Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus

Das Gericht über die Christenheit

Israel hätte durch seinen Gehorsam und die ihm folgenden zeitlichen Segnungen allen Völkern der Erde zeigen sollen, wie „glücklich das Volk ist, dessen Gott der Herr ist“. Aber trotz der hohen Vorrechte, mit denen dieses Volk ausgestattet war, wandte es sich von dem HERRN ab und diente den Götzen. Wie eine untreue Frau verließ es seinen rechtmäßigen Gatten und hing sich an den Baal. Gerade so ist es mit der Kirche Christi gegangen. Berufen, während der Abwesenheit ihres Herrn durch einen heiligen und gottseligen Wandel, durch Reinheit und Einheit der Welt zu zeigen, dass der von ihr verworfene Jesus im Himmel lebt und jene himmlische Gesinnung in der Kirche bewirkt, hat sie den Pfad der Absonderung verlassen und ist ihrer Berufung untreu geworden. Indem sie mit der Welt ein Bündnis schloss, hat sie ihren himmlischen Charakter eingebüßt und ist zu einer Vereinigung geworden, in der Gläubige und Ungläubige miteinander Hand in Hand gehen.

Die beiden Hauptgrundsätze für den Wandel der Kirche auf Erden sind diese: 1) Absonderung von den Ungläubigen und von allem Bösen und 2) Vereinigung mit allen, die den Herrn Jesus in Wahrheit lieb haben. Die Gläubigen sind berufen, sich rein und von der Welt unbefleckt zu erhalten, als der heilige Tempel Gottes nichts Unreines in ihre Mitte zuzulassen, und, sobald sich etwas Böses unter ihnen offenbart, sei es sittlich Böses oder böse Lehre (Ketzerei), dieses mit Entschiedenheit zu richten und hinwegzutun. Zugleich aber sollen sie sich befleißigen, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens, sich also nicht etwa wegen bloßer Meinungsverschiedenheiten voneinander trennen. Nach diesen beiden Hauptgrundsätzen haben die Gläubigen im Anfang mit allem Ernst gehandelt. Lieblich ist die Beschreibung, die uns von der ersten Versammlung oder Gemeinde zu Jerusalem gegeben wird. Die Absonderung von der Welt wurde in so entschiedener Weise aufrecht erhalten, dass von den anderen niemand wagte, sich ihnen anzuschließen, und andererseits wurde das Einssein untereinander so tief gefühlt und verwirklicht, dass sie alle ein Herz und eine Seele waren. Und so war es nicht nur in Jerusalem, sondern auch in vielen anderen Versammlungen. Hinsichtlich der Versammlung zu Thessalonich lesen wir z. B.: „Wir danken Gott allezeit für euch alle, … unablässig gedenkend eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus“ (1. Thes 1,2.3). An die Versammlung zu  Ephesus konnte Paulus schreiben: „Weshalb auch ich, nachdem ich gehört habe von dem Glauben an den Herrn Jesus, der in euch ist, und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, nicht aufhöre, für euch zu danken“ (Eph 1,15.16), und an die zu Philippi: „Ich danke meinem Gott bei all meiner Erinnerung an euch allezeit in jedem meiner Gebete, indem ich für euch alle das Gebet mit Freuden tue, wegen eurer Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt“ (Phil 1,3–5), und endlich an die zu Kolossä: „Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus allezeit, indem wir für euch beten, nachdem wir gehört haben von eurem Glauben an Christus Jesus und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt“ (Kol 1,3.4).

In welch lieblicher Weise entsprach also die Kirche im Anfang ihrer himmlischen Berufung! Doch ach! Die herrliche Offenbarung ihrer Reinheit und Einheit währte nicht lange. Schon zur Zeit der Apostel begann das Böse zu keimen, das sich in späteren Tagen so schrecklich entwickeln und ausbreiten sollte. Die Briefe an die Korinther, Galater und Hebräer beweisen hinlänglich, wie bald es dem Teufel gelang, grobe Sünden, Irrlehren und Spaltungen unter den Christen einzuführen. Ja, in fast allen Briefen findet man Spuren von der Tätigkeit des Fürsten der Finsternis. Seine Freude war es, das schöne Werk Gottes zu verderben, und nur zu gut ist es ihm gelungen. Wenn auch die eindringlichen Ermahnungen und Zurechtweisungen der Apostel, verbunden mit ihrem kraftvollen ernsten Auftreten, dem offenen Hervorbrechen des Bösen lange einen Damm entgegensetzten, enthalten ihre Briefe doch Andeutungen genug darüber, dass nach ihrem Tod schwere Zeiten kommen würden. Auch sagt Paulus zu den Ältesten aus Ephesus: „Ich weiß, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apg 20,29.30).

Diese prophetischen Worte sind buchstäblich in Erfüllung gegangen. Kaum hatten die Apostel ihre Augen geschlossen, als es sich zeigte, wie viele Seelen bereits durch falsche Lehre und falsche Brüder verführt worden waren. Die jüdisch gesinnten Lehrer führten allerlei jüdische Grundsätze und Gebräuche ein, und die aus den Heiden vermengten ihre philosophischen Lehrsätze mit der Wahrheit des Evangeliums. Die Folge war eine grenzenlose Verwirrung und nicht selten heftige Streitigkeiten. Die Sucht nach Ehre und Ansehen, das Trachten nach einer einflussreichen Stellung inmitten der christlichen Gemeinden, Neid und Eifersucht zwischen den Aufsehern und Dienern selbst – alles das diente dazu, den Verfall immer trauriger zu gestalten. Das Gebot des Herrn: „Einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder“, wurde völlig vergessen. Wohl kam der Herr eine Zeitlang durch schreckliche Verfolgungen seitens der Machthaber dieser Welt seiner armen Kirche zu Hilfe. Als diese aber aufhörten und im dritten Jahrhundert Kaiser Konstantin gar mit seinem ganzen Hof das Christentum annahm, da griff das Verderben mit Riesenschritten um sich. Die bisher so grimmig verfolgten und verachteten Christen gelangten jetzt zu hohen Staatsämtern, und das Christentum wurde zur Staatsreligion erhoben. Mit dieser Tatsache war der völlige Ruin der Kirche besiegelt. Der größte Teil der Höflinge des Kaisers nahm nur deshalb die neue Religion an, weil der Kaiser es tat. Von einer wahren Buße und Bekehrung zu Gott war keine Rede, ja, viele kannten das Evangelium kaum dem Namen nach. Die Kirche nahm diese glaubenslosen Bekenner bereitwillig in ihren Schoß auf. Die Verbindung mit der Welt war damit vollzogen. Anstatt nach dem Wort des Herrn die guten Fische in Gefäße zu sammeln und die schlechten wegzuwerfen, wurden beide miteinander vereinigt. Die Welt bekam Zutritt zu der Kirche Christi, und so wurde diese, entgegen der deutlich ausgesprochenen Absicht Jesu und trotz der ernsten Warnungen seiner Apostel, ein trauriges Gemisch von Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit, von Kindern des Lichts und Kindern der Finsternis.

Man beachte hierbei, dass dies alles die Schuld der Kirche war. Sie wurde keineswegs dazu gezwungen, sondern handelte freiwillig. Sie verließ den Pfad des Gehorsams und vergaß das Wort des Apostels: „Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen“, und beschwor dadurch die ganze Kette von traurigen Erscheinungen herauf, die die Kirchengeschichte zu der finstersten aller Geschichten gemacht haben. Alle die Gräuel des Mittelalters finden in jenem Ungehorsam ihren eigentlichen Ursprung. Und bis zum heutigen Tag besteht dieselbe Vermengung von Licht und Finsternis fort. Wohin man auch seine Augen richten mag, ob auf die griechische, die römische oder protestantische Kirche, überall findet man die Welt mit den Gläubigen vermengt. Der Unterschied zwischen Kirche und Welt ist so völlig verschwunden, dass niemand mehr zu sagen vermag, wo die eine anfängt oder die andere aufhört. Eigentlich kann man nur noch von einer Religion der Welt sprechen, von einem Gottesdienst, der nur noch zum Schein den Namen „christlicher Gottesdienst“ trägt.

Es konnte nicht ausbleiben, dass mit den Ungläubigen böse Lehren, grobe Unordnungen und Sünden in die Kirche eindrangen. Auch wurde, nachdem das Christentum einmal Staatsreligion geworden war, vieles nach weltlichen, politischen Grundätzen geregelt und geordnet. So genannte geistliche Ämter mit reicher Rangabstufung wurden eingerichtet. Um der überhand nehmenden Unordnung und Sittenlosigkeit entgegenzusteuern, wurden Gesetze und Bestimmungen erlassen, auf deren Übertretung nicht selten harte Strafen gesetzt waren. Die Kirche erhielt auf diese Weise allmählich das Aussehen eines weltlichen Gerichtshofes. Andererseits führten die getauften Heiden mancherlei heidnische Gebräuche ein, die nach und nach mit einem christlichen Gewand umgeben, verchristlicht wurden, und die wir noch heutzutage in der römischen Kirche wiederfinden können. Die heidnischen Tempel wurden in christliche Kirchen, die heidnischen Feste in christliche Feiertage umgewandelt. Zugleich wurde der jüdische Priesterdienst unter etwas veränderter Gestalt wieder eingeführt. Die reine Lehre des Evangeliums verschwand mehr und mehr unter einem Wust von Irrtümern und menschlichen Überlieferungen. Von der heiligen Einfachheit der ersten Kirche war bald keine Spur mehr zu erblicken. Mochten auch von dem dunklen Hintergrund sich hier und da einzelne leuchtende Sterne abheben – denn Gott hat sich zu keiner Zeit ohne ein Zeugnis gelassen, stets hat es wahre, treue Jünger Jesu gegeben – so war doch die Kirche als solche in die tiefste Finsternis versunken.

„Aber die Reformation hat doch diesen Zustand der Dinge verbessert“, höre ich den Leser sagen. Ich antworte: In gewisser Hinsicht ja. Luther z. B. (um nur von dem nächstliegenden zu reden) war ein Mann Gottes und ein mächtiges Werkzeug in seiner Hand. Er erhob die große Wahrheit der Rechtfertigung aus Glauben ohne Gesetzeswerke wieder auf den Leuchter, und wir können Gott nicht genug dafür danken, dass Er die Finsternis des Mittelalters durch dieses helle Licht erleuchtet hat. Viele Tausende sind durch die Verkündigung jener Wahrheit bekehrt worden, und das Hinwegräumen eines mächtigen, hunderte von Jahren alten Schutthaufens von Aberglauben und Menschenwahn war ein großer Segen. Allein wir müssen leider auch hinzufügen, dass im Blick auf die Grundsätze, denen man seit dem dritten Jahrhundert gehuldigt hat, auch in der protestantischen Christenheit keine Änderung eingetreten ist. Viele trennten sich allerdings von der römischen Kirche, aber nur, um auf ähnlichen Grundlagen eine neue Kirche zu errichten. Ohne Frage befanden sich in dieser neuen Kirche anfänglich viele lebendige Glieder, aber die ernste Scheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen wurde nicht vollzogen. Es war nicht die Frage, ob jemand bekehrt sei oder nicht, sondern ob er die reformatorische Lehre angenommen habe. War dies der Fall, so wurde er mit offenen Armen aufgenommen. Für die Kinder, die geboren wurden, genügten, wie heute, Kindertaufe und später Konfirmation für die Zulassung zum Abendmahl. Der lebendige Glaube an den Herrn Jesus war nicht die maßgebende Bedingung, sondern, wie bei der römischen Kirche, die Annahme der Lehre und die Unterwerfung unter die Anordnungen der Kirche. Zugleich wandten sich die Protestanten um Schutz und Hilfe an die weltlichen Fürsten, und während bis dahin die Kirche über den Staat geherrscht hatte, herrscht seit der Reformation der Staat über die Kirche. Selbstverständlich musste bei derartigen Grundsätzen nach einiger Zeit dasselbe eintreten wie früher: die Ungläubigen, die zuerst in der Minderheit waren, bekamen nach und nach die Oberhand, und obwohl viele Gebräuche und Formen der römischen Kirche für immer aus den protestantischen Kirchen verbannt wurden, ist der wahre Zustand hier doch kaum viel besser als dort. Den Namen zu haben, dass man lebe, während man in Wirklichkeit tot ist (Off 3,1), ist fürwahr ein trauriger Zustand. Ach! Die gegenwärtige Zeit beweist zum tiefen Schmerz aller derer, die noch Augen haben zu sehen, wie schlimm es in den protestantischen Kirchen steht. Die Zweifelsucht, die grobe Missachtung des Wortes Gottes, die Leugnung der Gottheit Christi, ja der offenbare Unglaube nehmen in erschreckender Weise überhand. In Gebäuden, in denen die so genannte christliche Gemeinde sich versammelt, wird die Bibel ohne Scheu für eine Sammlung von Fabeln und Legenden erklärt, wird der Christus Gottes zu einem sündigen Menschen erniedrigt und beugt man seine Kniee nicht vor dem Gott des Himmels und der Erde, der aus nichts die Welt erschaffen hat, sondern vor dem neuen Gott: vor dem Menschen und seiner Vernunft. Mit unwiderstehlicher Macht drängt alles dem Ende, dem schrecklichen Ende zu. Nicht lange mehr, und der Antichrist wird erscheinen, ein Mensch, eine wirkliche Person. Er wird sich in den Tempel Gottes setzen, indem er sagt, dass er Gott sei, und die ganze Welt wird sich willig vor ihm beugen (vgl. 2. Thes 2,4; Off 13,11–18).

Ist es ein Wunder, wenn ein schonungsloses Gericht über diese, sich „die Braut Christi“ nennende Christenheit kommen wird? Wahrlich nicht. Die Schrift belehrt uns auch deutlich genug über diesen Punkt. Manche Christen können sich zwar noch immer nicht von dem Wahn trennen, dass der Zustand der Kirche sich noch einmal bessern werde. Gottes Wort aber sagt uns das Gegenteil. Sünde, Irrtum, Unglaube und Abfall werden immer weiter um sich greifen und endlich eine solche Gestalt annehmen, dass die bekennende Kirche „die große Hure“ genannt werden kann. Schon jetzt ist der Verfall groß, aber da die wahren Gläubigen noch auf der Erde sind, wird die volle Offenbarung der Bosheit noch zurück gehalten. Wenn aber einmal die Gläubigen in den Himmel aufgenommen sind und somit auch der Heilige Geist die Erde verlassen hat, wird Gott selbst einen Geist des Irrtums unter die Menschen senden. Sie werden die Lüge als Wahrheit annehmen, sich völlig von Gott und seinem Christus lossagen und dem Antichristen huldigen. Dann wird die christliche Kirche, die sich als eine keusche Jungfrau für Christus hätte bewahren sollen, einer Hure gleich geworden sein.

Im Neuen Testament wird auf dreierlei Weise von der Kirche gesprochen. Sie ist zunächst der Leib Christi: Er das Haupt, die Seinen die Glieder (1. Kor 12; Röm 12,4.5). Dann wird sie der Tempel Gottes genannt, dessen Erbauer Gott selbst ist, und zu dem Er die Steine hinzufügt (Eph 2,19–22; 1. Pet 2,4.5). Von diesen beiden Gesichtspunkten aus betrachtet, kann von keinem Verfall die Rede sein. Zu dem Leib Christi können nur wahrhaft Wiedergeborene kommen, und dem Tempel Gottes können nur lebendige Steine eingefügt werden. Doch die Kirche wird auch betrachtet als der Tempel Gottes, der unter die Verantwortlichkeit des Menschen gestellt ist (1. Kor 3,9–15; vgl. auch 2. Tim 2,19–21). In diesem Fall ist es nicht Gott allein, der baut, sondern Er benutzt Menschen als seine Mitarbeiter, und diese können Holz, Heu und Stoppeln auf die Grundlage bauen. Es ist die Kirche in ihrer äußeren Darstellung auf dieser Erde, das große Haus der bekennenden Christenheit. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, ist die Kirche abgefallen, hat sich mit der Welt vereinigt und reift dem Gericht entgegen.

Die Geschichte oder die Entwicklung dieses Verfalls finden wir in den Sendschreiben an die sieben Versammlungen in Kleinasien dargestellt (Off 2 und 3). Ohne Zweifel sind diese Briefe zunächst an Gemeinden gerichtet gewesen, die zu jener Zeit bestanden, und deren Zustand dem Inhalt der Briefe entsprach, allein es ist ebenso unzweifelhaft, dass sie, wie das ganze Buch der Offenbarung, einen prophetischen Charakter tragen und uns einen kurzen, aber ernsten Abriss der Geschichte der christlichen Kirche geben, von ihren ersten Anfängen bis zu ihrem Ende. 1 Das Sendschreiben an die Versammlung zu Ephesus schildert uns den Zustand der Kirche während des Lebens und kurz nach dem Tod der Apostel. Äußerlich war alles noch sehr schön, aber die erste Liebe war verlassen. Dann folgt in Smyrna die Verfolgung unter den römischen Kaisern am Ende des ersten und im Lauf des zweiten Jahrhunderts. In Pergamus wird die Verbindung der Kirche mit der Welt, die im dritten Jahrhundert unter Konstantin stattfand, angekündigt. Wie Bileam das Heilige mit dem Unheiligen zu verbinden trachtete, so hat die heilige Kirche sich mit der unheiligen Welt verbunden, und die Kirche wohnt jetzt da, wo der Thron Satans ist. In Thyatira wird der Abfall noch größer. Dort finden wir nicht nur die Vereinigung mit der Welt, sondern auch die Einführung des Götzendienstes und die Anmaßung weltlicher Herrschermacht, gerade so wie Jesabel, die Frau Ahabs, den Baalsdienst in Israel einführte und sich die königliche Macht aneignete (vgl. 1. Kön 21,7.8). Die Verwirklichung dieser Weissagung finden wir in dem Zustand der bekennenden Kirche während der finsteren Zeiten des Mittelalters. Damit ist der erste Teil der Geschichte der Kirche behandelt. Mit der Reformation trat ein neuer Zeitabschnitt ein, indes blieb die römische Kirche bestehen und wird bis zum Ende hin fortbestehen, so dass in diesem Brief das Endgericht, das sie treffen wird, mit den Worten beschrieben wird: „Ich werde sie in große Drangsal bringen …, und ihre Kinder werde ich mit Tod töten“, während dem, der bis ans Ende überwindet, die Herrschaft über die Nationen und der Morgenstern verheißen wird.

Mit dem Sendschreiben an die Versammlung zu Sardes beginnt, wie bereits bemerkt, ein neuer Zeitabschnitt in der Geschichte der Kirche. Infolge der Reformation wurden viele Irrlehren der römischen Kirche abgeschworen, Heiligen-Anbetung und Bilderdienst verschwanden, und viele wurden bekehrt. Eine große geistliche Bewegung entstand in fast allen Ländern Europas, und eine neue Kirche, die protestantische, wurde gegründet. Aber ach! Ihr muss gesagt werden: „Ich kenne deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebst, und du bist tot“ (Off 3,1). Dieser Zustand eines äußerlichen, rechtgläubigen Bekenntnisses ohne Kraft und Leben ist noch heute vorhanden. Und was nun? Wird dieser Zustand verändert, verbessert, wiederhergestellt werden? Ist die nochmalige Gründung einer neuen Kirche zu erwarten? Wird eine neue Bewegung entstehen, die die Kirche in ihrer alten Einfalt und Reinheit wiederherstellen wird? Nichts von alledem! Die Prophezeiung sagt uns, dass die wahren Gläubigen, die wenigen, die ihre Kleider nicht besudelt haben, vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, durch die Wiederkunft Christi zu ihrer Aufnahme bewahrt werden sollen, während die zurückbleibenden Namenchristen aus dem Mund Christi ausgespieen werden. Das ist der Inhalt der Sendschreiben an Philadelphia und Laodicäa. Die Gläubigen, die wahre Kirche, der Leib Christi, werden vor der Stunde der Versuchung, d. h. vor den schrecklichen Gerichten, die den ganzen Erdkreis treffen werden, und die wir in der Offenbarung und an anderen Stellen vorhergesagt finden, in den Himmel aufgenommen werden. Das was übrig bleibt, die beiden großen Lager der bekennenden Christenheit, wird teils dem in Off 17 angekündigten Gericht anheim fallen, teils als ein Gegenstand der Abscheu aus dem Mund Christi ausgespieen werden.

In dem eben angeführten 17. Kapitel der Offenbarung wird uns die Kirche als eine geistliche Macht vorgestellt. Sie, die sich die Braut Christi nennt, es aber nicht ist, weil sie ihren rechtmäßigen Herrn verlassen hat und anderen Göttern nachgewandelt ist, wird, ähnlich wie Israel im Alten Testament, eine Hure genannt. Während sie einst als eine keusche Jungfrau die Herrlichkeit und Weisheit Gottes auf dieser Erde offenbarte, trägt sie jetzt auf ihrer Stirn den Namen „Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde“. Während sie einst, ihrer Berufung getreu, viel erlitten und erduldet hat um des Namens Jesu willen, muss sie hier dargestellt werden „als trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu“. Schrecklicher Gegensatz! Und nicht nur ist die Kirche eine geistliche, sondern sie ist auch eine staatliche Macht geworden. Darum wird sie im 18. Kapitel „Babylon, die große“ genannt, mit der die Kaufleute der Erde Handel getrieben haben. Aber sowohl als geistliche, wie auch als staatliche Macht wird sie von der Erde verschwinden.

Man darf jedoch nicht erwarten, dass dieses Gericht schon in allernächster Zeit stattfinden werde. Anstatt durch den Verlust der weltlichen Macht des Papstes schwächer geworden zu sein, ist Rom im Gegenteil in den letzten Jahrzehnten immer mehr erstarkt, ja, es geht noch einer Zeit des höchsten Ansehens und fast unumschränkter Machtfülle entgegen. In einem früheren Abschnitt unserer Betrachtung haben wir gesehen, dass das scharlachrote Tier mit seinen sieben Köpfen und zehn Hörnern das wiederhergestellte römische Reich darstellt. Nun, auf diesem Tier sitzt die Frau, die die große Hure genannt wird. Sie hält also das Tier im Zaum, sie reitet darauf, sie hat es in seiner Gewalt. Mit anderen Worten: die Kirche wird in diesem letzten Zustand des Abfalls und der Gottlosigkeit Beherrscherin der Welt sein.

Indessen wird diese Herrschaft nicht lange währen. Es gibt noch eine andere Macht, die in der Welt wirksam ist. Gegenüber der geistlichen und weltlichen Macht der Kirche steht der revolutionäre Geist der Völker. Nachdem die Hure eine Zeitlang auf dem Tier gesessen und es regiert haben wird, werden „die zehn Könige“ sich gegen sie erheben; sie „werden die Hure hassen und werden sie öde und nackt machen, und werden ihr Fleisch fressen und sie mit Feuer verbrennen“. Diese Könige werden in der Hand Gottes das Werkzeug bilden, um das Gericht an der abgefallenen Christenheit zu vollziehen, „denn Gott hat in ihre Herzen gegeben, seinen Sinn zu tun“. Der Herr wird seinen ganzen Zorn und Grimm über die abtrünnige Kirche ausgießen. Man höre nur, was Er zu den Gläubigen sagt, die in jenen Tagen auf der Erde sein werden: „Geht aus ihr hinaus, mein Volk, damit ihr nicht ihrer Sünden teilhaftig werdet und damit ihr nicht empfangt von ihren Plagen; denn ihre Sünden sind aufgehäuft bis zum Himmel, und Gott hat ihrer Ungerechtigkeiten gedacht. Vergeltet ihr, wie auch sie vergolten hat, und verdoppelt doppelt nach ihren Werken; in dem Kelch, den sie gemischt hat, mischt ihr doppelt. Wie viel sie sich verherrlicht und Üppigkeit getrieben hat, so viel Qual und Trauer gebt ihr. Denn sie spricht in ihrem Herzen: Ich sitze als Königin, und Witwe bin ich nicht, und Traurigkeit werde ich nicht sehen. Darum werden ihre Plagen an einem Tag kommen: Tod und Trauer und Hungersnot, und mit Feuer wird sie verbrannt werden; denn stark ist der Herr, Gott, der sie gerichtet hat.“

So wird denn die christliche Kirche ein Ende mit Schrecken nehmen. Sie wird von dem Erdboden verschwinden. Ihre Kirchen und Tempel werden verwüstet, ihre Diener getötet, ihre Pracht und Herrlichkeit wird vernichtet werden. So hoch sie sich selbst erhoben hat, so tief wird sie hinabgestürzt werden. Nichts wird von ihr übrig bleiben. Und während die Könige der Erde und die Kaufleute und alle Steuerleute sie beweinen und über sie wehklagen werden, indem sie ausrufen: „Wehe, wehe! Die große Stadt, Babylon, die starke Stadt! Denn in einer Stunde ist dein Gericht gekommen“, werden Engel frohlocken und den Bewohnern des Himmels zurufen: „Sei fröhlich über sie, du Himmel, und ihr Heiligen und ihr Apostel und ihr Propheten! Denn Gott hat euer Urteil an ihr vollzogen“.

Fußnoten

  • 1 Die ganze Offenbarung ist prophetisch. Dies wird deutlich in Kap. 1, 3 gesagt, während uns in Vers 19 die Einteilung des Buches gegeben wird. „Schreibe“, wird dort dem Propheten zugerufen, 1) „was du gesehen hast“, dies finden wir im 1. Kapitel; 2) „was ist“, das ist der Inhalt des 2. und 3. Kapitels, und 3) „was nach diesem geschehen wird“, Kapitel 4 bis zum Ende des Buches. Der 3. Abschnitt oder das „was nach diesem geschehen wird“, (vgl. Kap. 4, 1), beginnt mit der Darstellung der Gläubigen in der himmlischen Herrlichkeit. Sie sind also nicht mehr hienieden. Dann folgen die Gerichte, die über die Erde kommen werden, die Wiederkehr Christi, das 1000-jährige Reich und schließlich der neue Himmel und die neue Erde. Hieraus erhellt, dass das, was ist, nichts anderes sein kann, als die christliche Kirche und ihre Geschichte während der Zeit ihres Bestehens auf Erden.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel