden wir zu Gott selbst geführt, um zu schauen den Charakter und die Natur dessen, der die Welt geliebt und seinen Sohn hingegeben hat. Auch finden wir in derselben nicht nur die „Welt“ als ein Ganzes, sondern auch den einzelnen Sünder, bezeichnet durch das Wörtchen: „Jeder“. Also Gott und der Sünder sind zusammen – Gott, als der da liebt und gibt, und der Sünder, als der da glaubt und empfängt. Es ist nicht Gott als Richter und Forderer, sondern Gott als die Liebe und als der Geber. Das Erstere war Gesetz, das Letztere ist Gnade; jenes war das Judentum, dieses ist das Christentum. In dem einen sehen wir Gott, Gehorsam fordernd als Bedingung des Lebens, welches niemand erlangt; in dem anderen sehen wir den Menschen, das Leben empfangend als eine freie Gabe durch Glauben an den Herrn Jesus Christus. Das ist der Kontrast zwischen den beiden Systemen – ein Kontrast, der nicht greller hervortreten könnte. „Das Gesetz war durch Moses gegeben; die Gnade und Wahrheit aber sind durch Jesus Christus geworden“ (Joh 1,17).

Doch merken wir uns die Art und Weise, in welcher dieses in unserem Text entwickelt wird. „Also hat Gott die Welt geliebt.“ Hier haben wir eine weite Aussicht auf die Liebe Gottes. Sie beschränkt sich nicht auf irgendeine besondere Nation, auf irgendeinen Stamm, oder auf irgendeine Kaste oder Familie. Sie umfasst die ganze Welt. Gott ist die Liebe; und weil dieses also ist, so handelt es sich nicht um die Tauglichkeit oder den Wert des Gegenstandes seiner Liebe. Er ist, was Er ist. Er ist die Liebe und kann nicht etwas anderes sein. Dieses ist die wahre Energie und Tätigkeit seiner Natur. Das Herz mag in Betreff seines Zustandes und Verhältnisses vor Gott manche Frage und manche Übung haben; und gerade dieses sollte der Fall sein; – der Heilige Geist mag solche Übungen hervorrufen und solche Fragen erheben; aber nach allem zeigt sich die große Wahrheit, dass Gott die Liebe ist, stets in ihrem vollsten Glänze. Ja, Gott ist die Liebe, was mir auch sein mögen, und was die Welt auch sein mag; und wir wissen, dass die Wahrheit in Betreff Gottes die tiefe und reichhaltige Schicht bildet, auf welcher das ganze System des Christentums ruht. Die Seele mag unter dem Gefühl ihres eigenen Elends den schweren und trostlosen Kampf ihrer irdischen Bahn durchpilgern; es mögen Zweifel und Befürchtungen ihr begegnen; es mögen sich finstere Wolken über ihr zusammenhäufen; Wochen, Monde, Jahre mögen unter dem Gesetz zugebracht sein, und zwar lange, nachdem der bloße Verstand zu den Grundsätzen und Lehren der evangelischen Religion seine Zustimmung gegeben hat; aber nach allem müssen wir in unmittelbare persönliche Verbindung mit Gott selbst gebracht worden sein – mit dem, was Er ist, mit seiner Natur und seinem Charakter, gerade so wie Er sich in dem Evangelium offenbart hat. Wir haben uns mit Ihm bekannt zu machen; und Er ist die Liebe.

Man beachte es wohl, dass nicht bloß gesagt ist: „Gott liebt“, sondern: „Gott ist die Liebe.“ Nicht, als ob die Liebe nur eine Eigenschaft seines Charakters sei, nein, sie ist die wahre Tätigkeit seiner Natur. Wir lesen nicht, dass Gott die Gerechtigkeit oder die Heiligkeit ist; Er ist gerecht, und Er ist heilig. Aber es würde nicht die volle und gesegnete Wahrheit ausdrücken, wenn nur gesagt würde: „Gott liebt“; – o vielmehr: „Er ist die Liebe.“ Wenn daher der Sünder dahin gebracht ist, seinen völligen Ruin, seine hoffnungslose Armseligkeit, seine Schuld und sein Elend, sowie die äußerste Nichtigkeit und Wertlosigkeit dessen, was in ihm und um ihn her ist, zu sehen, wenn er erkennt, dass nichts in der Welt sein Herz, und nichts in seinem Herzen Gott und sein eigenes Gewissen befriedigen kann – wenn sein Auge in irgendeiner Weise über diese Dinge geöffnet ist, dann hat er durch diese große wesentliche Wahrheit gefunden, dass „Gott die Liebe ist“, und dass Er also die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat.

Hier ist Leben und Ruhe für die Seele. Hier ist für den armen schuldbeladenen, verlorenen Sünder eine vollkommene, freie und ewige Errettung – eine Errettung, welche nicht auf etwas ruht, was in oder von dem Menschen ist, nicht auf etwas, das er ist oder sein kann, oder das er getan hat oder tun kann, sondern einfach auf dem, was Gott ist, und was Er getan hat. Gott liebt und gibt, und der Mensch glaubt und empfängt. Dieses steht weit über der Schöpfung, über der Regierung und über dem Gesetz. In der Schöpfung sprach Gott, und es geschah. Er rief Welten ins Dasein durch das Wort seines Mundes. Aber in der ganzen Geschichte der Schöpfung finden wir nichts von Gott als dem, welcher liebt und gibt. Ebenso ist es in Betreff seiner Regierung. Wir sehen, wie Gott inmitten der Heere des Himmels und inmitten der Kinder der Menschen seine Herrschaft in unausforschlicher Weisheit ausübt; aber wir können Ihn nicht begreifen. Endlich ist das Gesetz von Anfang bis zu Ende ein vollkommenes System von Geboten und Verboten – vollkommen in seiner Handlung, indem es den Menschen prüft und dessen gänzliche Entfremdung von Gott offenbar macht. „Das Gesetz wirkt Zorn.“ Und wiederum: „Durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ Aber was konnte ein solches System in einer Welt voller Sünder tun? Konnte es das Leben geben? Unmöglich. Warum? Weil man seine heiligen Forderungen nicht zu erfüllen vermochte. „Denn wenn ein Gesetz gegeben wäre, das lebendig machen könnte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz.“ Aber nein; das Gesetz war ein Dienst des Todes und der Verdammnis (siehe 2. Kor 3). Die einzige Wirkung des Gesetzes ist gegenüber dem, welcher sich darunter befindet, der Stempel des Todes auf die Seele, und der Stempel der Strafe und der Verdammnis auf das Gewissen. Es kann bei einer aufrichtigen Seele unter dem Gesetz unmöglich anders sein.

Was ist daher notwendig? Nichts anderes als die Erkenntnis der Liebe Gottes und der kostbaren Gabe, welche diese Liebe verliehen hat. Dieses ist das ewige Fundament von allem. Die Liebe und die Gabe der Liebe. Denn wir müssen uns stets daran erinnern, dass die Liebe Gottes uns nimmer anders hätte erreichen können, als nur mittels dieser Gabe. Gott ist heilig, und wir sind sündige Geschöpfe. Wie könnten wir in seine Nähe kommen? Wie könnten wir in seiner heiligen Gegenwart verweilen? Wie könnten Sünde und Heiligkeit bei einander wohnen? Unmöglich. Die Gerechtigkeit fordert die Verurteilung der Sünde; und wenn die Liebe den Sünder erretten will, so bedarf sie dazu nichts weniger, als die Gabe des eingeborenen Sohnes Gottes. Darius liebte den Daniel und bemühte sich sehr, ihn von der Löwengrube zu erretten; aber seine Liebe war machtlos gegenüber dem unbiegsamen Gesetz der Meder und Perser. Er brachte die Nacht in Traurigkeit und Fasten zu. Er konnte weinen vor der Öffnung der Grube; aber er vermochte nicht seinen Freund zu erretten. Seine Liebe war gänzlich ohne Macht. Wenn er sich selbst für seinen Freund den Löwen geopfert hätte, so wäre dieses eine höchst ruhmvolle Tat gewesen; aber er tat es nicht. Seine Liebe brachte nur nutzlose Tränen und Wehklagen hervor. Das Gesetz des persischen Königreichs war mächtiger, als die Liebe des persischen Königs. Das Gesetz in seiner ernsten Majestät triumphierte über eine ohnmächtige Liebe, die nichts als fruchtlose Tränen ihrem Gegenstand darzubringen vermochte.

Aber die Liebe Gottes gleicht nicht derjenigen des Perserkönigs. Ewig sei sein herrlicher Name dafür gepriesen! Seine Liebe ist mächtig, um zu erretten. Sie herrscht durch Gerechtigkeit. Wodurch ist dieses möglich geworden? Weil „Gott die Welt also geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat.“ Das Gesetz hatte in Worten des schrecklichsten Ernstes erklärt: „Welche Seele sündigt, soll des Todes sterben.“ War dieses Gesetz weniger streng, weniger kräftig, weniger majestätisch, als das Gesetz der Meder und Perser? Keineswegs. Wodurch ist denn seine Macht gebrochen? Es war von Gott selbst eingeführt und bestätigt. Kein Jota und kein Strichlein sollte vom Gesetz bei Seite gestellt werden. Wie nun konnte die Schwierigkeit gelöst werden? Drei Dinge mussten geschehen. Das Recht des Gesetzes musste erfüllt, die Sünde verdammt und der Sünder errettet werden. Wie aber konnten diese großen Resultate erzielt werden? An dem Kreuz Jesu fand die Sünde ihre Verurteilung und der Sünder seine Errettung. Welch eine kostbare Wahrheit! Möge jeder bußfertige Sünder sie vernehmen und glauben! Das war die bewundernswürdige Liebe Gottes, dass Er seines eigenen Sohnes nicht verschonte, sondern Ihn für uns alle dahingab. Seine Liebe kostete Ihn nichts Geringeres, als den Sohn seines Schoßes. Als es sich um die Erschaffung der Welten handelte, so kostete Ihn dieses nur ein Wort seines Mundes; aber als es sich darum handelte, eine Welt voll Sünder zu lieben, so kostete Ihn dieses seinen eigenen Sohn. Die Liebe Gottes ist eine heilige Liebe, eine gerechte Liebe, eine Liebe, welche in Übereinstimmung mit allen Eigenschaften seiner Natur und den Forderungen seines Thrones handelt. „Die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn.“

Sicher kann die Seele nicht eher in Freiheit gesetzt sein, bis diese Wahrheit völlig vor ihr abgeschlossen ist. Es mag eine unbestimmte Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes, sowie ein gewisses Maß von Vertrauen auf das Versöhnungswerk Jesu vorhanden sein; aber die wahre Freiheit des Herzens kann unmöglich eher genossen werden, als bis erkannt und verstanden ist, dass Gott in der Weise seine Liebe offenbart hat, dass Er seinen Sohn hingab. Das Gewissen würde nimmer beruhigt, und Satan nimmer zum Schweigen gebracht werden können, wenn die Sünde nicht vollkommen gerichtet und hinweggenommen worden wäre. Aber „also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben hat, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ Welche Tiefe und welche Kraft liegt in dem Wörtchen „also“! 3.: Es mag hier am Platz sein, einer Schwierigkeit zu begegnen, vor welcher ängstliche Seelen nicht selten zurückschrecken. Es ist die Frage der Zueignung. Tausende sind auf der einen oder der anderen Station ihrer geistlichen Geschichte durch diese Frage gequält und beunruhigt worden; und es ist nicht unwahrscheinlich, dass der eine oder der andere Leser dieser Zeilen sich der wenigen Worte über diesen Gegenstand erfreuen wird. Mancher möchte vielleicht fragen: „Wie kann ich erfahren, ob diese Liebe und die Gabe der Liebe für mich bestimmt sind? Welche Bürgschaft habe ich für den Glauben, dass das ‚ewige Leben‘ für mich ist? Ich kenne den Ratschluss der Erlösung; ich glaube an das Vollgenüge des Versöhnungsopfers Christi zur Sündenvergebung und Rechtfertigung aller, welche glauben. Ich bin von der Wahrheit alles dessen überzeugt, was die Bibel lehrt. Ich glaube, dass wir alle Sünder sind, und dass wir zu unserer Errettung nichts zu tun vermögen – dass wir durch das Blut Jesu abgewaschen und durch den Heiligen Geist belehrt und geleitet werden müssen, bevor wir hienieden Gott Wohlgefallen und hernach bei Ihm wohnen können. Alles dieses glaube ich völlig; und dennoch habe ich keine Gewissheit meiner Errettung; und ich begehre zu wissen, welcher Autorität ich zu glauben habe, dass meine Sünden vergeben sind und ich das ewige Leben habe.“

Sollte dieses in irgendeinem Grad die Sprache des Lesers sein, um seiner Ungewissheit einen Ausdruck zu verleihen, so würden wir zunächst seine Aufmerksamkeit auf zwei Wörtchen lenken, welche mir in unserem kostbaren Text (Joh 3,16) finden, nämlich auf die Wörtchen „Welt“ und „Jeder“. Wer vermöchte die Anwendung dieser beiden Wörtchen von sich abzuweisen? Für wen – möchte man fragen – gilt die Bedeutung des Ausdrucks „Welt“? Wen schließt dieser Ausdruck ein, oder vielmehr, wen schließt er nicht ein? Wenn unser Herr erklärt, dass „Gott die Welt also geliebt“, aus welchem Grund kann sich denn der Leser von dem Bereich, dem Ziel und der Anwendung dieser göttlichen Liebe ausschließen? Es gibt in der Tat für ihn dazu keinen Grund, solange er nicht beweisen kann, dass er allein nicht der Welt, sondern irgendeiner anderen Sphäre von Wesen angehört. Wenn gesagt wird, dass „die Welt“ hoffnungslos verdammt ist, könnte dann jemand, der einen Teil dieser Welt ausmacht, die Anwendung dieses Urteils von sich abweisen? Könnte er sich selbst davon ausschließen? Unmöglich. Wie aber kann er, und warum sollte er sich ausschließen, wenn es sich handelt um die freie Liebe Gottes und um die Errettung durch Christus Jesus?

Und was ist, möchten wir weiter fragen, die Bedeutung und die Kraft des Wörtchens „Jeder“? Ist jemand ausgeschlossen? Sicher nicht. Wenn aber jeder gemeint ist, warum denn nicht der Leser? Es ist weit besser, weit sicherer, weit genügender das Wörtchen „Jeder“ in dem Evangelium zu finden, als wenn dort mein eigener Name zu lesen wäre, da es doch möglich sein konnte, dass tausend Personen in der Welt denselben Namen führten, während das Wörtchen „Jeder“ sich so bestimmt auf mich anwenden lässt, als wenn ich mich allein auf der Oberfläche der Erde befände.

Wir sehen also, dass gerade die Ausdrücke, die, um die frohe Botschaft zu verkünden, gebraucht werden, ganz und gar geeignet sind, jede Schwierigkeit in Betreff ihrer Zueignung zu beseitigen. Wenn wir lauschen auf den Herrn in den Tagen seines Fleisches, so hören wir die Worte: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn gegeben, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ Und wiederum, wenn wir lauschen auf Ihn nach seiner Auferstehung, so vernehmen wir die Worte: „Geht hin in die ganze Welt, predigt die gute Botschaft der ganzen Schöpfung“ (Mk 16). Und lauschen wir endlich auf die Stimme des von einem auferstandenen, aufgefahrenen und verherrlichten Herrn gesandten Heiligen Geistes, so hören wir die Worte: „Derselbe Herr von allen ist reich über alle, die Ihn anrufen. Denn wer irgend den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden“ (Röm 10,12–13).

Alle diese, die Botschaft des Heils verkündenden Stellen lassen für niemanden irgendeinen Raum übrig, um deren Anwendung abzuweisen. Wenn „die ganze Welt“ der Schauplatz und „die ganze Schöpfung“ der Gegenstand des kostbaren Evangeliums für Christus ist, wer hätte dann irgendwie ein Recht, sich selbst auszuschließen? Wo gibt es außerhalb der Hölle für irgendeinen Sünder eine Vollmacht zu sagen, dass die frohe Botschaft des Heils nicht für ihn sei? Es existiert keine. Das Heil oder die Errettung ist eine so freie Gabe, wie die Luft, die wir einatmen, wie die Regentropfen, welche die Erde erfrischen, und wie die Sonnenstrahlen, welche unseren Fußpfad beleuchten; und wenn jemand versucht, sie einzuschränken, so befindet er sich weder in Harmonie mit dem Geist Christi, noch in Übereinstimmung mit dem Herzen Gottes (Schluss folgt).

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