Einführende Vorträge zur Offenbarung

Kapitel 8

Danach folgt ausführlich das siebte Siegel. Das ist wichtig, denn es schützt uns wirksam gegen die Vorstellung, dass das sechste Siegel bis zum Ende anhält, wie viele ausgezeichnete Ausleger in alter und neuer Zeit angenommen haben. Das ist eindeutig unrichtig. Das siebte Siegel muss notwendigerweise nach dem sechsten folgen. Falls bei den Siegeln eine Reihenfolge vorliegt, müssen wir zugeben, dass das siebte Siegel sieben Posaunen einführt, die wie die Siegel aufeinander folgen. Das wird von Kapitel 8 an beschrieben. „Ich sah die sieben Engel, welche vor Gott stehen; und es wurden ihnen sieben Posaunen gegeben“ (V. 2). Danach sehen wir eine bemerkenswerte Tatsache: Ein Engel von einem besonders erhabenen Charakter steht vor dem Altar. „Und ein anderer Engel kam und stellte sich an den Altar, und er hatte ein goldenes Räucherfass; und es wurde ihm viel Räucherwerk gegeben, auf dass er Kraft gebe den Gebeten aller Heiligen auf dem goldenen Altar, der vor dem Throne ist“ (V. 3). Daraus folgt, dass neben den verherrlichten Erlösten droben, es solche auf der Erde gibt, die von dem großen Hohenpriester getragen werden, wie klein auch ihr [geistliches; Übs.] Licht und wie groß ihre Prüfung sein mögen. So wird hier ganz klar gezeigt, dass, während die Verherrlichten sich droben befinden, es andere Erlösten in ihren natürlichen Leibern geben wird, die dennoch hienieden als Heilige beglaubigt sind.

Aber es gibt indessen noch einen weiteren Wesenszug, der unsere Aufmerksamkeit verlangt. Der Herr Jesus nimmt unter den Posaunen den Charakter eines Engels an. Unter den Posaunen ist alles von einem engelmäßigen Wesen. Wir hören von Ihm nicht mehr als dem Lamm. Als solches hatte Er die Siegel geöffnet. Doch so wie hier die Posaunen von Engeln geblasen werden, so greift der Engel des Bundes (der, die zweite Person in der Dreieinheit ist, wie Er gewöhnlich bezeichnet wird) auf das zurück, was in der alttestamentlichen Darstellung von Ihm so vertraut ist. Das heißt natürlich nicht, dass Er sich seiner Menschheit entkleidet. Das konnte nicht sein. Falls jemand diese Vorstellung haben sollte, so stände sie im Widerspruch zu aller Wahrheit. Seit der Fleischwerdung (Inkarnation) bleibt der Sohn Gottes für alle Zeit der Mensch Christus Jesus. Von der Zeit an, dass Er in Einheit mit seiner herrlichen Person das Menschsein annahm, wird Er letzteres niemals wieder ablegen. Dieses schließt offensichtlich keineswegs aus, sich unter jeder äußeren Erscheinung vorzustellen, wie es der prophetischen Notwendigkeit in bestimmten Fällen entspricht; und das, denke ich, finden wir hier bei den Posaunen. Wir können bemerken, wie ein zunehmend bildlicher Sprachstil verwandt wird. Alle anderen Gegenstände werden in dieser Folge von Visionen aus einer zunehmend größeren Entfernung betrachtet als vorher. Sogar Christus wird undeutlicher gesehen, und zwar nicht in seiner eindeutig menschlichen Wirklichkeit, sondern in einer Engelerscheinung.

Hier wird also gesagt: „Der Engel nahm das Räucherfass und füllte es von dem Feuer des Altars und warf es auf die Erde“ (V. 5). Die Wirkung waren „Stimmen und Donner und Blitze und ein Erdbeben.“ Wir müssen uns also bei dieser neuen Siebenergruppe auf noch größere Heimsuchungen der Gerichte Gottes vorbereiten. Schon in Kapitel 4 gab es Blitze und Stimmen und Donnerschläge; aber jetzt ist es mehr als das. Wir finden neben diesen, dass ein Erdbeben hinzukommt. Die Wirkung auf die Menschen wird heftiger.

Und der erste posaunte: und es kam Hagel und Feuer, mit Blut vermischt, und wurde auf die Erde geworfen“ (V. 7). Das nehme ich als einen heftigen Erguss des Missfallens seitens Gottes. Der Hagel deutet darauf hin. Feuer ist, wie wir wissen, das beständige Sinnbild von Gottes verzehrendem Gericht; und dieses ist mit Blut vermischt. Es geht um die Vernichtung des Lebens unter den Gesichtspunkten, die hier angedeutet werden. Wir müssen überlegen, ob es sich einfach um den physischen Tod handelt oder um eine Auslöschung in einer bestimmten Hinsicht.

Wir können bemerken, dass in diesen göttlichen Heimsuchungen der „dritte Teil“ besonders zur Sprache gebracht wird. Was ist die prophetische Bedeutung von „ein Drittel“? Es scheint dem zu entsprechen, was uns in Offenbarung 13 in der Schilderung des eigentlichen römischen oder westlichen Reiches gezeigt wird. Ich glaube, dass unser Bild die Zerstörung des römischen Reiches im Westen beinhaltet. Natürlich kann niemand verlangen, dass wir bei einem allgemeinen Überblick die Gründe für diese Ansicht besprechen. Es genügt, das vorzustellen, was wir für die Wahrheit halten. Falls dem so ist, handelt es sich zumindest bei den ersten Posaunen (wenn auch nicht nur bei ihnen) um eine besondere Heimsuchung des Gerichts über das westliche, römische Reich. Nicht nur Rom wurde heimgesucht, sondern auch „der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte.“ Das ist ein Gegensatz. Die Würdenträger innerhalb des geschilderten Bereichs wurden heimgesucht. Doch es gab zudem eine umfassende Beeinträchtigung des Wohlstands der Menschen hienieden.

„Und der zweite Engel posaunte: und wie ein großer, mit Feuer brennender Berg wurde ins Meer geworfen; und der dritte Teil des Meeres wurde zu Blut. Und es starb der dritte Teil der Geschöpfe, welche im Meere waren, die Leben hatten, und der dritte Teil der Schiffe wurde zerstört“ (V. 8–9). In diesem Fall geht es um eine große irdische Macht, welche sich als Gericht Gottes mit den Menschenmassen in einem rebellischen Zustand zu letzterer Vernichtung beschäftigt. Hier steht die Welt demnach nicht unter einer stabilen Regierung. Es geht um eine Zeit, in der sie sich in einem Zustand des Aufruhrs und der Unordnung befindet. Wir sehen dieselben tödlichen Auswirkungen, indem anscheinend Gewerbe und Handel der Menschen ein Ende finden.

„Der dritte Engel posaunte: und es fiel vom Himmel ein großer Stern, brennend wie eine Fackel, und er fiel auf den dritten Teil der Ströme und auf die Wasserquellen“ (V. 10). Jetzt steht der Fall eines großen Würdenträgers oder Herrschers vor uns, dessen Sturz in gerichtlicher Weise alle Quellen und Ströme des öffentlichen Einflusses bitter macht. Die Quellen und Mittel des öffentlichen Umgangs unter den Menschen werden durch das Gericht Gottes heimgesucht.

Der vierte Engel blies; und der dritte Teil der Sonne, des Mondes und der Sterne wurde geschlagen. Das besagt: Die herrschenden Mächte – die obersten, die abgeleiteten und die untergeordneten – sie alle geraten unter Gottes Gericht. Das alles geschieht in der westlichen Welt.

„Und ich sah: und ich hörte einen Adler fliegen inmitten des Himmels und mit lauter Stimme sagen: Wehe, wehe, wehe denen, die auf der Erde wohnen, wegen der übrigen Stimmen der Posaune der drei Engel, die posaunen werden!“ (V. 13). Das ist ein lebendiges Bild von schnell heraufziehenden Gerichten. („Engel“ sind hier durch die bessere Lesart „Adler“ ersetzt, sogar von Gelehrten, die den symbolischen Stil der Prophetie an dieser Stelle nicht richtig würdigen).1 

Fußnoten

  • 1 Nach der englischen „Authorized Version“. vgl. auch „Lutherbibel“ bis wenigstens 1960 (Übs.).
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