Die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus

Die Rückkehr Israels nach Palästina

Ein Blick auf das alte, durch Gott auserwählte und von den Heiden abgesonderte Volk kann unser Herz angesichts des kläglichen Zustandes nur mit Traurigkeit erfüllen, in dem es sich heute befindet. Wegen ihrer Sünden und Missetaten, wegen ihrer Abgötterei und Hartnäckigkeit und vor allem infolge der Verwerfung ihres Messias von Gott dahingegeben, schweifen die Juden als Fremdlinge unter den Völkern der Erde umher1. Fern von ihrem Land und ihrer heiligen Stadt sind sie ohne Heiligtum und ohne Altar. Ein Gegenstand des Spottes und Ärgernisses für die meisten Völker, tragen sie das Zeichen ihrer Schande und Verwerfung an der Stirn, trotzdem es vielen von ihnen geglückt ist, sich durch Geld einen Platz in den höchsten Gesellschaftskreisen zu verschaffen. Verachtet, gehasst, ja zuweilen wie die Pest gemieden, irren sie umher, wie Schafe, die keinen Hirten haben. Gottes Zorn ruht auf ihnen.

Doch so wird es nicht immer bleiben. Nein, der Herr wird sich wieder über sein Volk erbarmen, „denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“. Der Herr „wird nicht immer rechten und nicht in Ewigkeit nachtragen“. Es wird eine Zeit kommen, in der Israel zu dem Land seiner Väter zurückkehren, Stadt und Tempel wieder aufbauen, das Licht des freundlichen Antlitzes des HERRN wieder genießen und sicher wohnen wird unter den Palmen und Zedern des gelobten Landes.

Dass die Juden nach Palästina zurückkehren müssen, geht schon aus der Tatsache hervor, dass der Herr bei seiner Erscheinung mit den himmlischen Heiligen sein irdisches Volk im Land vorfinden wird. Seine Füße werden dann auf dem Ölberg stehen. Er wird aufs Neue seinen Einzug in Jerusalem halten und durch Israel als der wahre Messias aufgenommen und angebetet werden. Das Volk muss also vorher in sein Land zurückgekehrt sein. Doch wir sind bezüglich dieser Wahrheit nicht auf eine Schlussfolgerung angewiesen, so richtig diese auch sein mag, sondern besitzen eine Menge von Schriftstellen, die die Gedanken und Ratschlüsse Gottes über Israel auch dem einfachsten Leser klar und deutlich vor Augen führen.

So lesen wir z. B. in Jes 14,1.2: „Denn der Herr wird sich über Jakob erbarmen und Israel noch erwählen und wird sie in ihr Land einsetzen. Und der Fremde wird sich ihnen anschließen, und sie werden sich dem Haus Jakob zugesellen. Und die Völker werden sie nehmen und sie an ihren Ort bringen; und das Haus Israel wird sie sich zu Knechten und zu Mägden aneignen im Land des Herrn. Und sie werden die gefangen wegführen, die sie gefangen wegführten, und werden herrschen über ihre Bedrücker.“ Dass diese Prophezeiung noch nicht erfüllt ist, liegt klar auf der Hand. Wohl kehrte einst ein kleiner Teil der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft zurück, aber nicht um über seine Feinde zu herrschen, sondern im Gegenteil, um ihnen unterworfen zu bleiben bis zur völligen Zerstörung Jerusalems durch Titus und zur Zerstreuung des Volkes über die ganze Erde. Man sucht vergeblich nach einem Zeitabschnitt in der Geschichte Israels, auf den sich jene Prophezeiung anwenden ließe (vgl. auch die Kapitel 54, 55 und 61–65 des Propheten Jesaja).

Eine weitere, sehr deutliche Prophezeiung von der Rückkehr Israels nach Palästina finden wir in Jer 16,10–18. Nachdem der Herr dort seinem abtrünnigen Volk die Ursachen seiner Verwerfung und Zerstreuung vorgestellt hat, fährt Er fort: „Darum siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da nicht mehr gesagt werden wird: „So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat!“ – sondern: „So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel heraufgeführt hat aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin er sie vertrieben hatte!“ Und ich werde sie in ihr Land zurückbringen, das ich ihren Vätern gegeben habe.“

Auch im 30. und 31. Kapitel des Propheten Jeremia ist in beachtenswerter Weise von unserem Gegenstand die Rede: „Denn siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da ich die Gefangenschaft meines Volkes Israel und Juda wenden werde, spricht der Herr; und ich werde sie in das Land zurückbringen, das ich ihren Vätern gegeben habe, damit sie es besitzen“ (V. 3). Und als ob der Heilige Geist verhindern wollte, dass man den einfachen, buchstäblichen Sinn dieser Stelle vergeistliche, wird hinzugefügt: „Und dies sind die Worte, die der Herr über Israel und über Juda geredet hat. …So spricht der Herr: Siehe, ich will die Gefangenschaft der Zelte Jakobs wenden, und mich über seine Wohnungen erbarmen. Und die Stadt wird auf ihrem Hügel wieder erbaut und der Palast nach seiner Weise bewohnt werden“ (V. 18).

Derselben deutlichen Sprache begegnen wir in dem folgenden Kapitel, das sich mehr auf die Wiederherstellung von ganz Israel in dem Land bezieht. Nicht nur die zwei, sondern auch die zehn Stämme werden nach Kanaan zurückkehren, wiewohl nicht zu derselben Zeit. „In jener Zeit, spricht der Herr, werde ich der Gott aller Geschlechter Israels sein, und sie werden mein Volk sein (V. 1). „Siehe, ich bringe sie aus dem Land des Nordens und sammle sie vom äußersten Ende der Erde, unter ihnen Blinde und Lahme, Schwangere und Gebärende miteinander; in großer Versammlung kehren sie hierher zurück“ (V. 8). Alle Völker sind Zeugen der Verwerfung Israels, seines Elends und seiner Schande gewesen, aber nun werden sie aufgefordert, die Barmherzigkeit Gottes in der Wiederherstellung seines Volkes anzuschauen. „Hört das Wort des Herrn, ihr Nationen, und meldet es auf den fernen Inseln und sprecht: Der Israel zerstreut hat, wird es wieder sammeln und es hüten wie ein Hirte seine Herde“ (V. 10). Dann folgt die herrliche Beschreibung des Glückes und der Wohlfahrt, die Israel unter der Regierung seines Messias genießen wird.           

Die Kapitel 34. 36 und 37 des Propheten Hesekiel enthalten ebenfalls sehr deutliche Weissagungen über die bevorstehende Wiederherstellung Israels. Im 34. Kapitel finden wir zunächst das Gericht über die untreuen Hirten Israels (Verse 1–10), dann die Verheißung der Wiederherstellung (Verse 11–22) und schließlich die Beschreibung der Herrlichkeit des 1000-jährigen Reiches unter dem Zepter des Messias, des wahren David. „Und ich werde sie herausführen aus den Völkern und sie aus den Ländern sammeln und sie in ihr Land bringen; und ich werde sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Wohnplätzen des Landes“ (V. 13). Im 36. Kapitel lesen wir: „Und ich werde euch aus den Nationen holen und euch sammeln aus allen Ländern und euch in euer Land bringen. Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von allen euren Unreinheiten und von allen euren Götzen werde ich euch reinigen. Und ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben“ usw. (Verse 24–26). Dann folgt die völlige Bekehrung und Wiederherstellung Israels, sowie die Beschreibung seiner Segnungen während des 1000-jährigen Reiches. Das 37. Kapitel enthält die bekannte Beschreibung der Auferweckung der Totengebeine, des Bildes „des ganzen Hauses Israel“ (V. 11). Die Gebeine sind sehr verdorrt. Es ist keine Spur von Leben mehr in ihnen. Als Volk besteht Israel nicht mehr. Doch es wird aus den Gräbern der Nationen, unter die es weithin zerstreut ist, wieder ins Leben gerufen werden und in das gelobte Land zurückkehren (vgl. auch Dan 12,2). Die Gebeine bekommen zuerst Fleisch und dann einen Odem. Das will sagen: Israel wird sowohl äußerlich als auch innerlich wiederhergestellt werden. Es wird seinen Platz als Volk wieder einnehmen und zugleich ein neues Herz und einen neuen Geist bekommen. In der zweiten Hälfte des Kapitels wird uns dann unter dem Bild von zwei Hölzern die Wiedervereinigung von Juda und Israel, die bei dem Kommen Christi auf die Erde stattfinden wird, vor Augen geführt.

Es würde nicht schwer sein, noch eine Reihe anderer ähnlicher Weissagungen aus dem Alten Testament aufzuzählen, doch die vorstehenden genügen für unseren Zweck. Verweilen wir nur noch einen Augenblick bei einer neutestamentlichen Weissagung bezüglich unseres Gegenstandes, die sich in dem 11. Kapitel des Briefes an die Römer findet. Nachdem der Apostel dort zunächst gezeigt hat, dass auch jetzt, wie zur Zeit des Propheten Elia, ein Überrest Israels nach Wahl der Gnade vorhanden ist, beschäftigt er sich mit der Frage, was das Los des verworfenen Teiles des Volkes sein wird. „Ich sage nun: Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie fallen sollten?“ d. h. um nie wieder aufzustehen? „Das sei ferne! Sondern durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden, um sie zur Eifersucht zu reizen.“ Nun, wenn die Berufung der Heiden unter anderem den Zweck hatte, Gottes altes Volk zur Eifersucht zu reizen, so ist es offenbar, dass dieses Volk nicht für immer verworfen sein kann, ja noch mehr, wenn Israels Fall den Heiden zum Heil gereicht hat, dann muss seine Wiederherstellung sicher noch herrlichere Folgen haben (Verse 12–15). Doch das ist noch nicht alles. Nachdem die Juden ihres Unglaubens wegen aus dem Ölbaum der Verheißung ausgebrochen und die Nationen an ihrer Stelle in den Ölbaum eingepfropft worden sind, richtet Paulus an die Nationen die Warnung, nicht hochmütig zu sein, damit sie nicht demselben Gericht anheim fallen und auch wieder ausgebrochen werden möchten, wie jene. Zum Schluss lesen wir dann die bemerkenswerten Worte: „Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei,…: dass Israel zum Teil Verhärtung widerfahren ist, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen ist; und so wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: „Aus Zion wird der Erretter kommen, er wird die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden“ (Verse 25 und 26). Wenn also die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird, d. h. wenn alle, die aus den Nationen zur Kirche Christi gehören, berufen und in die himmlische Herrlichkeit eingegangen sind, wird Gott sich wieder in Gnaden seinem irdischen Volk zuwenden, und ganz Israel wird errettet werden. Das alte Volk Gottes, seines Unglaubens wegen für eine Zeit verworfen, wird wieder in den Ölbaum eingepfropft und in dem Land seiner Väter in alle verheißenen Segnungen eingesetzt werden.

Die bis jetzt angeführten Stellen reden jedoch, wenn auch klar und verständlich, nur im Allgemeinen über die Rückkehr Israels nach Palästina. Wollen wir uns deshalb ein genaues Bild von den bevorstehenden Ereignissen machen, so müssen wir noch auf einige Einzelheiten näher eingehen.

Betrachten wir denn zunächst Daniel 9,24–27, eine Stelle, die uns schon mehrmals beschäftigt hat. Es wird dort dem Propheten gesagt: „70 Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt“. Diese Wochen (Jahrwochen) teilen sich, wie schon früher bemerkt, in drei Abschnitte; in 7 Wochen, 62 Wochen und eine Woche. Von dem Befehl zur Wiederherstellung Jerusalems bis auf den Messias, den Fürsten, sind 7 Wochen und 62 Wochen. In 7 Wochen oder 49 Jahren wurden die Straßen und Gräben wiederhergestellt, und zwar in drangsalsvollen Zeiten. Von da an bis auf den Christus, oder richtiger bis auf seinen Tod, sollten 62 Wochen oder 434 Jahre verfließen. „Und nach den 62 Wochen wird der Messias weggetan werden und nichts haben.“ Auch das ist erfüllt. Der Messias ist zur bestimmten Zeit erschienen, aber von seinem Volk verworfen worden, so dass Er als König nichts empfangen hat. Er musste sein Erbe und die heilige Stadt den Händen der Menschen überlassen und kehrte zum Himmel zurück, um erst viel später sein Königreich in Besitz zu nehmen. „Und das Volk des kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören, und das Ende davon wird durch die überströmende Flut sein; und bis ans Ende: Krieg, Festbeschlossenes von Verwüstungen.“ Auch das ist geschehen. Infolge der Verwerfung des Messias durch Israel hat Gott die Römer gesandt, die unter ihrem Feldherrn Titus Jerusalem und den Tempel verwüstet haben, und diese Verwüstung dauert bis zum jetzigen Augenblick fort. „Und er wird einen festen Bund mit den Vielen schließen für eine Woche; und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen.“ Wer ist dieser „er“, der mit der Mehrzahl der Juden einen Bund schließen wird? Es ist der Fürst, dessen Volk die Stadt und den Tempel zerstört hat. Zuerst wird von dem Volk des Fürsten, der später kommen würde, gesprochen, und dann von dem Fürsten selbst. Das Volk des kommenden Fürsten hat Jerusalem und den Tempel zerstört, der Fürst selbst wird, wenn das römische Reich wiederhergestellt sein wird, und die Juden in ihr Land zurückgekehrt sind, mit der Masse der Juden (der treue Überrest wird sich nicht daran beteiligen) einen Bund schließen. Aber dann, in der Hälfte der Woche, also nach Verlauf von dreieinhalb Jahren, wird er sich in seiner wahren Gestalt zeigen. Er wird Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen, d. h. dem jüdischen Gottesdienst ein Ende machen, um dann in Verbindung mit dem Antichristen einen gräulichen Götzendienst einzuführen (2. Thes 2). Infolge dieser Gräuel wird eine große Verwüstung über Jerusalem kommen, die mit der Vernichtung des Antichristen durch die Erscheinung des Herrn enden wird.

Wenden wir uns jetzt zu dem 24. Kapitel des Evangeliums Matthäus. Wir haben bereits früher angedeutet, dass der Herr hier von den Gerichten und Drangsalen redet, die der Ankunft des Sohnes des Menschen unmittelbar vorangehen werden. Er betrachtet seine Jünger als die Vertreter der gläubigen Juden, die in der letzten Zeit, nach der Aufnahme der Kirche, auf der Erde sein werden. Man kann dieses Kapitel in drei Abschnitte einteilen. Zunächst wird der Zustand der Gläubigen und der Welt während der Zeit beschrieben, in der das Evangelium des Reiches verkündigt werden wird (Verse 4–14). Dann folgt die Beschreibung des Zeitraumes, in dem der Gräuel der Verwüstung an heiligem Ort stehen wird (Verse 15–28), und zum Schluss wird das Kommen des Herrn und die Sammlung der Auserwählten aus Israel angekündigt (Verse 29–31).

  1. In jener Zeit des Endes werden falsche Christi in Israel aufstehen. Kriege, Hungersnöte, Seuchen und Erdbeben werden an verschiedenen Orten stattfinden. Aber die Gläubigen werden aufgefordert, nicht zu erschrecken, denn es ist noch nicht das Ende. Jene ernsten Erscheinungen sind nur der Anfang der Wehen (Verse 5–8). Neben diesen äußerlichen Plagen, von denen alle Menschen betroffen werden sollen, werden die Gläubigen auch innerlich auf die Probe gestellt werden. Man wird sie in Drangsal überliefern und sie töten. Sie werden um des Namens Jesu willen von allen Völkern gehasst werden, so dass viele Anstoß nehmen und einander überliefern und hassen werden. Falsche Propheten werden aufstehen und viele verführen, und wegen des Überhandnehmens der Gesetzlosigkeit wird die Liebe der  Masse der Bekenner erkalten (Verse 9–13). Während dieser Zeit „wird das Evangelium des  Reiches auf dem ganzen Erdkreis gepredigt werden, allen Nationen zum Zeugnis, und dann wird das Ende kommen“ (V. 14).
  2. Nach dieser ersten Drangsal kommt die Zeit, in der der Gräuel der Verwüstung an heiligem Ort stehen wird. „Wenn ihr nun den Gräuel der Verwüstung, von dem durch Daniel, den Propheten, geredet ist, stehen seht an heiligem Ort – wer es liest, beachte es –, dann sollen die, die in Judäa sind, in die Berge fliehen“ (Verse 15 und 16). Der Herr verweist uns hier zum richtigen Verständnis seiner Worte auf die Weissagung Daniels: „Und von der Zeit an, da das beständige Opfer abgeschafft wird, und zwar um den verwüstenden Gräuel aufzustellen, sind 1290 Tage“ (Kap. 12, 11). Wie zur Zeit der Makkabäer Antiochus Epiphanes, „der König des Nordens“, ein Bild des olympischen Jupiter in dem Tempel zu Jerusalem aufstellen ließ und die Juden zwang, es anzubeten, so wird auch am Ende der Tage seitens des Antichristen ein Götzenbild, „ein verwüstender Gräuel“, an heiligem Ort, d. i. im Tempel Gottes, aufgestellt werden, ja, er selbst wird sich in den Tempel setzen und sich göttlich verehren lassen. Von dieser Zeit redet der Herr. Es werden Tage unvergleichlicher Drangsal sein, wie sie von Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen sind, noch je sein werden (V. 21; siehe auch Dan 12,1). Der Antichrist wird die Gläubigen, die sich weigern werden, ihn anzubeten, mit grausamer Wut verfolgen und zu vernichten suchen (vgl. Off 12,13–17; 13,7). Die Tage werden so schrecklich sein, dass kein Fleisch gerettet werden, d. h. am Leben bleiben würde, wenn jene Tage nicht verkürzt würden. Aber um der Auserwählten willen werden sie verkürzt werden (V. 22). Diese Auserwählten sind die in ihr Land zurückgekehrten gläubigen Juden. Sie werden aufgefordert, sobald sie das Gräuelbild des Antichristen in dem Tempel Gottes stehen sehen, in die Berge Judas zu fliehen. Denn dann ist keine Zeit mehr zu verlieren, die Tage der höchsten Not sind angebrochen. „Wer auf dem Dach ist, steige nicht hinab, um die Sachen aus seinem Haus zu holen; und wer auf dem Feld ist, kehre nicht zurück, um sein Oberkleid zu holen“ (Verse 17 und 18).
  3. Wenn die Macht des Antichristen so ihren Höhepunkt erreicht hat und die Bedrückung der Gläubigen schier unerträglich geworden ist, wird der Herr Jesus vom Himmel kommen mit Macht und großer Herrlichkeit, um seine Feinde zu vertilgen und seine Auserwählten zu retten. Plötzlich, wie ein Blitzstrahl, der von Osten ausfährt und bis zum Westen hin scheint, wie ein Adler, der sich auf seine Beute stürzt, so wird der Herr erscheinen (Verse 27 und 28). Dann werden die Könige der Erde von ihren Thronen gestoßen werden, und ihre Reiche werden untergehen. „Sogleich aber nach der Drangsal jener Tage wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden.“ Sonne, Mond und Sterne werden in der Schrift vielfach als Sinnbilder von großen und kleinen Mächten, von höheren und niederen Gewalten gebraucht. So stellen in Josephs Traum Sonne, Mond und Sterne seinen Vater, seine Mutter und seine Brüder vor. Dieselben Bilder finden wir auch in Weissagungen wie Jes 13 und Jes 34,4; Hes 32,7.8 u. a. Diese Weissagungen sind schon lange in Erfüllung gegangen, und bei ihrer Erfüllung wurden Sonne und Mond verfinstert, und die Sterne fielen vom Himmel herab, indem die Könige, gegen die die Weissagungen gerichtet waren, mit ihren Großen und Gewaltigen von dem Schauplatz verschwanden. Wir müssen deshalb auch wohl hier an den Untergang der irdischen Reiche denken. Dies steht auch in völliger Übereinstimmung mit dem Traum Nebukadnezars. Der ohne Hände losgerissene Stein zermalmt das ganze Bild, oder mit anderen Worten: bei der Ankunft Christi werden die Königreiche der Erde vernichtet werden und unter die Herrschaft des Königs der Könige kommen.

Unser Kapitel enthält jedoch noch eine andere bemerkenswerte Stelle. Nachdem der Herr im 30. Vers von seinem Kommen auf die Erde gesprochen hat, sagt Er in Vers 31: „Und Er wird seine Engel aussenden mit starkem Posaunenschall, und sie werden seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende.“ Die Frage erhebt sich von selbst: Welche Auserwählten sind hier gemeint? Wir haben gesehen, dass die Juden vor der Wiederkunft Christi auf die Erde in ihr Land zurückkehren und Stadt und Tempel wieder aufbauen werden, und nun wird hier von einem Versammeln der Auserwählten des Herr nach jener Wiederkunft gesprochen. Die Beantwortung obiger Frage ist deshalb für ein richtiges Verständnis der zukünftigen Ereignisse notwendig. Ein Vergleich von Sach 13 mit Hes 20 wird uns die gewünschte Antwort geben. In Sach 13,8 und 9 lesen wir: „Und es wird geschehen im ganzen Land, spricht der Herr: Zwei Teile davon werden ausgerottet werden und verscheiden, aber der dritte Teil davon wird übrig bleiben. Und ich werde den dritten Teil ins Feuer bringen, und ich werde sie läutern, wie man das Silber läutert, und sie prüfen, wie man das Gold prüft. Es wird meinen Namen anrufen, und ich werde ihm antworten; ich werde sagen: Es ist mein Volk; und es wird sagen: Der Herr ist mein Gott.“ Aus dem ersten Vers dieses Kapitels geht hervor, dass die Weissagung für das Haus Davids und die Bewohner von Jerusalem, das heißt also für die zwei Stämme, bestimmt ist. Von diesen werden in dem Land zwei Drittel ausgerottet werden, während das letzte Drittel in dem Feuerofen des Gerichts geläutert werden wird. In Hes 20,38 lesen wir dagegen, dass die Empörer und die von Gott Abgefallenen „von dem Haus Israel“ im Land ihrer Fremdlingschaft getötet werden, und nicht in das Land Israel zurückkommen sollen. Nur ein Überrest wird in das Land gebracht werden. Die zwei Stämme (Juda und Benjamin) werden also in dem Land, die zehn übrigen Stämme außerhalb des Landes gerichtet werden. Ferner wird die Läuterung des Überrestes der zwei Stämme in dem Land stattfinden, diejenige des Überrestes der zehn Stämme aber außerhalb des Landes, und erst nach dieser Läuterung wird der letztgenannte Überrest in das Land kommen. Von dieser Zurückführung spricht der Herr in Vers 31. Während Er die Auserwählten aus Juda durch seine Ankunft aus ihren Drangsalen retten wird, werden die Auserwählten aus Israel erst nach seiner Ankunft durch seine Engel von den vier Winden her gesammelt und in das gelobte Land geführt werden, damit sie dort mit ihren Brüdern an den Segnungen der Regierung Christi teilnehmen mögen (vgl. auch Jes 11). Weiter folgt hieraus, dass die zwei Stämme im Unglauben nach Palästina zurückkehren werden, wogegen von den zehn Stämmen nur die Auserwählten ins Land zurückkommen sollen, zugleich auch, dass nur die zwei Stämme die schreckliche Bedrückung und Verfolgung seitens des Antichristen erdulden werden. Der Grund für diese Erscheinung mag wohl darin zu suchen sein, dass die zehn Stämme sich nicht so unmittelbar der Verwerfung Christi schuldig gemacht haben, wie Juda und Benjamin. Sie waren nicht im Land, als Christus ans Kreuz geschlagen wurde, haben sich also nicht direkt an der Ermordung des Sohnes Gottes beteiligt.

Es bleibt uns nun noch die Frage zu beantworten übrig, auf welche Weise die zwei Stämme in ihr Land zurückkehren werden. Die Schrift sagt uns nicht viel darüber. Die einzige Weissagung, die unseres Wissens ein wenig Licht über diesen Gegenstand verbreitet, findet sich in dem 18. Kapitel des Propheten Jesaja. Eine Seemacht, als solche angedeutet durch die Worte: „welches Boten entsendet auf dem Meer und in Papyrusbooten über der Wasserfläche“, wird dort aufgefordert, Boten zu senden zu einem Volk, das weithin geschleppt und gerupft ist, und dieses Volk unter ihren Schutz zu nehmen. „He! Land des Flügelgeschwirrs, jenseits der Ströme von Äthiopien, das Boten entsendet auf dem Meer und in Papyrusbooten über der Wasserfläche! Geht hin, schnelle Boten, zu der Nation, die geschleppt und gerupft ist, zu dem Volk, wunderbar, seitdem es ist und weiterhin, der Nation von Vorschrift auf Vorschrift und von Zertretung, deren Land Ströme beraubt haben.“ Dass unter diesem weithin geschleppten und gerupften Volk Israel zu verstehen ist, scheint aus dem 7. Vers unzweideutig hervorzugehen, wo es heißt, dass dieses Volk dem Herrn der Heerscharen als ein Geschenk dargebracht werden soll zum Berg Zion. Nach dieser Weissagung werden die Juden also durch ein anderes, großes und mächtiges Volk, das zugleich das Meer zu beherrschen scheint, in Schutz genommen und nach Palästina zurückgebracht werden. Das dies nicht unbemerkt, sondern unter großem Aufsehen geschehen wird, zeigt Vers 3, wo wir lesen: „Ihr alle, Bewohner des Erdkreises und die ihr auf der Erde ansässig seid, wenn man ein Banner auf den Bergen erhebt, so seht hin; und wenn man in die Posaune stößt, so hört!“ Die ganze Welt wird also Zeuge dieses bedeutungsvollen Ereignisses sein. Der Zweck, den die mächtige Nation bei der Zurückbringung der Juden in ihr Land im Auge hat, wird jedoch nicht erreicht werden. Denn obwohl der HERR anfänglich „still sein und zuschauen wird“, so wird Israel doch noch nicht in Sicherheit wohnen. Im Gegenteil, Gericht über Gericht werden das unglückliche Volk treffen, sodass die Worte in Erfüllung gehen werden: „Sie werden allesamt den Raubvögeln der Berge und den Tieren der Erde überlassen werden; und die Raubvögel werden darauf übersommern, und alle Tiere der Erde werden darauf überwintern“ (V. 6). Mit anderen Worten: In ihr Land zurückgekehrt, werden die Juden aufs Neue unter die Gewalt ihrer Feinde kommen, die sie auf die schrecklichste Weise bedrücken werden. Indes wird diese Trübsal nur von kurzer Dauer sein, und, wie wir bereits aus anderen Prophezeiungen gesehen haben, mit ihrer völligen Erlösung enden. Mit der Verheißung dieser Erlösung schließt daher auch dieses Kapitel: „In jener Zeit wird dem Herrn der Heerscharen ein Geschenk dargebracht werden: ein Volk, das geschleppt und gerupft ist, und von einem Volk, wunderbar, seitdem es ist und weiterhin,… zur Stätte des Namens des Herrn der Heerscharen, zum Berg Zion.“

Welche Macht die Juden in ihr Land zurückbringen wird, ist schwer zu entscheiden, aber sicher wird die Rückkehr aus politischen Gründen erfolgen, keineswegs aber um der Furcht des Herrn willen oder aus Gehorsam gegen sein Wort. Vielleicht wird die Zurückführung verhindern sollen, dass eins der europäischen Völker Palästina in Besitz nehme und dadurch den ganzen Osten in seinen Machtbereich bringe.

Wir kommen jetzt zu Off 11 und 12. Schon in den beiden ersten Versen des 11. Kapitels sehen wir, dass es sich hier um das jüdische Land handelt. Stadt und Tempel sind wieder aufgebaut, und der Opferdienst ist wiederhergestellt. Der Vorhof des Tempels wird indessen den Nationen gegeben, die die Stadt zweiundvierzig Monate oder dreieinhalb Jahre lang zertreten werden. Während dieser Zeit werden zwei Zeugen, die zum Zeichen ihrer Betrübnis und Trauer über den Abfall des Volkes mit Sacktuch bekleidet sind, ein kräftiges Zeugnis für Gott ablegen. Sie treten in dem Charakter von Moses und Elias auf. Wie Elia werden sie ihre Feinde durch Feuer vernichten können und Gewalt haben, den Himmel zu verschließen, damit während der Tage ihrer Weissagung kein Regen falle, und wie Moses werden sie das Wasser in Blut verwandeln und die Erde mit allerlei Plagen schlagen, sooft sie wollen (Verse 5 und 6). Doch wenn ihr Zeugnis vollendet ist, wird „das Tier“ oder das römische Reich (vgl. Off 13,7) Krieg mit ihnen führen und sie töten, und ihre Leichname werden drei Tage und einen halben auf der Straße der großen Stadt liegen, „die geistlicherweise Sodom und Ägypten heißt, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde“, das ist also in Jerusalem (V. 8). Hierüber werden alle, die auf der Erde wohnen, sich freuen; doch nach den dreieinhalb Tagen wird Gott ihnen den Geist des Lebens geben, und sie werden angesichts ihrer Feinde in den Himmel aufgenommen werden (Verse 10–12).

Im 12. Kapitel finden wir in einem prophetischen Gesicht die ganze Geschichte Israels in Verbindung mit dem Messias. Dass die Frau, von der hier die Rede ist, nicht die Kirche sein kann, wie manchmal angenommen worden ist, geht unzweifelhaft aus der Tatsache hervor, dass sie nach Vers 5 die Mutter des Messias ist. Der männliche Sohn, der alle Nationen weiden soll mit eiserner Rute, ist ja Christus (siehe Ps 2,9). Anstatt die Mutter Christi zu sein, ist aber die Kirche aus Christus hervorgegangen. Sie ist die Frucht seines Todes und seiner Auferstehung. Die Frau ist ohne Frage ein Bild von Israel. Dies erhellt schon aus der Beschreibung, die von ihr gegeben wird. Sie ist bekleidet mit der Sonne, und der Mond ist unter ihren Füßen, während sie auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen trägt. Ich erinnere hier wieder bezüglich der Erklärung dieser Symbole an den Traum Josephs. Die Frau ist schwanger und schreit in Geburtswehen. „Und es erschien ein anderes Zeichen in dem Himmel: Und siehe, ein großer, feuerroter Drache, der sieben Köpfe und zehn Hörner hatte … und sein Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne des Himmel mit sich fort; und er warf sie auf die Erde. Und der Drache stand vor der Frau, die im Begriff war zu gebären, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind verschlänge.“ Der Teufel (hier mit denselben Zeichen der Macht und des bösen Einflusses dargestellt, wie in Kapitel 13 das Tier) benutzte die Römer, um den Messias zu töten, doch trotzdem erreichte er seinen Zweck nicht. Die Frau „gebar einen Sohn, ein männliches Kind …; und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und zu seinem Thron.“

Bis hierhin ist alles erfüllt. Der Messias ist aus Israel gekommen, durch die Römer getötet und von Gott in den Himmel aufgenommen worden. Was weiter folgt, muss noch geschehen, und der Grund, warum das bereits Geschehene und das Zukünftige so eng miteinander verbunden erscheinen, während doch schon nahezu 1900 Jahre seit dem Tod des Messias verflossen sind, liegt in der wichtigen Tatsache, dass Gott bei der Verwerfung Jesu von Seiten der Juden aufgehört hat, Israel als Volk zu behandeln und erst später, wenn die Zeiten der Nationen erfüllt sein werden und die Aufnahme der Kirche stattgefunden hat, den abgebrochenen Faden der Geschichte Israels wieder aufnehmen wird.

Die Ereignisse, die uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels mitgeteilt werden, werden sich in der zweiten Hälfte der siebzigsten Woche Daniels erfüllen. Der Teufel, der jetzt noch in den himmlischen Örtern wohnt (siehe Eph 6), wird mit seinen Engeln aus dem Himmel auf die Erde geworfen werden (Verse 7–12). Sobald dies geschehen ist, wird er die Frau verfolgen, die das männliche Kind geboren hat. Die hauptsächlichen Werkzeuge, deren er sich bei dieser Verfolgung bedienen wird, sind, wie wir bereits gesehen haben, das „Tier“ oder das Haupt des wiederhergestellten römischen Reiches und der Antichrist. Das Erstere wird in der zweiten Hälfte der siebzigsten Woche seinen Bund mit Israel brechen und das Schlacht- und Speisopfer wegnehmen, während der Antichrist sich selbst als Gott in den Tempel setzt und zugleich ein Götzenbild aufrichtet, das von allen angebetet werden wird. Nur ein kleiner, treuer Überrest wird sich der Huldigung des Antichristen nicht anschließen, sondern lieber das Schwerste erdulden. Gegen diesen kleinen Überrest, das wahre Israel, wird sich die ganze Wut des Teufels richten. Er wird alle seine Macht aufbieten, um ihn zu vernichten und so das letzte Zeugnis für Gott im Land Palästina auszulöschen. Doch der Herr wird die Seinigen bewahren. „Und der Frau wurden die zwei Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste fliege, an ihre Stätte, wo sie ernährt wird eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit, fern vom Angesicht der Schlange (V. 14). Die Schlange wird in ihrer ohnmächtigen Wut die Flucht der Frau dadurch zu verhindern suchen, dass sie aus ihrem Mund einen Strom Wassers hinter ihr her wirft, aber Gott wird der Frau zu Hilfe kommen und die Erde ihren Mund auftun lassen, um den Strom zu verschlingen (Verse 15 und 16). Hierdurch noch mehr ergrimmt, geht die Schlange hin, um Krieg zu führen mit den Übrigen des Samens der Frau, die die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben (V. 17).

Über alle Beschreibung schrecklich wird die Lage des treuen Überrestes von Israel in jenen Tagen sein. In das Land ihrer Väter zurückgebracht und zu dem Herrn bekehrt, sehen sie, wie die große Masse des Volkes sich gänzlich von dem HERRN abwendet, um einen Menschen als Gott anzubeten. Zeiten und Gesetz werden verändert, das tägliche Opfer hört auf, und in dem Tempel zu Jerusalem steht „der Gräuel der Verwüstung“. Welch ein Schmerz für ein gottesfürchtiges Herz! Allein bei dieser Prüfung wird es nicht bleiben. Ihre Weigerung, sich jener schändlichen Abgötterei mitschuldig zu machen, wird unsägliche Leiden und Verfolgungen über sie bringen. Viele von ihnen werden gemartert und getötet werden (Mt 24,9; Off 6,9–11; 13,7; Dan 7,21). Ein Teil wird in die Wüste fliehen und dort durch den Herrn bewahrt werden (vgl. Mt 24,15–22). In dieser tiefen Not werden sie zu dem HERRN, dem Gott ihrer Väter, um Rache über ihre Feinde und um Rettung aus ihren Bedrängnissen schreihen. Das Buch der Psalmen, in dem uns die Leiden des jüdischen Überrestes der letzten Tage in prophetischer Weise mitgeteilt werden, enthält viele ergreifende Ausbrüche der Gefühle, die dann in den Herzen dieser von allen bitter gehassten und verfolgten Israeliten sein werden (siehe Ps 58; 139,19–22; 44,23–26; 143,11.12).

Neben diesen unerhörten äußeren Drangsalen gibt es indes noch ein anderes, weit schwereres Leiden, das auf den Gläubigen aus Israel lasten wird, ein Leiden, das nicht durch die Menschen, sondern durch Gott über sie gebracht werden wird. Inmitten des allgemeinen Abfalls und Götzendienstes, in dem sie feststehen und dem Gott ihrer Väter treu bleiben, werden sie fühlen, dass alle die Drangsale, die über sie kommen, eine gerechte Vergeltung ihrer früheren Sünden sind. Gottes Hand wird schwer auf ihnen lasten, Gottes Zorn wird sie treffen wegen all ihrer Sünden und Missetaten und in Strömen über ihr Haupt ausgegossen werden. Ihr erwachtes Gewissen wird lauter und immer lauter reden, und wie mit Flammenschrift werden ihre Sünden vor ihren Augen stehen. Sie werden ihrer bösen Wege und Handlungen gedenken und Ekel an sich selbst empfinden wegen ihrer Missetaten und Gräuel (Hes 36,31). Sie werden nicht wagen, ihren Blick nach oben zu erheben, da sie von Seiten eines heiligen und gerechten Gottes nur völlige Vernichtung erwarten können. Dennoch wird das Bewusstsein in ihren Herzen leben, dass der HERR ihr Gott ist. Fast verzweifelnd an ihrer Erlösung, werden sie sich doch an die Güte und das Erbarmen Gottes anklammern. „Darum ist das Recht fern von uns“, werden sie ausrufen, „und die Gerechtigkeit erreicht uns nicht. Wir harren auf Licht, und siehe, Finsternis; auf Helligkeit, aber in dichtem Dunkel wandeln wir. Wie Blinde tappen wir an der Wand herum, und wir tappen herum wie solche, die keine Augen haben; wir straucheln am Mittag wie in der Dämmerung. Wir sind unter Gesunden den Toten gleich. Wir brummen alle wie die Bären, und wir girren wie die Tauben. Wir harren auf Recht, und da ist keins; auf Rettung, aber sie ist fern von uns. Denn zahlreich sind unsere Übertretungen vor dir, und unsere Sünden zeugen gegen uns; denn unserer Übertretungen sind wir uns bewusst, und unsere Ungerechtigkeiten, die kennen wir: abfallen von dem Herrn, ihn verleugnen und zurückweichen von unserem Gott, reden von Bedrückung und Abfall, Lügenworte in sich aufnehmen und sie aus dem Herzen sprechen“ (Jes 59,9–13; siehe auch Ps 79). Ihr Zustand wird in der Tat schrecklich sein. Doch wenn ihr Elend aufs Höchste gestiegen ist, wenn sie, niedergebeugt unter der Last ihrer Schuld, unter dem entsetzlichen Bewusstsein, ihren Messias getötet zu haben, voll nagender Selbstvorwürfe und Gewissensbisse, trost- und hoffnungslos, schier an der Gnade Gottes und an ihrer Errettung verzweifeln werden, dann wird der Heilige Geist sie an das herrliche Wort aus Jes 43 erinnern: „Ich, ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner Sünden will ich nicht mehr gedenken“, oder an jenes andere: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet zum Herzen Jerusalems, und ruft ihr zu, dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist, dass sie von der Hand des Herrn Zweifaches empfangen hat für alle ihre Sünden“ (Jes 40,1.2).

Groß ist die Zahl ähnlicher kostbarer Stellen, und was wird es sein für den armen, gequälten Überrest, wenn ihm das Verständnis über ihre Bedeutung allmählich aufgehen und das Bewusstsein der Vergebung seiner schrecklichen Sünden in seinem Inneren aufdämmern wird! Und wenn dann erst der verheißene Messias, der einst von ihnen verworfene und gekreuzigte Jesus von Nazareth, auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit erscheinen wird, um ihre Feinde zu vertilgen, das gelobte Land von allen Gräueln zu reinigen und sie für immer seine glückliche Gegenwart genießen zu lassen – wie werden dann die Berge und Täler Kanaans widerhallen von dem Jubel und Frohlocken der Erlösten! Wie werden aus den so lange geängstigten Herzen die herrlichen Worte des 103. Psalms zum Thron des HERRN emporsteigen! Ja, dann wird ihnen zugerufen werden: „Juble, Tochter Zion; jauchze, Israel! Freue dich und frohlocke von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem! Der Herr hat deine Gerichte weggenommen, deinen Feind weggefegt; der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte, du wirst kein Unglück mehr sehen. An jenem Tag wird zu Jerusalem gesagt werden: Fürchte dich nicht! Zion, lass deine Hände nicht erschlaffen! Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein rettender Held. Er freut sich über dich mit Wonne, er schweigt in seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel“ (Zeph 3,14–17).

Wenn wir jetzt das Ergebnis unserer Untersuchung noch einmal kurz zusammenfassen, so finden wir folgendes: Nach der Entrückung der Kirche werden die zwei Stämme Juda und Benjamin in ihr Land zurückkehren und Jerusalem und den  Tempel wieder aufbauen. Diese Rückkehr wird im Unglauben stattfinden, doch wird ein kleiner Teil der ins Land Zurückgekehrten sich zu dem Herrn bekehren. Mit dieser Rückkehr oder kurz nach ihr beginnt die siebzigste Woche Daniels. Diese Woche teilt sich in zwei Hälften von je dreieinhalb Jahren. In der ersten Hälfte wird der Antichrist, der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, erscheinen und in Verbindung mit dem Haupt des römischen Reiches sich zum König Israels aufwerfen. Er wird „in seinem eigenen Namen“ kommen, und ihn werden die Juden aufnehmen. Schon während dieser Zeit werden viele Gerichte über Israel und die Nationen ausgegossen werden, während zugleich seitens der gläubigen Juden die Verkündigung des Evangeliums des Reiches auf der Erde beginnen wird. In der zweiten Hälfte der Woche wird der Antichrist sich in unverhüllter Bosheit und Gottlosigkeit offenbaren. „Die Vielen“, d. h. die große Masse der Juden, werden ihm anhangen und dienen, aber ein kleiner Teil wird sich weigern ihn anzubeten. Diese Letzteren werden darum von ihm verfolgt werden. Viele werden ihr treues Zeugnis mit dem Tod besiegeln, während andere in die Wüste fliehen, um dort durch den Herrn bewahrt zu werden. Zugleich findet im Himmel ein furchtbarer Kampf statt, infolge dessen Satan auf die Erde geworfen wird und nun seine Macht und Wut in schrecklichster Weise offenbart. Die Zeit der großen Drangsal, der Tag der Rache Gottes über Israel und die Welt ist angebrochen. Gerichte, wie sie nie dagewesen sind und auch nie wieder sein werden, werden über das jüdische Land und über die ganze Erde ergehen. Eine unbeschreibliche Drangsal wird den treuen Überrest der Juden treffen. Doch wenn die Not ihren Gipfelpunkt erreicht hat, wird der Sohn des Menschen, begleitet von seinen himmlischen Heerscharen, erscheinen, seine Feinde vertilgen, das Tier und den Antichristen in den Feuersee werfen (Off 19) und das römische Reich vernichten. Satan wird für tausend Jahre gebunden und in den Abgrund geworfen werden, die gläubigen Juden werden aus ihrer Drangsal befreit, die um ihres Zeugnisses willen Getöteten werden auferweckt und die Auserwählten aus Israel durch die Engel des Herrn von den vier Winden der Erde gesammelt werden. Ganz Israel wird dann errettet sein. Sie werden alle den Herrn kennen, von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, und unter dem Friedenszepter ihres Messias die ihnen verheißenen Vorrechte und Segnungen ungestört genießen. Gottes Zorn hat sich dann von Israel abgewendet. Es wird wieder blühen wie die Lilie und Wurzel schlagen wie der Libanon. Seine Schösslinge werden sich ausbreiten, seine Pracht wird sein wie der Olivenbaum und sein Geruch wie der Libanon (Hos 14,4–6).

Fußnoten

  • 1 Anm. der Redaktion: Der Kommentar wurde im 19. Jahrhundert, also vor der Gründung des Staates Israel (1948), geschrieben.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel