Die Offenbarung

Kapitel 2

Die Offenbarung

Die Kapitel 2 und 3 befassen sich mit dem, „was ist“. Wir können sie von drei Gesichtspunkten aus lesen. Erstens als einen Bericht über den Zustand der sieben Versammlungen in der Provinz Asien zum Ende des ersten Jahrhunderts. Zu der Zeit waren alle Apostel, der alternde Johannes ausgenommen, abgeschieden. Ihre Hirtenfürsorge stand nicht mehr zur Verfügung. Verschiedene Gefahren wurden vom Herrn wahrgenommen und aufgedeckt, verschiedene Verfallserscheinungen, Mängel und Verunreinigungen bloßgestellt. Von den sieben Versammlungen werden nur zwei, die erste und die letzte, an anderen Stellen der Schrift erwähnt. Ephesus war vielleicht die Krönung der Arbeit des Paulus, und deshalb ist, 25 oder 30 Jahre nach seinem Tod, das Urteil des Herrn eine unsere Herzen erforschende Lektion.

Wir haben zwei Anspielungen auf Laodizäa im Brief des Paulus an die Kolosser, aber sie genügen, um uns zu zeigen, daß er schon damals hinsichtlich ihres Zustandes besorgt war. In jenem Brief stellte er ihnen gerade die Wahrheit vor, die sie hätte bewahren können. Wenn die laodizäischen Gläubigen die im Kolosserbrief entfaltete höchste Vortrefflichkeit Christi in ihre Herzen aufgenommen hätten, Ihn als das Haupt Seines Leibes, der Kirche, dann würde er ihnen „alles und in allen“ geworden sein. Dann würde Christus sich ihnen nicht draußen vor der Tür stehend und anklopfend vorgestellt haben wie in Offenbarung 3. Was hier vor sich gegangen ist, sollte auch uns zu ernstester Selbstprüfung veranlassen.

Doch zweitens können wir die beiden Kapitel so verstehen, daß sie Bedingungen aufzeigen, die in einer örtlichen Versammlung von Gläubigen, wie sie heute existiert, wiedergefunden werden können. Wenn wir die sieben Sendschreiben durchgehen, werden wir vielleicht unseren eigenen gemeinschaftlichen Zustand wie in einem Spiegel sehen. Und indem wir das Urteil des Herrn kennenlernen, entdecken wir das Mittel zur Besserung und Heilung.

Drittens haben wir, weil dieses ganze Buch eine Weissagung ist, wie wir in den Anfangsversen sahen, in den sieben Versammlungen eine Beschreibung der Geschichte der bekennenden Kirche, in der das Licht Gottes für die Zeit, wo Christus persönlich von dieser Welt abwesend ist, scheinen sollte. Die Kirche sollte der Leuchter oder Lichtträger bis zu dem Augenblick sein, wenn Christus erscheinen würde, um Gericht auszuführen und die göttliche Autorität auf der Erde aufzurichten. Die Zahl sieben bedeutet geistliche Vollständigkeit, und in den sieben Sendschreiben haben wir die gesamte Geschichte im Überblick. Indem wir sie einzeln durchgehen, wollen wir sie in allen drei Weisen betrachten.

Ephesus stellt der Herr sich vor als der, der die verantwortlichen Engel in Seiner Rechten hält, während Sein kritischer Blick alle Versammlungen überschaut. Nichts entgeht Seinem Auge. Er sagt zu Ephesus wie auch zu jeder anderen Versammlung: „Ich kenne“ oder: „Ich weiß.“ Nun, in Ephesus wußte Er sehr wohl, was gut und lobenswert war: Werke, Mühe, Haß gegenüber dem Bösen, sorgfältige Prüfung irgendwelcher anmaßenden Behauptungen, Ausharren, Sorge und Eifer für den Namen des Herrn. Doch etwas sehr Wichtiges hatte Er gegen sie; sie hatten ihre erste Liebe verlassen. Dieser grundlegende Mangel verdarb das sonst günstige Bild.

Was bedeutete denn dieser Mangel? Eben dies: Während das Versammlungsleben, äußerlich gesehen, in schöner Ordnung noch weiterging, hatte die Kraft der inneren Triebfeder ernstlich nachgelassen. Es stand um die Kirche, wie es einst in Jeremia 2,2 von Jerusalem gesagt worden war. Auch die Kirche hatte die Liebe ihres Brautstandes verloren, die sie für kurze Zeit ihres Herrn wegen sogar in die Wüste geführt hatte. Und wenn die Liebe zu dem großen Haupt schwindet, dann kann die Liebe, die in den Beziehungen der Glieder des Leibes untereinander wirksam ist, nicht ungeschwächt bleiben. Kein äußerer Eifer, keine Betriebsamkeit oder Fürsorge können diesen inneren Verlust ausgleichen. Es ist ein Verfall, der alles beeinträchtigt und der nichts weniger erfordert als wahre und tiefe Buße, wie es in Vers 5 heißt.

Wenn die „erste Liebe“ zurückkäme, dann würden natürlicherweise die „ersten Werke“ folgen. Diese mögen für menschliche Augen genauso aussehen wie die in Vers 2 aufgeführten Werke, aber für Seine Augen würden sie sich doch sehr davon unterscheiden. Er bewertet jede Tat nach dem Beweggrund, der ihr zugrunde liegt. Für Ihn ist diese Haupttriebfeder von der allergrößten Bedeutung. Das geht so weit, daß, wenn die Verleugnung der ersten Liebe in einen Dauerzustand übergeht, sich auch die Fähigkeit zu leuchten verliert und der Leuchter aus seiner Stelle weggerückt wird.

Dieser Zustand der Dinge entwickelte sich, als die letzten der Apostel abschieden. Wenn Versammlungen von Gläubigen heutzutage so beurteilt werden, welcher Leuchter wird bleiben? Es gibt gar nicht viele, die ein Eifer kennzeichnet, wie er uns in den Versen 2 und 3 beschrieben wird. Aber was kommt zum Vorschein, wenn die Haupttriebfeder aufgedeckt wird? In der Tat eine erforschende Frage! Hallen die Worte „Tut Buße“ nicht eindringlich wider in unseren Ohren? Das sollten sie tun, da alle, die Ohren haben, zu hören, aufgerufen sind, die Botschaft des Geistes an die Versammlungen zu hören. Was hier besonders einer einzelnen Versammlung durch ihren Engel gesagt wird, ist bedeutsam für alle wahren Gläubigen zu jeder Zeit.

Es ist beachtenswert, daß die Botschaft, obwohl sie von „einem gleich dem Sohn des Menschen“ gesprochen wird, zugleich dem entspricht, „was der Geist ... sagt“. Was der Herr sagt, sagt der Geist. Der Herr sagt es in objektiver Form zu Johannes, und der Geist in subjektiver Form durch Johannes, denn er war bei dieser Gelegenheit „im Geist“ (1,10). Es war in allem „das Wort Gottes“ (1,2). So wird die Einheit der göttlichen Personen deutlich.

In Vers 7 haben wir zum ersten Mal den Ausdruck „überwinden“. Das so übersetzte Wort kommt siebzehnmal in diesem Buch vor. Selbst in dem Zustand von Ephesus war ein Überwinden notwendig, und ein Ansporn dazu wird gegeben in dem Essen von dem Baum des Lebens, der in dem Paradies Gottes ist. Der Mensch aß niemals von dem Baum des Lebens in Eden. Das Überwinden hier muß das Festhalten an oder ein Zurückkehren zu der „ersten Liebe“ sein. Wie der Johannesbrief zeigt, besteht die innigste Verbindung zwischen Liebe und Leben. Getrennt von der Liebe Gottes würden wir überhaupt kein Leben erlangt haben. Doch nachdem wir es haben, offenbart es sich in der Liebe, die von uns ausströmt sowohl zu Gott hin als auch zu den Brüdern. Zu essen von dem wahren Baum des Lebens, von dem der Baum in Eden nur ein Abbild war, bedeutet, so sehr mit dem Leben der göttlichen Liebe erfüllt zu sein, wie ein Geschöpf es nur sein kann.

Solch ein Überwinden brauchten die Gläubigen in Ephesus zum Ende des ersten Jahrhunderts. Ganz allgemein brauchten es die Gläubigen in den frühen Stadien der Kirchengeschichte. Und auch wir heute brauchen es, Überwinder zu sein.

Das Sendschreiben an den Engel der Versammlung in Smyrna ist das kürzeste von den sieben. In vier Versen ist es vollständig enthalten. Das ist bemerkenswert, da Smyrna mit Philadelphia die Auszeichnung teilt, vom Herrn weder Rüge noch Tadel zu empfangen. Ganz im Gegenteil empfängt es ein Wort der Anerkennung.

Bedrängnis und sogar Märtyrertum kennzeichneten die äußeren Umstände der Versammlung in Smyrna, und der Herr stellt sich in einem Charakter vor, der dieser Lage genau angemessen war. Er ist der Erste, und deshalb kann niemand Ihm zuvorkommen oder Ihn aufhalten. Er ist der Letzte, und von daher kann nur Er das letzte Wort in jeder Sache haben. Zudem starb Er und wurde wieder lebendig, und darin liegt die Gewähr, daß er die Macht der Auferstehung ausübt hinsichtlich derer, die Ihm angehören. Wenn die Gläubigen in Smyrna Ihn so zu begreifen vermochten, dann müssen sie angesichts der bevorstehenden Bedrängnisse mächtig gestärkt worden sein.

Nachdem der Herr sich so vorgestellt hat, sagt Er wiederum: „Ich kenne.“ Bedrängnis und Armut boten sich dem äußeren Auge. Sie müssen daher wenig anziehend erschienen sein für jemand, der unter der Oberfläche ihr Inneres nicht ergründen konnte. Doch bei dem alles wahrnehmenden Auge des Herrn verhielt es sich ganz anders, und Sein überraschendes Urteil war: „Du bist aber reich. „So haben wir hier das genaue Gegenteil von dem, was Er gleich darauf zu Laodizäa sagt, das für sich beanspruchte, reich zu sein, und in Seinen Augen elend und arm war. So spricht der Geist zu den Versammlungen, und wenn wir ein Ohr haben zu hören, so werden wir Nutzen daraus ziehen. Während der ganzen Kirchengeschichte waren Zeiten der Armut und Bedrängnis immer von geistlicher Bereicherung begleitet, Zeiten des Überflusses und des Wohlbehagens aber von geistlicher Verarmung. Das ist auch heute so.

Sie sahen sich ferner einer Gegnerschaft religiöser Art gegenüber. Es handelte sich um Menschen, die sich fälschlicherweise Juden nannten, das heißt, sie erhoben den Anspruch, eine irdische religiöse Stellung vor Gott zu haben, dem Volk gleich, das Er in dieser Welt anerkannte. Weil sie so von sich sprachen, nahmen sie natürlicherweise an, daß weltliche Wohlfahrt und Besitztümer ihnen gehörten, und andere, die in Armut und Not waren, wiesen sie ab. Daraus folgte, daß sie die wahren Heiligen Gottes verleumdeten und schmähten – das scheint der Sinn von „Lästerung“ an dieser Stelle zu sein. Doch der Herr, der Augen wie eine Feuerflamme hat, erkennt ihren wahren Charakter und stellt sie bloß. Sie waren keine Juden, statt dessen aber eine Synagoge – das Wort bedeutet so viel wie „ein Zusammenkommen“ –, eine „Synagoge Satans“. Wahrscheinlich waren sie Leute jenes judaistischen Typs, die dem Apostel Paulus so hartnäckig widerstanden, die jetzt in ihrer bösen Haltung nur noch fortgeschritten waren, indem sie als eine Partei zusammenkamen. Der Herr lehnte sie entschieden ab.

In Ephesus gab es solche, die von sich sagten, sie wären Apostel. Hier finden wir solche, die sagten, sie wären Juden. Bevor wir mit den sieben Sendschreiben fertig sind, werden wir noch andere finden, die beanspruchen, irgend etwas zu sein, doch in jedem Fall werden wir hören, daß der Herr ihren Anspruch gänzlich verwirft. Ansprüche zu erheben, entspricht einer natürlichen Neigung des Fleisches. Deshalb können wir in unseren Tagen sehr leicht da hineingezogen werden. Laßt uns das sorgfältig vermeiden.

Vers 10 zeigt, daß hinter der Welt, die sie verfolgte, und hinter den anmaßenden „Juden“, die sie beschimpften, die Macht des Teufels stand. Er ist der große Anstifter des Widerstandes, der sowohl von der heidnischen wie von der religiösen Welt kommt, von Verfolgung selbst bis zu Gefängnis und Tod. Doch der, der die Macht der Auferstehung ausübt, stellt sich hinter diese Gläubigen in ihrer Bedrängnis und Armut. Er ermahnt sie zur Treue, selbst bis zum Tod, und läßt sie auf die Krone des Lebens schauen. Die Macht des Todes ist die große Waffe Satans. Die Macht über das Auferstehungleben liegt in den Händen Christi.

Die „zehn Tage“ Bedrängnis spielten zweifellos an auf eine bestimmte, jedoch begrenzte Periode der Prüfung, die vor der Versammlung in Smyrna lag, als das erste Jahrhundert zu Ende ging. Der weitergehende prophetische Blick erfaßte den Ausbruch von Verfolgungswellen während der ersten paar Jahrhunderte – im ganzen zehn, wie gesagt wird –, die unter Kaiser Diokletian aufhörten. Durch Gottes Vorsehung hielten diese Verfolgungen den zunehmenden Niedergang in der Kirche auf und verhüteten zunächst eine Verweltlichung, die späterhin dennoch einströmte. Sie regten auch eher an, zu der „ersten Liebe“ zurückzufinden, als daß sie diese auslöschten. Daraus erklärt sich, daß der Versammlung in Smyrna kein Vorwurf gemacht wurde. Die Lektion, die wir hier am nötigsten zu lernen haben, ist die, daß Leiden für Christen normal sind, wenn sie sich von der Welt getrennt halten, worauf Paulus in 2. Timotheus 3,12 hinweist. Die „große Drangsal“ ist etwas völlig anderes.

Die Verheißung an die Überwinder hat einen besonderen Bezug auf das, was ihnen bevorstand. Manche von ihnen mochten von dem ersten Tod beschädigt werden, dem leiblichen Tod, aber keiner von ihnen würde von dem zweiten Tod angetastet werden, der zu seiner Zeit das Teil ihrer Widersacher sein würde. Diese Tatsache sollte damals die Märtyrer ermutigen, und ohne Zweifel hat sie diesen Dienst auch den Märtyrern späterer Zeiten erwiesen.

Man ist manchmal geneigt, die verschiedenen Verheißungen an die Überwinder anzusehen, als seien sie nur ihnen besonders und ausschließlich gegeben. Diese Verheißung in Vers 11 zeigt, daß das so nicht ist, denn kein wahrer Gläubiger wird von dem zweiten Tod beschädigt werden. Sie sind vielmehr so zu verstehen, daß der Herr hier mit besonderem Nachdruck Segnungen in Aussicht stellt, die anspornen und ermutigen sollen, obwohl alle Gläubigen ihren vollen oder teilweisen Anteil daran haben.

Der Versammlung in Pergamus stellt sich der Herr vor als der, der das alles unterscheidende und allmächtige Wort Gottes hat, das alles, was den Augen der Menschen verworren und unauflösbar erscheint, zu durchdringen und zu scheiden vermag. Die Versammlung in Pergamus zu jener Zeit und auch die Gläubigen der Pergamusperiode der Kirchengeschichte mußten Ihn in diesem Licht erkennen, da ein Zusammengehen mit der Welt in ihrer Mitte gelehrt wurde und feste Formen annahm. Nicht weniger als sie brauchen auch wir ein solches Erkennen heute, wo ein so großer Teil der Christenheit eine Vereinigung mit der Welt als normal hinnimmt.

Die Verhältnisse in Pergamus waren bloß und aufgedeckt, und das scharfe Schwert konnte teilen und zergliedern, so begegnen uns von neuem die Worte: „Ich weiß.“ Der Thron Satans mag eine Anspielung gewesen sein auf eine besonders satanische Form des Götzendienstes, wie er im alten Pergamus praktiziert wurde. Doch wenn wir daran denken, daß diese Versammlung prophetisch den dritten Abschnitt der Kirchengeschichte abbildet, so sehen wir in diesem Ausdruck einen Hinweis auf das Weltsystem, dessen Gott und Fürst Satan ist. Die Kirche hatte begonnen, in diesem Weltsystem zu wohnen, das heißt, sich darin heimisch zu machen. Damit öffnete sich die Tür für die bösen Dinge, die in den Versen 14 und 15 aufgeführt werden.

Doch selbst unter diesen Umständen waren der Name Christi und der Glaube an Ihn nicht aufgegeben worden, sondern wurden noch festgehalten, und es gab einige unter ihnen, die sich darin so treu erwiesen, daß sie die heftige Feindschaft der Welt auf sich zogen, sogar bis zum Martyrium. Antipas wird genannt und als „treu“ bezeichnet, in der Tat eines hohes Lob. Ohne Zweifel hat sein Name uns etwas zu sagen, da er „gegen alles“ bedeutet. Ein Gläubiger, der um seiner Treue willen die ganze Welt gegen sich hat, ist in der Tat ein Antipas.

Doch während sie treue Zeugen in ihrer Mitte hatten, gab es auch solche, die die Lehre Bileams, und andere, die die Lehre der Nikolaiten festhielten, ohne daß sie entschieden zurückgewiesen wurden. Die Lehre Bileams wird uns hier zusammengefaßt dargestellt; um ausführliche Einzelheiten zu erfahren, müssen wir in 4. Mose 25,1–9, verbunden mit 4. Mose 31,16, nachschlagen. Bileam hielt sich im Hintergrund, veranlaßte aber Balak, einen Stein des Anstoßes zu legen durch Verführung zu Götzendienst und Hurerei, zwei grobe Sünden, die in der heidnischen Welt immer miteinander verbunden sind. Die erste ist die fundamentalste aller gegen Gott gerichteten Sünden. Die zweite richtet sich ebensowohl gegen den Menschen wie gegen Gott. Wir finden beide Sünden unter den Heiden in ihren übelsten Formen, in der Christenheit blühen sie in einer mehr vergeistigten Weise.

Im 2. Petrusbrief lesen wir von „dem Weg Bileams ..., der den Lohn der Ungerechtigkeit liebte“, im Judasbrief von „dem Irrtum Bileams“. In beidem hat er ein Beispiel gesetzt, dem viele zu ihrem Verderben gefolgt sind. Doch hier haben wir seine Lehre, das heißt ein Lehrsystem, das behauptet, für Gottes Volk sei eine Verbindung mit der Welt ganz selbstverständlich. Was die Nikolaiten betrifft, so ist nichts Sicheres über sie bekannt, weder über ihre Werke, die in Ephesus angeprangert werden, noch über ihre Lehre, die hier gebrandmarkt wird. Ihr Name jedoch setzt sich aus zwei griechischen Wörtern zusammen, die man mit „Eroberer des Volkes“ übersetzen kann. Das mag auf jene Lehre hinweisen, die eine Priesterklasse heraushebt, was zu einer geistlichen Versklavung des Volkes führt, wie sie das römische System im höchsten Maß hervorgebracht hat. Wie schlimm Priesterherrschaft ausarten kann, das bezeugt bereits Jeremia 5,31, und das schon, als es irdische Priester gab, die Gott eingesetzt hatte. Um wie viel übler und verhaßter für Gott sind dann erst die heutigen Zustände!

Keins dieser Übel war in Pergamus so stark hervorgetreten, daß die ganze Versammlung davon geprägt war. Sie hatten in ihrer Mitte solche, die daran festhielten, doch das ging nicht so weit, daß dieses Böse gelehrt wurde. Die Worte des Herrn besagen offensichtlich, daß die Versammlung Personen, die solche fundamental bösen Auffassungen vertreten, nicht in ihrer Mitte dulden sollte. Ein ernster Gedanke für uns heute. Und wieder heißt es: „Tue nun Buße.“ Der Herr wird eingreifen, wenn Seine Ermahnung nicht beachtet wird, und das scharfe, zweischneidige Schwert gegen die bösen Lehrer gebrauchen. Er wird mit ihnen handeln, wenn die Versammlung versäumt, dies zu tun. Mögen wir unter denen sein, die Ohren haben, um die Stimme des Geistes hier zu vernehmen.

Es werden einige gefunden werden, die in diesen Umständen überwinden, und die Verheißung, die ihnen gegeben wird, nimmt zuerst Bezug auf das Alte Testament und dann auf einen allgemeinen Brauch zur damaligen Zeit. Das verborgene Manna war jenes, das in der Bundeslade verwahrt wurde und so vor den Augen der Menschen verborgen war. Es war ein Bild des Wesens, das Christus in Seiner Erniedrigung zum Ausdruck brachte, das in der göttlichen Wertschätzung so kostbar, aber vor den Augen der Menschen verborgen war. Der Überwinder sollte sich davon nähren und so teilhaben an dem, was auch die Wonne Gottes war, wohingegen die Versammlung in Pergamus von zunehmender Gemeinschaft mit der Welt gekennzeichnet war. Der weiße Stein wurde damals als ein Zeichen des Freispruchs überreicht. Der Überwinder würde nicht nur diesen Stein haben, sondern darauf auch einen neuen Namen, der nur ihm selbst und dem bekannt war, der ihn gab; er ist deshalb auch ein Zeichen dafür, daß der Herr sie als die Seinen anerkannte angesichts der Gemeinschaft mit Ihm selbst. So können wir sagen, daß dem Überwinder die Gemeinschaft mit beiden, dem Vater und dem Sohn, verheißen wird.

Laßt uns alle die ernste Tatsache anerkennen, daß die Gemeinschaft mit Gott und die Gemeinschaft mit der Welt im Widerspruch zueinander sind und einander ausschließen. Beides können wir nicht haben. Es muß entweder das eine oder das andere sein.

Der Versammlung in Thyatira stellte sich der Herr als der Sohn Gottes vor, der Augen wie eine Feuerflamme und Füße gleich glänzendem Kupfer hat. Dies ist bemerkenswert, da Johannes in seinem Gesicht im ersten Kapitel diese Kennzeichen bei jemand gleich dem Sohn des Menschen sah. Aber wenn, wie wir glauben, die Versammlung in Thyatira prophetisch den Zeitabschnitt abbildet, der das Aufsteigen der römischen Hierarchie zu Macht und Herrschaft erlebt hat, wie überaus zutreffend ist dann dieser Wechsel der Bezeichnung. Rom gibt zu, daß Er der Sohn Gottes ist, legt jedoch allen Nachdruck darauf, daß Er der Sohn der Maria ist, und zwar so sehr, daß Maria Ihn schließlich an Bedeutung überragt. Aber nein, der Sohn Gottes ist es, dessen Augen alles durchdringen und erforschen und dessen Füße alles Böse zermalmen werden. Und wieder haben wir das Wort: „Ich weiß.“

Er erkannte sogar in Thyatira Dinge an, die gut waren; nicht allein Werke, sondern auch Liebe, Glauben, Dienst und Ausharren. Zudem waren ihrer letzten Werke mehr als der ersten – sie steigerten sich noch mit der Zeit. Obwohl es düster um Thyatira stand, wie die folgenden Verse zeigen, nahmen die Augen gleich einer Feuerflamme das Gute wahr, wo wir vielleicht nichts gesehen hätten. Ein aufschlußreicher Gedanke für uns heute, denn wenn ein Zustand sich im Gesamtbild als wirklich schlecht darstellt, sind wir zu leicht geneigt, ohne Unterschied und Ausnahme zu verurteilen.

Nachdem der Herr allerdings das Gute anerkannt hat, verurteilt Er schonungslos das Schlechte. Sie duldeten das Wirken Isebels, und das war eine äußerst ernste Sache. Wir haben keinen Zweifel, daß die Gläubigen in Thyatira gegen Ende des ersten Jahrhunderts sofort erkannt haben, auf was oder auf wen der Herr anspielte. In prophetischer Sicht paßt die Symbolik genau auf die römische Hierarchie. Beachte die folgenden vier Punkte.

Erstens ist es die Frau Isebel. Jeder aufmerksame Leser der Schrift weiß, daß Isebel kein Mann war. Warum wird dann betont, daß sie eine Frau war? Weil in der Symbolik der Schrift eine Frau wiederholt benutzt wird, um ein System zu versinnbildlichen, während ein Mann die Kraft symbolisieren mag, die es antreibt. In den Jahrhunderten des Mittelalters wurde die Entwicklung des römischen Systems mit all seiner versklavenden Macht erlebt.

Zweitens lenkt der Name Isebel unsere Gedanken zurück zu dem dunklen Zeitabschnitt in der Geschichte Israels, als Ahab dem Namen nach regierte, sich aber verkaufte, um unter dem Einfluß seiner Frau Böses zu tun. Isebel war eine Ausländerin, die jedoch in Israel ihre Stellung befestigte und die entschlossene Widersacherin und Verfolgerin der wahren Heiligen Gottes wurde.

Drittens nannte sie sich eine Prophetin. In den Tagen Ahabs tat sie das, indem sie Hunderte falscher Propheten unter ihre Obhut nahm. Rom tat es, indem es beanspruchte, allein zur Auslegung des Wortes Gottes ermächtigt zu sein. „Hört die Kirche“ wurde das Schlagwort und ist es noch heute. Doch praktisch hat das immer nur bedeutet: Hört das Kardinalskollegium mit dem Papst an seiner Spitze, das heißt, hört die römische Hierarchie – hört Isebel! Sie beanspruchen, die einzige Lehrautorität zu sein.

Viertens treibt ihre Belehrung in die Richtung von geistlicher Hurerei und Götzendienst, worunter äußerste Weltlichkeit zu verstehen ist. Was in Pergamus begann, wucherte weiter und kam in Thyatira zu allgemeiner Geltung. In den vier oder fünf Jahrhunderten, die der Reformation vorausgingen, wurden von den Päpsten und dem ganzen papistischen System weltliche Greuel von empörendster Zügellosigkeit verübt. Buße war notwendig, und ausreichende Zeit dafür wurde ihr gewährt, doch sie wurde nicht genutzt. Die Geschichte berichtet, über wie viele Jahrhunderte hin diese römischen Greuel sich noch verschlimmerten, statt daß sie durch wahre Buße in der sicherlich angebotenen Zeit überwunden wurden.

Doch obwohl das Gericht lange gezögert hat, wird es nicht für immer auf sich warten lassen. Dabei richtet es sich nicht eigentlich gegen die Versammlung in Thyatira, sondern gegen Isebel und auch ihre Kinder, das heißt gegen geringere, aber ähnliche Systeme, die ihr entsprungen sind. Isebel und ihre Buhlen werden in große Bedrängnis gestürzt und ihre Kinder durch geistlichen Tod niedergestreckt werden. Es wird nicht besonders gesagt: die große Drangsal, obwohl wir es so beurteilen sollten, daß das, was Isebel symbolisiert, sich zu dem geheimnisvollen Babylon von Kapitel 17 weiterentwickeln und während der großen Drangsalsperiode vernichtet werden wird. Wenn das Gericht kommt, so wird es endgültig sein.

Aber in der Zwischenzeit handelt der Herr so mit der Mutter und den Kindern, um allen Versammlungen zu zeigen, daß Er alle Herzen prüft. Seine Regierungswege beinhalten Gerichte zu ihrer Zeit, bevor Er das Endgericht und die Vollendung herbeiführt.

Die letzten Worte in Vers 23 sind eigentlich eine Ermunterung. Das böse System wird als solches seine Strafe finden, doch die einzelne Seele wird individuell beurteilt werden. Jedem wird nach seinen Werken vergolten werden. Der einzelne wird nicht in der Masse verloren sein. Im Fall Thyatiras führt dies zur Entdeckung eines Überrests für Gott, wie die folgenden Verse enthüllen.

In der Thyatira-Versammlung treten „die übrigen“ ins Blickfeld, das heißt ein Überrest, der von der Masse unterschieden werden kann. An diesen Überrest wendet sich der Herr jetzt direkt; es kennzeichnen ihn eher negative als positive Tugenden, ähnlich wie bei den Siebentausend in Israel, die vor Baal ihre Knie nicht gebeugt hatten. Diese hatten der Lehre Isebels nicht beigepflichtet, und da sie einfältig waren, hatten sie die Tiefen Satans nicht erkannt, die darin verborgen waren.

So waren in der neutestamentlichen Isebel, dem Gegenstück jener Frau, die „Schminke an ihre Augen“ tat und „ihr Haupt schmückte“ (2. Könige 9,30) und die die reine Religion Israels mit dem Heidentum vermengte, die Tiefen Satans zu finden! Das braucht uns jedoch nicht zu überraschen, denn in der Schlußphase, wenn sie ihren Charakter ein wenig verändert und in den Kapiteln 17 und 18 dieses Buches als die Hure mit dem Namen Babylon an ihrer Stirn hervortritt, kommen die ungeheuerlichen Bosheiten, die in ihr sind, an die Oberfläche. In den Tagen Thyatiras waren sie noch in den Tiefen verborgen. Obwohl gottesfürchtige Heilige in ihr gefunden wurden, die dies abgründig Böse nie zu Gesicht bekommen hatten, durchforschten die Augen gleich einer Feuerflamme alle diese Tiefen. Was für eine Offenbarung ist dies!

Es ist lieblich zu sehen, wie der Herr diesen wahren, in ihrer Erkenntnis aber schwachen Gläubigen ein Mitgefühl bezeugt, das weit über das hinausgeht, was ihre besser belehrten Mitbrüder ihnen wahrscheinlich erwiesen hätten. Nur eines erlegt Er ihnen auf: was sie hatten, sollten sie festhalten, bis Er kommen würde. Dies ist die erste Erwähnung Seines Kommens in den Sendschreiben an die Versammlungen, und sie zeigt deutlich, daß das, was Thyatira abbildet, in prophetischer Sicht bis zum Ende andauert.

Wenn sie, was sie hatten, bis zu Seinem Kommen festhielten, würden sie auch Seine Werke „bis ans Ende“ bewahren und somit Überwinder sein, wie Vers 26 sagt. Die Verheißung für solche ist sehr bezeichnend. Ein brennendes Verlangen, Macht über die Nationen zu erlangen, war ein Charakterzug des römischen Systems, seit es in Erscheinung trat, und im Lauf der Jahrhunderte hat es Zeiten gegeben, wo dieses Ziel teilweise erreicht wurde, obwohl es sich nie ganz verwirklichen ließ. Aber der Überwinder in Thyatira wird am künftigen Tag daran teilhaben. Der Herr wird diese Macht von Seinem Vater erhalten, und Er wird sie Seinen Heiligen übertragen, die dazu bestimmt sind, die Welt zu richten, wie wir es in 1. Korinther 6,2 lesen. Was Rom versucht hat, zu seinem eigenen Ruhm vor der Zeit an sich zu reißen, wird Gott den Überwindern geben. Ferner würde ihnen „der Morgenstern“ gegeben werden, was wir als eine Anspielung auf den ersten Schritt verstehen, den der Herr in Verbindung mit Seinem zweiten Kommen tun wird: Sein Kommen bis in die Luft für die Seinen. Das wird der Vorbote des kommenden Tages sein.

Bei dieser vierten Versammlung wie auch bei den noch folgenden steht der Ruf an den, der Ohren hat zu hören, am Schluß, nach dem besonderen Wort an den Überwinder. Das ist bedeutsam, wenn wir es prophetisch sehen. Es zeigt, daß solche, die ein Ohr haben, zu hören, von diesem Zeitpunkt an nur noch in dem kleineren Kreis der Überwinder gefunden werden. Die Ungeheuerlichkeiten des Isebel-Systems sind so ausgeprägt, daß die gesamte bekennende Kirche nicht länger angesprochen wird. Der verlorene Boden wird nicht zurückgewonnen, selbst dann nicht, wenn Philadelphia ins Blickfeld rückt.

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